Das Wort zum Montag

Die Rue Saint Honoré in Paris gilt ja gemeinhin nicht als schäbige Straße. Sie zieht eher ein solventes Publikum an und umso mehr muss verwundern, was man in den Schaufenstern vorfindet. Was ist das für eine neue Mode, deren oberstes Ziel zu sein scheint, dass alle Frauen wie Prostituierte und Männer wie deren Zuhälter aussehen lässt? Wieso soll das erstrebenswert sein? Oder verstehe ich da was nicht? Wer würde ernsthaft horrende Summen für ein solches rotes Gespinst ausgeben? Und wenn er es täte, noch so einen halblebigen Kurzmantel mit totem Tier drüber werfen? Ist sich die Straße, nein die Stadt ihrer Signalwirkung denn gar nicht mehr bewusst?

Warum ist das so? Orientieren wir uns alle nur noch an Rappern mit Zufallserfolgen durch besonders obszöne Liedertexte? Wobei schon das Wort Liedertexte den gemeinen Rapper mehrfach zum Kichern bringen dürfte. Erstens kennt er das Wort Lied vermutlich gar nicht mehr und zweitens entspringen seine Werke ja längst nicht mehr dem melodischen Ursinn des Wortes. Aber gut. Hat ja auch seine Bedeutung. Oder sind Frauen, deren Hinterteil eine eigene Postleitzahl verdienen würde und deren Quersumme in etwa ihrem IQ entspräche, zu weiblichen Stilikonen geworden? Mit vulgärem Äußeren auffallen, weil es ansonsten nichts zum Auffallen gibt? Gut und schön, jeder muss mit seinen Pfunden wuchern, aber das kann und darf dann doch bitte keine Mode werden.

Jedes Jahr im Winter raufen sich Mütter die Haare, weil ihre pubertierenden Töchter mit essgestörten Vorbildern malträtiert werden. Im Sommer dann wieder, weil sie in Hot Pants herumlaufen, die einen Priester nervös machen würden. Es geht selbstverständlich nichts über einen netten Ausschnitt und „wer kann, der kann“ ist seit jeher ein geflügeltes Wort, aber wenigstens traditionelle Couturiers und Modefirmen könnten doch ein klitzekleines Bisschen Stolz zeigen und nicht jede Mode à la „Ich komme aus der Gosse und mir ist alles Wurscht“ mitmachen.

Richtig?

Die letzten Tage habe ich in Italien verbracht. In Norditalien, dem es an sich noch am besten geht. Das Wetter war zuerst superschön, dann typisch ponebelig und regnerisch, die kleinen Städte zauberhaft und auf hinreißende Art provinziell. Als ich mit Fotoapparat bewaffnet durch die Straßen gebummelt bin, habe ich viele Tipps bekommen, was ich wo und wie am besten fotografieren könnte und sollte. Nach kurzer Zeit hatte ich den Eindruck, bei jemandem daheim zu Besuch zu sein. Vor allem auf den Plätzen Modenas, die um die Jahreszeit leer und Spielwiese der Einheimischen sind, war ich eher ein bestaunter Gast als ein Tourist.

Da fiel es natürlich ganz besonders auf, dass so viele – und nun ringe ich um das richtige Wort, vor allem angesichts der bescheuerten Toleranzwoche der SZ, die jede falsche Betonung als Rassismus auslegt -, dass sehr viele fremde Menschen mit Migrationshintergrund in dieser beschaulichen, kleinen und sehr italienischen Stadt herumlaufen, um nicht zu sagen, herum irren. Sie sind erkennbar arm und zwar in jeder Beziehung. Sie frieren, sie haben sind fern von ihrer Familie, sie sind verloren. Es ist fürchterlich mit anzusehen und noch fürchterlicher, dass es offenbar keine Alternative gibt. Aber wirklich schlimm ist, dass Italien mit diesem Problem allein gelassen wird. Dem Land geht es – ob zurecht oder zu Unrecht – insgesamt nicht gut und zusammen mit der Küstenlage, die sie „alleine ausbaden“ müssen, zumindest was ich sehr unpolitischer Mensch darüber weiß, ist es einfach grauenvoll.

