Flughafenhotels (und ihre Folgen)

Mehr oder weniger durch Zufall bin ich letzte Woche in einen der letzten romantischen und mythenumwitterten Orte unserer Reisewelt vorgedrungen: Das Flughafenhotel. In einem Flughafenhotel geschieht bestimmt wesentlich mehr Romantisches, Verruchtes und auch Tragisches als im luxuriösesten Hotel in Paris. Superhipp, supergroß und superanonym hat so ein Flughafenhotel die allerbesten Voraussetzungen für Affären, Stop-over oder gar windige Geschäfte. Ich muss zugeben, dass meine Phantasie sofort mit mir durchgeht, wenn ich so einen Ort sehe. Bestimmt stecken ganz viele Geschichten in den einzelnen Zimmern. Wie eigentlich in allem, was einem so im täglichen Leben begegnet. Meine Mutter, ein listiges erfahrenes Weideschaf, das schon fast alles gesehen und gehört hat, erzählt mir immer, wenn ich im Römischen Verkehr bleich vor Zorn werde, weil einer mich mit dem Smart auf’s Übelste abdrängt, Geschichten über die unverschämten Fahrer.

War es ein Mann, so erzählte sie mir beispielsweise Folgendes: Weißt Du, Du hast ihn die ganze Zeit an seine Frau erinnert, mit der er meinte, total glücklich zu sein, für die er gearbeitet hat und die er geliebt hat. Bis zu dem Tag, als er herausfand, dass sie ihn mit seinem Chef betrügt. Oder wenn der Fahrer ganz besonders frech und dreist war, mich gar geschnitten hat, konnte die Geschichte auch so sein: Gerade heute Morgen hat dieser arme Mann seinen Job verloren, seine Frau hat ihn darauf hin verlassen und jetzt ist er auf dem Weg vom Büro nach Hause, in dem es sich gerade sein junger, dynamischer Nachfolger bequem macht. Wie konnte ich da noch ärgerlich sein? Manchmal wäre ich den Leuten am liebsten nachgefahren, um sie zu trösten. Reframing nennt man diese brillante Technik, bei der es letztlich um nichts anderes geht, als eine Tatsache oder ein Ereignis aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten, ihm eine andere Bedeutung zu geben. Oder einfach die ganze Geschichte zu erfahren.

Ich denk mir das manchmal auch bei mir selbst, wenn ich etwas drumselig vor mich hinschaue, weil ich mir Sorgen mache oder mit meinen Gedanken meilenweit entfernt bin. Woher sollen die anderen das wissen? Wenn sie wüssten, was mich gerade bewegt, würden sie es sicherlich besser verstehen. Sind dafür vielleicht sogar die Höflichkeits- und Gesellschaftsregeln erfunden worden? Damit das Zusammensein trotz unterschiedlichster Erfahrungen und Charaktere und Temperamente dennoch funktioniert, weil diese eben auf Situationen und Funktionen abgestimmt sind und nicht nur auf das Einzelwesen? Dann wird das gesellschaftliche Zusammenleben vermutlich künftig eher schwieriger als leichter, weil so wenige Menschen es heute noch Face-to-Face trainieren. Vor dem Computer ist es fast egal, wie man sich benimmt, zumindest auf vielen Gebieten. Und wirklich raus gehen muss man auch nicht mehr. Da ist es doch gut, dass es so zentrale Begegnungsstätten wie dieses Flughafenhotel gibt. Da treffen noch echte Menschen aufeinander und vielleicht hält einem am nächsten Morgen einer von diesen unerwartet die Türe auf, weil er ein ganz wunderbares Erlebnis in ebendiesem hatte. Oder ein Mann rüpelt einen an der Kreuzung an. Kann natürlich auch sein…

