Eigentlich sollte ich hier bleiben

Ich bin sozusagen die Heldin der letzten Nacht. Am Pool beglückwünscht man mich zur Pulverisierung der Brasilianer, der Metzger fragt ehrfürchtig nach meiner Meinung zum Finale und unser Pförtner scheint die Leistung der deutschen Mannschaft eins zu eins auf mich zu übertragen und betrachtet mich mit völlig anderen Augen. Nun muss ich zugeben, dass ich nur durch Zufall nach einer recht netten Schnulze (wir sprachen bereits darüber, wie herrlich das Fernsehprogramm während der WM ist) gegen viertel nach zehn in das Spiel hineingeschaltet habe und etwas betrübt war, das einzige Tor verpasst zu haben. Sowieso war ich verwundert, warum so rasch? Warum in der ersten Halbzeit und nicht in der Nachspielzeit? Aber was versteh ich schon von Fußball?

Das sollte sich in den nächsten fünfzehn Minuten bewahrheiten, als ich mich gewundert habe, warum bei der Wiederholung immer ein anderer Winkel gezeigt wurde. Erst als der Torzähler sich wie ein Pariser Taxameter bewegt hat, habe ich verstanden. Es waren wirklich so viele Tore. Einfach unglaublich.

Bis Sonntag hätte ich jedenfalls eine recht kommunikative und glorreiche Zeit hier in Italien, das nun völlig frei und unbeschwert diese WM verfolgen kann. Der Groll ist verflogen, die Schmach fast schon Geschichte und jetzt kommt wieder der ganz normale Sportsgeist und die Leidenschaft für Fußball durch. Bei meinen Expertentips (sic!) muss ich mich vage halten, was ich aber gelernt habe, ist, dass man am besten fährt, wenn man alle potenziellen Gegner als „molto forti“ bezeichnet und auf eine gehörige Portion „fortuna“ hofft. Das macht sympathisch und schließlich will ich ja den Sommer hier verbringen.

Erfüllte Träume

Vor über zwanzig Jahren gab es in einer Nacht einmal eine Sternenkonstellation, von der behauptet wurde, dass alle Wünsche, die man in den Himmel schickt, in Erfüllung gingen. Und weil es eh schon wurscht war und ich alles Mögliche getan und versucht hatte, um in Rom zu leben, habe ich mir das in dieser Nacht halt auch noch gewünscht. Die Tatsache, dass ich seit fünfzehn Jahren hier lebe, hat Null Komma Garnichts mit allem, was ich aktiv in Angriff genommen habe, zu tun. Man könnte sagen, es ist reiner, kitschiger Zufall. Oder eben diese Nacht. An die Umzugsfahrt nach Rom erinnere ich mich immer noch als wäre es gestern und das liegt nicht daran, dass das Langzeitgedächtnis mit dem Alter besser wird (stimmt eh nicht, das ganze Ding lässt schlichtweg nach und bei lange zurückliegenden Ereignissen hat man statistisch weniger Schlaumeier, die einem drein reden, so einfach ist das). Seitdem sind viele Jahre, viel Ärger und viel Glück vergangen und noch immer kann ich es kaum fassen.

Dasselbe gilt für meine Küche, von deren Farbe mir fast jeder abgeraten hat, weil „Du Dich da spätestens in zwei Jahren satt gesehen hast“. Stimmt auch nicht. Ich hatte sie mir immer genau so vorgestellt und freu mich jeden Tag, fast jeden Moment drüber (außer, wenn gerade die Milch überläuft, dann bin ich abgelenkt). Oder meine Badfliesen, die ich seit meiner Hochzeitsreise im Herzen hatte. Einfach ein Traum.

Denn wenn Träume erfüllt werden, ist das ein berauschendes Gefühl. Und deshalb hat mich dieses Motiv auf dem Campo dei Fiori so gerührt. Der junge Mann stand die längste Zeit einfach nur an der Brüstung und hat hinuntergeschaut und sich gefreut. Sogar auf die große Distanz konnte man sehen, wie oft er diesen Ort in Gedanken durchgespielt hatte. Vielleicht hat er ihn in einem Film gesehen und sich geschworen, auch einmal auf diesen Platz zu blicken oder es war eines Morgens einfach da, so wie bei mir Biarritz oder Avignon. Sein Sonntagmorgen auf der Terrasse über dem Campo dei Fiori ist hoffentlich etwas, was ihn lange begleitet und ihn lange freut. Erfüllte Träume sind ein bisschen wie Benzin im Tank.

