Körpersprache

Es heißt, der Körper würde quasi unabhängig von dem, der ihn gemeinhin steuert, kommunizieren. Ganze Fernsehserien beschäftigen sich mit Augenbewegungen, Handhaltungen und anderen vegetativen Reaktionen. Bei Verhören oder in Verkaufstrainings sind Körpersignale schon längst der totale Renner. Wir haben also gelernt, auf Blinzeln, Erröten, Hand- und Fußhaltung etc. zu schauen. Um daraus einen Vorteil zu ziehen. Was wir manchmal noch nicht gelernt haben, ist auf die Signale aus dem eigenen Körper zu hören. Müdigkeit, Blasssein, Übelkeit oder Schmerzen. Glaubt man seinem Körper, ist er dann an einem Punkt, an dem er Erholung braucht. Einen Spaziergang, ein Schläfchen oder einfach nur eine Tasse Tee mit Plätzchen. Er freut sich in der Regel darüber, wahrgenommen zu werden und arbeitet im Anschluss munter mit einem weiter. Ignoriert man die Zeichen zu lange, kann es sein, dass er ruppig und grantig wird und einen niederstreckt. Das endet im schlimmsten Fall tödlich. Warum hört man nicht auf ihn?

Ich kenne ganz viele Leute, die sind superstolz drauf, dass sie trotz Fieber, Schicksalsschlag oder gerade überstandener Krankheit schon wieder joggen gehen, arbeiten oder Weltreisen antreten. Dann haut’s ihnen irgendwann das Gestell zusammen, wie man in Bayern so lapidar sagt und sie sind völlig fassungslos und empört. Wo ist die Grenze? Was ist die richtige Balance? Denn immer nur rumliegen ist ja sicherlich auch keine Option. Wer keine Grenzen antestet, wird sie auch nicht erweitern, aber auf der anderen Seite – muss man das? Vermutlich schon, wenn es doch immer heißt, das Glück läge auch darin, seine Grenzen zu erforschen und dann zu erweitern und in der Erweiterung zu bestehen? Ach, es ist eine schwierige Gratwanderung. Ich habe noch nie davon gehört, dass Menschen, die immer auf dem Sofa liegen und RTL2 schauen, superglücklich sind. Manager in Hamsterrädern natürlich auch nicht. Bauern vielleicht? Die, denen die Natur den Rhythmus vorgibt? Aber dann nur solche, die ihr Land und ihre Kühe nicht vergewaltigen müssen, um EU-Richtlinien zu genügen. Und schwupps sind wir in einer umfassenden Gesellschafts- und Wirtschaftskritik. Und schwupps schon wieder zurück auf der Ebene, die jedem von uns zur Veränderung zur Verfügung steht: Das eigene Selbst.

Und das ist anerkanntermaßen der schwierigste Bereich. Weil er Taten verlangt, statt Worte. Aushalten, dass man in Frage gestellt wird. Denn lebt man nicht auf einer einsamen Insel, wird jede Veränderung – auch die an sich selbst – Fragen und Unsicherheiten im Umfeld aufwerfen. Und Versuche, die Person, die man zu kennen meinte, wieder zurück in die bekannten und sicher vertrauten Bahnen zu schubsen. Einen neuen anderen Weg mit ihm zu gehen, würde ihn auf den Kern seines Wesens reduzieren, der ja trotz aller Änderungen gleich geblieben ist, aber den nur die Allerwenigsten kennen, weil sie gar nicht zu ihm durchkommen möchten oder können. Weil meistens nur die jeweiligen Kerne der Menschen miteinander sprechen können. Hülle und Kern finden nicht zueinander und weil so viele Menschen nicht durch ihre eigene Hülle hindurch zum eigenen Kern kommen, bleibt es oft bei Hülle zu Hülle. Und dann verstehen diese sich nicht mehr. Logisch. Die Menschwerdung jedoch – so habe ich erst neulich wieder gelesen – sollte uns das wichtigste Lebensziel sein. Warum? Was tun wir damit? Ich denke da jetzt einfach noch weiter drüber nach. Und ihr müsst mitdenken, weil ich meine jeweiligen Fortschritte sicher immer wieder aufschreiben werde. Vor allem jetzt in der staden Zeit. Aber für wen ist die eigentlich stad? Auch diese Pause wird von den Wenigsten genutzt.