Reisestatistik

Reisen unterliegen der Statistik genauso wie alles andere. Mal gehts gut, mal weniger gut. Meine Statistik der letzten 17 Jahre sah bislang sehr gut aus. Kaum Verspätungen, kaum Ärger und seit es die Billigairlines gibt viel Freiheit und mehr Pünktlichkeit als bei den großen Gesellschaften. Aber wie es mit Statistiken so ist, braucht es auch Ausreißer und so einer war gestern. Zwar war ich trotz Staus pünktlich am Flughafen, aber schon bei der Kontrolle hätte mir auffallen müssen, dass es anders werden würde. Die Kontrollen in D waren alle geschlossen, bitte zu E weitergehen. Dort war eine sehr nervöse Frau zugange, bei der ich sofort in eine Schockstarre verfallen bin, denn alles andere hat sie noch mehr aus dem Konzept gebracht. Natürlich eine Gateänderung, große Überfüllung am Terminal 1, keine Sitzplätze und an der einzigen Gastronomie eine Schlange wie beim Abflug nach Mallorca.

Dann Verspätung. Dann, weit nach der Verspätung, die Ansage, es ginge in zehn Minuten los. Während der Durchsage wurde wieder das Gate geändert, was der Durchsager nicht kommentiert hat, weil er es nicht gesehen hat (es stand über seinem Kopf), aber die Passagiere tatkräftig umgesetzt haben und so ist uns der Herr quasi mit dem Mikro in der Hand nachgehoppelt. Dann eine ausgesprochen selbstgerechte italienische Kleinfamilie, die sich ausführlich über die Missstände in Deutschland, respektive München und darüber beschwert hat, dass sie ihren kleinlastergroßen Kinderwagen nicht mit ins Flugzeug nehmen dürfen, obwohl doch das Bambino schon beim Check-in drin gesessen hätte und man da doch nun wirklich hätte eins und eins zusammenzählen können. In schlechtem Englisch wurde der sichtlich überforderte Mitarbeiter darauf hingewiesen, dass es „your work, not mine“ sei. Mei!!! Das sage ich auch mal, wenn in Italien was nicht klappt!!!

Im Bus ca. 45 Grad, dann große Rundfahrt, dann wieder zu einem Glasturm und von diesen aus ins Flugzeug. Dann über eine halbe Stunde auf den zweiten Bus warten. Und dann eine echt grantige Sitznachbarin, die sich mit missbilligenden Blicken über alles und jeden aufgeregt hat. Irgendwann bin auch ich wohl in Ungnade gefallen und als sie auch noch gegen das ungeschriebene Gesetz verstoßen hat, den Fensterplatz beim Aussteigen aus der Reihe treten zu lassen, so dass er nicht gebückt am Gangplatz stehen muss (deshalb buche ich nie Fenster!!!), war sie mir ziemlich unsympathisch. Im Gang zum Terminal wollte sie sich dann an mir vorbeirammeln, aber da war dann ich bockig und auf einmal ziemlich breit. Sie lief dann erstaunlich flink schräg hinter mir und musste Zeugin werden, wie ich – zum ersten Mal übrigens – mit Namensschild und allem Vor und Zurück von einem zauberhaften Fahrer abgeholt wurde, während sie, auf dem Weg zu ihrem Sammeltransport neben uns hertapperte. Bin dann doch ganz zufrieden heim gefahren. Kann manchmal sehr kindisch sein.

Kaufbulimie

Meine weise Mutter hat heute ein sensationelles Wort geprägt, das bei gleichgesinnten (schwäbischen) Profis sofort auf allergrößte Zustimmung getroffen ist. Kaufbulimie. Man kauft etwas ein und gibt es dann zurück. Natürlich nicht vorsätzlich, aber ich kann mich erinnern, dass ich ein größeres deutsches Warenhaus ab und an durchaus wie eine Bank behandelt hatte, indem ich etwas gekauft habe und das Geld damit von meinem Konto weg war und ich es dann zurück gegeben habe und das Geld eben immer noch da war. Albern, aber sehr effektiv, denn wenn es auf dem Konto geblieben wäre, hätte ich es vielleicht für etwas anderes ausgegeben. Und so eben nicht. Eine Shoppingversicherung sozusagen.

