Mittagsbummel auf den Champs-Elysées

Es gibt Dinge, die passieren einem eher in Paris als in Augsburg. Obwohl Vieles von dem, was ich zu schreiben plane durchaus auch dort passieren könnte, wenn ich es mir genau überlege. Wollen mal sehen. Heute Morgen zum Beispiel war ich auf der Suche nach einem möglichst sehr warmen Pulli, weil es in dieser Wohnung zwar saunaartige Zustände hat, wenn man reinkommt, sitzt man aber über Stunden da und tippt vor sich hin, kühlt es sakrisch aus, wie der gepflegte Bayer sagen würde. Dann ist man froh um einen wärmenden Rolli. Zum Glück habe ich für solche Eventualitäten vorgesorgt und immer und überall einen schwarzen Rolli zur Hand. So viele, ich muss es zugeben, sind es inzwischen, dass ich sie bestenfalls noch an der Enge des Kragens unterscheiden kann. Die ist für mich nämlich immens wichtig. Ich hasse so Halbheiten, wenn der Rollkragen nicht anliegt. Wozu brauche ich ihn dann bitteschön? Jedenfalls habe ich heute Morgen ganz unten drin meinen allerältesten und heißgeliebten ersten schwarzen Kaschmirrolli gefunden. Was war das für eine Wiedersehensfreude!!! Ich habe diesen speziellen allerdings nicht am Kragen, sondern an den liebevoll aufgenähten Lederflicken am Ärmel erkannt. Die habe ich vor über zehn Jahren in Wien in einem Kaffeehaus durchgewetzt und ich sehe heute noch die Tränen der Rührung in den Augen meines geliebten Gatten. Um solche ärgerlichen Notstände künftig zu vermeiden, habe ich seitdem in steter Folge und mit nie ermüdendem Eifer immer wieder für Nachschub gesorgt und ich nehme auch auf fast jede Reise einen mit. Nur nicht, wenn wir im Frühjahr auf meine Geburtstagsreise gehen. Da bin ich voller Hoffnung und friere dann bitterlich. Oder kaufe einen neuen, aber meist gibt es sie nicht mehr, weil die Frühjahrsmode gerade rausgekommen ist. Unpassenderweise, zumindest, wenn man sich nach den Temperaturen richtet, was ich ja leider auch nicht tue….

Mit dieser kleinen Nischenleidenschaft bin ich jedoch beileibe nicht alleine auf der Welt wie mir gerade ein Blick in die heutigen Gazetten verdeutlicht hat. Es gibt andere Frauen auf der anderen Seite des Ozeans, die haben eine – weitaus fatalere – Leidenschaft für unpassende Blusen. Blusen, die den Busen ganz schaurig einrahmen oder betonen. Und das dann auch noch in fragwürdigen Farben und nicht in schlichtem schwarz, was fast immer das Schlimmste mindern oder nivellieren kann. Und was natürlich erschwerend hinzukommt: ich trage meine schwarzen Rollis zuhause am Schreibtisch oder mal beim Essen oder einfach den ganzen Winter durch. Diese Frau überm Meer trägt sie in einer sexistisch aufgeheizten Wahlkampfrede, angeblich um ihren Mann zu unterstützen. Das ist ungefähr so hilfreich, wie einem Diabetiker erst mal ein Nutellabrot zu schmieren. Egal, das soll nicht unsere Sache sein. Ist es für meinen Geschmack eh schon viel zu viel.

Was ich aber eigentlich berichten wollte, fand gestern auf den Champs-Elysées statt. Weil es also kalt in der Wohnung war und ich einen kleinen Hänger hatte, bin ich an die frische Luft und da das Wetter herrlich und ich so richtig in Schwung war, bin ich ziemlich weit gekommen bei meiner Wanderung. Entlang der Straße wurde schon der Weihnachtsmarkt mit allem Drum und Dran aufgebaut. Der Anblick eines halben Riesenrads beweist übrigens erneut wie fragil all diese technischen Fahrgeräte doch sind, aber das nur nebenbei. Auf meinem weiteren Weg habe ich dann aus den Augenwinkeln etwas sehr Buntes wahrgenommen. Ein Schaufenster mit SEHR floralen Motiven und einer Tafel mit Uhrzeiten. Die Uhrzeiten waren tatsächlich die Zeiten, zu denen man die Kenzo-Sonderkollektion bei H&M anschauen und kaufen durfte. Bereits auf den Tafeln war zu lesen, dass man sich gefälligst ordentlich zu benehmen hätte. Offenbar habe aber nur ich die gelesen. Drinnen ging es nämlich wirklich wüst zu. Ich war ja zum ersten Mal bei sowas. Und nicht nur, dass ich jetzt viele Worte für „Das probiere ich gerade, lassen Sie bitte ihre Finger von meiner eigenen Jacke“ und „Das sieht schrecklich aus“ kenne, weiß ich jetzt auch, dass es bei H&M nur wenige Spiegel im Verkaufsraum gibt und dass Französinnnen keineswegs immer so verruchtes Zeugs drunter tragen wie sie uns immer glauben machen wollen. Alles in allem war es ein hochinteressanter Mittag, den ich nun bei ruhigen Tätigkeiten zu verarbeiten gedenke.