Ferragosto

Nach zwei zwar sehr unterbrochenen, dennoch regelmäßig präsenten Wochen kann ich mit Fug und Recht sagen, dass wir am Strand als fest eingeplante Größen angekommen sind. Woran ich das merke? Nun, wir bekommen kleine Rabatte, Gefälligkeiten wie Liegen zurecht Rücken, Kopfnicken von allen Stammgästen und – und das ist vermutlich der Ritterschlag – wir wurden in ein Gespräch mit dem Capo verwickelt. Nach so langer Zeit, die er schweigend, also nur in Bezug auf uns, liegend neben uns verbracht hat, ist es gestern aus ihm heraus gebrochen. Da wir auf der Schattenjagd quasi aufeinander liegen, denn er wandert nicht mit dem Schatten, sondern bleibt einfach da liegen, wo ihm Emilio irgendwann morgens die Liege aufstellt, waren wir beim plötzlich einsetzenden Lärm aus den Lautsprechern förmlich gezwungen, miteinander zu sprechen.

Und was für Gespräche das waren! Er ist Architekt und hat schon in Berlin gebaut. Damit er nicht auf die absurde Idee kommt, das sei für einen Bayern eine besondere Auszeichnung oder dass gar Berlin Deutschland sei, habe ich ihm flugs erklärt, dass es zwar sein mag, dass er in Berlin gebaut hat, dass er jedoch ziemlich sicher von Bayern bezahlt wurde. Das Umlagesystem der Fördermittel konnte ich bei einem an kriminelle Geldverschiebungen – zwar in seinem Fall von Nord nach Süd und nicht andersrum – gewöhnten Italiener schnell darlegen und als wir auch noch festgestellt hatten, dass es zwar nett sei, für die Jugend Musik auf dem Bretterboden der vernachlässigten Bar anzubieten, jedoch betrüblich, dass es sich nicht um nette Tarantellas oder gefällige Gassenhauer aus den 50er Jahren handelt, waren wir von Stund an allerbeste Freunde.

Heute hatten wir leider einen so konträren Schlafrhythmus, dass sein sonores ‚Buon Ferragosto‘ nach allen Seiten mich in den Schlaf gewiegt hat und er in einen erschöpften Schlummer gefallen war, während wir beim Wellenhüpfen waren, dass wir kein Wort miteinander gewechselt haben. Nun ja, alles kann man nicht haben. Dafür gab es heute einen kleinen Triathlon unter den Strandpaaren, bei dem ich mir fast in die Badehose gemacht habe vor lauter Lachen und gestern wurden wir von unserem goldigen älteren Ehepaar mit Feigen vom eigenen Baum bedacht und durften Zeugen werden, wie die italienische Jugend sich bei Gluthitze all die Schrittkombinationen aneignet, die sie dann zur Verwunderung der staunenden Wiesnbesucher beim Italienerwochenende ‚wie ein Mann‘ aufführen. Man denke nur an ‚Macarena’…Alles in allem durchaus gelungene und schöne Tage. Ich bleib dran. Ich schulde Mare ja noch den Strandschönling. Mein Mann hat ihn schon gesehen. Was sagt man dazu?

Langärmelige Kleider und langjähriges Glück

Nach zwei wunderbar kühlen, verregneten Tagen, für deren ausführlichere Beschreibung ich mir sicherlich Prunkschafens Zorn zuziehen würde, ist heute die Sonne zurück gekehrt, allerdings mit genügend Wind, um endlich ein seit letztem Sommer gehegtes und bewahrtes langärmeliges, griechisch anmutendes Toga-Gewand anzuziehen. Ich bin ja normalerweise der Typ des Gleichanziehens, zum Entsetzen meiner Mutter auch Gleich-im-Laden-Anlassens, denn wozu was kaufen, was man nicht gleich seiner Bestimmung zuführen kann? Deshalb finde ich es auch ausgesprochen kontraproduktiv, jetzt schon keine Saldiware mehr im Angebot zu haben, sondern schon Kaschmir und Pelz? Wer will das bei 38 Grad? Wer will es probieren? Anziehen? Wer kann sich vorstellen, dass es jemals wieder kalt wird? Eben.

