Ich bin ein Fütterer

Ich habe mal in einer Zeitung gelesen: I’m a typical feeder, ich bin ein typischer Fütterer. Eine bessere Beschreibung gibt es kaum für mich. Was nicht bei drei auf dem Baum ist, bekommt von mir Essen. Sehr archaisch, ich weiß. Anstatt netter Worte (die kann man auch haben, wenn man aufgegessen hat), gibt’s bei mir Pasta, Salat, Hühnchen, Fisch oder auch mal Katzenfutter. Es ist in mir drin und mir ist natürlich völlig klar, dass das in unserer Überflussgesellschaft – nun ja – überflüssig ist. Aber es ist doch einfach freundlich und fürsorglich, jemandem Essen anzubieten und ich persönlich bekomme wohlige Schauer, wenn jemand für mich kocht. Denn Kochen bedeutet auch ein Stück weit Liebe, für den anderen sorgen, sich sorgen, wollen, dass es  Anderen gut geht und vieles mehr. Klar, Liebe kann auch sein, mit jemandem vier Stunden nach einem Paar Schuhe durch die Stadt zu jagen oder mit ihm über den Golfplatz gehen, obwohl man schon beim zweiten Loch suizidgefährdet ist vor lauter Langeweile.

Kochen und Essen hingegen, wen kann das langweilen? In vielen Kulturen ist das Erste, was passiert, wenn man zu Leuten zu Besuch geht, dass man Kleinigkeiten angeboten bekommt. Mezze heißen sie, Knabbereien, Tappas, wie auch immer. Der Gast soll sich wohl fühlen und kann beweisen, dass er dem Gastgeber zutraut, ihn nicht sofort zu vergiften. Und schon ist eine schöne Basis für vieles Weitere da. Es kann sich eine Beziehung entwickeln. Geschäftsessen sind daher nicht nur die Möglichkeit, in Restaurants zu gehen, die man sich privat nie leisten könnte oder würde, Kellner zu schikanieren, die ansonsten einen selbst schikanieren würden oder Dinge zu essen, die man nicht mal aussprechen kann. Ein gemeinsam genossenes Essen verbindet.

Mein Kätzchen und mich verbindet das auch. Da uns das Tete-a-tete in der Garage nicht mehr vergönnt ist und ich sehr engmaschig überwacht werde, treffen wir uns jetzt eben im Garten, ich mit dem Napf und diversen Futterangeboten, sie mit ein paar Kollegen, die allerdings respektvoll warten, bis die Chefin aufgegessen hat. Immerhin hat sie mich aufgerissen und dafür gebührt ihr der Vortritt.

Den aufmerksamen Nachbarn, die immer so ordentlich alles aufwischen, habe ich übrigens eine Packung Nudeln und Dosentomaten in die Garage gestellt. Damit sie nicht immer dieses Katzenfutter essen müssen. Ich bin halt ein Fütterer.

 

 

 

Reparaturen und andere Atemübungen

In einem unkonventionellen Land wie Italien laufen natürlich auch Reparaturen aller Art anders ab. Zum Beispiel unsere Kaffeemaschine. Vor einem Jahr hat sie sich entschlossen, uns nicht mehr zu Diensten zu stehen. Nachdem ich Massimo ja nun lebensnah porträtiert habe, liegt es auf der Hand, dass wir uns an ihn gewandt haben mit der Reparaturfrage. Klar, dass er einen Freund hat. Dieser aber hat offenbar viel zu tun oder ist faul oder beides. Tatsache ist, er hat uns bei einer Saeco versucht weis zu erklären versuchte, dass die Reparatur deshalb fast zwei Monate gedauert hat, weil er auf Ersatzteile aus Deutschland gewartet hat. Er nahm an, dass wir als Deutsche natürlich eine deutsche Saeco hätten. Das ist derart entwaffnend, dass ich nicht mehr viel dazu sagen konnte. Sie war dann auch irgendwann fertig, wir hatten uns inzwischen an Instant-Kaffee und Verbrühungen durch die mechanische Diva namens Pavoni gewöhnt, und mussten die Zurückkommerin irgendwie wieder in den Alltag integrieren.