Tatort: Tatort

Eine einst schwurbelige Mittelklassesendung ist zum neuen Star am TV-Horizont aufgestiegen. Der Tatort. Die allerlängste Zeit meines Lebens habe ich mich keinen Deut darum geschert, ob es ihn gibt oder nicht. Und ich muss nun feststellen: fernsehtechnisch war es sicherlich die bessere Zeit meines Lebens. Dann begann der Hype auch mich zu umgarnen und letztlich zu fesseln. Begleitmedien wie Twitter und Facebookgruppen, auf denen das Geschehen, die Glaubwürdigkeit oder die Realitätsnähe der Polizeiarbeit kommentierten, wurden ganz im Sinne des nicht-linearen Fernsehkonsums ins Leben gerufen und ich frage mich, wie einer die komplexen Handlungsstränge noch verstehen kann, wenn er nebenbei auch noch seine Meinung zum Aussehen der Leiche auf dem Telefon oder Computer abgibt. Was ich mich auch frage ist, ob diese nun schon recht lange andauernde neue Berühmtheit dann letztlich auch dazu geführt hat, dass der Großteil der deutschen Bevölkerung mit einem mulmigen Gefühl in die neue Woche startet.

Sowieso werden Familienverbünde am Sonntagabend regelmäßig auf eine harte Harmonieprobe gestellt: auf der einen Seite die Männer, die natürlich niemals zugeben können und möchten, dass sie seit einigen Jahren nicht mehr unbeschwert mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fahren können, seit im Sonntagabend-Tatort gezeigt wurde, was passieren kann, wenn man dort mal schief schaut, weil eine ältere Dame von Jugendlichen angepöbelt wird (man kann von diesen Jugendlichen nach dem Aussteigen verfolgt und niedergeschlagen und in der Folge totgetrampelt werden – just for fun, versteht sich) oder ob es wirklich so eine gute Idee ist, sich auf einer Fremdgehplattform anzumelden (NEIN! Natürlich nicht. Tatortunabhängig. Logisch!). Auf der anderen Seite die Frauen, die längst erkannt haben, dass sie die Woche mit einem solchen Übermaß an selektiver Realität kaum bewältigen können und sich noch einmal eine Portion heile Welt aus Cornwall, Schweden oder den USA auf dem Gegenprogramm holen möchten.

Wie so oft kann ich mich da nur auf die Seite der Frauen werfen. Es mag witzige Tatort-Folgen geben, aber grundsätzlich kann mir keiner erzählen, dass es ihm am Sonntag um 21.45 Uhr besser als vorher geht und er mit Schwung und Optimismus sein Wochenende beendet und in die neue Woche startet. Das mit Sicherheit nicht. Gerade die letzte Folge hat mich nachgerade empört. Mein Mann, der nicht immer über das Programm bestimmen möchte, weil er ein aufgeklärter und friedliebender Gatte ist, teilte mir mit, dass dieser spezielle Tatort ganz besonders skurril und toll sein soll, zumindest wenn man den Medien glauben dürfe. Und was war? Depressionen, Selbstmord, alles anschaulich dargestellt und fast schon zum Nachmachen einladend nachvollziehbar. Gut gespielt, realistischer Plot, aber warum das alles vor dem Start in eine neue Woche? Ich verstehe sowas nicht und werde mich wieder den ausländischen Romantikerinnen zuwenden. Ich bin dann montags einfach ein netterer Mensch. Und davon können auch wiederum viele profitieren.

Gulasch

Bei so vielen Beiträgen und so tiefen Einblicken in meinen Alltag ist es nun auch grad schon wurscht (wie der Bayer zu sagen pflegt), ob auch noch meine geheimsten Vorlieben zu Tage gefördert werden. Ich labe mich selten an ihnen, vielleicht können sie deshalb auch ihren Sitz in meinem Herzen so ruhig und beharrlich gegen alles Neue und „Fancyhafte“ verteidigen. Sie residieren dort und oft ist nicht mal mir selbst klar, wie fest sie dort verankert sind. Sie leben Seite an Seite mit den Ureinwohnern der Seele, den Gerüchen und vertragen sich offenbar prima. Sie werden nur selten wachgerüttelt und verlassen ihr wohliges Heim auch nicht gerade häufig. Wenn sie aber tun, dann sind sie wunderbare Gäste, die sich freuen, mal den Schritt vor die Türe gewagt zu haben und zu zeigen, dass es sie noch gibt. Zurück in ihren wohligen Gemächern zehren sie noch lange von den schönen Momenten und freuen sich auf den nächsten Besuch, der durchaus auch erst in zwei, drei Jahren stattfinden kann.