Dieses Kleid konnte heute also endlich an den Strand und zu unserem großen Glück gab es auch die Aussicht auf genau einen Rombo, den wir sogleich, sozusagen am Parkplatz geordert hatten, denn da war noch nicht sicher, ob es ihn geben wird, aber für den Fall der Fälle, haben wir gesagt, sei er uns und nur uns vorbehalten, außer es handle sich um die Mutter, nein die Großmutter aller Rombi, die hätten wir dann ja mit anderen Gästen teilen können. Vorzugsweise natürlich mit unseren lieben Stamm-Mitessern im hinteren rechten Eck. Von diesen Beiden habe ich schon letztes Jahr geschrieben, ich glaube unter dem Stichwort ‚Treue‘. Heute haben sie uns fröhlich hinter der Kuchentheke und der neuen Pflanze, die im Zuge der Modernisierungen, zusätzlich zu einer Chill-Lounge und zu unserem Entsetzen einer Disco ab 17.00 Uhr angebracht wurde, zugewinkt. Sie sitzen nämlich immer dort, wo mein italienischer Gatte auch am liebsten sitzen würde: drinnen.

Ich aber, als Deutsche, sitze sehr gerne draußen, mir macht windiges Essen nichts aus und nichts Schöneres kann es geben, als bei moderaten Temperaturen von wehenden weißen Tischdecken umgeben zu sein. Nach dem Essen sind wir also reimgeeilt, um Hallo zu sagen und uns diskret zu erkundigen, was sie gegessen haben, denn sie sind uns diesbezüglich einfach um dreißig oder vierzig Jahre voraus und solche Erfahrungsvorsprünge dürfen nicht brach liegen. Dabei sind wir ins Plaudern gekommen und ich habe sie einfach so mal gefragt, ob sie nicht auch bald Goldende Hochzeit hätten und sie haben gesagt ja. Weiteres Nachfragen hat ergeben, dass es am 25. August soweit sein wird. Sie wollen das aber gar nicht groß feiern, sondern einfach zusammen, wie die letzten Jahre auch, anstoßen und sich freuen, dass sie sich so gerne haben. Das scheint mir ein wahnsinnig gutes Rezept für langes Glück zu sein. Das wahnsinnig gute Rezept für unseren Rombo alla sicialiana hat Pasquale. Auch ein großes Glück.

Regen im Urlaub

Eigentlich bedeutet Regen im Urlaub, vor allem im Strandurlaub, den Start für echten, wirklichen, zwangsverordneten Urlaub. Kein Mensch muss dann mehr an den Strand, sich sonnen oder sonst irgendwelche wilden Outdoor-Aktivitäten unternehmen, wenn man denn Solches überhaupt im Urlaub geplant hatte. Heute am Strand, nach einem ausnehmend guten Mittagessen, als ich gerade in einen komatösen Post-Gamberoni-Schlaf hinübergleiten wollte, dachte ich: Donnerwetter, der Rotzbub soll jetzt endlich aufhören, seine Schwester unter der Dusche anzuspritzen, spritzt ja schon bis hierher (erste Reihe hat auch ihren Preis!). Aber es war Regen. Und da ich nicht wegen einer halben Stunde alles umräumen und ins Hausele ziehen wollte, sind wir nach Hause gefahren.

Hier müssen wir uns jetzt richtig zur Ordnung rufen, dass mein Mann nicht zwanghaft beginnt zu arbeiten und ich werde nach diesem Blog auch sofort wieder den Computer weglegen. Stattdessen muss ich vermutlich mein Schläfchen vom Strand nachholen und vielleicht ein bisschen lesen. Ich hatte nach dem letzten scheußlichen Groschenroman die Eingebung, ein Buch wieder zu lesen, das ich schon tausend Mal gelesen habe und weil das so ist, finde ich es blind und kann auch ganze Sätze mitsprechen beim Lesen – falls ich das wollen würde, was nicht immer der Fall ist. Aber ich könnte es.