So wird es uns nun auch mit der Vespa ergehen. Nach einem Jahr Fahrpause, weil ich mir den Fuß doppelt gebrochen hatte, haben wir sie vor vier Wochen Massimo anvertraut und der hat sie fachmännisch zu einem Kollegen gebracht, der sintemal seine Werkstatt neben unserem Condominio, respektive dem Pförtnerhäuschen hatte. Vor einer Woche war sie immer noch nicht wieder da. Massimo wollte lieber mit meinem gütigen Mann alleine zur Werkstatt fahren. Natürlich bin ich mit. Und was ich gesehen habe, hat mir den Schweiß auf die Stirn getrieben. Mein Hochzeitsgeschenk – ein Blechhaufen. Der Lackierer hat sich in den Finger geschnitten und ist über Wochen ausgefallen. Deshalb steht sie nun immer noch auf einem Tischchen und sieht zum Steinerweichen aus. Heute war ich noch mal da. Immer noch derselbe Zustand, nur dass die Fäden jetzt raus sind. Anfangen kann man dennoch nicht. Ich könnte sie aber mitnehmen, man würde sie einfach wieder so zusammen schrauben. Es ist, wie es immer ist: Irgendein Sonderfall kommt immer dazwischen, man muss streiten, sich versöhnen und irgendwie wird’s dann schon. Denn natürlich ist es irgendwie immer etwas ganz Einzigartiges, nie Dagewesenes.

Auf die Art bleibt der Alltag aufregend und vor allem aufreibend. Dass man sich da noch auf Katzenfutter konzentrieren kann, ist mir ein Rätsel. Mehr dazu in Kürze.

Condominiopolizei (Teil 1?)

Eigentlich wollte ich ja weitermachen mit der Vorstellung meiner zauberhaften Wegbegleiter im Trullo. Aus aktuellstem Anlass muss ich umdisponieren und von meinen erstaunlich missgünstigen Nachbarn schreiben.

Trotz all des prachtvollen Essens, des herrlichen Klimas und dem Glück, in Rom leben zu dürfen, schlägt bei ihnen das Else-Kling-Gen durch. Sie sind böse. Dazu muss ich jetzt ein wenig ausholen. Als wir vor fünfzehn Jahren hierher gezogen sind, waren wir junge, arglose Mieter dieser Wohnung. Ich hatte meinem frisch angetrauten Mann eine Steilvorlage bezüglich Ausstattungsmerkmalen der Wohnung gegeben und mich in blindem Vertrauen auf das Ergebnis gefreut. Und sollte nicht enttäuscht werden. Alles hab ich bekommen. Vor allem die Küche mit Terrassentür. Dass die Terrasse um die ganze Wohnung herum geht, ist natürlich noch viel wunderbarer. Wie wunderbar haben wir heute beim vierstündigen Kärchern der Terracotta-Fliesen wieder einmal erfahren. Aber das ist ein anderes Kapitel.

Schnell stellte sich heraus, dass nicht alles ganz hasenrein war mit der Vermietung. Langer Rede, kurzer Sinn: unter wahrlich dramatischen Umständen, nach zahllosen Verhandlungen, Versteigerungen, Anwaltsbesuchen, listigen Tricksereien und nahezu unmenschlicher Geduld von Seiten meines Mannes haben wir die Wohnung zwei Jahre später gekauft. Ich muss nicht extra erwähnen, dass ich mich in dieser Zeit mehrfach unter einer Tiberbrücke schlafen sah…bin eben kein Italiener.

