Der Oscar für Leo

Ich bin kein großer Cineast und auch den Fernseher habe ich eher nebenbei laufen, weil ich in den Werbungen meist so abgelenkt bin mit Küche aufräumen, was zum Essen holen, Bett aufdecken, telefonieren, schnell was im Internet suchen, Emails schreiben, Blogs schreiben, ach, was man halt so tut, während günstige Urlaubsreisen und scheußliche Autos angeboten werden. Meist habe ich dann den Anschluss verpasst und vielleicht war es bei einer dieser Werbepausen, dass ich die erste Filmkritik zum „Revenant“ gelesen habe. Dem Film, der Leonardo di Caprio heute Nacht endlich zum Oscar verholfen hat. An sich handelte der Artikel vom Regisseur, von Alejandro González Iñárritu, der als erbarmungs- und kompromisslos gilt in der Branche und von Schauspielern wohl geliebt und gefürchtet wird.

Was mir an der Beschreibung des Films von Vornherein gefallen hat, war, dass er so gedreht wurde, wie ich mir das wünsche. Handlungschronologisch und ohne künstliches Licht. Das finde ich so viel authentischer als Anfangs- und Schlussszene an einem Tag zu drehen, bloß, weil sie am selben Ort stattfindet oder ein Schauspieler nur an diesem Tag kann. Ich fühle mich als Zuschauer, der zwischen den Szenen vielleicht fürchterlich leidet, verhohnepipelt, wenn an sich schon alles feststeht. So hintereinander gefällt es mir besser. Ein Abbild der Realität quasi. Ein Happy End sollte es aber dennoch geben, denn wer plagt sich schon gerne durch einen Film und steht dann vor einem offenen Ende oder gar einem schlechten?

Leonardo di Caprio hat für seine meiner Meinung nach unfassbar authentische Darstellung zu Recht den Preis bekommen. Ich finde sowieso, dass er all seine Rollen gut wählt und sich dabei keinesfalls schont, was speziell bei diesem Film so Manchen schockt. In meinem Bekanntenkreis gibt es eine reizende Herrenrunde, allesamt gstandne Mannsbilder von beeindruckendem Format, die allerdings fast schluchzend aus dem Film gegangen sind, was ich mir nur so erklären kann, dass sie sich als Männer eben sehr mit dem Helden identifiziert haben, wie das eben auch bei Superman oder James Bond der Fall ist und das hat ihnen nicht gut getan. Langer Rede, kurzer Sinn: Herzlichen Glückwunsch, Leo! Und auch herzlichen Glückwunsch zur Oscarrede, in der er nicht einem einzigen Menschen gedankt hat, sondern sich völlig auf sein Anliegen, die Klimaerwärmung, konzentriert hat. Allein das finde ich einen Oscar wert.

Schmelzende Pole? Eine Milliarde Chickenwings!

Seit ich letztens versucht habe, meinen Gefrierschrank in Windeseile abzutauen, ist es mir – ich weiß, dass man darüber keine Scherze macht – wirklich ein Rätsel, wie das ewige Eis, die Pole oder was auch immer, schmelzen kann. Wir müssen uns ja aufführen wie die Irren! Selbst mit Föhn hat es ewig gedauert und über die Energiebilanz möchte ich mir überhaupt keine Gedanken machen. Und während ich so da lag, den Föhn in der Hand, immer überlegend, ob es für mich böse enden könnte, wenn ein Tropfen Schmelzwasser ins Gerät tropft, hatte ich ausreichend Zeit, über Eigenverantwortlichkeit und Massenskrupelosigkeit nachzudenken. Darüber haben wir schon oft gesprochen. Über die Standhaftigkeit, die es braucht, seine Überzeugungen als Einzelner ohne weiterreichende kämpferische Absicht durchzuziehen.

Zieht man in die Welt mit dem festen Ziel, ein Revolutionär zu werden, ein Anführer der Gegenbewegung, trägt einen das Gefühl, Massen zu mobilisieren und einer Gruppe vorzustehen, als Einzelner aber sein Ding durchzuziehen, ungeachtet aller Fakten drumherum, erfordert riesige innere Überzeugung. Denn immer poppt im Hintergrund das Schild hoch: Prima, dass ich die Papierhülle vom Joghurtbecher abziehe und mit Tasche zum Einkaufen gehe, inzwischen gibt es aber über 23.000 Starbucks-Filialen und das ist nur eines von zig Unternehmen, die ihren Geschäftserfolg fast ausschließlich auf Umweltverschmutzung und Ressourcenverschwendung aufbauen. Geht man morgens durch die Straßen, hat mindestens jeder dritte einen Pappbecher in der Hand. Vielleicht mit Biokaffee drin, aber die Verpackung ist sicher nicht bio.