Mit so alten Büchern ist das wie mit ewig langen Ferientagen, sie sind so beruhigend, weil sie immer gleich sind. Man kann sich in sie reinplumpsen lassen und sie tragen einen durch die Zeit. Vielleicht fallen sie auch unter die Regie der Basalganglien? Das würde erklären, warum sie so erholsam sind. Gewohntes ist einfach erholsam. Zwischendurch, in einer sehr heißen Periode, kann jedoch auch das Ungewohnte, der Regen, unfassbar erholsam sein. Ich wünsche dem tropischen Bayern und seinen Bewohnern auch ungewohnten Regen und Kühle. Sollte dieser sich nicht einstellen, kommt nach Rom, hier ist es schön frisch!

Wellenhüpfen

Es gibt Dinge, die konservieren ihre Schönheit und ihren Zauber. Sie sind in der Kindheit schön und bleiben es im weiteren Leben. Schaukeln, Schwimmtiere und Wellenhüpfen sind meine ewig liebsten Beschäftigungen. Heute waren wir am Meer und als wir den letzten Kilometer zum Strand – noch im Auto – zurück gelegt hatten, kamen tatsächlich der Wettervorhersage folgend, dicke Tropfen herunter. Gut, dachten wir, am Meer wird es sich schon wieder beruhigen, wäre ja gelacht. Wir haben also einen Cappuccino bestellt und getrunken, aber es wurde und wurde nicht besser, eher kühler und windiger. Und das war die Stunde zweier geduldiger Männer: Die meines Mannes und die von Pasqale. Beide wollten schon seit immer, dass wir ein Strandhaus nehmen. Das hatte sich bislang nicht gelohnt, weil wir eben meistens unter dem Schirm lagen.

Heute haben wir eine dieser Reihenhaushütten, die die Strände eingrenzen, Lamellentüren haben und viele Hocker, damit mindestens drei Generationen italienischer Großfamilie drin und draußen zusammen kommen können, genommen. Bei unserem Pasqale gibt es zwei Reihen auf einander gegenüberliegenden Seiten. Wir haben die bekommen, auf die morgens die Sonne scheint, was heute egal war. Und es war ganz arg herrlich. Ich habe mich auf die Liege in diesen vier Quadratmeter großen Raum gelegt, mein Mann kühn davor, er hat die Türe geschlossen und ich bin in Tiefschlaf gefallen. Klein, weiß, überschaubar, luftig, das Meeresrauschen im Hintergrund, was will man mehr?

Nach einiger Zeit war es zum Glück Zeit zum Essen, es war ja fast niemand da und nach dem Essen konnten wir in der Kühle gleich nochmal schlafen. Dann aber hatte der Wind aufgefrischt und die allerschönsten Schaumkronen auf einem Türkisen Meer haben gerufen: Kommt! Kommt schnell! Es ist Wellenhüpfzeit!! Mein Mann hatte das zunächst noch gar nicht so laut gehört, aber zum Glück hat er ja mich für sowas und so haben wir also Bikiniträger und Badehosen enger geschnürt und sind los. Immer den Blick aufs Meer. Und welche Freude ist das, wenn man kühn in eine Schaumkrone springt, oder eine überschlagende Welle genau im richtigen Moment erwischt und auf ihr surft, bis der Bauch auf dem Sand aufschabt! Beim Auftauchen hängen die Haare ins Gesicht, der Bikini ist zur Freude der Strand- und Meereswächter trotz aller Bemühungen verrutscht und es ist einfach herrlich! Überhaupt kann ich mir kaum etwas Schöneres vorstellen, als einen leicht regnerischen Tag am Meer. Hoffentlich ist es morgen genauso.