Es gab aber jemanden, der das gar nicht gut fand: unsere Nachbarn auf der vierten Etage. Die Amirellis. Die wollten die Wohnung nämlich für ihren Sohn, den Stefano. Dieser patentierte Mammone sollte bei seiner Mutter bleiben, damit die Familie sich auch wirklich früh, mittags und abends versichern kann, alles, aber auch wirklich alles im Leben richtig gemacht zu haben. Und dann kommen wir. Hinzu kommt, dass der Bruder der Frau Amirelli, eben jener Pilot ist, der immer mal wieder Wasserschäden in seiner Wohnung hat, die er auf uns schiebt. Wir haben deswegen Teile der Terrasse bereits vier Mal aufreißen lassen. 2009 erfolgte dann eine weitere Totalrenovierung. Auch dies durchaus ein eigenes Kapitel.

Kurz und gut, das Tuch gutnachbarlicher Beziehungen war zerschnitten. Sie grüßten uns nicht mehr. Wir dafür schon. Und jetzt, nachdem sie das Condominio auf Schadensersatz wegen psychischem Leid verklagt haben (versucht haben, es zu verklagen, denn das ist lächerlich, wir leben hier schon seit zehn Jahren mit scheußlichen orange verhängten Stützstreben auf der Zufahrt, da beschwer ich mich auch nicht, obwohl mir der Anblick Schauder über den Rücken jagt), suchen sie sich andere Dinge, über die sie sich aufregen können.

Heute Mittag war es Dora, meine kleine graue Katze. Hier in der Anlage gibt es einige Katzen. Wie überall in Rom. Und wie überall in Rom gibt es Frauen, die sich um sie kümmern. Leider sind zwei der Hauptkümmerinnen weggezogen. Sie wurden immer angefeindet, weil sie die Futterbehälter nicht entsorgt haben. Also habe ich der ausgesetzten Dora immer in einem Napf hinter meinem Auto Futter gegeben und den Napf dann ausgewaschen. Heute Mittag war er weg. Ich weiß nicht, was für ein garstiger Mensch man sein muss, um einer kleinen Katze das Futter zu missgönnen. Den ganzen Dreck in der Anlage sehen sie nicht, seit einer Woche liegt eine Zigarettenschachtel vor der Türe, das stört keinen, aber eine kleine Katze. Die Schachtel hab ich weg genommen. Die Katze bekommt ihr Futter jetzt vom sauber gewischten Boden unter dem Napf.

Fortsetzung folgt bestimmt. Leider.

Non ti preoccupare! Unser Faktotum Massimo

Schon der Name sagt alles: Massimo, der Größte, der Inbegriff, das Maximum. Massimiliano heißt der Portiere unseres Condominios, das – ich erwähnte das bereits – in keiner schicken, gar trendigen Gegend von Rom liegt. Unser Condominio am Ziegenberg wurde in den Siebziger Jahren von findigen Projektentwicklern auf die legendären grünen Wiesen am Rande der sich ausbreitenden Großstadt Rom gepflanzt. Zahlreiche Ziegen haben, wie der Name nahe legt, dabei ihre Heimat verloren. Die Lage war es, die diesen Ort mit der gefährlichen Nähe zur Magliana so attraktiv gemacht hat. Ziemlich genau auf der Hälfte zwischen Centro und Flughafen, ausgestattet mit einem riesigen Park und einem großen Schwimmbad war die Zielgruppe der ersten Stunde der gut verdienende Pilot. Viele Wasserschäden später sollten wir unseren höchstpersönlichen Piloten, der mit seiner Frau unter uns wohnt, nicht mehr als reine Bereicherung empfinden können. Aber das ist einen eigenen Blogbeitrag wert.

