Loombänder, Kaffeekapseln?!

Ich sitze im Zug nach Paris. Mir schräg gegenüber hat sich gerade – mit erheblichem Aufwand – eine semmelblonde Familie gesetzt. Mama, ein Bub und ein Mädchen. Ich bin noch nicht ganz wach und gerade da gelingt es der Siebenjährigen, dass ich mich innerhalb von einer Sekunde auf die andere wie ein Volltrottel fühle. Nun war auch der gestrige „Tatort“ nicht gerade dazu angetan, mit sich und einem redlichen, mäßig ertragreichen Schaffen hundertprozentig zufrieden zu sein, aber dieses Kind mit seinem vierzig auf dreißig Zentimeter großen Plastikkasten voller Gummiringerl (Looms?) gibt mir den Rest.
Habe ich nicht zwei Stunden zuvor noch die Innenverpackung der Lindt-Mini-Pralinen mühsam wieder aus dem Papiergehäuse gefischt und sie in den Plastikmüll gequetscht? Kaufe ich nicht auch deshalb gerne weiß-blaue Milchprodukte, weil man von der hauchdünnen Plastikverpackung die stabilisierende Papierbanderole abreißen kann und sie getrennt entsorgen muss? Verschrecke ich nicht wahlweise türkische oder marokkanische Obst- und Gemüsehändler hier wie dort immer wieder durch mitgebrachte Taschen oder die Bemerkung, tun Sie doch bitte alles zusammen in eine Tasche? Ja bin ich denn die Einzige, die weiß, was Plastiktüten oder Plastikteile im Magen von Fischen anrichten können und dass quadratkilometergroße Plastikmüllinseln über die Weltmeere treiben? Von nötigen oder unnötigen Verpackungen, von Plastikflaschen, Gummitieren, die man für einen Urlaub am Strand kauft und dann wegwirft, von Flüssigwaschmittelflaschen und so weiter. Wie kann man angesichts all dessen etwas so Überflüssiges genehmigen, produzieren, vermarkten und dann auch noch seinem Kind kaufen? Eine Strickliesl erfüllt denselben Zweck, nämlich Kinderhände zu beschäftigen und produktiv zu sein. Ist Mülltrennen und -vermeiden eine Beschäftigungstherapie? Muss man denn jede Mode mitmachen? Ich rege mich allerdings auch in Rom immer ganz fürchterlich über all das Plastikzeugs auf, das jedes Jahr aufs Neue in den Geschäften der kurnasigen Menschen verkauft wird. Allein der Geruch in einem solchen Laden kann einen benebeln.
Derweil ginge es doch auch anders: Die Mutter strickt und der Sohn macht Zahlenrätsel. Gerade kleine Mädchen, die einen, bestellt man ein Schnitzel wie einen Mörder anschauen (wegen der armen, armen Tiere) könnten meiner Meinung nach prima auch über diese Folgen dieser Plastikexzesse aufgeklärt werden. Der Hype um Kaffeekapseln würde sich auch schnell wieder legen, wenn allen klar wäre, dass der Preis für den Kaffee ca. 10 % des Verkaufspreises beträgt. Der Rest geht für Verpackung und Werbung drauf – leider nicht für Recycling. Autos mit Start- und Stoppautomatik bringen nicht so viel Nutzen wie durch all diese sinnentleerten Moden vernichtet wird und als Verbraucher, der lernen musste, dass die neue Waschmaschine jetzt lieber zweieinhalb Stunden braucht wegen der Energie-und Umweltschonung fühle ich mich SEHR auf den Arm genommen. Offenbar befinden wir uns energietechnisch gesehen in einem Nullsummenspiel zwischen Engagement und Ignoranz.

So kann es weitergehen

Wenn der erste Tag im Jahr wegweisend für das, was kommt, wäre, stünde uns ein Jahr voller spontaner und schöner Begegnungen (und relativ langer Autofahrten) bevor. Auf der Heimreise von Venedig haben wir Halt in Madonna di Campiglio gemacht, um einen Studienfreund meines Mannes mit seiner Familie zu besuchen. Sie sind dort im Urlaub. Alles hat wunderbar gepasst und so haben wir uns auf Kaffee und Kuchen die Serpentinen hinauf gewunden. Gesehen hatten wir uns seit bestimmt zwei, drei Jahren nicht mehr. In der Zwischenzeit sind Vater und Bruder der Ehefrau gestorben und das Patenkind ist riesig groß geworden. Sie hat für uns alle Weihnachtslieder aus dem Kindergarten gesungen und war einfach ganz zauberhaft. Der Plüschhase zu Weihnachten ist zu einer heiß geliebten ‚Bianchina‘ geworden und wir haben uns sehr beflügelt und mit besten Vorsätzen auf die kurvenreiche Rückfahrt gemacht.