Die beiden Kleider, die ich zurückgegeben habe, waren ein klassisches ‚Im-Laden-eigentlich-ganz-schön-Phänomen‘, daheim und mit Abstand aber dann eben nicht mehr. Wenn man zu zweit einkaufen geht, passiert das schon mal, dass man selbst und die Begleitung d- nach einigen Fehlversuchen in der Relation – begeistert ist und die Sachen nimmt (in meinem Fall der dusslige Outdoor-Hybrid). Früher hätte ich die Sachen dann vielleicht behalten, aber inzwischen weiß ich, dass sie nur herum hängen und für ein schlechtes Gewissen und schlechtes Feng Shui (oder so) sorgen. Und erstaunlicherweise freue ich mich wie ein Kind über das zurückgebuchte Geld und meine Lücke im Kleiderschrank. Irgendwie befreit und leicht.

Männer sagen zu Recht, man hätte es gar nicht erst ausgeben müssen oder sparen tut man nur, wenn man etwas gar nicht kauft, was natürlich völliger Schwachsinn ist, denn dann kann man genauso sagen: wer früher stirbt, ist länger tot. Klar, brauchen tun wir alle nichts, aber wenn uns etwas Hübsches vor die Flinte läuft, ist es doch wesentlich sinnvoller und befriedigender, wenn man bei etwas, das man zwar nicht braucht, aber gerne hätte, immerhin noch etwas spart. Männer schauen sich dafür blöde gruselige Filme an und freuen sich dann, wenn sie ins Bett kommen, dass sie eben nicht dauernd mit Monstern kämpfen oder von brennenden Motorrädern rumballern müssen, sondern schön in frischer Bettwäsche schnorcheln können. Frauen sind eben viel pazifistischer veranlagt in ihren Bedürfnissen und Freuden.

Wiesn 1 & 2

So, die Wiesn hat begonnen. Viele Überlegungen im Vorfeld, Grübeleien mit Freunden, ob es in Ordnung ist, zu feiern, während am Bahnhof derselben Stadt Menschen, die mit knapper Not entkommen sind, ankommen, Sorgen, wie das beim Aufeinandertreffen am Bahnhof sein wird und natürlich die immerwährende Sorge durch unseren stetigen Medienterrorismus: Wird es jetzt, gerade jetzt, wenn wir da sind, den lang prophezeiten Anschlag geben? Auf alles, was für verwerfliche westliche Kultur steht? Zwar unsere, aber schon längst eine, die der Zensur Anderer unterliegt? Schweinshaxe, Bier und halbnackte Frauen? Einer Freundin aus Hamburg, die mich gefragt hatte, ob ich es nicht abstrus fände, zu feiern, wenn andere leiden, habe ich meine Meinung dazu gesagt: Elend, Massentierhaltung, Hunger und verschmutzte Weltmeere gibt es immer und überall, ich finde es scheinheilig, mein Leben nicht weiter zu leben, nur weil ich sie jetzt sehen kann.

Tatsache ist, München ist bestens organisiert, alles ist wie immer und deshalb keineswegs schlechter. Das Einzige, was vielleicht noch schlimmer ist als früher, ist die Dirndlmode. Diese ersetzt jegliche Terrorangst. Alles blinkt, glitzert und ist – nun – nackt. Aus der Arbeitskleidung von Mägden ist ein Pornodress geworden. Erschütternd. Als ich mir unlängst ein neues Dirndl zulegen wollte, gab’s beim Münchner Hoflieferanten nur noch Dirndl von Frauen mit drolligen Namen und noch drolligerer Fantasie. Und ich hätte sicherlich einen dicken Janker drüber werfen müssen, um mich wohlzufühlen. Mitfühlenden Leserinnen soll an dieser Stelle jedoch gesagt sein, ich habe ein recht langes Waschdirndl gefunden, für dessen Beschaffenheit sich die Verkäuferin beim Augsburger Hoflieferanten vorab entschuldigt hatte und sehr verblüfft war, dass ich es genommen habe.