Natürlich gibt es „Schlaue“ unter den Flüchtlingen, die das Bild dann auch prägen. Das sind Diejenigen, die in sehr kleinen Städten auffallen. Wegen ihres Aussehens und weil sie regelmäßig Menschen ansprechen, sie nach Geld fragen, um nach Nigeria zu reisen oder um die Familie zu ernähren, oder eben einfach so. Sie suchen sich regelrecht Menschen aus, meist Ältere, auf die sie dann täglich warten und die auch dann was geben, wenn sie es sich gar nicht leisten kann, denn diese Generation weiß noch, was es heißt, Flüchtling zu sein.

Die anderen aber sind einfach schrecklich verloren und ich finde, die Italiener sind auch schrecklich verloren mit dem Problem. Wie gesagt, wer den Blog schon länger liest, weiß, dass ich weit entfernt von einer fundierten politischen Meinung bin, aber man müsste schon dumm, blind und kaltherzig sein, um nicht zu erkennen, welch ungleiche Verteilung hier im Moment in Europa herrscht. Und das Entsetzliche ist, Diejenigen, die Geld mit all dem machen, die Schlepper, die Organisationen, die Hoffnung und Lebensgefahr verkaufen, wissen inzwischen um die Handlungsweisen der Europäer und senden immer schäbigere und kleinere Boote aufs Meer. Wenn es die Italiener noch schaffen, Gekenterte zu retten, gut, wenn nicht, auch egal, das Geld haben sie ja dann schon.

Also heute

platzt mir der Kragen. Ich bin fast immer und überall Ausländer. Ich finde es überhaupt nicht schlimm, nur wenn mich mein etwas snobistischer Pariser Metzger zu lange muhen lässt, wenn mir das Wort für Rind nicht einfällt. Oder wenn eine Damenoberbekleidungsfachverkäuferin in den Galeries Lafayette nicht versteht, welchen Pulloverausschnitt ich meine, wenn ich mir zum zehnten Mal ein V auf die Brust male. In meinen fünfzehn  Jahren in Rom ist mir das übrigens nicht ein einziges Mal passiert. Und ja, ich werde immer als Ausländerin enttarnt, weil ich zwar hupen kann wie ein Italiener, zickig wie ein Pariserin bin, wenn’s sein muss, aber beide Sprachen mit Akzent spreche und wenn ich meinen Nachnamen sage, eh alle verzweifelt die Haare raufen.

Niemals hab ich mich durch den Satz weder direkt noch unterschwellig angegriffen gefühlt und was die SZ da heute schreibt über unterschwellig diskriminierende Sätze zeugt eindeutig mehr von der Geisteshaltung der Autoren als davon, was Menschen meinen, die Andere so etwas fragen. Im Gegenteil, ich betrachte eine solche Frage als Beginn eines Gesprächs, als freundliches Interesse und die Möglichkeit, außerhalb der Witterungsverhältnisse in Kontakt zu kommen. Was ist denn mit diesen Menschen los, die gleich hinter allem und jedem etwas wittern. Natürlich gibt es Sätze, gerade unter Frauen, die nett klingen, aber auf Vernichtung aus sind. “ Das Kleid steht Dir immer wieder gut!“ oder „Ach, jetzt sieht es ja noch besser aus, wo Du es mehr ausfüllst.“ zählen sicher dazu. Hier stehen Männer ratlos daneben, weil sie den tödlichen Pfeil noch für ein sanftes Streicheln mit der Feder halten. Aber „Wo kommst Du her?“ nur weil jemand einen wahrlich fremd klingenden Namen hat oder mit Akzent spricht, als Diskriminierung zu identifizieren, ist schon ein starkes Stück.