Wovon ich spreche? Von Gulasch natürlich. Und von Knödeln. Nicht erst seit mein Mann mir über ebendiesem Gericht den festen Wunsch geäußert hat, sein Leben mit mir zu verbringen, liebe ich dieses Gericht. Es ist so unprätentiös und kuschelig. Und seine besten Freunde, die Knödel erst!!! Ich weiß, heutzutage macht man sie bitteschön selbst oder kauft zumindest den feinen Knödelteig, den es inzwischen überall in den Kühlregalen gibt, jedoch zu meinen schönsten Kindheitserinnerungen zählt nach wie vor diese: ich sitze bei meiner Oma in der Küche auf einem graublauen Küchenstuhl, den man drehen konnte und gefährlich weit damit hochfahren konnte. So weit, dass nur noch ein dünner Stab ihn hielt, der dann auch gerne aus der Verankerung kippen wollte (und manchmal ist!!! Was die Oma nicht gerne hatte). Und meine Oma, die an hohen Festtagen Knödel aus der Packung gemacht hat. Und die waren aus Pulver: Halb und Halb, 12 Stück und wir haben immer sehr gelacht, was das wohl für Schusser sein müssten. Wir bekamen maximal zehn raus.

Die wurden in einer silbernen Schüssel gerührt und man musste sie dann stehen lassen, damit der Teig fest wird. Mir hat selbst dieser Teig geschmeckt. Vielleicht war es auch die Vorfreude auf Gans, Schweinebraten oder Gulasch. Oder weil alle zusammen kamen? Eindrücke, Erinnerungen und Vorlieben sind ja selten isoliert für ein wohliges Gefühl verantwortlich. An die Gulaschnostalgie hat dann auch noch meine nichtgernekochende Mutter angeknüpft und so hat sie heute einen sicheren Platz in meinen Erinnerungen. Derweil mache ich es wahnsinnig selten, vergesse ganz oft, dass ich es überhaupt kann und wenn, dann mache ich es auch ganz anders als alle zuvor. Der Eindruck und die Gefühle sind jedoch genau die gleichen. Es ist sozusagen das Gold unter den Gerichten. Selten, dafür wertstabil. Hab noch zwei Knödel und ein kleines bisschen übrig….

An Schönheit gewöhnt

Am Wochenende waren wir in einer herrlichen Bergregion, einem wahren Traumland, in dem Wein und Äpfel sprießen, Sportler ungestört an ihrer Karriere basteln können und jeder jeden kennt. Geht man dort zum Semmeln holen, kann es durchaus sein, dass man erst Stunden später zurück nach Hause kommt, weil es immer einen gibt, mit dem man ratschen kann. Über den Handballverein, die Immobilienpreise, dass dieses oder jenes Paar ein Kind erwartet, sich getrennt hat oder was sonst eben noch alles im menschlichen Leben geschieht. Das Klima ist gemäßigt, scheint die Sonne, dann strahlt sie vom Himmel, schneit es, wird der kleine Ort in eine Märchenlandschaft verwandelt, von überall her strömen die Menschen sehnsuchtsvoll, um sich von einem Wochenende dort Ruhe und Entspannung für die nächsten Arbeitswochen mitzunehmen. Und offenbar nehmen sie sie den armen Einheimischen weg. Welch ein Skandal.