Die ging nach Garmisch zu Freunden, die dort mit Gästen die Winterferien verbringen. Wir kannten die anderen flüchtig, aber auch dort hatten wir einen ausnehmend schönen Abend mit phantastischen Gesprächen und einem wunderbaren Cordon Bleu (das Französische beim Essen wird mir wohl bleiben….). Der sonst etwas nutzlose Neujahrstag wurde selten besser genutzt.

Heute haben wir uns schweren Herzens von Le Baum zu verabschiedet, es war traurig, aber er war nadelig und erschöpft. Da der Schmuck dieses Jahr (mal wieder) mehr geworden ist, musste unter kundiger Planung meines Mannes alles neu sortiert und eingepackt werden. Ich war angesichts der ca. 10 Kartons den Tränen nahe, denn obwohl ich es liebe, Orangen, Mandarinen, Nüsse oder andere Zier- und Essmaterialien auf Esstischen zu sortieren und symmetrisch anzuordnen, so machen mir Gepäck- und Weihnachtskugelberge doch ein wenig Angst. Beides taucht mehr oder weniger häufig in meinem Leben auf. Mein Mann hingegen denkt – wie über die Platzierung der Christbaumbeleuchtung – provozierend lange nach, fängt an, hört auf und alles ist ordentlich verstaut. Alles in allem bin ich hochzufrieden mit diesen beiden ersten Tagen des neuen Jahres!

Snow now? So not wow!

Also mal ganz ehrlich: wer braucht bitte jetzt noch Schnee? Dieser kleine tapfere Marienkäfer, den ich eben in der Küche entdeckt habe, sicher nicht. Schnee braucht man im Dezember auf dem Christkindlsmarkt (hab übrigens gehört, dass man das gar nicht mehr so ohne Weiteres sagen soll, ‚Wintermarkt‘ ist das Wort der Stunde), beim Glühweintrinken, Christbaum (Winterbaum) Schlagen oder beim Plätzchenbacken. Klar, Skifahrer freuen sich auch über Schnee und in den Bergen ist ja auch während der gesamten Wintermonate nichts daran auszusetzen. Aber in der Stadt? Nö! Vor allem dann, wenn es zwischendurch warm wird, der Schnee auf dem Auto oder der Straße schmilzt und es dann wieder ‚anzieht‘ und alles hinfriert. Ein Ärgernis.

Ich hätte als Jahresabschluss prima damit leben können, dass wir dem wärmsten Jahr seit Wetteraufzeichnung nochmal alle Ehre machen und es langsam Frühling wird. Nach dem 24. und natürlich dem 31. gibt es sowieso eine Zäsur und dann möchte man doch nicht mit dem alten Kram fortfahren. Tulpen, wie meine Mutter fröhlich frohlockt, sind das Gebot der Stunde und wenn Le Baum nicht von so hinreißender Schönheit wäre, würde er jetzt auch bereits den Tonnenplatz zieren. Aber so darf er natürlich bleiben.

Meine Zäsur wird der Ort sein, der – leider – in meiner Yoga-Meditationsphase immer wieder vor meinem eigentlich leer sein sollenden inneren Auge aufblitzt: Venedig. Vermutlich wird es zwar, ähnlich wie am Gardasee, auch hier wieder trotz der Jahreszeit strahlendes Wetter sein, aber mal ganz ehrlich: erster und letzter Absatz eines so kurzen Blogeintrages müssen schon irgendwie zusammen passen und da darf ich natürlich keinesfalls auf Schnee in Venedig hoffen. Genau genommen ist Venedig aber keine echte Stadt, zwar auch kein Gebirge, sondern irgendwie so ein wunderbares Zwischending. Und vielleicht liegt ja deshalb Schnee auf den Gondeln, das wäre noch cooler als Schnee auf dem Wintermarkt!

