Für Jemanden aus einer bayerischen mittelgroßen Stadt, die immer und ewig im Schatten der großen Stadt in Bayern stehen wird (obwohl die viel jünger ist und nicht annähernd mit dem historischen Wert meiner Stadt mithalten kann, but size does matter!), können europäische Großstädte einschüchternd und überraschend sein. Für Jemanden, der wenig bis gar keine Zeitungen liest, an einer Gesichtserkennungsschwäche leidet (und sich losen Bekannten immer wieder aufs Neue freundlich vorstellt und sich dadurch den Ruf einer gewissen Arroganz einhandelt) und an Sport generell überhaupt kein Interesse hat, erschließen sich landläufige Vorteile von Metropolen wie zum Beispiel der Promifaktor natürlich niemals. Und so ist es auch wahrlich rausgeworfenes Geld, mich in ein Restaurant mit hoher Sportprominenzdichte zu bringen. Gut, wir wussten nicht, dass während der French Open alle Tennisspieler direkt vom Sandplatz (klingt als wäre ich ein Profi, oder? Ist hoffentlich auch so) in speziell dieses Restaurant sausen. Eigentlich waren wir dort, weil uns ein netter Israeli in München gesagt hatte, er sei während seines Umbaus in just diesem Restaurant Stammgast gewesen. Im Nachhinein macht mich das ein wenig neidisch auf seine verzogene Gattin, denn ich war während unseres Umbaus immer nur in der Pizzeria ums Eck. Fairerweise muss man sagen, dass wir auch nur eine Pizzeria ums Eck hatten und kein mondänes In-Restaurant. Egal. Jetzt, wo wir schon einmal da waren, konnte mein Mann immer wieder mit Kennerblick in mein Thunfischtartar murmeln, dass der jetzt der Ion Tiriac und der andere was-weiß-ich-wer sei. Es kann nicht sehr befriedigend für ihn gewesen sein, denn wenn man jemanden nicht kennt, nicht mal weiß, wofür er bekannt sein könnte, ist er einem schlichtweg wurscht. Aber bitte, das wusste mein Mann auch schon vor unserer lange zurückliegenden Hochzeit.
Völlig anders gestern in London. Wir hatten eine Reservierung vom Hotel in einem „casual“ Restaurant und sind auf dem Weg dorthin durch eine nette kleine Gasse gelaufen, in der lauter orientalische kleine Restaurants mit Tischen draußen (sic!) waren (der Sieg der Hoffnung über die Erfahrung, mal wieder). Das casual Restaurant sah von außen so hypergestylt aus, dass uns der Appetit vergangen ist und wir kurzerhand zurück in die kleine Gasse gegangen sind, um im einzigen leeren einen Tisch draußen zu nehmen. Wir haben großartige Vorspeisen bestellt, ein Glas Wein, Tajine und mit dem Besitzer, der neben uns fast Dasselbe gegessen hat, geplaudert. Dann sprach Erik, unser Ober einen älteren Mann an. Der war in Begleitung eines Anderen und blieb stehen, um sich kurz zu unterhalten. Dabei konnte ich ihn von hinten sehen und Folgendes ist mir aufgefallen:
1. Er trug tatsächlich eine Wranglerjeans.
2. Wer trägt heute noch Wranglerjeans? Gibt es die Marke überhaupt noch?
3. Der Gürtel war ein sehr normaler, sehr ordentlicher brauner Gürtel, der durch alle vielen Schlaufen durchgezogen war.
Die beiden sind weitergezogen und unser Erik kam zu uns, um mit uns zu plaudern. Ich wollte höflich sein und habe ihn gefragt, ob das ein Freund von ihm war und wie nett, dass man sich auf der Straße hier so kennt. Und er meinte, nein, leider kein Freund, das war Harrison Ford. Hmpf.
Den hätte ich jetzt aber auch mal gekannt. Das ist der aus Star Wars (deshalb ist er auch in London) und aus dem Schatzjäger-Film, von dem es ebenfalls gefühlte hundert Folgen gibt. Also Harrison Ford jedenfalls hat er gefragt, ob er – wenn er schon woanders gegessen hat – nicht seinen Kaffee hier nehmen wolle und ob ein Foto mit ihm möglich sei. Harrison Ford habe sehr freundlich abgelehnt und auch kein Foto gewollt, weil er sonst mit allen Anwesenden tausende von Fotos machen müsste. Logisch. Kann man verstehen. Leichter wäre sein Leben sicherlich, wenn er Tennis spielen würde, oder Wasserball. Dann würde ich ihn schon mal sicher nicht kennen. Aber das hab ich ja so auch nicht.