Treue

Wenn man einige Tage neben dem Strandcapo liegt, stellt man sich unweigerlich irgendwann die Frage, wie er das geworden ist. Unser capo ist es wohl zum einen durch seine sonore Stimme und sein respektables Äußeres, aber auch durch seine jahrelange Treue zum selben Ort und seine Bereitschaft, mit jedem über fast alles zu plaudern, geworden. Nie würde er ein Buch in die Hand nehmen, das eine unschöne Grenze zwischen ihm und der Außenwelt bedeutete, nie mit Kopfhörern auf seiner Liege rum dösen. Er strahlt unter seinem Schirm und seiner Sonnenbrille eine generelle Bereitschaft zum Plaudern aus. Und, wie gesagt, er ist einfach da und das schon lange.
So eine Treue gibt es dort am Strand mindestens noch einmal. Nämlich Hermine und Alfred, die jeden Sonntag und wie wir nun wissen, auch zwischendurch mittags zum Essen kommen, immer am selben Platz sitzen und immer die köstlichsten Dinge serviert bekommen. Wir müssen uns weiß Gott nicht beschweren, aber die Beiden sind schon einen Schritt voraus. Nach ein paar Jahren, nachdem uns eine gewissen Regelmäßigkeit aufgefallen war, haben wir hinüber genickt, da sie immer eine Tischdiagonale entfernt saßen. Dann sind wir dazu über gegangen, an ihren Tisch zu gehen, um hallo zu sagen. Hermine ist dabei immer aufgestanden, was ich unfassbar höflich finde, denn sie ist weit in den Achtzigern, auch wenn man ihr das überhaupt nicht ansieht. Sie trinken jedes Mal ein Fläschchen Wein zusammen und essen niemals à la carte. Sie leben in Rom und fahren regelmäßig und fröhlich hinaus zum Mittagessen und es ist rührend und muteinflößend, sie zu sehen. Sie haben genau dieselbe Freude an alledem wie wir und als ich Pasquale gestern gefragt habe, wie lange sie schon kämen, sagte er mir, seit 1983, also ziemlich genau ab der Eröffnung. Sie strahlen so eine Zufriedenheit aus und Pasquale hat uns erzählt, dass Alfredo ein experimentierfreudiger Koch ist und seine Frau die Pasta dazu bereitet. Wir reden hier offenbar von kleinsten, feinsten Tortellini und nicht von irgendwelchen banalen Fettuccine…
Gestern Abend in Trastevere hatten wir auch so ein zauberhaftes Paar neben uns und irgendwann hat sie es nicht mehr ausgehalten und uns angesprochen. Die beiden waren auch so dermaßen alt und man hatte überhaupt keine Vermutung diesbezüglich, vor allem, weil sie uns fröhlich von der Vespa erzählt haben, mit der sie morgens am Gardasee immer die Cornetti holt, weil man ja vor lauter deutschen Autos sonst überhaupt nicht mehr durchkommt. Warum ich das schreibe? Weil es wichtig ist in Zeiten, in denen von Krankheit, Altersarmut und Scheidung die Rede ist, wohin man blickt. Und ab morgen werden die Einträge wieder weniger verfressen. Leider.

7 Gedanken zu „Treue“

  1. Das wird für mich immer schwieriger auf die Artikel der sehr verehrten Bloggerin zu antworten. Beim letzten Blog wurde die Antwort mal wieder vom Rechner oder dem Netz gefressen, und mir fällt beim besten Willen nicht mehr ein, welch göttliche und sicher brillante Worte ich gewählt hatte. Vom Inhalt mal ganz zu schweigen. Und jetzt hier?! Zur Zeit ist Essen das Hinterletzte, das mich interessiert. Leider auch trinken. Nur eiskaltes Leitungswasser finde ich wunderbar, zu jeder Tages- und Nachtzeit. Dabei ist es mir völlig egal, ob es bei Vollmond oder Neumond aus meinem der einem fremden Hahn kommt. Wenn es nur kalt ist.
    Wenn ich heute Abend zwei gummiartige kleine Weißbrotscheiben mit beliebigem Belag esse, bekomme ich zehn mikroskopisch kleine Gummibärle, farblich nicht sortiert. Gestern war ein grüner Überhang! Die grünen schmecken scheußlich. Ich trau mich aber nicht zu meckern, sonst bekomme ich am Ende gar keine mehr!
    Jetzt liege ich hier rum und warte auf den Vollmond, den größten seit langer Zeit um 20.09 Uhr. Ob er wohl Gummibärle dabei hat?

    1. Das mit den Gummibärle ist wahrhaft eine Schande, aber meine Mutter hatte zu derartigen Themen immer gesagt: Es ist immer nur gut, wenn es nicht zuviel ist. Vielleicht sind die grünen GB deshalb nicht gut? Der dicke fette Mond hat sicher welche dabei. Wir fürchten uns hier schon, dass er runter fällt.

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