Ich denke bei solchen selbsternannten Sittenwächtern eher an die „Freundinnen“, die einem sagen, dass jemand schlecht über einen gesprochen hat, dass der schwer vermisste Exfreund eine wunderhübsche Neue hat und stolz mit den neuen Stiefeln protzen, die man sich leider nicht leisten kann, aber immer schon wollte. Warum bitteschön sollte man nicht mehr fragen dürfen, woher jemand kommt, wenn es einen wirklich interessiert? Ich habe die tollsten Gespräche auf Taxifahrten, weil ich frage, woher der Fahrer kommt. Vielleicht war ich da schon oder möchte hin und sehr oft sprechen Menschen fern der Heimat gerne über diese. Was ist daran schlimm? Muss Derjenige sich dafür schämen, dass er im Moment nicht da ist, wo er herkommt? WARUM? Darüber sollten die Moral-Polizisten der SZ vielleicht auch mal nachdenken. Weil man nicht mal französische geflügelte Worte überstrapazieren sollte, sag ich es mal so: Ein Schuft, der Böses dabei denkt.

Poor doors? Poor spirit!

In New York gellen gleich mehrere scheinentrüstete Aufschreie durch die Hochhaus-Schluchten. Der Stein des Anstoßes? Die Pforte, die Himmel von Hölle trennt, die poor doors und rich doors. In der nimmersatten Stadt, in der es jeder schaffen kann, der es nur möchte und danach auch weltweit eine Erfolgsgarantie zugesichert bekommt, haben Investoren eine Steuerlücke folgerichtig genutzt. Im exklusiven Prestigeobjekt „One Riverside Park“ auf der Upper West Side werden neben unvorstellbar exklusiven Wohnungen aus Steuerspargründen auch Sozialwohnungen zur Verfügung gestellt. So what? Sie kosten ein Drittel des marktüblichen Mietpreises und liegen in einer sicheren und exklusiven Gegend von New York.

Wir würden aber nicht in unserer Welt der selbstverklärten Gutmenschen leben, wenn es nicht auch an dieser  Praxis etwas auszusetzen gäbe. Skandal! wird geschrieen, weil es zwei verschiedene Eingangstüren geben soll: eine für die Sozialwohnungen und eine für die Millionen-Appartements. Wo ist das Problem? Wer hätte schon Lust, dauernd auf Milliardäre und ihre Exzentrizitäten zu treffen? Wer möchte dauernd mit diesem großen Unterschied konfrontiert werden? Ist es nicht vielmehr ein Glück, in einer geschützten Gegend für wenig Geld leben zu können? Bei meinen Eltern in der Straße ist ein Seniorenheim, geteilt in betreutes Wohnen und Seniorenheim. Die Bewohner möchten so viel nicht miteinander zu tun haben. Dennoch profitieren letztendlich beide „Parteien“ davon. Die Bewohner des Heimes leben in einem Haus, bei dem peinlich genau auf Sauberkeit und Sicherheit geachtet wird und die Bewohner des betreuten Wohnens könnten – rein theoretisch – vom Unterhaltungsprogramm des Heimes profitieren.

Also ich finde es töricht, von seinen eigenen Schranken im Kopf auszugehen und bei solchen Lösungen den Anderen seine eigenen Denkmuster überzustülpen. Honi soit qui mal y pense. Und wer weiß, vielleicht bahnt sich die ein oder andere Aschenputtel-Romanze an. Nicht nur so könnten beide Gebäudeteile davon profitieren.

On strike

Das hätten sich die Mitschüler des großen mühsamen Bahngewerkschafters auch nicht denken lassen, dass sie mal eine halbe Milliarde Kosten verursachen würden. Anders ist dieser Streik nämlich nicht mehr zu erklären, als dass ein Einziger eine Arbeitsmasse als Rammbock für erlittene Kränkungen verwendet und Vielen, Vielen damit schadet. Amokläufer treffen ähnlich Unschuldige oder Menschen, die sich als Geisterfahrer umbringen. Das ist einfach fürchterlich und so gesehen ist der Streik mit seinen Folgen, die in erster Linie teuer und unbequem sind, nicht zu vergleichen.