Denn wie so oft sehen die meisten Menschen, die dort leben, die Schönheit und Idylle längst nicht mehr. Das kommt so vor, wie bei dem Sprichwort von der schönen Ehefrau: nach ein paar Wochen hat man sich daran gewöhnt und ärgert sich über genau dieselben Dinge, wie bei einer nicht so schönen. Undankbar eigentlich, oder? Aber eben auch menschlich. Das ist wohl eine Überlebensstrategie des Menschen: sich an Dinge zu gewöhnen, sie nicht mehr zu sehen, nicht mehr zu riechen, nicht mehr zu spüren. Das kann gut oder schlecht sein. Bei Schonhaltungen zum Beispiel hat sich der Körper so sehr an den Schmerz gewöhnt, dass er dann halt krumm und schief geht, anstatt die Ursache anzugehen. Und dann gibt es ja auch Menschen, die ziehen gerne dieselbe Kleidung ein paar Mal an und finden nicht, dass sie riecht oder sie waschen Sofadecken nicht. Oder Kissen. Oder Tischsets. Ich werde da fast wahnsinnig, weil ich nicht finde, dass Gebrauchsgegenstände einen Eigengeruch entwickeln müssen. Nicht dürfen. Und nein, ich sehe darin keine Zwanghaftigkeit meinerseits und auch keinen Waschzwang, sondern die praktikable Nutzung moderner Technik. Wie einer Waschmaschine. Ich hatte in letzter Zeit einfach zu viele Zusammenkünfte mit riechenden Menschen, ich muss es verarbeiten, ihr müsst da durch, tut mir leid.

Aber nun bin ich tatsächlich abgeschweift, was mir ja sonst nie passiert…..In dieser wunderhübschen Gebirgsregion suchen sich die Menschen, weil Glück und Unglück offenbar überall auf der Welt ein Nullsummenspiel sein müssen, eben Unglücksherde, die andernorts belächelt würden. Das ist an sich völlig normal. Lebt man im Krieg, wünscht man sich nur Frieden. Lebt man im Frieden, wünscht man sich einen flacheren Bauch, ein schnelleres Auto, eine größere Wohnung, etc. Vieles davon hat mit meiner geliebten Maslowschen Bedürfnispyramide zu tun. Aber ganz ehrlich: wenn es nach der ginge, müssten und könnten sich die Menschen dieser harmonischen Gebirgsregion durchaus mit der Selbstfindung und mit ein wenig Altruismus befassen, anstatt über ihr hartes Leben bei denen, die weggegangen sind, zu jammern. Und vielleicht macht soviel harmonisches Einerlei einfach auch matschig im Kopf und lässt die Synapsen ermatten. Kann auch gut sein. Wer sich nie anstrengen muss, wird sicherlich kein besserer Mensch dadurch. Glück entsteht auch durch bewältigte Herausforderungen.

Vorhang auf, Bühne frei!

Manchmal, nein oft sogar, bringt die Recherche für Artikel tatsächlich nicht nur Lesern, sondern auch mir einen Mehrwert. So zum Beispiel bereits in unseren römischen Sommerferien, in denen wir das Sommerkino und die Notte Romane entdeckt hatten. Warum nicht auch in Paris? Nach einem denkwürdigen Bummel zu Kenzo, Pardon, H&M, den ich alleine gemacht habe, weil selbst mein Mann nur begrenzt belastbar ist, haben wir einen herrlich sonnigen Mittag beim Essen vor dem Louvre verbracht. Allerdings, so fällt mir nun ein, ist es beleibe nicht mit einer solch lapidaren Beschreibung meines Ausflugs zu den Champs-Elysées getan. Dort angekommen nämlich – im Schweinsgalopp, weil die Luft so schön war, die Straßen so leer und Paris an sich auch ganz nett sein kann – hatte ich mich schon gewundert, warum Menschentrauben auf der Straßen stehen. Sie standen da, weil sie nicht auf die Heiligen Felder konnten, ohne vorher eine Taschenkontrolle und Leibesvisitation zu durchlaufen. Paris rechnet mit dem Schlimmsten und tut gut daran. An sich beruhigend in Zeiten wie diesen, zumindest für mich. Man fragt sich dann automatisch, was tun im Ernstfall? In ein Geschäft rennen? Nein. Wahrscheinlich nicht. In eine Metrostation? Auch nicht. Einfach stehen bleiben? Kommt drauf an. Aber Tatsache ist, Paris hat seine Unschuld verloren und mitten im schönsten Moment, das kann beim Essen in einem Restaurant sein oder beim Bummel auf dem Trocadero, schießt der Gedanke durch den Kopf: Was wäre wenn? Wäre jetzt nicht der perfekte Moment für einen Anschlag?