Auf der Theresienwiese selbst geht, wie gesagt, alles seinen normalen Festgang. Nur Menschen, die seit vielen, vielen, vielen Jahren kommen, bedauern immer mehr den Erfolg der Marketingmaßnahmen. Es geht jetzt alles in Schichten, auch die Musik. Früher haben wir immer über die in den Boxen gelacht, heute sind wir einfach zu alt, um ab neun Uhr vor einem Zelt zu kampieren und eben zu sehr bekleidet, um ohne Reservierung reinzukommen. Die meisten Zelte haben drei Reservierungszeiten. Die Musik richtet sich danach, denn so wird das Geld im Zelt gemacht. Es ist ein Riesenbusiness und wie jedes unterliegt es strengen Regeln und wird geschützt. Nur manchmal springt noch der Funke über. Und dann ist es einfach wunderbar.

#Oktoberfestung

Ich bin natürlich nicht auf Twitter, weil ich mich selten so kurz fassen kann und möchte, dass es in diese paar Zeichen passt. Dass dies auch für viele andere Nutzer eher eine Selbstüberschätzung als Fähigkeit ist, wird an Hashtags wie #Oktoberfestung deutlich. München wird – wie die meisten Klassenersten – darin beschimpft, dass ‚der Bayer‘ lediglich an seinen ungestörten Wiesnbesuch denkt und dort möglichst keine Flüchtlingsproblematik sehen möchte. Hier sind ein paar Bemerkungen (mit insgesamt 1056 Zeichen, statt der twitterbegrenzten 140) angebracht:

München wird seit jeher von Besuchern überrannt.
München ist daran gewöhnt, diese Besucher – egal, wie sie sich aufführen – zu schützen, auch vor sich selbst.
München leistet in den letzten Wochen einen anerkennenswerten Beitrag in der aktuellen Flüchtlingssituation.
München handelt proaktiv und denkt VORHER nach. Schadensbegrenzung ist ein Thema, das erst im zweiten Schritt als politisches Mittel eingesetzt wird.
Münchens Oktoberfest wird zu über 90% von Gästen von außerhalb besucht, für Münchner und nahe lebende Bayern wird in den Medien dafür geworben, ‚in Ruhe‘ auf die Mittagswiesn zu gehen und sich nicht in den Wahnsinn am Abend zu stürzen.
Münchens Sorge bezüglich des Oktoberfestes hängt sich nicht daran auf, dass Oktoberfestbesucher sich gestört fühlen könnten, sondern daran, dass Menschen, die mit einem Handkoffer nach strapaziösen Wochen oder Monaten der Reise hier ankommen, nicht als Erstes von zugezogenen Randalierern mit Bierkrughüten am Bahnhof (sic!) begrüßt werden.
München weiß aus der Erfahrung, dass die Wiesn aufgrund des schlecht vertragenen Bierkonsums mancher Gäste Stammtischparolen Vorschub leistet.
München ist an Neider gewöhnt und weiß, dass man sich diesen erarbeiten muss. Daran arbeitet momentan ganz Bayern.

Nasenintelligenz

Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich schlecht sehe. Das ist mit dem Alter leider nicht besser geworden, eher schlimmer, wie mir mein beinahe hundertjähriger Augenarzt gütig bestätigt hatte. Meine Ohren sind auch nicht luchsverdächtig, wegen der saublöden WM 2006, was also bleibt? Richtig! Die Nase! Und wie wichtig der richtige Riecher ist, wird Tag für Tag in Studien belegt. Die Nase bewahrt vor dem Verzehr von verdorbenen Lebensmitteln genauso wie sie vor Gefahr warnt. Menschen fühlen sich geruchsmäßig intuitiv zueinander hingezogen oder voneinander abgestoßen. Umso weniger verwunderlich also, dass soviele Internetlieben, die rational gesehen und anhand der übereinstimmenden Vorlieben und Abneigungen einfach passen müssen, scheitern. Von Iphone zu Iphone kann man sich halt nicht riechen.

Nicht riechen konnte auch der BR, dass seine unglaublich aufgeklärte Themenwoche, nein sein ganzer Themenmonat über den unbekannten Ramadan samt Sichelmond rechts oben auf der Senderseite so eine Stinkbombe sein würde. Welch Shitstorm ist da über die integrationswilligen Bayern hinweg getobt. Das Netz ist voller garstiger Anwürfe und auch wenn die Redaktion sich in oft besserwisserischer und belehrender Art und Weise rechtfertigt, mit dem Finger wedelt und ihre Kunden mit Hautesse in die Schranken weist, so nimmt die Sache doch an populistischer und recht einheitlicher Fahrt auf. Beim ersten Lesen heute Morgen musste ich noch lachen, weil einige Kommentare in solchem Stammtischslang geschrieben waren, dass man Lederhose und Gamsbart förmlich sehen konnte. Und so ganz ernst habe ich all das auch nicht genommen.