Junge Menschen sprechen vollmundig von Tierschutz und tragen wie ferngesteuert alle dieselben Jacken mit Fellkapuze. Ich bin zwar nicht mehr ganz jung, aber leider auch keine Ausnahme. Allerdings hat sich bei mir ein Schalter umgelegt, als ich in Venedig neben einem Geldautomaten, und zwar so, dass man nicht anders konnte als es zumindest im Peripherblickfeld zu haben, ein Foto der gehäuteten Tiere, die zu Milliarden an Jacken enden, gesehen habe. Schade, dass es sich nicht wenigstens um die Milliarde Tiere handelt, die anlässlich des Superbowls in den USA binnen einer Nacht (sic!) gegessen, zumindest verkauft wurden. Das waren Chickenwings. Da haben die Sportbegeisterten nämlich das Gefühl, etwas Leichtes zu sich zu nehmen. Gefrierschrank ist abgetaut, Kaffee im Porzellanbecher, Weste aus Plüschfell angezogen.

Manche Männer und Menschen

In einer fröhlichen Tischrunde fiel zu später Stunde einmal der denk- und zitierwürdige Satz: „Das gilt jetzt aber für alle Menschen, auch für Männer!“. Was haben wir gelacht und uns auf die Schenkel geklopft. Das ist so lange lustig, so lange man leben kann wie wir es zum Großteil tun. Vielen Frauen hingegen mögen Männer durchaus wie eine völlig fremde Spezies erscheinen. Eine, die aus Spaß oder Frust zuschlägt, ausbeutet, verhöhnt, missbraucht. Wie bei den meisten Paralleluniversen bekommen wir in unserem selbst gewählten Mikrokosmos aus Freunden, Traummännern und Familie nicht sehr viel davon mit. Oft blenden wir selbst beim Medienkonsum Nachrichten mit bestimmten Inhalten einfach aus. Aber manchmal dringen sie eben doch zu uns durch. Wie die Begnadigung von Madame Jacqueline Sauvage in Frankreich. Seit ihrem 19. Lebensjahr wurde sie demnach von ihrem Mann misshandelt bis sie ihn schließlich nach 47 Jahren Martyrium erschossen hat.

Diese Frau hatte Nachbarn, hatte Familie, arbeitete in einem Unternehmen. Bestimmt haben einige gewusst, dass ihr Mann nicht gerade zimperlich war. Oder noch perfider, er war es nur zu hause hinter verschlossenen Türen nicht und in der Öffentlichkeit ein Charmeur. Die Damen, die ihr beziehungsweise das Geld ihrer Zuhälter auf den Straßen Roms verdienen müssen, werden hingegen völlig sichtbar platziert. Sie werden präsentiert, wo sie gesehen und nachgefragt werden: in aller Öffentlichkeit an der Straße. Zum Beispiel gegenüber des Pinienhains in Ostia, den Familien am Wochenende zum Picknicken, Spielen und Erholen nutzen. Wenn der Papa dann gegessen hat, überquert er die Straße und holt sich sein Dessert. Da Kontrollen und Verbote naturgemäß nichts ausrichten konnten, wurde nun zu einfacheren Mitteln gegriffen. Die Stadt hat äußerst massive und imposante Holzbalken entlang der Straße angebracht, damit Autos nicht mehr halten können. Was nämlich bei einigen Männern offenbar noch ausgeprägter ist als der Trieb, ist die Faulheit und wer nicht einfach vorfahren kann, spielt halt eine Runde Pingpong mit dem Sohnemann. Oder geht auf einen Karnevalsumzug.

Die libanesische Journalistin Joumana Haddad hat als Erklärung, Antwort und Aufruf auf all diese Umstände völlig zu Recht einen Gastbeitrag in der Zeit veröffentlicht, in dem sie – hört, hört – Ursache und Mitverantwortung solcher Miseren auf die Frauen, respektive Mütter zurückführt. Sie hätten die Möglichkeit, Kinder zu besseren Männern zu erziehen, zu Männern, vor denen sich keiner fürchten muss, zu Männern, die eben auch Menschen und keine triebgesteuerten, verwöhnten Idioten sind.