Den Parisern merkt man solche Gedanken natürlich ebenso wenig an wie alle anderen Gefühle. Außer Genervtsein. Das sieht man ihnen 24/7 an. Es ist ihnen ins Gesicht gemeißelt. Und warum das so ist und wie man selbst auch möglichst so wird, haben wir abends in einem Theaterstück gelernt, das ich – wie gesagt – durch Zufall bei einer Recherche entdeckt hatte. In einem wahrlich sehr effizienten Theatersaal, was die Sitzanordnung angeht, steht für eine Stunde ein Pariser, der schon auf den ersten Blick und das erste Wort außergewöhnlich genannt werden kann. Warum? Er hat ein Bäuchlein und er spricht fließend Englisch. Und das Wichtigste an seinem Sprachtalent: er ist auch bereit, es im Umgang mit Nichtfranzosen zu nutzen. Andererseits bekommt er Geld dafür und vielleicht ist er im Privatleben auch einer von denen, die einen mit gerunzelter Stirn anschauen und stereotyp fragen „Comment??“. Egal. Seine gesamte One-hour-Show ist auf Englisch und erklärt, wie man in ebendieser Stunde zum Franzosen wird. Egal ob im Restaurant, in der Metro oder in Zwischenmenschlichen: Pariser sind genervt und zeigen keinerlei positive Gefühle. Das war die Quintessenz dieser lehrreichen Stunde. Um Gegensätze zu verdeutlichen, arbeitete der Entertainer mit dem Publikum. Da war zunächst Sonja aus Saarbrücken, die parisierisch tanzen sollte, aber der Star und Glücksgriff des Abends war Mr. George aus Prescott, USA.

Ganz im Gegensatz zum Pariser Entertainer, der vier Jahre seines Lebens in den USA verbracht hatte, war dieser fröhlich, wohlwollend und bereit, über jeden noch so kleinen Witz zu lachen und sich rundum prächtig zu amüsieren. Er war eine Offenbarung und durfte zum Schluss auf die Bühne, wo er eine Abschlussprüfung bestehen sollte: Grimmig schauen, Taxifahrer schlecht behandeln und französisch tanzen. Es gelang ihm mit Bravour, er hat ein Zertifikat dafür bekommen und sich mords gefreut. Wie er bei der Rückkehr in die Heimat auf die dortigen Entwicklungen reagiert hat, werden wir nie erfahren, aber vielleicht hat er mit genau demselben pragmatischen Optimismus ja auch „Le Trump“ gewählt und amüsiert sich nun auch darüber prächtig. So oder so, Laune scheint ein Grundhaltung zu sein. Hier wie dort. Mal braucht man sie mehr, mal weniger.

Mittagsbummel auf den Champs-Elysées

Es gibt Dinge, die passieren einem eher in Paris als in Augsburg. Obwohl Vieles von dem, was ich zu schreiben plane durchaus auch dort passieren könnte, wenn ich es mir genau überlege. Wollen mal sehen. Heute Morgen zum Beispiel war ich auf der Suche nach einem möglichst sehr warmen Pulli, weil es in dieser Wohnung zwar saunaartige Zustände hat, wenn man reinkommt, sitzt man aber über Stunden da und tippt vor sich hin, kühlt es sakrisch aus, wie der gepflegte Bayer sagen würde. Dann ist man froh um einen wärmenden Rolli. Zum Glück habe ich für solche Eventualitäten vorgesorgt und immer und überall einen schwarzen Rolli zur Hand. So viele, ich muss es zugeben, sind es inzwischen, dass ich sie bestenfalls noch an der Enge des Kragens unterscheiden kann. Die ist für mich nämlich immens wichtig. Ich hasse so Halbheiten, wenn der Rollkragen nicht anliegt. Wozu brauche ich ihn dann bitteschön? Jedenfalls habe ich heute Morgen ganz unten drin meinen allerältesten und heißgeliebten ersten schwarzen Kaschmirrolli gefunden. Was war das für eine Wiedersehensfreude!!! Ich habe diesen speziellen allerdings nicht am Kragen, sondern an den liebevoll aufgenähten Lederflicken am Ärmel erkannt. Die habe ich vor über zehn Jahren in Wien in einem Kaffeehaus durchgewetzt und ich sehe heute noch die Tränen der Rührung in den Augen meines geliebten Gatten. Um solche ärgerlichen Notstände künftig zu vermeiden, habe ich seitdem in steter Folge und mit nie ermüdendem Eifer immer wieder für Nachschub gesorgt und ich nehme auch auf fast jede Reise einen mit. Nur nicht, wenn wir im Frühjahr auf meine Geburtstagsreise gehen. Da bin ich voller Hoffnung und friere dann bitterlich. Oder kaufe einen neuen, aber meist gibt es sie nicht mehr, weil die Frühjahrsmode gerade rausgekommen ist. Unpassenderweise, zumindest, wenn man sich nach den Temperaturen richtet, was ich ja leider auch nicht tue….