Andererseits: so viele Menschen müssen auf die Straße ausweichen, müssen hetzen, um Termine einhalten zu können, fahren Fahrrad, weil sie kein Auto haben, erkälten sich, etc.. Klar, leben wir in einer Demokratie und die Rechte der Arbeitnehmer sind extrem wichtig. Aber es ist doch immer auch ein Mix, der die Zufriedenheit am Arbeitsplatz bestimmt. Manager streiken nicht, auch wenn sie wesentlich mehr arbeiten und oftmals auf einen sehr betrüblichen Stundenlohn kommen. Streiken nur aus Rechthaberei ruiniert das Verständnis der Bevölkerung für wirklich wichtige Themen, die dieserart durchgesetzt werden müssen.

Würden die Pflegekräfte in Seniorenheimen oder gar die Senioren selbst streiken, das wäre mal ein sinnvoller Streik, denn hier besteht meiner Meinung nach tatsächlich ein äußerst unfaires Ungleichgewicht zwischen Leistung, Verantwortung, Sorgfalt und Entlohnung. Aber, und das ist das Drollige, viele dieser Alltagshelden haben ihren Beruf aufgrund seiner intrinsischen Motivation gewählt, weil sie die Arbeit an sich zufrieden macht. Das darf nicht ausgenützt werden. Das Gemeine ist vermutlich, dass gerade Diejenigen, die am meisten arbeiten und leisten und verantworten über ein so hohes Pflichtgefühl verfügen, dass sie ihre „Schäfchen“ gar nicht im Stich lassen könnten.

Tandemräder

Habe heute ein Tandem gesehen. Passiert ja nicht so oft.
Tandemräder. Sie spalten die Menschheit. Mich hat’s auf die Seite der Gegner verschlagen. Ich finde sie irrsinnig, unfassbar lächerlich und in etwa auf derselben Stufe mit Liegendfahrrädern. Wer hier schon länger mit liest, weiß, dass ich nicht immer gänzlich unvoreingenommen bin (eine schlimme Eigenschaft, ich weiß, aber mit zunehmendem Alter steigt der Erfahrungsschatz und der legt sich dann irgendwo gemütlich schnorchelnd ab und schreckt bei gewissen Schlüsselreizen – Tandem – ungefragt hoch). Nun ja, so ist es halt.
Tandemfahrer tragen in meiner Überzeugung gleiche Schöffeljacken und Treckingsandalen, sagen Dinge wie „wir trinken nach sechs Uhr keinen Espresso mehr“ und haben so klappernde, klingelnde Dinger über der Türe hängen, von den Eingangsschildern mit „Hier wohnen Peter, Louise, Merle und Jonathan“ in Keramik mal ganz abgesehen. Auch die Anrufbeantworter sind meist fröhlich von allen besprochen und man hat schon Glück, wenn nicht der Labrador auch noch aufs Band bellt.
Beim Schreiben denkt man ja idealerweise auch nach. Und natürlich interessiert mich mein eigener Gedankengang. Wenn ich schon viele andere nicht verstehe, dann probiere ich es doch mal bei meinem eigenen. Was ist es also? Ich glaube, die Quintessenz der Ablehnung von allem oben genannten ist dieses essig-waschmittel-verwendende nassforsche Zur-Schau-Stellen des glücklichen Gutmenschen. Glücklich in der festen Überzeugung, alles richtig gemacht zu haben und natürlich immer noch zu machen. Nun gibt es bestimmt Tandemfahrer, bei denen der Hintere eine schlimme Muskelschwäche hat und die Füße an die Pedale geschnallt hat – keine Frage. Aber – und ja, ich beiße mich ein bisschen fest – hinter dem Gros wittere ich alles oben Beschriebene. Und ganz ehrlich: ich bin selbst überrascht, welch fixe Meinung in mir zu diesem Thema offenbar sehr lange gelauert hat. Fein, dass es raus ist.