Neues vom Strand

Wir sind zurück am Strand. Zurück bei üppigen Mittagessen, die wir fast immer mit den Worten einleiten: Heute essen wir nur einen Fisch mit Salat. Und zurück beim Capo della spiagggia, dem Mario Adorf von Ostia. Von diesem Herren habe ich letztes Jahr schon berichtet glaube ich. Er kommt mit seiner – tauben? – Ehefrau und liegt in der ersten Reihe. Ich möchte durch diese Bemerkung diskret drauf hinweisen, dass das Vertrauen meiner Stammkommentatorinnen durchaus gerechtfertigt war und ich in der Tat in der ersten Reihe liege. Sogar mit soviel Recht und Anspruch, dass heute Morgen eine Mutter mit Kind den Platz räumen musste, kaum dass der Strandwart unserer ansichtig wurde. Das war mir dann doch etwas unangenehm und ich habe ihr beim Sandförmcheneinsammeln geholfen. Was soll man machen?

Aber zurück zu den ersten Eindrücken. Der ältere Strandschönling mit dem weißblonden halb langen Haar, leichter Gunter-Sachs-Verschnitt und der immer noch respektablen Figur ist ebenfalls wieder da. Den jungen Poser vom letzten Jahr, der abends völlig erschöpft gewesen sein muss, weil er sich niemals setzen, gar legen konnte, dann hätte keiner seine Sixpacks gesehen, habe ich vielleicht gestern gesehen, aber nur kurz, denn ich hatte gerade meinen Rombo alla siciliana bekommen und wie wir alle wissen, ist Essen der Sex des Alters. Man fängt ja mit der Geburt an zu Altern. Als wir am späten Nachmittag dann ermattet vom Schauen und Lesen, in ein sanftes Nickerchen gedümpelt waren, drang eine sonore Stimme an mein Ohr. Und richtig! Beim vorsichtigen Spitzeln nach links hat sich mein verschlafener Verdacht bewahrheitet. Wir liegen direkt neben dem Chef!

Ich erwarte mir hiervon einen enormen Erfahrungszuwachs, weil er quasi ohne Unterbrechung Menschen, die ihm auf seiner Liege Referenz erweisen, seine Meinung zu diesem und jenem Thema mitteilt. Nun haben wir schon unseren Pasquale, der uns über die haarsträubenden Methoden der Ostienser Polizei auf dem Laufenden hält und wir uns hierin einig sind, dass irgendein widerlicher Großinvestor hier seine Finger im Spiel hat. Nun kommt auch noch der Capo dazu, der meiner Meinung nach Alberto heißt, was noch nicht verifiziert ist, aber sicher noch kommt. Da wir uns letztes Jahr als würdig erwiesen haben, grüßt er – speziell meinen Mann – respektvoll und dieser, ganz erfahrenerer italienischer Konversationshaudegen tut Gleiches. Noch gibt es eine respektvolle Distanz, ich glaube, mein Mann möchte ihn auf neutralem Terrain treffen, aber ich bin mir recht sicher, wir werden noch ganz dicke.

Immer dann, wenn man’s nicht braucht

Kennt das jemand außer mir? Normalerweise springt jede Ampel, auch auf der gradesten Strecke auf Rot, sobald man anrollt, auch die fünfte in einer Reihe. Aber wehe, man möchte etwas ins Navi eingeben, sich die Lippen nachziehen, eine SMS tippen oder was nachschauen, alles grün, Ankunft in Rekordzeit, viel zu früh und so weiter. Oder wie heute: Nach Durchsicht der Wetterlage hatte ich einen wunderbaren Plan: ich wollte mannigfache Fotos vom vernebelten, grauen Gardasee machen, trübe Stimmung, ganz der Gegenpol zum sonnigen, heiteren Touristenspot. Und was ist? Strahlende Sonne, achtzehn Grad, wunderbare Farben, leuchtendes Laub, glitzernder See. Was soll man sagen? Laut lamentieren? Das wäre verwegen.