Mit dieser kleinen Nischenleidenschaft bin ich jedoch beileibe nicht alleine auf der Welt wie mir gerade ein Blick in die heutigen Gazetten verdeutlicht hat. Es gibt andere Frauen auf der anderen Seite des Ozeans, die haben eine – weitaus fatalere – Leidenschaft für unpassende Blusen. Blusen, die den Busen ganz schaurig einrahmen oder betonen. Und das dann auch noch in fragwürdigen Farben und nicht in schlichtem schwarz, was fast immer das Schlimmste mindern oder nivellieren kann. Und was natürlich erschwerend hinzukommt: ich trage meine schwarzen Rollis zuhause am Schreibtisch oder mal beim Essen oder einfach den ganzen Winter durch. Diese Frau überm Meer trägt sie in einer sexistisch aufgeheizten Wahlkampfrede, angeblich um ihren Mann zu unterstützen. Das ist ungefähr so hilfreich, wie einem Diabetiker erst mal ein Nutellabrot zu schmieren. Egal, das soll nicht unsere Sache sein. Ist es für meinen Geschmack eh schon viel zu viel.

Was ich aber eigentlich berichten wollte, fand gestern auf den Champs-Elysées statt. Weil es also kalt in der Wohnung war und ich einen kleinen Hänger hatte, bin ich an die frische Luft und da das Wetter herrlich und ich so richtig in Schwung war, bin ich ziemlich weit gekommen bei meiner Wanderung. Entlang der Straße wurde schon der Weihnachtsmarkt mit allem Drum und Dran aufgebaut. Der Anblick eines halben Riesenrads beweist übrigens erneut wie fragil all diese technischen Fahrgeräte doch sind, aber das nur nebenbei. Auf meinem weiteren Weg habe ich dann aus den Augenwinkeln etwas sehr Buntes wahrgenommen. Ein Schaufenster mit SEHR floralen Motiven und einer Tafel mit Uhrzeiten. Die Uhrzeiten waren tatsächlich die Zeiten, zu denen man die Kenzo-Sonderkollektion bei H&M anschauen und kaufen durfte. Bereits auf den Tafeln war zu lesen, dass man sich gefälligst ordentlich zu benehmen hätte. Offenbar habe aber nur ich die gelesen. Drinnen ging es nämlich wirklich wüst zu. Ich war ja zum ersten Mal bei sowas. Und nicht nur, dass ich jetzt viele Worte für „Das probiere ich gerade, lassen Sie bitte ihre Finger von meiner eigenen Jacke“ und „Das sieht schrecklich aus“ kenne, weiß ich jetzt auch, dass es bei H&M nur wenige Spiegel im Verkaufsraum gibt und dass Französinnnen keineswegs immer so verruchtes Zeugs drunter tragen wie sie uns immer glauben machen wollen. Alles in allem war es ein hochinteressanter Mittag, den ich nun bei ruhigen Tätigkeiten zu verarbeiten gedenke.