Inzwischen habe ich die Facebook-Seite dazu ein wenig studiert – in typischer Arbeitsablenkungsmanier, weil ich etwas anderes tun sollte – und muss sagen: ganz unrecht ist die Forderung nicht, auch mal über die christlichen Feiertage in einer Themenwoche oder einem Themenmonat aufzuklären. Dass heutzutage wohl situierte Mittelstandskinder mit der Kommunion lediglich Geschenke verbinden, denken, dass Weihnachten das Fest der fliegenden Rentiere und Ostern das der Hasen ist, liegt zwar nicht einzig und allein am Bayerischen Rundfunk, aber dieser könnte durchaus auch hier einen Missionsauftrag erkennen und ausführen. Mit der Übertragung von ein paar Messen aus Rom vom Petersplatz ist es da offensichtlich nicht getan.

Sommer in Prozent

Heute war bei uns Sommer. Nicht so ein strahlender Tag mit Cumuluswolken, aber immerhin Sommer. In München war sogar noch viel mehr Sommer als in Augsburg. Mindestens fünf Grad wärmer. Spontan bin ich vom Flughafen in die Stadt gefahren, eine Freundin treffen, die schon seit Stunden in einem schönen Restaurant auf der Terrasse festsaß. Völlig zurecht hatten die beiden Mädels – sie war auch mit einer Freundin da – beschlossen, diesen Sommertag zu nutzen. Schließlich weiß kein Mensch, welchen Prozentsatz Sommer wir heute hatten. Kann eines sein, können aber auch fünf sein und da rechne ich die Spätsommer/Altweibersommertage im Oktober praktisch noch mit.

Streift man so durch München, bekommt man tatsächlich den Eindruck, auf der Insel der Glückseligen gelandet zu sein. Alle schön, alle fröhlich, keine alte Handtasche weit und breit, niemand mit abgelaufenen Schuhen. In Paris oder Rom gibt es auch ‚gute‘ Straßen oder teure Ecken, aber so geballt wie in München habe ich es in noch keiner Stadt erlebt. Höchstens vielleicht mal in einem Ressort irgendwo auf der Welt. Schon erstaunlich, dass es so homogene Orte gibt in einer so großen Stadt. Bald kommt es einem so vor, die ganze Stadt wäre so. Aber natürlich ist es nicht so. Als ich so da saß und gedankenverloren den zauberhaften Hund der Freundin von meiner Freundin gekrault habe, konnte ich ein Gespräch am Nebentisch belauschen. Ging nur um die Pläne für die nächsten Wochen und wenn ich jemals gedacht habe, ich müsse viel reisen, bin ich nun dankbar für mein quasi angepflocktes Dasein.

Kurz und gut, es war schön, einfach mal unter Menschen zu sitzen, die fröhlich und zufrieden schienen, die nicht über Krankheiten gesprochen haben oder über andere grässliche Themen. Das Maximum an Missmutsäußerungen waren Bemerkungen über Ehemänner oder Kinder und auch die wurden freundlich gemacht und eigentlich nur, um das eigene Leben nicht im allzu goldenen Glanz erstrahlen zu lassen. Ich muss zugeben, ab und an ist das einfach herrlich. Wie es halt auch mit Sommertagen ist. Immer Sommer fände ich fad.