Weiße Mäuse

Warum eigentlich gerade weiße Mäuse? Was ist schon so besonders an ihnen? Ich selbst habe nur mal eine einzige im Zoo gesehen, nicht mal im alkoholisierten Zustand sind sie mir untergekommen. Aber offenbar handelt es sich bei ihnen um ausgesprochen wehrhafte Tiere. Wird man – so unsere Tageszeitung – von einem Vergewaltiger bedroht, also nicht in der Art, wie man sich in Paris vor Betreten eines Geschäftes entblößen muss, sondern so richtig, dann wird vorgeschlagen, man solle kess ausrufen: „Ach, schau doch mal, da tanzen sie, die weißen Mäuse!“. Dieses regelunkonforme Verhalten soll den Vergewaltiger von seinem garstigen Planen und Tun abhalten und wieder auf den rechten Weg führen. Zumindest soll es dem Opfer Handlungs- oder Fluchtzeit geben. So weit, so gut.

Paradoxe Intervention, meine absolut liebste Wortkombination und Handlungsmaxime, hilft ja so manches Mal. Ist eine Verkäuferin so richtig biestig, kann sie nichts leichter aus der Fassung bringen wie unerschütterliche Freundlichkeit. Zieht einer an einem Ende, lässt man am besten los. Rempelt einer wüst, um als erster am Buffet zu sein, genügt oft schon ein freundliches „Bitte, nach Ihnen, Sie haben bestimmt viel mehr Hunger als ich!“. Die Menschen gehen ja meist mit einem fix und fertig geschriebenen Skript oder Drehbuch durchs Leben. Ich auch übrigens und so habe ich es laut meinem Mann zur absoluten Meisterschaft in der Disziplin „präventiver Vergeltungsschlag“ beim Flughafen – oder Hotelcheckin gebracht. Erinnert mich eine an eine Handarbeits- oder Deutsch/Mathelehrererin, hält mich rein gar nichts mehr. Wer mit mir in der Klasse gewesen wäre, wüsste, warum. Ich übertrage dann alle schlimmen Eigenschaften auf diese arme Person und fauche blindlings durch die Gegend.

Erschütternd für mich ist es dann, wenn mir ein freundliches, am Ende gar herzliches Lächeln erwidert wird. Dann bin ich völlig entmachtet und an sich recht zauberhaft. Aber ob das bei einem Vergewaltiger auch klappt? Begegnet man einem Bären, soll man sich ja, egal wie er aus dem Maul stinkt oder sich gebärdet (hihi), in jedem Fall ruhig halten, bloß nicht bewegen, weil das Dummerle dann denkt, man sei tot und dann mag er einen nicht mehr. So haben übrigens auch schon Geiseln überlebt. Um auf den Ernst der Sache zurückzukommen: ich glaube, weder die von Kölns Bürgermeisterin vorgeschlagene Armlänge Distanz noch die weißen Mäuse helfen, wenn einer Böses im Schilde führt, vor allem, weil er im Zweifel die Worte nicht mal versteht und vor lauter Alkohol schon selbst weiße Mäuse sieht. Und ob einem das dann auch alles einfällt ist fraglich.

Hinfallen, aufstehen, Krone zurechtrücken, weitermachen

Nichts ist so schlimm, dass nicht auch was Gutes dabei herauskommt. Das sagen unerschütterliche Optimisten gerne. Wenn sich ein Rechtshänder den rechten Arm bricht und mit links schreiben lernt, wenn nur noch ein bisschen Speck und ein Ei im Kühlschrank ist und man endlich lernen muss, eine Carbonara zu machen und bei vielen anderen Gelegenheiten, bei denen man eher zum Hadern neigen würde. Und ich finde, es ist auch beim Weltklimagipfel und seinem Vertrag vom Wochenende so. Dieser Vertrag – lange errungen – muss so toll und einig sein, dass die Welt darüber staunt. Und egal, ob er Punkt für Punkt eingehalten wird, zählt doch die Einstimmigkeit und Einigkeit, die ihn hervorgebracht hat.