Impact Investing

Das Gehirn hat eine vorherrschende Arbeitsweise: Es versucht neue Anforderungen und Aufgaben so schnell wie möglich als Routinen und Standardprozesse zu definieren, weil alles, was standardisiert ist, weniger Energie kostet und somit Ressourcen geschont werden. Was dann allerdings mit all den geschonten Ressourcen geschieht, nutzt man sie nicht für irgendetwas anderes und studiert zum Beispiel in seiner Freizeit Philosophie oder trainiert zumindest mit fünf Orangenn das Jonglieren, wissen wir leider auch ganz genau. Die solchermaßen geschonten und nicht genutzten Ressourcen verkümmern, schauen sich noch einmal traurig um und ziehen dann leise die Türe hinter sich zu, um erst mal zu verschwinden. Bestes Beispiel sind unsere Muskeln. Wer schon einmal etwas gebrochen hatte, weiß, dass sich die Muskeln innerhalb weniger Tage zurückbilden. Zumindest können sie relativ schnell wieder aufgebaut werden. Bei vielen Teilen des Gehirns geht das zum Glück auch, wie ich jüngst erfahren durfte. Denn mein Hirn hatte in der letzten Woche wahrlich viel Möglichkeit, die Muskeln spielen zu lassen. Ich habe es sozusagen vertikal und horizontal gefordert.

Vertikal durch das Zusammentreffen mit Menschen aus völlig anderen Lebensbereichen. Die von ganz anderen Dingen umgetrieben oder eben auch nicht werden als ich. Die auf gänzlich anderes Wert legen und das, was ich ziemlich wichtig finde, total ignorieren. Die für eine dreitägige Reise genau ein Polohemd, ein Sweatshirt und eine Hose mitnehmen und das natürlich dann auch beim Wandern, beim Abendessen und in der Stadt tragen. Ich hätte schon Angst, dass mir das Frühstücksbrot mit der falschen Seite runter fällt (übrigens ist das nicht persönliches Pech, wenn das passiert, sondern reine Physik, weil die Seite mit der Butter und der Marmelade die schwerere ist, hab mich da mal informiert, weil es über Kassenschlangen, die immer bei mir am längsten sind, nichts Brauchbares gab). Die sich dafür stundenlang über Hamburger Ortsteile auslassen können. Oder wiederum Menschen wie ich sie im letzten Beitrag beschrieben habe. Die einfach aussteigen und dann aber im Aussteigen genauso weiterleben wie daheim und ihre Partner eben dann mit dem Material vor Ort betrügen, also gänzlich ortsungebunden. Aus sich selbst steigt man eben doch nicht ganz aus. Um es kurz zu machen: Menschen, deren Leben man nicht kennt und die allein schon dadurch neue Aspekte ins Gehirn bringen.

Gestern wiederum war ich beim Abendessen mit einem zauberhaften – nun erwachsenen – Mädchen, die mich schon vor zehn Jahren sehr beeindruckt hat, weil sie bereits damals recht klar wusste, was sie einmal tun möchte und ziemlich genau das heute auch tut. Und das nennt sich „Impact Investing“. Dabei geht es darum, Geld in Einrichtungen oder Unternehmen zu stecken, die nicht nur einen finanziellen Output bringen, sondern auch einen sozialen oder ökologischen. Unternehmen, die sich vereinfacht gesagt, um die Verbesserung der Welt kümmern. Wie auch immer die aussehen soll. Das sind erst mal ganz wunderbare Ideen und ich glaube, dass es diese zu jeder Zeit der Weltgeschichte schon gab. Das Mittelalter hat vermutlich neben vielen grausamen auch prozentual gesehen mindestens genauso viele geniale Philantrophen hervorgebracht wie unsere heutige Zeit. Leider krankte die Idee damals wie heute immer schon am Phänomen der Maslowschen Bedürfnispyramide und der Tatsache, dass 99% aller Menschen sich noch mit der ersten oder zweiten Ebene derselben herumschlagen und es ihnen relativ wurscht ist, ob die Pole schmelzen, Tiere leiden oder Wasser knapp wird. Sie wollen eine trockene Wohnung, jeden Tag Fleisch essen und einen Flachbildfernseher. Schöner ist es allerdings – unabhängig davon, ob man all das hat -, sich mit den beflügelnden Persepktiven des Machbaren zu befassen und damit vielleicht sogar selbst den Weg zu einem höher entwickelten Dasein zu beschreiten. Hinauf sozusagen. Dabei hilft satt sein. Zu satt allerdins nicht. Das hemmt dann eher.