Zurück zum Condominio. Um die unschätzbare Bedeutung von Massimo verstehen zu können, muss man wissen, dass der Beruf des Hausverwalters in Italien kein sehr angenehmer ist. Führen sich Hausverwalter in Deutschland gerne wie Eigentümer der Wohnblöcke, die sie lediglich verwalten sollen, auf, hat der italienische Hausverwalter mit wesensimmanenten Widrigkeiten der zu Verwaltenden von ganz substanzieller Art zu kämpfen. Der italienische Bürger wohnt nicht umsonst fast ausschließlich im Eigentum, würde am liebsten alles, was er isst noch selbst anbauen und lässt seinen Pass nur bei der Freundin des Cousins verlängern. Das alles hat einen einfachen Grund: völlig zurecht misstraut er allem, was über die erweiterte Familie hinaus geht. Diese Unmöglichkeit, Italiener für das Gemeinwohl zu begeistern, nimmt auch dem engagiertesten Hausverwalter nach ein paar Jahren den Schwung. Er resigniert und lässt zur Strafe seine im Zuge der vergeblichen Verwaltungsversuche vernachlässigte Brut auf die Hausgemeinschaft los. Denen obliegt es nun jeden Sommer, den Poolwart von seiner Aufsichtspflicht durch endlose Kartenspiele abzuhalten oder Hundebesitzer mit Plastikrevolvern in Atem zu halten.

Praktisches und menschliches Bindeglied zwischen den so entstandenen Fronten ist der Portiere. Und unserer im Besonderen. Ich weiß es nicht, wie es ging, auch wieder eine solche Beziehung, bei der man den Anfang nicht genau kennt, aber ohne Massimo wäre unser Leben, vor allem unser Nicht-Leben hier, unvorstellbar. Sind wir nicht da, kümmert er sich mit seiner etwas bulligen Art darum, dass keiner auf dumme Gedanken kommt, die Bewässerungsanlage auf volle Pulle läuft und alles seinen geregelten Gang geht.

Und obwohl er den Großteil der materiellen und immateriellen Segnungen meiner Initiative verdankt, ist es mein Mann, an dem einen Narren gefressen hat. Liegt vermutlich an dessen gleichmäßig freundlicher Art. Mich kann Massimo durchaus hoch auf die Palme bringen. Das ist bei meiner Terrasse einfach. Sind ein paar Blätter welk oder gelb, bekomme ich legendäre Tobsuchtsanfälle, die sich aber sehr rasch auch wieder legen. Mein Mann schüttet dann noch Öl ins Feuer, indem er Massimo wie einen Heiligen verteidigt und schon sind wir mitten in einem Drama epischen Ausmaßes, weil ihm Massimo wichtiger ist als meine Pflanzen und mein Seelenheil. Jede Ehe braucht ihre standardisierten Schaukämpfe.

Da Massimo aus den rauen Abbruzzen kommt, trägt er das alles mit stoischer Ruhe. Manchmal sagt er meinem Mann, dass er sich ein wenig vor mir fürchtet, aber ganz ehrlich, das muss ich als Kompliment für meine Anpassungsfähigkeit ans italienische Leben auffassen, denn ich kenne keinen Italiener, der nicht eine tief verwurzelte Furcht vor der Mamma oder der Ehefrau hat.

Und ganz so schlimm kann ich gar nicht sein, immerhin sind wir heute als quasi Einzige zur Kommunion seiner Tochter eingeladen. Mehr davon in Kürze.

Aggiudicato – der Fisch gehört mir!

Wenn ich nun schon Giulio vorgestellt habe, dürfen die weiteren Lokalmatadore des Trullo nicht fehlen. Also machen wir weiter mit dem Pescivendolo Ivano, dem Fischhändler meines Vertrauens, der auch noch unter dem Zeichen des Fisches geboren ist. Diese kleine Ironie des Schicksals nur nebenbei.

Wenn ich in Rom bin, gehe ich jeden Freitag, manchmal auch noch Dienstag oder Mittwoch zu ihm. Montag hat er zu, weil die Fischer am Sonntag nicht rausfahren.  Samstag geht er nicht zur Fischversteigerung, weil er dann eben zwei Tage zu hat. Ivano und mich verbindet eine lange Zeit mit vielen Höhen und Tiefen. Wie bei allen längeren Beziehungen liegt auch bei dieser der Anfang im Dunklen.