Hier kennt einen ja keiner

Die Gefahren einer filmreifen Kulisse wie zuhause vor dem Fernseher lauern im Detail. Im Land der Mode und des Stils muss es natürlich ganz besonders auffallen, wenn man am authentischsten, schönsten, heimeligsten Platz Roms in einem wirklich wunderbaren Restaurant solcherart sitzt. Das Restaurant wird von zwei sehr bejahrten Brüdern geführt (und auch wenn jetzt ein Anderer die Führung übernommen haben mag – wer steigt da immer so durch?, so ist es doch das Restaurant dieser Signori). Sie sehen sich sehr ähnlich und gleichen einander auch im Charme. Bestellt man Parmaschinken und zeigt auch nur ein klitzekleines Bisschen Interesse oder Freude am Essen, so wird ein Beistelltischchen herausgewuchtet und darauf eine Schinkenhalterung. Dann kommt der Capo (einer zumindest) und schneidet liebevollst einige Scheiben Parmaschinken für die Vorspeise. Hat man sich als ganz besonders interessiert oder sympathisch erwiesen, singt er auch noch ein Lied. Gerne auch ein recht unanständiges. Hilfreich für so einen Service kann es sein, wenn man seit zwölf Jahren immer wieder aufs Neue freudig auf die Terrasse tritt und wie ein Hafenarbeiter auf Landgang isst und trinkt. Dann bekommt man das Lied und den Schinken auch, aber das ist für Besucher keine probate Option.

Das Restaurant ist wirklich schön, es hat immer penibel saubere Tischwäsche, die Ober tragen auch bei gefühlten fünfzig Grad Anzug, schenken Wasser nach, was zum Beispiel bei mir zu einem Fulltime-Job ausarten kann und sind seit Jahren Dieselben. Die Einzäunung mit blühenden Pflanzkübeln wurde vor einiger Zeit weg geräumt, weil die Besucher es lieben, sich von Straßenverkäufern ansprechen zu lassen und wie der Besitzer sagt „am liebsten noch im Brunnen essen würden, wenn das ginge“. Wo der Italiener den Platz in der zweiten oder dritten Reihe schätzt, kann es dem Touristen verständlicherweise gar nicht nahe genug an dieser Traumkulisse sein. Santa Maria in Trastevere im Hintergrund, der Brunnen, die Gaukler, ein Traum.

Und weil alles so prima konsumiert werden kann und wie in einer Hollywood-Produktion aussieht, kann man sich ja auch ganz genauso wie daheim im Komfortsessel daheim hinlümmeln. Schuhe aus, Füße hoch, mit den Finger schnippsen und los geht’s. Denn praktischerweise ist hier auch noch jemand, der einen bedient. Noch mehr Eis für die Cola, bestellen, während man im iPhone scrollt?  Nur zu. Schließlich zahlt man fürs Panorama ja mit und es stehen ja drei Stühle am Tisch. Die Flipflop drücken entsetzlich und auch die Sweatpants sind eine wahre Tortur. Außerdem, wer kennt mich hier? Ich zahl schließlich und ich bin halt wie ich bin. Und das ist gut so.

P.S: DAS SIND NICHT MEINE FÜSSE!!!

Freudige Erwartungen

Ich habe oft Gäste, jetzt etwas weniger als früher, aber immer noch oft, dafür  wie oft wir an einem Ort sind. Das ist herrlich und ich genieße es sehr. Manche hole ich sehr gerne vom Flughafen ab, meinen Mann natürlich eh. Und am Flughafen – ich hab schon drüber geschrieben – geht meine Fantasie regelmäßig mit mir durch. All die Begrüßungstransparente, die unbequemen Schuhe, die etwas engen Kleider, die langstieligen Rosen. Da müsste man schon ein abgestumpfter Tropf sein, um da nicht sofort tausende von Geschichten im Kopf zu haben.