Also haben wir halt das Beste draus gemacht, sind verschlungene Straßen durch die Berge gefahren, haben Schluchten durchquert, Madonnen in Grotten entdeckt und sind dann ermattet in unseren Zielort eingelaufen. Sirmione. Ich hab ihn aus völliger Unkenntnis gewählt, einfach nur, weil er am nächsten zu Modena liegt. Ich war noch nie wirklich am Gardasee, ich kenn mich nicht aus. Aber es ist ein echt piepsiger Ort, wie der ganze südlichste bayerische See überhaupt. Mit einer hübschen Festung und so vielen Restaurants, dass wir uns einfach im erstbesten direkt am See einen Tisch für heute Abend gemacht haben. Ok, es war auch das, das am besten gerochen hat. So warm und leicht trüffelig rotweinig. Angenehm und vertrauenerweckend.

Dann ein kleiner Bummel, ein noch kleinerer Aperitivo mit einer minimal kleinen Bruschetta und nun ein winziges Schläfchen. Wäre natürlich noch schöner, wenn es nebelig wäre, aber bitte, man möchte nicht klagen. Wenn’s mir mal wieder pressiert wie Sau oder ich es im Supermarkt wirklich eilig habe, werde ich für mein freches Jammern schon wieder auf die rechte Bahn gebracht werden. An so einem schönen Tag wie heute kann ich mich das alles trauen.

 

Treue

Wenn man einige Tage neben dem Strandcapo liegt, stellt man sich unweigerlich irgendwann die Frage, wie er das geworden ist. Unser capo ist es wohl zum einen durch seine sonore Stimme und sein respektables Äußeres, aber auch durch seine jahrelange Treue zum selben Ort und seine Bereitschaft, mit jedem über fast alles zu plaudern, geworden. Nie würde er ein Buch in die Hand nehmen, das eine unschöne Grenze zwischen ihm und der Außenwelt bedeutete, nie mit Kopfhörern auf seiner Liege rum dösen. Er strahlt unter seinem Schirm und seiner Sonnenbrille eine generelle Bereitschaft zum Plaudern aus. Und, wie gesagt, er ist einfach da und das schon lange.
So eine Treue gibt es dort am Strand mindestens noch einmal. Nämlich Hermine und Alfred, die jeden Sonntag und wie wir nun wissen, auch zwischendurch mittags zum Essen kommen, immer am selben Platz sitzen und immer die köstlichsten Dinge serviert bekommen. Wir müssen uns weiß Gott nicht beschweren, aber die Beiden sind schon einen Schritt voraus. Nach ein paar Jahren, nachdem uns eine gewissen Regelmäßigkeit aufgefallen war, haben wir hinüber genickt, da sie immer eine Tischdiagonale entfernt saßen. Dann sind wir dazu über gegangen, an ihren Tisch zu gehen, um hallo zu sagen. Hermine ist dabei immer aufgestanden, was ich unfassbar höflich finde, denn sie ist weit in den Achtzigern, auch wenn man ihr das überhaupt nicht ansieht. Sie trinken jedes Mal ein Fläschchen Wein zusammen und essen niemals à la carte. Sie leben in Rom und fahren regelmäßig und fröhlich hinaus zum Mittagessen und es ist rührend und muteinflößend, sie zu sehen. Sie haben genau dieselbe Freude an alledem wie wir und als ich Pasquale gestern gefragt habe, wie lange sie schon kämen, sagte er mir, seit 1983, also ziemlich genau ab der Eröffnung. Sie strahlen so eine Zufriedenheit aus und Pasquale hat uns erzählt, dass Alfredo ein experimentierfreudiger Koch ist und seine Frau die Pasta dazu bereitet. Wir reden hier offenbar von kleinsten, feinsten Tortellini und nicht von irgendwelchen banalen Fettuccine…
Gestern Abend in Trastevere hatten wir auch so ein zauberhaftes Paar neben uns und irgendwann hat sie es nicht mehr ausgehalten und uns angesprochen. Die beiden waren auch so dermaßen alt und man hatte überhaupt keine Vermutung diesbezüglich, vor allem, weil sie uns fröhlich von der Vespa erzählt haben, mit der sie morgens am Gardasee immer die Cornetti holt, weil man ja vor lauter deutschen Autos sonst überhaupt nicht mehr durchkommt. Warum ich das schreibe? Weil es wichtig ist in Zeiten, in denen von Krankheit, Altersarmut und Scheidung die Rede ist, wohin man blickt. Und ab morgen werden die Einträge wieder weniger verfressen. Leider.