Als junge Ehefrau aus Süddeutschland, die maximal mal bei der Oma eine Forelle blau (nicht gerne) gegessen hat, war mir Fisch – vor allem im Ganzen – ein gruseliges Mysterium. Und als ich noch im Supermarkt gekauft habe, für dessen Besuch ich mir in den ersten Wochen in Rom fast schon Mut antrinken musste (hab ich natürlich nicht), bin ich mit abgewandtem Blick an der Fischtheke rechts vom Eingang vorbei gehastet. Als mich der Anblick all dieser toten Meeresbewohner nicht mehr in Angst und Schrecken versetzt hat, hab ich sie mir genauer angesehen. Meiner Meinung nach lagen dort sämtliche Fischarten dieser Welt und noch mehr: Muscheln, Gamberi, Gamberoni und Tintenfische. Mit Tollkühnheit und einem kulinarisch ermutigenden Ehemann ausgestattet, habe ich nach einiger Zeit meine ersten Orate gekauft und auch zubereitet.  Sehr schlecht können sie nicht gewesen sein, denn wir sind an der Thematik „Fisch“ dran geblieben.

Im Laufe der Jahre wurde ich dann mutiger, nicht nur bei der Zubereitung von Fisch, sondern auch beim Einkaufen. Ich traute mich langsam in die kleinen Geschäfte, wo man mit Verkäufern, meist sind es die Besitzer, sprechen muss, um etwas zu bekommen. Und man muss beileibe nicht nur über das sprechen, was man gerne hätte. Man muss sagen, wie man es zubereiten möchte, was man vom deutschen Fußball, der EU-Politik, dem allgemeinen Werteverfall, der Tragödie, dass keiner mehr Geld für Essen ausgeben möchte, dass die Jungen gar nicht mehr kochen können, dem Wetter und noch so vielem mehr halte, dass ein gerüttelt Maß an Sprachkenntnis erforderlich ist. Dies alles erfolgt in breitestem Dialekt und ich vermute, dass der Grund für meine relative Beliebtheit hier im Viertel unter anderem darin liegt, dass ich die Hälfte des Gesagten nicht verstehe und deshalb meistens auf die Gestik und Mimik achte und diese dann mit zustimmenden oder bedauernden Murmelungen verstärke. Da die meisten Kaufleute Männer sind, macht mich das zu einer EinsA-Kundin und Frau sowieso. Und ich bin ein prima Aushängeschild für die Deutschen. „Gar nicht so übel, wir haben da eine im Viertel, die ist zwar riesig, aber die bezahlt und versteht was von der Welt.“ So wird ja gerne über Menschen gesprochen, die einem Recht geben. Für mich ist es gut, ich krieg Sconto und gute Ware. Denn im Laufe der Jahre habe ich mir durchaus die Expertise und die Position erarbeitet, dass ich Ware kritisch beäuge und nach was aus dem Lager frage. Das macht Eindruck und gibt dem Verkäufer das Gefühl, dass ich ihm durchaus noch was Besseres als das offensichtlich Angebotene zutraue, weil ich eben um seine Qualitäten weiß.

Zurück zu Ivano. Mit ihm begann meine nicht steile, aber kontinuierliche Lernkurve mit der Zubereitung von Meerestieren, vor allem Fisch. Leider bin ich bei allen anderen Tieren durch eine kaum nachvollziehbare Abneigung gegen Frutti di Mare gehemmt. Aber ähnlich wie ein blinder Maler, der die Farben spürt und riecht, komme ich auch mit den meisten dieser Tiere inzwischen gut zurecht. Ivano lotst mich durch den hohen Seegang der Fischzubereitung. Bislang bin ich ihm noch immer gefolgt. Bis auf einmal: Bei den Neonati, den durchsichtigen Fischbabies sind wir nicht zusammen gekommen. Aber ansonsten hab ich fast alles von ihm gelernt.