Die Frau im schmalen kurzen Blumenkleid mit den hohen Lacksandaletten wartet vielleicht auf ihre Urlaubsliebe? Sie geht unsicher auf uns ab und fährt sich immer wieder durch die Haare. Sieht sehr nett aus, vor allem, weil sie sich so unsicher ist. Oder vielleicht haben sie sich im Internet kennen gelernt. Denn wieso sollte sie ihn sonst noch nicht gut kennen und trotzdem so aufgeregt abholen? Immer wieder schaut sie auf die Anzeigetafel, was einem in Rom rein gar nichts an Information bringt. Ich habe eine Stunde auf einen Flug gewartet, der eine Stunde als gelandet angezeigt war. Aber das nur nebenbei. Als der Mann dann da war, war er – zumindest für mich – eine Überraschung. Kahl, in Jeans und T-Shirt muss er wohl einen besonders guten und gelassenen Charakter haben, dass sich eine so zauberhafte Frau so hübsch macht für ihn und er überhaupt nicht.

Oder die Familie mit Kindern und Eltern, die immer wieder die Schleife am Kopf des Babys zurecht rücken. Dann kommt ein junger Mann mit Rucksack aus dem Terminal, alle stürmen auf ihn zu, vor allem aber ein junger Mann, der ihm sehr ähnelt, sein Bruder? Der weint und weint (ich übrigens auch, wenn ich mich dran erinnere) und alle anderen weinen auch und ich denke mir, wer weiß, Weltreise? Militäreinsatz? Baby unerwartet in der Zwischenzeit geboren? Was für wunderschöne Stunden jetzt kommen werden, bis der Alltag  wieder einsetzt. Bis er halt wieder da ist und sein Motorino mal wieder schräg in der Einfahrt geparkt und den stinkigen Müll auf der Treppe vergessen hat.

Dann steht da noch eine junge Frau, Deutsche, die auch wartet. Nach langer Zeit kommt ein älteres Ehepaar heraus und sie gehen recht gemessen aufeinander zu. Na, wie ist es also jetzt in Bella Roma? fragt der Papa seine Tochter, ok, sagt sie. Und dann gehen sie in Richtung Ausgang und dann nimmt er ihre Hand, die unten hängt und drückt sie ganz fest und sie drückt sie auch ganz fest und es ist einfach rührend anzusehen. Oben herum gehen sie einfach weiter, aber die Hände unten halten sich ganz fest.

Also wenn ich mal Zweifel habe, ob ich irgendwie abgestumpft bin durch alle möglichen Nachrichten oder Ereignisse, dann setze ich mich einfach an den Flughafen und schaue. Meine eigenen schönen weißen Hosen, die ich beim Abholen anhatte, hab ich übrigens mit einem dunklen Strumpf grau gewaschen. Das sind die Schicksale hinter solch schönen Szenen.

Lieber gleich oder erst zum Schluss?

Zu WM-Zeiten kann sogar das Essen von Wassermelonen philosophisch werden. So geschehen heute Mittag. Mein Mann ist was Wassermelonen angeht ein Vollprofi. Zwei Kilo schafft er leicht. Dass man die Küche im Anschluss generalsanieren sollte, gibt er selbst freimütig zu. Bei den ersten chirurgisch-präzisen Schnitten war ich noch nicht dabei und habe mich gefreut, dass er mir ein so herrliches, kernfreies Stück auf einem Extrateller bereit gelegt hatte. Aber als ich danach greifen wollte, hat er mich recht stählern angefunkelt und sofort ist mir wieder eingefallen, warum. Mein Mann zählt zu den Menschen, die das Beste bis zum Schluss aufheben. Damit spielt er in derselben Liga wie die meisten WM-Teilnehmer. Kein Spiel mehr ohne Verlängerung oder gar Elfmeterschießen. Alle heben sich ihr Pulver bis es nicht mehr geht auf. Was soll das?