Das Fass für Terror und all die fürchterlichen Missverständnisse und Gewaltnickeligkeiten auf der Welt – und damit meine ich auch die kleinen, die missgünstigen – ist wohl doch voll gewesen, als dieser Klimabeschluss gefasst wurde und nach der Schockstarre und dem Entsetzen hat sich die einzig menschliche Überlebensstrategie herausgeschält: Trotz, Kampfgeist und das Wissen um die eigene Macht. Die Macht zur Veränderung, die Macht, die Dinge in die Hand zu nehmen und zu gestalten. Dem Terror des Augenblicks stehen wir hilflos gegenüber und er lähmt uns, umso wichtiger ist es, sich immer wieder hochzurappeln, seine Ziele wiederzufinden und weiterzumachen.

Das kennt jeder im Kleinen, ob nach einem Schnupfen oder Liebeskummer. Immer gibt es Phasen und die wollen auch alle durchlebt werden, Abkürzungen helfen da nicht weiter, die Phasen achten eifersüchtig darauf, dass sie alle auch wirklich dran kommen und gebührend gewürdigt werden, sonst drängen sie sich in andere, spätere hinein und verursachen ein Mordsdurcheinander. Um bei den Phasen zu bleiben: ich habe Weihnachten, obwohl ich es so sehr mag, bisher sträflich vernachlässigt, aber ab heute läute ich meine persönliche Weihnachtszeit ein. Die Phasen müssen eingehalten werden, nicht dass ich zu Ostern noch Weihnachtslieder singe….

Taufen und andere Feste

Ich bin viermalige Patentante und ich bin es sehr gerne. Die Kontakte gehen von sehr eng bis normal. Es hängt auch immer von dem Verhältnis zu den Eltern und davon ab, wie man zu den Kindern passt. Ich will nicht sagen, dass das vom Sternzeichen beeinflusst wird, aber ein bisschen trägt es schon zur Wellenlänge bei. Ich habe zauberhafte Patenkinder. Keines schlägt – bisher – aus der Reihe. Leider sind jedoch die Taufen eine schwierige Angelegenheit geworden. Galten sie früher noch als pragmatisches Glaubensbekenntnis, das so früh wie irgend möglich abgelegt wurde, damit die Kinder im ersten gefährlichen Jahr auch sicher über die Runden kamen, werden sie heute immer mehr zu gesellschaftlichen Ereignissen mit logistischen Problemen.

Wer ist überhaupt noch in der Kirche? Wem würde ich meine Kinder anvertrauen wollen? Wer könnte für sie sorgen? Wer hätte dieselben Werte? Ich muss gestehen, ich habe ein Patenkind, da würde mir schwummrig angesichts seines aktuellen Lebensstiles und desjenigen, das ihn bei mir erwarten würde, aber von den Werten her kann ich sagen, liege ich mit allen auf einer Linie. Warum treten dann aber soviele Menschen aus der Kirche aus? Oder sind es und möchten ihre Kinder taufen? Sind es tatsächlich die Kirchenskandale? Und warum bringen sie ihr eigenes Kind dann überhaupt in so einen schlecht geführten Verein hinein? Warum belasten sie es mit einer Zugehörigkeit, die ihm – gerade momentan, wo sich abzeichnet, dass Christen bald in der Minderheit sein werden – eher Nach- als Vorteile bringt?

Ich muss zugeben, ganz verstehe ich es nicht. Auch nicht, dass Menschen, die aus der Kirche ausgetreten sind, auf Teufel komm raus kirchlich heiraten müssen? Geht es um das Brimborium, das Fest? Das weiße Kleid? Die Musik? Um was geht es??? Ist das konsequent? Etwas aus welchen Gründen auch immer abzulehnen, aber alle Vorteile mitnehmen zu wollen? Meine Mutter sagt, sie müsse nicht im Schwimmverein sein, um schwimmen zu können. Das ist wohl war. Aber wenn ich weiß, dass der Schwimmverein die Schwimmbäder baut und die Umkleiden zur Verfügung stellt, ist es dann so falsch, sich dazu zu bekennen und etwas beizutragen? Selbstverständlich ist es ein Skandal, was teilweise im Namen der Kirche geschieht, aber es geschieht auch Gutes. Im Momente warte ich angesichts der Fußballkrise gebannt drauf, dass ganz viele konsequente, rechtschaffene Menschen keine Sportschau mehr schauen oder ins Stadion gehen.