Kopfkamera versus Yoga

Heute auf dem Batobus in Paris und überhaupt in der ganzen Stadt und auch in Rom kann man ein Phänomen beobachten: Menschen, die mit langen Stecken vor sich herlaufen. Auf denen sind Fotokameras montiert, damit sie jeden Schritt dokumentieren können. Autos werden mehr und mehr mit Fahrtkameras ausgesatattet, Motorräder und Skifahrer eh und ganz besonders Engagierte sind sich nicht zu schade, einen Helm mit montierter Kamera auch in der Stadt zu tragen. Dabei werden auch Menschen gefilmt, die das vielleicht gar nicht möchten, das nur nebenbei. Solches Verhalten wirft viele Fragen auf.
Wann sehen sich die wilden Filmer all das an? Da alles in Echtzeit ist, dauert das Anschauen nochmal so lange wie das Erleben und hält einen somit vom Erleben neuer Dinge ab.
Welche übergroße Angst, etwas zu verpassen, treibt Menschen dazu, so etwas zu tun?
Wie passt eine derartige Zeit- und Raumwahrnehmung mit dem frenetischen Yogatrend zusammen? Dem Trend, im Hier und Jetzt zu leben, den zigmillionenfach angepriesenen Achtsamkeitsübungen, dem ganz in der Gegenwart aufgehen? Wieso sollte der Moment später besser sein als der Moment jetzt? Hat das Künftige gar nichts Schönes, Spannendes zu bieten?
Werden Vergangenheit und Zukunft höher bewertet als der Augenblick?
Ich habe eine Freundin, die Städte fast ausschließlich durch die Linse ihrer Kamera wahrnimmt. Sie macht traumhafte Fotos und freut sich an regnerischen Tagen daran. Auch ich fotografiere gerne, zwar fast nie Menschen, aber auch ich freue mich an den Ergebnissen. Allerdings hat es eher Hobbycharakter, weil mir das Farben- und Formenspiel mancher Bauten und Details gut gefällt.
Die Realität eins zu eins abzubilden und sie später erneut abzuspielen, käme mir nie in den Sinn. Ich würde wirklich gerne verstehen, warum jemand das tut.

War doch nur Spaß

Das Spannende, manchmal auch Herausfordernde am Sein mit Anderen ist, dass das, was für sie völlig natürlich und normal ist, für einen selbst unverständlich, gar unnatürlich sein kann. In der Schule wurden Kinder, die so ganz anders als der Mainstream sind, einfach isoliert, sie haben die Gruppe und deren Selbstverständnis gefährdet, im Beruf haben kluge Menschen sie als hinterfragende und neue-Perspektiven-einbringende Bereicherung gesehen und im Privatleben hängt es von der persönlichen Entwicklung ab, wie viel Toleranz und Intelligenz man aufbringt, um fremde Aspekte in sein Leben zu lassen. Sie sind nicht immer nur eine Bereicherung, sondern durchaus auch eine Speerspitze in der Komfortzone des Alltags.
Wenn man so wie ich zwar nicht viel reist, aber oft in anderen Ländern lebt, kann man sich – wie schon geschrieben – zwar seinen Mikrokosmos mitnehmen, was dazu führt, dass meine Wohnungen einander sehr ähneln und ich darauf achte, dass irgendwann, wenn wir mal an einem Ort wohnen, sich alles zueinander fügt, aber der Makrokosmos ist doch immer wieder verschieden. Und jetzt bewege ich mich ausschließlich in Europa und habe eine Telefonumleitung und kein übergroßes Bedürfnis, mit allen möglichen Einheimischen befreundet zu sein. Also richtig fremde Welten lerne ich nicht kennen. Das kommt aber eher daher, dass ich arg treu bin und meine Freunde schon seit Urzeiten habe. Sie genügen mir und alle, die nach dem Studium noch hinzugekommen sind, betrachte ich als erstaunliches Geschenk. Langer Rede, kurzer Sinn: durch das Leben in völlig anderen Zonen der Gesellschaft (mal in einer wilden Gegend, mal im Luxusviertel) wird man recht geschmeidig, aber das, was einen dann noch aufregt, sind Werte, die man hat oder eben nicht und damit sind wir wieder am Ausgangspunkt der Diskussion. Manches lässt sich auch mit Toleranz nicht hinnehmen, über das darf man sich dann auch ärgern, finde ich. Einem Nilpferd einen Tennisball ins Maul zu werfen, einfach aus Jux und Tollerei, so dass es daran stirbt, ist blöd, garstig und zu verteufeln. Auch wenn es „nicht mit Absicht“ war. Zoos gehören schlichtweg abgeschafft, nicht alle Lebewesen sind zur Er- oder Unterhaltung des Menschen da.