Bei einer Melone oder einem Spiegelei mag das noch angehen, aber auch da muss ich sagen: was ich hab, hab ich. Wer weiß, was alles während des Verzehrs vorfallen kann? Und wenn ich mich erst durch nicht so feine Sachen durchmümmeln muss, bin ich am Ende schon satt und hab gar keine rechte Freude mehr dran. Aber das ist ja was völlig anderes. Beim Fußball jedenfalls finde ich es idiotisch – vor allem, wenn es noch so heiß ist -, die Sache nicht einfach zügig durchzuspielen und auch mal ein Tor zu schießen. Denn dass es geht, beweisen ja meist die letzten drei Minuten der Regelspielzeit oder die Nachspielzeit.

Bin gespannt, wie es heute Abend werden wird. Ich bleibe mal beim Melonenbild und hoffe, die Franzosen kriegen nur die Kerne.

Vögel sind nicht gleich Vögel

Alles gut gegangen. Dora ist noch da, allerdings recht verschnupft verständlicherweise, sie hat ja kein Email und kann nicht verstehen, warum mal Futter, mal keines. Basilikum gediehen. Jasmin duftet. Was will man mehr?

Unser lieber guter Massimo hat ganze Arbeit geleistet und alles prächtig erhalten. Vor allem das Unkraut (wir sprachen bereits darüber) ist eine wahre Pracht und wenn mich nicht alles täuscht, hat sich sogar wieder eine kleine Vogelfamilie eingenistet. Immer wieder sehe und höre ich Amseln rumfegen und auf dem Terrassenboden notlanden, was sie sonst eher nicht tun. Und sie gehen baden, weil sie hier sozusagen ein Vogel-Spa vorfinden und sich je nach Stimmung in Mandarinen- oder Zitronenwasser erfrischen können. Ist die Stimmung im Nest angespannt, ist vielleicht ein Schluck Lavendelwasser bekömmlich oder wenn der Hals kratzt ein Schnabel voll Salbeiessenz. Ist ein besonders großer Wurm gefangen worden oder hat man einen Rivalen erfolgreich verscheucht, dann ist der Siegerschluck aus dem Lorbeerbaum-Untersetzer die erste Wahl. Man findet als Vogel hier also Idealbedingungen vor. Weil auch keine Katzen rumlaufen, die Hunger haben, wenn die deutsche Frau sie nicht füttert….

Eben habe ich – weil ich dachte, es fände ein Gemetzel draußen statt – zwei Amseln beim Basilikum sehr lautstark streiten hören. Das scheint also keineswegs eine beruhigende Wirkung auf Vogelgemüter zu haben. Gerade sind schon wieder welche im elegant-kurvigen Landeanflug in den Oleander gebrettert. Da schau ich jetzt mal nach. Werde weiter informieren.

Kleines Postscriptum an Karl und Gertrud: Man braucht als Vogel nicht viel, um mein Herz zu erobern. Ich freue mich immer über Besuch, aber man muss sich eben auch benehmen können.

20,- für 10 Meter

Natürlich ist Muttertag nicht der optimale Tag, um über Gaunereien zu schreiben. Wenn man aber eine ausgewachsene Schreibblockade hat, dann ist es eben notwendig. Und irgendwann hätte es ja sowieso sein müssen.

Letzte Woche bin ich mit dem Zug nach Florenz gefahren. Überhaupt die Züge in Italien! Ein Traum! Schnell, sauber, schön, blitzend. So ganz anders als unsere schmuddeligen ICEs oder gar ICs. Farblich gestaffelt nach Frecciabianca, Frecciaargento und Frecciarossa rasen sie pfeilschnell durch Italien und verbinden Großstädte, Städte und Städtchen. Korrekterweise muss gesagt werden, dass bei all dieser komfortablen Schnelligkeit leider der Regionalverkehr auf der Strecke bleibt. Das darf uns hier nicht kümmern. Schließlich warten auch diese Raser-Züge mit Gefahren der ganz anderen Art auf. Beliebt wie sie aufgrund ihrer Vorteile bei Europa-in-zwei-Wochen-Touristen aus Übersee sind, ziehen sie unerwünschte Dienstleistungen gerade zu magisch an. So wurde ich bei meiner Reise, die in Rom am Bahnhof ihren Anfang nahm, Zeuge, wie eine junge Frau einen mittelalten, sportlichen Amerikaner in den Wagon und auf seinen Platz begleitet hat. Hierfür verlangte sie 20,- von ihm und von seinem Freund. Er zögerte, muckte auf und wandte ein, das sei aber schon viel. Sie blieb cool und beharrlich. 20,- pro Paar. Das sei der normale Preis. Er zahlte seine 20,-, teilte seinem Freund mit, dass auch er diesen Betrag schulde und auch der hat gezahlt.