Heimat

Heute haben wir eine Dame kennengelernt, die in Augsburg geboren wurde, aber durch den Beruf ihres Mannes viel in der Welt herum gekommen war. Immer, so gestand sie mir, war es ihr Wunsch und Anliegen, zurück nach Augsburg zu kehren. Das ist ihr nach zähem und beständigem Gequengel auch gelungen. Sie kann es selbst nicht erklären, aber es ist stärker als sie. Mir geht es seit ich bewusst über meinen Standort entscheiden kann, genauso. Ich finde es großartig, in Rom zu sein, aufregend in Paris und spannend wo immer ich bin, aber zurück ziehen tut es mich immer nach Augsburg.

Mein Globetrotter-Gemahl ist inzwischen durch meinen steten Tropfen auch sehr durchlässig und freundet sich zunehmend mit einer Homebase an. Ist das nicht schön, dass das Leben in jedem Alter solche Befriedigungen bereit hält? Früher war es das ‚endlich eine eigene Wohnung, endlich essen und ins Bett gehen, wann man will‘, dann ‚endlich das erste Gehalt, Karriere machen‘ und jetzt kommt das ‚hier gehör ich her, egal, was drumherum passiert‘. Ich hoffe, das darf so bleiben und ich fühle mit den Menschen, die tatsächlich ihre Heimat nicht verlassen wollten, aber sich dazu gezwungen sahen. Die gibt es nämlich auch. Nicht nur die, die von der Welle profitieren.

Kein Mensch verlässt gerne seine Heimat, sein ‚da kenn ich mich aus‘, sein Klima. Davon bin ich zutiefst überzeugt. Es gibt die Heimatlosen im Geiste, denen nichts heilig ist, die bedenkenlos alles wegwerfen, was keinen direkten Wert mehr hat, die problemlos von hier nach da ziehen, aber ich behaupte, das ist nicht die Überzahl. Die meisten Menschen sehnen sich nach einer Heimat und wenn sie auch vorübergehend weg waren, so versuchen sie doch immer, dorthin zurück zu gehen.

Cui bono?

Muss uns eigentlich immer Angst gemacht werden? Wenn ein Verbrechen geschieht, fragt man als erstes: Cui bono? Wem nutzt es? Ich finde diese Frage sehr wichtig bei fast allen Belangen im Leben, die man nicht versteht oder die besonders beachtlich sind. Wollen wir mal der Reihe nach vorgehen: noch vor vier, fünf Monaten war die Griechenlandkrise DAS Thema. Nun kräht kein Hahn mehr nach den Griechen, dass ihre Lebensmittel knapp werden, sie keine Arznei mehr haben, die Medizinversorgung schlecht wird, junge Menschen ihre Spardosen plündern, um ihre Eltern über die Runden zu bringen. Die einzige Nachricht aus Griechenland in letzter Zeit war, dass ein Esel auf Santorini eine deutsche Touristin totgetrampelt hat. Was mit den Eseln dort geschieht, ist sowieso keine Meldung wert. War es leider noch nie.

Davor, ja was war eigentlich davor? Ich schau mal im Internet, ob es für sowas eine Seite gibt. Gibt es. Also zu Beginn des Jahres waren es die Anschläge in Paris. Aber dann kam doch ganz rasch Griechenland. Und dann diese Barbaren, die Kulturdenkmäler zerstören und andauernd junge Mädchen und Frauen entführen. Hört man auch nur noch wenig. Tenor von allen Berichterstattungen ist jedoch, dass Angst und Unsicherheit verbreitet wird. Cui bono? Um uns zu warnen? Uns zu nutzen? Um uns in Angst und Schrecken ins Cocooning zu treiben und noch größere Sofalandschaften und Flachbildfernseher zu kaufen?

In den zwei Wochen, in denen ich nicht in Augsburg war, hat sich die Stimmung gewaltig verändert. Man spürt es aus allen Poren. Frauen von Erben, die zunächst alle noch über diese ‚armen Menschen, denen man helfen muss‘ sprachen, haben nun kaum ein anderes Thema als die Verbarrikadierung ihrer Häuser im Sinn. Andere hingegen profitieren pressewirksam von der Unterbringungsnot der Stadt und entmieten ihrerseits Menschen mit Migrationshintergrund, die in ihren Kapitalanlage-Häusern eine Gastwirtschaft betreiben. Diese wiederum, anstatt sich über ihre gelungene Integration zu freuen, nämlich, dass sie schon so eingedeutscht sind, dass sie nun ihrerseits Flüchtlingen weichen müssen/dürfen, gehen verärgert an die Presse. Cui bono? Wohl immer Denselben.