Finito il Fritto

Lange hat er es sich angesehen, sich gefreut, dass wir nach den Jahren des rombo con patate oder rombo all’acqua pazza mal was Anderes bestellt haben, nämlich fritto misto, was eigentlich ein Zufallstreffer war, denn ich dachte eher an supplì di riso und olive ascolane, aber es war eben ein echtes fritto misto. Also jedenfalls viele Tage hat Pasquale klaglos Tag für Tag Dasselbe serviert, bis es ihm gestern gereicht hat. Seine Rechnung, uns wie Kinder oder Pferde eine Zeit lang einfach laufen zu lassen und wir würden dann schon merken, dass das ins Nichts führt, ist nicht aufgegangen. Wir haben soviel Abwechslung und Aufregung im Leben, dass wir Gewohnheiten lieben, Routinen und Rituale geradezu vergöttern. Wenn wir zweimal hintereinander Dasselbe machen können, freuen wir uns ein Loch in die Mütze. Und wenn uns das Fritto am ersten Tag gut geschmeckt hat (erstaunlich, ich mag nämlich gar keine Meeresfrüchte), warum sollte es am zweiten, dritten oder vierten Tag nicht mehr gut sein? Auf der Karte stand nichts, was mich mittags mehr begeistern würde und außerdem muss ich nie nach Karte essen.
Das war so bis vorgestern. Offenbar hat er als aufmerksamer Wirt in den Augen meines Mannes ein kleines Glimmen entdeckt. Heimlich beim Zahlen haben sie es dann besprochen. Und so wurde angekündigt, dass wir etwas ganz Besonderes haben sollen: Triglie in Tomatensoße mit geröstetem Brot. Das ist natürlich meilenweit von einem leichten Mittagessen entfernt, aber Pasquale kann es einfach nicht ertragen, wenn man so oft hintereinander solche Banalitäten in sich hinein mümmelt. Tradition hin oder her. Bislang ging das gut, weil wir zwar regelmäßig, aber eben immer mit wochenlanger Pause zu ihm gekommen waren. Das ist dann wie an Weihnachten, wo ja auch kein vernünftiger Mensch drauf käme, dauernd was Neues zu kochen, bloß weil einem sonst fad wird. Ich meine, wem wird schon fad, wenn er alle 365 Tage einmal Dasselbe isst?
Um auf Pasquales sanfte, aber bestimmte Lenkungsmaßnahmen zurückzukommen: er war aufgeregt wie eine Debütantin, sofern man das von einem altgedienten Restaurant-Haudegen sagen kann und hat immer einen Grund gefunden, in unserer Nähe zu sein. Als wir den wunderbaren Teller in Rekordzeit leer gegessen hatten, hat er gestrahlt und uns verkündet, dass es morgen wieder etwas Neues geben werde. Wir sind gespannt und haben inzwischen auch aufgegeben, außer einem Caffee morgens noch irgendetwas anderes zu uns zu nehmen. Auch abends nicht. Ist uns schon zur lieben Gewohnheit geworden.