Was erstaunt mehr an der Geschichte? Dass jemand, der lesen kann, für zehn Meter Begleitung so viel bezahlt? Oder der Mut der jungen Frau, das durchzuziehen? Der einzig mögliche Trost: das erbeutete Geld war für ein Muttertagsgeschenk gedacht

Der nette Jemand aus der Kurve

Vielleicht liegt es am Alter. Oder am Klima, oder einfach daran, dass ich immer bei allem mitfühle und mir was dazu denke. Seit Jahren fahren, wenn wir den abenteuerlichen Schleichweg von der Autobahn zu uns nach hause nehmen, an einem engen, uneinsehbaren Eck vorbei und seit Jahren schau ich immer nach rechts. Denn hier macht sich jemand regelmäßig die Mühe, eine kleine Nische mit zwei Amphoren davor zu dekorieren. Vielleicht hat der Jemand hier einen Anderen verloren oder ist dahinter ein Kloster oder vielleicht macht es ihm einfach Freude, die Vorbeifahrenden zu erfreuen, wenn sie nach Hause fahren. Egal, welche Motivation dahinter steckt, ich finde die Folgerung daraus schön und wichtig. Denn auch, wenn man für manche Dinge keinen direkten Dank bekommt, so kommen sie dennoch an und wenn man das so rum bemerkt – zum Beispiel an sich selbst – so hat man auch Freude daran, scheinbar unbemerkte Dinge für Andere zu tun. Einen gibt’s immer, der sich freut und schon ist die Welt ein bisschen schöner.

Was man halt in Rom so macht

Manche Dinge warten so lange und so geduldig auf einen, obwohl sie schmerzlich und ausgiebig vermisst werden, dass sie auch den verhasstesten Aufgaben durch ihr Wiederauftauchen einen tieferen Sinn geben. Ein Gürtel, ich glaube, mein allerteuerster (was nicht schwer ist, denn ich bin kein Gürtelträger und gebe niemals Geld dafür aus – bis auf diesen), schwarzer, schmaler, doppelter ist wieder da. Er lag verborgen unter einem riesigen Strohhut. Wer kann das ahnen? Und gerade weil ich kein Gürtelträger bin, war mir sein Verlust so schmerzlich bewusst. An drei Orten ist die Möglichkeit eines (Total)Verlustes oder eines Verstecks enorm. Sowieso mache ich mir mit zunehmendem Alter Sorgen, ob mein Hirn nicht zuviel Platz mit dem Merken von Reiseverbindungen, Kleidungsrochaden und der Frage, wo ich jetzt Waschpulver brauche, vergeudet. Ich merke das daran, dass ich bei Gesprächen deutlich vergesslicher bin als früher. Aber das ist ein anderes Thema.

Jedenfalls hätte es mir schon heute Morgen klar sein müssen, was für ein Tag ist. Ich habe nämlich angefangen, den leichten Kalkring vom Zahnputzbecher auf dem Waschtisch im Bad sehr gründlich wegzurubbeln (man tut das ja täglich so ein bisschen tralala, aber halt nicht gscheit). Als ich die Aufbewahrungsdosen für Haarspangen, die ich zwar habe, aber nie benütze und Kosmetikproben, die man ja immer mal auf Reisen (hahaha) mitnehmen kann, weggestellt habe, um dort Dasselbe zu tun, war mir sofort klar, dieser Tag wird kein tändeliger, sondern ein krawalliger. Mein Mann war nach einem kleinen Streitgespräch per Telefon auch sofort mit der aktuellen Stimmungslage vertraut und so stand der Säuberungsaktion nicht mehr viel im Weg. Das macht ja auch durchaus Sinn, wo ich mich doch erst gestern lang und breit über den zunehmenden Schmutz hier im Viertel und im Condominio ausgelassen habe.