Der erste Eindruck

You never have the second chance to make a first impression. Das kling zunächst schlicht, birst aber nur so vor Bedeutung. Zillionen von Menschen ist das völlig wurscht. Sie waschen sich deshalb trotzdem nicht und ziehen sich auch ihre Kapuzenpullis nicht aus oder putzen sich gar die Schuhe. Sie verlassen sich völlig auf ihre inneren Werte. Ist man ein Genie, mag das funktionieren. Für Normalsterbliche wird das Gespräch jedoch schwierig, wenn man vom Geruch feuchter Wäsche, die zu lange in einem Wäschekorb gelegen hat, fast ohnmächtig wird. Oder wenn ratlos vor einem Gast steht, der durch den Dresscode auf der Einladung ‚come as you are‘ mehr über seine Gepflogenheiten offenbart als ihm Recht sein kann.

Genau das Gegenteil passiert gerade an deutschen Bahnhöfen. Teddybären und Windeln für traumarisierte Kinder sind sicherlich eine prima Sache, Decken und Kleidung unerlässlich, Selfies mit strahlenden Politikern und Flüchtlingen halte ich persönlich für eine andere Dimension. Denn es wird nicht so weiter gehen. Sicherlich gibt es in Deutschland ein sehr hohes Lebensniveau für Menschen, die nicht arbeiten (können, dürfen, wollen), aber die Haltung im Alltag wird nicht mehr so sein, dass einem sinnbildlich gesprochen, Teddybären in den Arm gedrückt werden. Und dann muss man sich schon fragen, ob das verantwortungsvoll ist, eine solche Erwartungshaltung zu wecken und in den ersten Momenten zu schüren.

Wie bei vielen Angelegenheiten und Situationen im Leben, ist Euphorie eine Emotion, die wohl überlegt sein muss und die man sich besser erst nach längerer Bekanntschaft leistet. Ich weiß, wovon ich spreche, ich bin bisweilen überschwänglich und mit den Folgen davon muss ich immer wieder leben. Wie beneidenswert sind doch Menschen, die über eine gleichmäßige Stimmungslage verfügen und damit weder positive noch negative Erwartungen wecken. Die in sich offenbar den ganzen Kosmos vereinen und ihn als Maß betrachten. Oder gleichgültig sind. Am besten sind wohl emphatische Stoiker?

#Oktoberfestung

Ich bin natürlich nicht auf Twitter, weil ich mich selten so kurz fassen kann und möchte, dass es in diese paar Zeichen passt. Dass dies auch für viele andere Nutzer eher eine Selbstüberschätzung als Fähigkeit ist, wird an Hashtags wie #Oktoberfestung deutlich. München wird – wie die meisten Klassenersten – darin beschimpft, dass ‚der Bayer‘ lediglich an seinen ungestörten Wiesnbesuch denkt und dort möglichst keine Flüchtlingsproblematik sehen möchte. Hier sind ein paar Bemerkungen (mit insgesamt 1056 Zeichen, statt der twitterbegrenzten 140) angebracht:

München wird seit jeher von Besuchern überrannt.
München ist daran gewöhnt, diese Besucher – egal, wie sie sich aufführen – zu schützen, auch vor sich selbst.
München leistet in den letzten Wochen einen anerkennenswerten Beitrag in der aktuellen Flüchtlingssituation.
München handelt proaktiv und denkt VORHER nach. Schadensbegrenzung ist ein Thema, das erst im zweiten Schritt als politisches Mittel eingesetzt wird.
Münchens Oktoberfest wird zu über 90% von Gästen von außerhalb besucht, für Münchner und nahe lebende Bayern wird in den Medien dafür geworben, ‚in Ruhe‘ auf die Mittagswiesn zu gehen und sich nicht in den Wahnsinn am Abend zu stürzen.
Münchens Sorge bezüglich des Oktoberfestes hängt sich nicht daran auf, dass Oktoberfestbesucher sich gestört fühlen könnten, sondern daran, dass Menschen, die mit einem Handkoffer nach strapaziösen Wochen oder Monaten der Reise hier ankommen, nicht als Erstes von zugezogenen Randalierern mit Bierkrughüten am Bahnhof (sic!) begrüßt werden.
München weiß aus der Erfahrung, dass die Wiesn aufgrund des schlecht vertragenen Bierkonsums mancher Gäste Stammtischparolen Vorschub leistet.
München ist an Neider gewöhnt und weiß, dass man sich diesen erarbeiten muss. Daran arbeitet momentan ganz Bayern.