Antonius hilf!

Im hektischen Alltag verliert sich ja gerne mal was. Schlüssel, Handys oder Uhren im Schnee. Und weil das so ist und sicher schon der ein oder andre Höhlenmensch seinen Steinkeil verlegt hat, gibt es den heiligen Antonius von Padua. Der ist für die ganzen verlorenen Dinge zuständig. Vor allem aber dafür, sie wiederzufinden. Teile meiner Familie haben ihn zum persönlichen Schutzheiligen auserkoren. Und als mein ordentlicher Vater seine Uhr im Schnee vor dem Haus verloren hatte, hat er einen tiefenentspannten Abend bei mir verbracht und dann – drei Stunden später – seine Uhr nonchalant unter der verschneiten Reifenspur wieder ausgegraben. Wir waren erstaunt, er nicht, er hatte zum heiligen Antonius gebetet. Mein Mann ist von ähnlichem Kaliber, wobei bei ihm ab und an zum Tragen kommt, dass der heilige Antonius für die ganze Welt zuständig ist, obwohl er mit meiner näheren Verwandtschaft durchaus genug zu tun hätte und das ein oder andere verlorene Ding dann auch wirklich verloren ist.
Wofür der heilige Antonius leider nicht zuständig ist, ist der verlorene Anstand und Stil in Sachen Kleidung und Verhalten im öffentlichen Raum. Zum Beispiel in der Oper. Jetzt im Sommer erblühen allerorten die Open-Air Opernspiele, Opern-Festivals und andere Freilichtaufführungen. Ganze Kleinstädte peppen damit ihr Sommerloch auf und ermöglichen den ortsansässigen Pensionen, Preise wie Vier-Sterne-Hotels in der Stadt zu verlangen. Noch unbekannte Talente können sich präsentieren, während die Kollegen, die das schon hinter sich haben, in Salzburg oder Bayreuth glänzen. Kurz und gut, einem großen Publikum wird Oper leicht und spielerisch nahe gebracht, die Inszenierungen sind meist locker und bunt, die Stücke auch, im Prinzip eine Win-Win-Situation für alle. Aber ist das sommerliche Ambiente ein Grund, in der Turnhose mit Baseballcap zu erscheinen? Und von der Beginn der Vorstellung an zu essen und zu trinken? Wir reden hier nicht von Steinstufenklassikern wie der Arena di Verona. Dort macht den Reiz des Abends der Picknick-Korb aus und wenn man schon vier Stunden vorab in glühender Hitze auf einem Platz ausharrt, dann kann, soll, muss man auch etwas zu Essen und vor allem zu Trinken dabei haben. Aber in der sechsten Reihe einer Oper mit Platzkarten um 21.30? Muss man da wirklich laut mümmelnd Brote in sich hineinschlichten? Und die Cola solange auszuzeln bis es mit dem Strohhalm Geräusche gibt?
Ich kann das nicht verstehen. Da machen sich ein Haufen Menschen die Mühe, etwas aufzuführen, man selbst macht sich die Mühe, Karten zu kaufen, hinzufahren, Parkplätze zu suchen, warum nicht dieser letzte Funke Respekt vor dem Ereignis, vor der Begleitung, vor anderen Menschen. Will man denn gar niemandem mehr gefallen? Hat der Turnhosenträger so einen brillanten Charakter und Geist, dass man nichts mehr drumherum wahr nimmt?
Der heilige Antonius selbst trägt zwar auch nur eine Kutte, aber ihm nimmt man das nicht übel, er hat weiß Gott genug andere Dinge im Kopf.