Meistens rufe ich ihn von zuhause aus an und frage, ob sich ein Besuch lohnt. Er stellt mir seine frisch gefangenen, nicht gezüchteten Fische vor, ich wähle und er teilt mir mit einem frohgemuten „aggiudicato!“ (zugesprochen) mit, dass ich mal wieder schneller war als die gierige und meiner Meinung nach sehr verfressene Dottoressa von der Farmacia gegenüber war. Sie ist mein natürlicher Fressfeind wenn es um frisch gefangene große Fische um die eineinhalb Kilo geht.

Inzwischen verbindet uns eine Art Freundschaft, er zieht mich gerne zu Rate, wenn er seinen Porsche (von dem einige Teile von Rechts wegen eigentlich mir gehören müssten) zu Schrott fährt und Teile aus Germania bestellen möchte oder er klagt mir sein Leid, wenn seine Kinder, seine Mamma und alle Enkel bei ihm wohnen. Am liebsten würde er dann wieder nach Südafrika gehen. Oder nach London. Oder nach Paris. Überall war er schon und über alles kann er sprechen. Aber wir beide sind uns einig: wo kann es schöner sein als im Trullo?

Der elder streetfighter vom Trullo

In Rom wohnen wir in einer recht wilden Gegend. Als wir hierher gezogen sind, gab es junge Männer, die sich nicht getraut haben, uns beim Umzug zu helfen, weil hier die Mülltonnen brennen sollen. Tatsächlich hat in unserer ersten Woche hier ein lange falsch geparktes Auto gebrannt, aber das war seitdem auch das Einzige. Hier leben viele Ausländer. Wir ja auch. Die Menschen sind recht direkt und – um es mal vorsichtig zu sagen – viele haben Straßenerfahrung. Um hier groß werden zu können, muss man sich schon durchsetzen können. Ruhige Mitschwimmer findet man eher wenige.

Einer der Wildesten hat eine Eisdiele. Er macht das beste Eis in Rom. Das kann ich mit Fug und Recht sagen, denn ich kenne recht viele Eisdielen im Zentrum. Nicht alle, das wäre meiner Figur sehr abträglich, aber doch genug, um mich immer wieder in eine Bikinikrise zu stürzen.

Giulio, dessen Bruder übrigens eine preisgekrönte Metzgerei und eine sehr gläubige Ehefrau hatte (die Ehefrau hat er immer noch, die Metzgerei nicht mehr), gilt als „elder streetfighter“. Die legendären „bande della Magliana“, Stoff für so manchen Film, waren Teil seiner Jugend. Heute ist er ein jovialer, herzlicher und kluger Wirt. Er hat auf unnachahmlich italienische Art und Weise seine Eisdiele Stück für Stück erweitert und eine recht coole Bar im Nebenraum draus gemacht.

Dass die Gegend als so wild gilt, gereicht ihm jetzt zum Vorteil, denn vor seiner Bar parkt den gesamten Tag ein Einsatzwagen der Carabinieri mit zwei hübschen Uniformierten, die immer mal wieder auf einen caffè zu ihm kommen. Giulio selbst ist ein Phänomen. Sieht man ihn zum ersten Mal, fallen einem besonders seine schaufelgroßen Hände mit den immer etwas rustikalen Fingernägeln auf, dann seine dicken Silberketten und dann der inzwischen gräuliche und entwaffnend fluffige Haarkranz. Seine Kleidung ist immer noch rockermäßig, aber seine Sprache herzlich. Sieht man ihn mit Kindern, weiß man, warum er nicht unter die Räder geraten ist. Er ist ein Mensch, der eine Grille mit einem eingerissenen Flügel von der Straße auf einen Haussims setzt, damit keiner auf sie tritt. Kommt aber einer in seine Bar und bestellt recht nassforsch einen Cappuccino, dann kann es durchaus sein, dass er ihm bescheidet, dass es völlig in seinem, Giulios, Ermessen liegt, ob er den auch bekommt. Höflichkeit und vor allem Respekt sind die Währung hier, wo es nicht immer so viele Regeln zu geben scheint.