Am Strand

Der Strandbesuch ist eine ernst zu nehmende Angelegenheit. Angesichts einer so großen Bühne und meiner Leidenschaft für Oper und Spektakel, wäre es schändlich, die Zeit mit Lesen oder Schlafen zu vergeuden. Man würde so viel verpassen. Und nun, nach einigen Tagen, die wir fast immer am selben Platz verbringen, schleicht sich eine gewisse Gewöhnung ein und genau das Maß an Kenntnis, das die nähere Betrachtung erst so richtig interessant macht. Wir liegen also meeresnah in der ersten Reihe neben den anderen Strandveteranen, die sich seit Jahr und Tag kennen. Und da hier jegliche Scheu und „mal schauen, wie das hier so funktioniert“ vollständig abgelegt wurden und zwar vor Jahren, hab ich eigentlich inzwischen ähnlich viel zu tun, wie bei einem normalen Bürojob.
Es geht für uns meist leider etwas spät los, weil es vorher noch so viele Dinge zu erledigen gibt. Gegen elf Uhr, wenn wir wie von Zauberhand, aber eigentlich von Emilio, kaum dass wir geparkt haben, die Liegen aufgestellt bekommen, ist die Familie hinter uns schon da. Sie besteht hauptsächlich aus Oma, Mama (jung) und Kleinkind (sehr jung und ausgesprochen fröhlich und mitteilsam). An dieser Front passiert meist nicht viel, Mama liest und schickt Kind zur Nonna, Nonna hat vermutlich ihre eigene (lesende) Tochter früher immer zum ruhigen Lesen am Strand angehalten und zahlt nun gottergeben die Rechnung. Und so findet der kleine rote Lockenschopf (sic!) in der Nonna eine zähe Mitstreiterin, wenn es ums Schwimmtiere aufblasen, Löcher graben und Welterklären geht, wobei da eher er als Bubenkind die Nase vorn hat. Eh klar.
Das wirklich Interessante spielt sich aber rechts und links von uns ab. Links liegt ein Paar, er mit Bürstenschnitt und runder Sonnenbrille und sehr, sehr rotem Gesicht, sie mit täglich wechselndem Bikini (immer sehr fashionable, entweder mit Schnürchen oder Bandeautop) und man kann sich wirklich überhaupt nicht vorstellen, was dieser Frau im Leben alles passieren muss. Sie regt sich von elf bis weit in den Spätnachmittag nonstop über irgendetwas auf. Mein Mann erweist sich hier als ausgesprochen nutzlos, weil er lieber liest als lauscht. Ich kann nicht immer vollumfänglich lauschen, weil ich a) auf einem Ohr nicht gscheit höre und b) mir manchmal Sprach(Dialekt)barrieren in die Quere kommen. Sehr ärgerlich. Dafür gibt es weiter links etwas, wofür man keine Ohren, sondern nur Augen braucht. Ich finde es vollkommen gerechtfertigt, wenn jemand, der sein halbes Leben im Fitness-Studio zubringt, die Früchte seiner Arbeit präsentiert. Ich tue das mit Marmelade, meterlangen Schals, traumhaft eingekochten Schmorgerichten und er halt mit seiner Figur und einer piepkleinen Badehose. Leider hat er keinen Liege mehr bekommen, so dass er nun die ganze Zeit stehen muss.
Diese Probleme hat der Herr rechts neben uns überhaupt nicht. Er ist der Capo des Strandes. Alle kennen ihn. Alle halten respektvoll vor seiner Liege und hören sich an, was er von der aktuellen Entwicklung des Strandes, der Politik und der Welt hält. Und auch hier ist es für mich einfach: ich brauche nur auf seine Hände schauen. Würde man ihm die festhalten, wäre er stumm. Wenn er sie nicht zum Reden benutzt, liegen sie zärtlich gefaltet über seinem Bauch. Er weiß offenbar alles und als meine Neugier übermächtig wurde und ich meinen Mann ernsthaft ermahnt habe, mal aufmerksam zu sein, hat er lapidar gemeint, dass sich das Gespräch vermutlich um Eissorten dreht. Glaub ich nicht. Werde mich heute etwas näher hinlegen und versuchen nicht einzudämmern. Denn das ist mein Hauptproblem: kaum ertönt um mich herum ein gleichbleibendes Murmeln und ich habe kein Buch mehr vor mir, döse ich nämlich hinweg. Vielleicht bringe ich mich heute mal ein wenig ein.