Also habe ich mir als Erstes das Bad vorgenommen. Dann die Wäscheschublade und dann die der Strümpfe. Fürchterlich, einfach grauenhaft. Man könnte ja denken – und Viele tun das wirklich – dass ich, weile ich in Rom oder Paris, ausschließlich die Boulevards auf- und abschlendere, Cappuccino, wahlweise Champagner trinke und shoppe. Weil man das halt so tut, wenn man aus Augsburg in solche Städte fährt. Leider gleicht mein Leben eher dem einer fliegenden Putzfrau und man darf getrost glauben, dass irgendeinen Zimmer in jeder Wohnung immer eine Grundreinigung brauchen kann. So weit, so wenig glamourös. Natürlich ist es netter, in Rom das Feng-Shui durch Ausmisten in Ordnung zu bringen als in Pusemuckel, aber in der Substanz bleibt es doch Dasselbe. Und weil ich gerade so schön in Schwung war und eh komplett überwacht werde (Condominiopolizei), habe ich während die Katze aus dem Napf im Garten gefressen hat, gleich alte Taschentücher, Saftfläschchen und was halt sonst noch so auf italienischem Gemeinschaftseigentum herum liegt, aber niemanden stört, aufgesammelt. Egal. Der Gürtel ist nach ca. drei Jahren wieder da und somit hat das alles einen Sinn!

Mani pulite

Natürlich ist eine wilde Gegend auch mit Schmutz verbunden. Nicht nur auf den Straßen, auch auf Autos. Und hier gleichen die lässigen Italiener auf erstaunliche Weisen den gründlichen Deutschen. Sie mögen saubere Autos. Egal, wie zerbeult oder zerkratzt manche sind, an allen Straßen gibt es Schilder mit „Lavaggio a mano“, Handwäsche und dem Versprechen, allen Schmutz aus dem Auto zu saugen und zu wischen. Bei uns im Trullo ist dafür in erster Linie Michele zuständig. Er vollbringt seine Kunst zusammen mit einigen Kollegen an einer der günstigsten Tankstellen in Rom. Lange Schlangen vor den unfassbar komplizierten Self-Service-Zapfsäulen legen ein beredtes Zeugnis seiner Qualität und von der Preispolitik der Tankstelle ab.  Michele arbeitet eigentlich immer. Freundlich, höflich und kultiviert wie er ist, könnte man ihn sich auch als Arzt oder Anwalt vorstellen, aber – so der Eindruck – was er tut, macht ihm Spaß. Und er hat genug zu tun. Immer länger sind die Schlangen. Der Wunsch nach Sauberkeit im direkten Umfeld scheint zu wachsen.

Denn gerade in letzter Zeit fällt auf, dass alles in unserer eh schon schmutzigen Gegend noch ein wenig schmutziger geworden ist. Mehr Müll liegt rum, Sofas und andere ausgeweidete Möbelstücke lagern zwischen den Tonnen und die Müllsammler haben Hochsaison beim Durchwühlen der Container. Der regenreiche Winter hat die Straßen durchlöchert und weil immer nur zu den Wahlen billiger Asphalt dünn auf die Straßen geschmiert wird, tun sich nun an manchen Stellen richtiggehende Kluften auf. Alles in allem eine Situation, die auf beklemmende Weise die Situation in Italien widerspiegelt. Umso erfreulicher ist es, dass ich einen Teil zur Sauberkeit beitragen kann. Erst letzte Woche habe ich Michele Mikrofaserhandschuhe von der Augsburger Dult mitgebracht, weil sie in Italien schwer bis gar nicht zu kriegen sind. Er ist darüber entzückt und bewirbt sie an seiner gründlichen Waschanlage. Das löst zwar nicht alle Probleme, aber – der Vergleich bietet sich an – Rom ist auch nicht an einem Tag erbaut worden.