Aussteigen

Wir waren über’s Wochenende in Okzitanien. Das ist in den französischen Pyrenäen. Und dort in einem ganz reizenden kleinen Weingut, das natürlich, weil es bei den Franzosen ist, gleich ein Chateau ist. Das wird von einem sehr korrekten und freundlichen Ehepaar geführt, nachdem es vorher auch von ihnen renoviert worden ist. Sie betreiben es als Chambre d’Hote und wie wir seit der Ankunft wissen, ist das dann kein Hotel, sondern bedeutet lediglich Gastzimmer. Sehr, sehr hübsche Gastzimmer. Und wenn man sich von Anfang an nett und ordentlich benimmt, darf man auch am Abend in der großen ehemaligen Gesindeküche das essen, was Madame Veronique mit Liebe und vor allem Kunstfertigkeit gekocht hat. Dazu brennt ein loderndes Feuer im Kamin, der über eine Größe verfügt, dass Kühe ohne sich zu bücken prima reinpassen und sich zwei der nachts um Haus mäandernden Wildschweine fast schon darin verlören. Auf die Wildschweine passt übrigens des nächtens Karli auf, ein ziemlich großer Rottweiler mit einer sensiblen Gemütslage. In der ersten Nacht musste er seinen Verteidigungsaufgaben so nachdrücklich nachkommen, dass er die nächsten zwei Tage – sogar für uns, die wir ihn erst einen Tag lang kannten – völlig verändert, ja fast schon depressiv war. Ich fürchte, wir haben uns mehr Sorgen gemacht als die Besitzer…..

Das Ehepaar Xavier und Veronique sind neben ihren exzellenten Gastgeberqualitäten ein wunderbares Beispiel für erfüllte Lebensträume. Bestimmt haben sie sich während der Kinderaufzucht (sie sind so alt wie wir), in den Jahren der durchwachten Nächte und den hohen Wellen der Pubertät immer wieder ausgemalt, wie herrlich es werden wird, wenn sie erst mal alles hinter sich ließen und sich ein kleines Weingut kauften, es renovierten und dann darin glücklich für immer darin lebten. Das ist ihnen – wie wir Franzosen sagen würden – formidable gelungen. Die Gegend eignet sich sowieso ganz einzigartig gut dafür, sich Lebensträume zu erfüllen. Sie ist nicht superbekannt, landschaftlich einmalig schön, wild, sanft und klimatisch ausgewogen. Es gibt tolle Farben und großartigen Wein, mehr Wildschweine als man essen kann – was könnte ein Herz mehr begehren? Hinzu kommt, dass es sich um einen eher sehr armen Teil Frankreichs handelt und Häuser im Traumbereich und Budget von ganz normalen Leuten liegen. Und so findet man – zumindest vermögensmäßig – ziemlich normale Ausländer hier. Keiner muss in Saint Paul Angst haben, von einem Ferrari beim Croissant holen überfahren zu werden oder dass einem nachts ein randalierender Russe in den Pool kippt und dann auch noch verklagt. Solche Nöte kennt Okzitanien nicht. Weder gibt es Pools noch Oligarchen.

Dafür finden Menschen wie ich, die ihr Leben lang gelesen haben und dabei natürlich auch über die ein oder andere Beschreibung schrulliger Aussteiger gestolpert sind, ebendiese in einer Reinkultur, die normalerweise zu Misstrauen anregt. Von der betagten Französin, die einen dunklen Wuschelkopf und eine runde schwarze Brille trägt, dazu raucht und wie ein Bierkutscher fluchen kann über ein Schweizer Ehepaar, das zwar eines der teuersten Anwesen in der Umgebung gekauft hat, dies aber vermutlich nur kann, weil sie aus Überzeugung von dem leben, was sie auf den Äckern finden und sich – vermutlich ebenfalls aus Überzeugung und dem Augenschein nach – noch niemals die Haare geschnitten oder gewaschen hat, bis hin zum schrulligen englischen Ehepaar, das in keinem englischen Roman besser beschrieben werden könnte (sie mollig und aufgekratzt, er in Kordhosen und etwas trottelig-verträumt), werden alle Klischees bedient. An sich würde nur noch ich fehlen, die mit all ihrem Vorwissen, um nicht zu sagen Vorurteilen, dort für einen Sommer in ein verträumtes Häuschen zieht, alles richtig durchmischelt und dann darüber schreibt. Bin nicht sicher, ob ich hören möchte, wie sie mich dann beschreiben würden.