Nicht mal 48 Grad in Marokko

Heute am Strand war es wahnsinnig windig. Ärgerlich daran ist nur, dass einem Haare und Handtücher um die Ohren fliegen. Handtücher wälzen sich noch dazu vorher richtig im Sand, um einem dann pfeilartig die kleinen Körnchen ins Gesicht zu schießen. Das Problem mit den Haaren hat nicht jeder, aber hier gibt es ja zum Glück Abhilfe. Seit einiger Zeit auch beim Thema „Flatternde Handtücher“.
Letztes Jahr haben wir die Strandverkäufer noch kritisch beäugt, als sie ihre Auflagen mit vier Gummizugecken angepriesen haben. Aber dieses Jahr habe ich bei meinem aufgeschlossenen Mann bereits am ersten Tag latentes Kaufinteresse bemerkt. Ich bin Schwabe, bei mir braucht man schon einen Holzhammer. Bis heute konnte ich sein Interesse niederbügeln. Aber dann hat mir der starke Meereswind meine Zweifel förmlich weg geblasen. Kaum, dass wir uns niedergelegt hatten, ich war noch nicht mal ausgezogen, kam ein freundlicher Verkäufer und bot aus seinem kunstvoll gepackten Müllbeutel die verschiedensten Modelle an nicht wegfliegbaren Liegeauflagen. Nein, nein, no, veramente, grazie, all das hat ihn als Vollblutverkäufter nicht abgeschreckt. Er hat den Braten gerochen und ich ehrlich gesagt auch. Das waren keine echten Neins mehr von meinem Mann. Das waren Schein-Neins, Ehren-Rettungs-und-Verhandlungsvorbereitungs-Neins. Wir haben uns also mal zeigen lassen, was so in diesem blauen Beutel auf Kundschaft wartet. Unfassbar viel übrigens. Ich hätte am liebsten ein pinkfarbenes mit weißen Tupfen genommen, aber man wird ja älter. Wie sieht denn das aus? Mein Mann hat außerdem geschworen, darauf niemals Platz zu nehmen. Kann man auch wieder verstehen. Dann gab es noch ein korallfarbenes mit beigem Rand. Die hatten den Vorteil, oben auch noch Klettverschlüsse zu haben, so dass man das Kopfteil der Liege verstellen kann, was übrigens nur am Strand funktioniert. Wir haben die teuersten Liegen der Welt zuhause und nach 30 Sekunden kracht mir jedes Mal das Kopfteil auf die Brust und sollte ich in dieser Zeit eingenickt sein, was schon mal passieren kann, bin ich danach garantiert für die nächsten 14 Stunden wach, weil mein Körper vollauf damit beschäftigt ist, das Adrenalin wieder aus mir rauszukriegen.
Wir haben also diese beiden Handtücher gekauft, ich habe unfreiwillig ein neues, revolutionäres Knotsystem für die oberen Klettverschlüsse entdeckt, was mir den Respekt des Verkäufers eingebracht hat und dann haben wir uns noch über die wahren Probleme auf der Welt unterhalten. Nämlich, dass er immer noch mit Zudecke schlafen muss. Nicht kann. Muss. Und seine zahlreichen Verwandten bei ihm zuhause in Marokko auch. Dort hat es nämlich nur 30 Grad, anstatt der 48, 50, die für die Jahreszeit normal sind. Nicht, dass wir hier keine Probleme hätten. Ich meine, hallo, wir sind schließlich Diejenigen, die im Hochsommer, kurz vor Ferragosto gezwungen sind, windsichere Handtücher zu kaufen. Auf dem Heimweg vom Strand – wir mussten wegen des Windes früher gehen – haben wir im Radio gehört, dass „Vom Winde verweht“ eigentlich ein anderes Ende gehabt haben sollte. Mir gefällt das aktuelle eigentlich ganz gut: morgen ist auch noch ein Tag, verschieben wir’s auf morgen.