Müller-Wohlfahrt und der Vierlingsarzt aus der Ukraine

Die Diskussion um die Definition von Ärzten als reine Dienstleister nimmt mit dem Rücktritt von Bayernarzt Müller-Wohlfahrt nochmal Schwung auf. In den letzten Tagen wurde am Beispiel der Einpflanzung von Vierlingen in den Leib einer  betagteren Berlinern bereits heftig diskutiert, inwieweit es fahrlässig ist, nur weil etwas geht, es auch zu tun. Besonders medizinisch. Ärzte machen sich damit zu reinen Dienstleistern. Bayernarzt Müller-Wohlfahrt, so scheint es, hat auf der ein oder anderen Expertensicht und einem gewissen Berufsethos bestanden. Das schien der spanische Trainer so nicht akzeptieren zu wollen, auch weil er gewohnt war, hierarchisch über dem Mannschaftsarzt zu stehen. Nur, kann man als ehemaliger Fußballer und Trainer tatsächlich über einem Experten in einem ganz anderen Bereich stehen? Kann man wirklich verlangen: Mach den jetzt fit, so dass er mitspielen kann? Und wir gewinnen.

Im alten China hatte jeder wohlhabende Haushalt einen Arzt. Der war dazu da, die Hausbewohner gesund zu halten. Sind sie krank geworden, konnte es durchaus vorkommen, dass er mit Schimpf und Schande vom Hof gejagt wurde. Natürlich sind Ärzte in der ein oder anderen Form Dienstleister, sie erbringen einen Dienst am Kranken und einen präventiven auch am Gesunden. Aber es besteht doch wohl ein Unterschied, ob der Dienstleister eine verstopfte Dusche richten soll oder einen Innenbandriss. Und selbst bei einer verstopften Dusche kann er an seine Grenzen stoßen, wie ich gestern und heute Morgen erfahren durfte. Der Klempner, der gestern bei mir war, war so derart nassforsch (haha) und wenig kompetent und zudem noch frech, dass ich mich heute Früh über ihn beschwert habe. Er hat es nicht gelöst. Aber rein technisch ginge es. Ohne weitreichende Folgen für die Dusche oder mich. Bei einem gerissenen Band ist das wohl etwas Anderes.

Die Forderung nach unendlicher Machbarkeit treibt absurde Blüten und auch wenn im Falle des FC Bayern bestimmt noch viele Hintergrundaktionen parallel laufen, was das Verhältnis Trainer – Arzt angeht, so zeigt sich doch dasselbe Prinzip: alles soll gehen, wann man will, wie man will. Alles ist Knetmasse, die nach Belieben und aktuellen Wünschen und Launen geformt werden soll. Ich geh dann mal zum Yoga. Damit ich auch flexibel und biegsam bleibe.

Im Untergrund

Heute Abend sind wir zum Essen verabredet. Schon seit Wochen. Zuerst war es Anfang Februar. Nein, zuerst haben wir uns mit Bekannten drüber unterhalten, dass sie in München bei einem Italiener waren und der sei so gut und sie würden gerne mal wissen, ob wir das auch so fänden. Wie nett. Wir haben also was ausgemacht. Und weil alles so voll mit Bällen war und mein Mann immer nur am Wochenende kann, ist die Wahl auf einen Sonntag gefallen. Nun ist Sonntag so eine Sache. Zumal wenn man am Montag sehr früh wieder für eine ganze Woche außer Haus rast und auch eine ganze Woche außer Haus isst.

Wir haben also diesen ersten Termin verschoben. Vor über einem Monat, Anfang Februar und der erste mögliche Abend war eben der heutige. Albern. Jetzt haben sich im Laufe der Planung weitere Menschen angeschlossen. Manche sind krank geworden, manche haben keine Lust, manche überlegen, was sie sagen könnten, um nicht zu kommen, wir wollten eigentlich in Paris sein, haben aber gesagt, das geht jetzt echt nicht, wir haben schon mal verschoben. Es laufen also hunderterlei Dinge im Hintergrund ab und alles ist wahnsinnig kompliziert. Die, die das organisieren, kriegen von alldem gar nichts mit und tappen vermutlich arglos und fröhlich in diesen Abend hinein, während unten drunter kleinere und größere Dramen ablaufen. Eine unrunde Geschichte, bei der ich froh bin, wenn sie rum ist, muss ich sagen.