Ich könnte noch lange weiterschreiben über Giulio und die anderen Händler in unserer Straße. Dass er alle Frauen „dolcezza“ nennt, aber seine Patrizia abgöttisch liebt, dass er vorsichtig und sensibel nach Eltern fragt (könnte ja immer etwas sein), dass er seine Mitarbeiter seit Jahren hat, dass er seine Kinder zum Studieren schickt, weil sie es gut haben sollen und, und, und. Für uns ist sein „Alta Marea“ (Flut) ein Ort, an dem wir immer willkommen sind und wo wir neben dem besten Eis auch die herzlichsten Gespräche führen.

Im normalen Leben ist es nicht so schlimm

DSCN6154Heute sind wir an einem Kiosk vorbeigekommen, einer von diesen grünen, kleinen, achteckigen, die überall in Rom stehen und bei denen man Zeitschriften mit den aberwitzigsten Beilagen kaufen kann. Dort war ein relativ aufwändiges Schild angebracht (fest): „Bin in der Bar gegenüber“. Das zeugt auf wenig Raum von vielen beruhigenden Tugenden:

Treue: Man fertigt ja wohl kaum ein Schild an, wenn man nicht sehr regelmäßig in die Bar gegenüber geht.

Zuverlässigkeit: Man möchte, dass die Kunden einen finden.

Vertrauen: Man glaubt nicht an Diebstahl.

Gelassenheit: Wenn keine Kunden da sind, muss man sich nicht grämen, sondern kann die Zeit auch genießen.

Ordnungssinn: man schmiert es nicht auf eine alte Zeitung, sondern druckt es ordentlich aus.

All das zeigt, wie gute, normale Werte es im vermeintlich korrupten und chaotischen Italien gibt. Und daran kann und muss man immer denken, wenn man mal wieder zu Verallgemeinerungen neigt, nur weil ein Politiker über die Stränge schlägt. Und dann (vielleicht) auch noch verurteilt wird (nach ganz, ganz vielen Jahren).

Il caldo ist zurück!

Endlich! Endlich Sonne. Endlich Rosenduft, endlich Jasmin- und Orangenblütenduft. Es ist herrlich und wunderbar und nach dem ewig langen Winter, der auch Rom gebeutelt hat, ein Geschenk. Bei uns unten „im Dorf“, das aus der Hauptstraße mit vielen Lebensmittelgeschäften, unter ihnen auch der Fischhändler und der Metzger meines Vertrauens und einem Vormittagsmarkt besteht, sieht man zwar noch ganz Misstrauische mit Daunenjacken und Stiefeln, aber bei knapp dreißig Grad zu Mittag wird sich das schon geben. Die Motorini mit den jungen Kerlen lassen wieder unvorsichtig und fröhlich ihre Halbhelme offen, so dass die Riemen im Fahrtwind flattern und stellen frech die Ellbogen aus, um den Platz zu beanspruchen, den ihre mageren Körper sonst nicht bekämen. Die Hausfrauen kaufen plappernd und gestikulierend Pizza al taglio, und berichten dabei, dass es ja fast schon wie im Juli sei und die „giovani“, die Jungen, schon das erste Mal am Meer waren. Die Stadt rutscht langsam in ihr wahres Naturell, das heiße.

Jetzt heißt es, schnell die erforderliche Abbronzatura zulegen, damit man nicht als bleiche Mozzarella verspottet wird. Streifenlos und neiderregend muss sie sein, damit sie gelungen ist.

Nicht dass es in Rom jemals richtig schlimm kalt wäre, aber es ist alles eine Frage des Verhältnisses und wenn es wo fünf Monate fast täglich über dreißig Grad warm ist, oftmals auch über vierzig, dann findet man einstellige Temperaturen zu Recht eisig. Aber jetzt ist alles gut, wird noch besser und endlich kann man wieder über „il caldo“ stöhnen und jammern.