An Schönheit gewöhnt

Am Wochenende waren wir in einer herrlichen Bergregion, einem wahren Traumland, in dem Wein und Äpfel sprießen, Sportler ungestört an ihrer Karriere basteln können und jeder jeden kennt. Geht man dort zum Semmeln holen, kann es durchaus sein, dass man erst Stunden später zurück nach Hause kommt, weil es immer einen gibt, mit dem man ratschen kann. Über den Handballverein, die Immobilienpreise, dass dieses oder jenes Paar ein Kind erwartet, sich getrennt hat oder was sonst eben noch alles im menschlichen Leben geschieht. Das Klima ist gemäßigt, scheint die Sonne, dann strahlt sie vom Himmel, schneit es, wird der kleine Ort in eine Märchenlandschaft verwandelt, von überall her strömen die Menschen sehnsuchtsvoll, um sich von einem Wochenende dort Ruhe und Entspannung für die nächsten Arbeitswochen mitzunehmen. Und offenbar nehmen sie sie den armen Einheimischen weg. Welch ein Skandal.

Denn wie so oft sehen die meisten Menschen, die dort leben, die Schönheit und Idylle längst nicht mehr. Das kommt so vor, wie bei dem Sprichwort von der schönen Ehefrau: nach ein paar Wochen hat man sich daran gewöhnt und ärgert sich über genau dieselben Dinge, wie bei einer nicht so schönen. Undankbar eigentlich, oder? Aber eben auch menschlich. Das ist wohl eine Überlebensstrategie des Menschen: sich an Dinge zu gewöhnen, sie nicht mehr zu sehen, nicht mehr zu riechen, nicht mehr zu spüren. Das kann gut oder schlecht sein. Bei Schonhaltungen zum Beispiel hat sich der Körper so sehr an den Schmerz gewöhnt, dass er dann halt krumm und schief geht, anstatt die Ursache anzugehen. Und dann gibt es ja auch Menschen, die ziehen gerne dieselbe Kleidung ein paar Mal an und finden nicht, dass sie riecht oder sie waschen Sofadecken nicht. Oder Kissen. Oder Tischsets. Ich werde da fast wahnsinnig, weil ich nicht finde, dass Gebrauchsgegenstände einen Eigengeruch entwickeln müssen. Nicht dürfen. Und nein, ich sehe darin keine Zwanghaftigkeit meinerseits und auch keinen Waschzwang, sondern die praktikable Nutzung moderner Technik. Wie einer Waschmaschine. Ich hatte in letzter Zeit einfach zu viele Zusammenkünfte mit riechenden Menschen, ich muss es verarbeiten, ihr müsst da durch, tut mir leid.

Aber nun bin ich tatsächlich abgeschweift, was mir ja sonst nie passiert…..In dieser wunderhübschen Gebirgsregion suchen sich die Menschen, weil Glück und Unglück offenbar überall auf der Welt ein Nullsummenspiel sein müssen, eben Unglücksherde, die andernorts belächelt würden. Das ist an sich völlig normal. Lebt man im Krieg, wünscht man sich nur Frieden. Lebt man im Frieden, wünscht man sich einen flacheren Bauch, ein schnelleres Auto, eine größere Wohnung, etc. Vieles davon hat mit meiner geliebten Maslowschen Bedürfnispyramide zu tun. Aber ganz ehrlich: wenn es nach der ginge, müssten und könnten sich die Menschen dieser harmonischen Gebirgsregion durchaus mit der Selbstfindung und mit ein wenig Altruismus befassen, anstatt über ihr hartes Leben bei denen, die weggegangen sind, zu jammern. Und vielleicht macht soviel harmonisches Einerlei einfach auch matschig im Kopf und lässt die Synapsen ermatten. Kann auch gut sein. Wer sich nie anstrengen muss, wird sicherlich kein besserer Mensch dadurch. Glück entsteht auch durch bewältigte Herausforderungen.