Hier kennt einen ja keiner

Die Gefahren einer filmreifen Kulisse wie zuhause vor dem Fernseher lauern im Detail. Im Land der Mode und des Stils muss es natürlich ganz besonders auffallen, wenn man am authentischsten, schönsten, heimeligsten Platz Roms in einem wirklich wunderbaren Restaurant solcherart sitzt. Das Restaurant wird von zwei sehr bejahrten Brüdern geführt (und auch wenn jetzt ein Anderer die Führung übernommen haben mag – wer steigt da immer so durch?, so ist es doch das Restaurant dieser Signori). Sie sehen sich sehr ähnlich und gleichen einander auch im Charme. Bestellt man Parmaschinken und zeigt auch nur ein klitzekleines Bisschen Interesse oder Freude am Essen, so wird ein Beistelltischchen herausgewuchtet und darauf eine Schinkenhalterung. Dann kommt der Capo (einer zumindest) und schneidet liebevollst einige Scheiben Parmaschinken für die Vorspeise. Hat man sich als ganz besonders interessiert oder sympathisch erwiesen, singt er auch noch ein Lied. Gerne auch ein recht unanständiges. Hilfreich für so einen Service kann es sein, wenn man seit zwölf Jahren immer wieder aufs Neue freudig auf die Terrasse tritt und wie ein Hafenarbeiter auf Landgang isst und trinkt. Dann bekommt man das Lied und den Schinken auch, aber das ist für Besucher keine probate Option.

Das Restaurant ist wirklich schön, es hat immer penibel saubere Tischwäsche, die Ober tragen auch bei gefühlten fünfzig Grad Anzug, schenken Wasser nach, was zum Beispiel bei mir zu einem Fulltime-Job ausarten kann und sind seit Jahren Dieselben. Die Einzäunung mit blühenden Pflanzkübeln wurde vor einiger Zeit weg geräumt, weil die Besucher es lieben, sich von Straßenverkäufern ansprechen zu lassen und wie der Besitzer sagt „am liebsten noch im Brunnen essen würden, wenn das ginge“. Wo der Italiener den Platz in der zweiten oder dritten Reihe schätzt, kann es dem Touristen verständlicherweise gar nicht nahe genug an dieser Traumkulisse sein. Santa Maria in Trastevere im Hintergrund, der Brunnen, die Gaukler, ein Traum.

Und weil alles so prima konsumiert werden kann und wie in einer Hollywood-Produktion aussieht, kann man sich ja auch ganz genauso wie daheim im Komfortsessel daheim hinlümmeln. Schuhe aus, Füße hoch, mit den Finger schnippsen und los geht’s. Denn praktischerweise ist hier auch noch jemand, der einen bedient. Noch mehr Eis für die Cola, bestellen, während man im iPhone scrollt?  Nur zu. Schließlich zahlt man fürs Panorama ja mit und es stehen ja drei Stühle am Tisch. Die Flipflop drücken entsetzlich und auch die Sweatpants sind eine wahre Tortur. Außerdem, wer kennt mich hier? Ich zahl schließlich und ich bin halt wie ich bin. Und das ist gut so.

P.S: DAS SIND NICHT MEINE FÜSSE!!!