Man kennt das von früher. Oftmals waren das dann die nettesten Abende, Parties, Einladungen. Vielleicht weil es doch gar nicht so schlimm war wie man es sich vorher vorgestellt hatte? Aber der Aufwand. Der Aufwand ist einfach zu groß, die Planung zu lange. Nach München fahren für ein Abendessen im Restaurant mit Menschen, die alle hier wohnen? Wäre man nur weltmännischer, wäre es total normal. Eine Bekannte von mir arbeitet in München und fährt jeden Tag hin, wenn sie frei hat, fährt sie zum Stadtbummel nach München, ihre Freunde besucht sie immer in München und zum Kaffee verabredet sie sich auch dort. Für sie ist das total gängig und normal und ich fürchte, ich bin einfach ein fauler Spießer, der seinen Sonntag Abend lieber mit Rosamunde Pilcher verbringen würde. Muss mal schauen, vielleicht läuft die in der Mediathek, könnte ich jetzt noch schaffen.

Ab nach München

Gestern war ich in einer zauberhaften Ausstellung im Münchner Stadtmuseum. „Ab nach München“ heißt sie und handelt von Künstlerinnen um die vorletzte Jahrhundertwende. Eine betrübliche Zeit, in der man als Frau entweder hübsch war und heiraten konnte oder nicht so hübsch, aber mit wohlhabender Familie versehen und sich um diese kümmern konnte. Oder – ganz übel – Lehrerin oder Gouvernante werden konnte. Für kunstsinnige Frauen gab es weder Verständnis noch Markt. Derweil, wie unsere Kunstführerin sehr leidenschaftlich verdeutlichte, waren viele scheinbar männliche Kunstkniffe längst vorher von Frauen „erfunden“ und praktiziert worden. Aber sie fanden weder Auge noch Gehör.

Kandinsky ein übler Nachmacher? So unvorstellbar ist das nicht. Frauen haben meist eher im Hintergrund gewirkt und bei der Frage: Recht haben oder Ziel erreichen, entscheiden sie sich oft fürs Ziel erreichen und das ist eben nicht so öffentlichkeitswirksam. Aber durchaus effektiv. Wieviele weltbewegende Entscheidungen zuhause am Küchentisch oder an anderer Stelle getroffen werden, weiß die Welt offiziell nicht, aber wenn man mal aus seiner eigenen kleinen Welt hoch rechnet, was man seinem Partner alles so sagt, ihn um Rat fragt, um Rat gefragt wird, dann halte ich persönlich die Machtverhältnisse doch für recht ausgewogen. Frauen mussten schon immer etwas klüger sein, aber das sind sie zum Glück ja auch oft.

Derart beseelt, schloss mein Abend jedoch mit einer sehr erdenden Erfahrung beim Schlüsseleinwerfen in der Werkstatt: Ich wollte mein Auto um halb neun auf dem Hof abstellen und bin dann zu dem dafür eigens installierten Briefkasten gegangen, um den Schlüssel einzuwerfen. Dort, unter der Laterne, stand ein Schild und ein Mann. Zuerst war es mir nicht so recht, dass er da stand, er sah riesig und recht bullig aus und überhaupt. Aber dann!!! Im Schein der Laterne waren wahnsinnig viele, wahnsinnig große und wahnsinnig pelzige Spinnen. Sie haben sich im warmen Licht geaalt und auch bewegt. Der Mann dachte, ich würde nicht verstehen, wie das so funktioniert und hat mir im schönsten Kölner Dialekt gesagt, was ich zu tun hätte. Aber in diesen Briefkasten hätte ich nicht gefasst und wenn es das Letzte im Leben gewesen wäre. Dschungelprüfungstauglich bin ich schon mal nicht, da brauch ich also später nicht hin. Als er die Misere verstanden hatte, hat er mir todesmutig einen Umschlag rausgefischt und auch noch gewartet, bis ich alles ausgefüllt hatte, um ihn wieder einzuwerfen.

Irgendwie hat damit dieser Plagiats- und Nachahmerkram der Kunstszene ein wenig an Schwung verloren. Heute – mit repariertem, gewaschenen Auto – sieht es allerdings wieder anders aus. Eigentlich schon recht frech von diesen Schnöseln, ihren Frauen alles nachzumalen. Die spinnen wohl?!