Ungeplanter Halt

Wenn ein Zug von 313 km/h (ja, ja, ich weiß, hirnlose Raserei, ist schon immer meine Rede) auf Null rutnerbremst und dann in einem piepskleinen Ort namens Lorraine anhält, ergeben sich viele Fragen:
Wer wohnt in Lorraine und bitteschön, warum? Ist Lorraine ein sehr reicher Ort, weil die Blumenrabatte mit kleinen Decken umhüllt sind? Und wenn ja, warum und wodurch? So mitten in der mittelfranzösischen Pampa? Und last, but not least: Warum hält der Zug überhaupt in Lorraine?
Zumindest auf diese Frage gibt es eine Antwort. Es war ein Polizeieinsatz. All dieser Aufwand, nur weil ein Mitreisender seit Wochen nicht duscht? Nein, wohl nicht. Leider. Der Herr vor mir verfügt betrüblicherweise über einen unfassbar starken und ebenso unangenehmen Körpergeruch und scheint sich daran auch noch sehr zu erfreuen. Dauernd hebt er die Arme und wedelt ein wenig, zieht die Schuhe aus und wackelt mit den Zehen, kurz, er tut alles, um seinen Hautgout gleichmäßig im Wagon zu verteilen. Sehr zu meinem Leidwesen, denn atmen sollte man nicht unüberlegt einstellen. Augen zumachen? ok, Ohren zuhalten? auch ok, Atmen aufhören? Recht irreversibel.
Als die Schwade besonders schlimm war, weil er sich neugierig drehen und wenden musste, kam auch ich nicht umhin, mich zu drehen und zu winden. Weil schon wieder ein neuer, gleichfalls uangenehmer Geruch ins Abteil getreten war. Hätte mich gar nicht drehen müssen, wäre auch so gleich aufgefallen. Ein großer Mann in modisch zerrissenen Jeans hat sehr lautstark seiner Verärgerung über die kleinen Abteile und Gänge Luft gemacht. Da waren wir grundsätzlich auf einer Wellenlänge. Nur nicht ganz mit der Art der Beschimpfungen, die er dem Zugbegleiter, der vorausgeeilt war, nachgetobt hat. Und auch seine Fahne war der Wahnsinn. Am liebsten hätte ich ihm meinen Stinker aus der Reihe vor mir auch gleich mitgegeben als er in Lorraine aus dem Zug geworfen wurde. Das hat er sich nämlich prinzipiell fein ausgedacht: in Straßburg in den TGV hüpfen, weil der dann bis Paris nicht mehr hält. Sollte man meinen. Aber, wenn man sich nur lange genug ungebührlich aufführt, dann tut er es eben doch. War alles sehr aufregend, ich habe ein Fragonard-Tüchlein leer geschnüffelt und bin jetzt völlig benebelt in Paris bei meiner Lieblingstätigkeit: Waschen im Waschsalon. Damit mich auf der Rückfahrt niemand aus dem Zug wirft.

Richtig?

Die letzten Tage habe ich in Italien verbracht. In Norditalien, dem es an sich noch am besten geht. Das Wetter war zuerst superschön, dann typisch ponebelig und regnerisch, die kleinen Städte zauberhaft und auf hinreißende Art provinziell. Als ich mit Fotoapparat bewaffnet durch die Straßen gebummelt bin, habe ich viele Tipps bekommen, was ich wo und wie am besten fotografieren könnte und sollte. Nach kurzer Zeit hatte ich den Eindruck, bei jemandem daheim zu Besuch zu sein. Vor allem auf den Plätzen Modenas, die um die Jahreszeit leer und Spielwiese der Einheimischen sind, war ich eher ein bestaunter Gast als ein Tourist.

Da fiel es natürlich ganz besonders auf, dass so viele – und nun ringe ich um das richtige Wort, vor allem angesichts der bescheuerten Toleranzwoche der SZ, die jede falsche Betonung als Rassismus auslegt -, dass sehr viele fremde Menschen mit Migrationshintergrund in dieser beschaulichen, kleinen und sehr italienischen Stadt herumlaufen, um nicht zu sagen, herum irren. Sie sind erkennbar arm und zwar in jeder Beziehung. Sie frieren, sie haben sind fern von ihrer Familie, sie sind verloren. Es ist fürchterlich mit anzusehen und noch fürchterlicher, dass es offenbar keine Alternative gibt. Aber wirklich schlimm ist, dass Italien mit diesem Problem allein gelassen wird. Dem Land geht es – ob zurecht oder zu Unrecht – insgesamt nicht gut und zusammen mit der Küstenlage, die sie „alleine ausbaden“ müssen, zumindest was ich sehr unpolitischer Mensch darüber weiß, ist es einfach grauenvoll.

Natürlich gibt es „Schlaue“ unter den Flüchtlingen, die das Bild dann auch prägen. Das sind Diejenigen, die in sehr kleinen Städten auffallen. Wegen ihres Aussehens und weil sie regelmäßig Menschen ansprechen, sie nach Geld fragen, um nach Nigeria zu reisen oder um die Familie zu ernähren, oder eben einfach so. Sie suchen sich regelrecht Menschen aus, meist Ältere, auf die sie dann täglich warten und die auch dann was geben, wenn sie es sich gar nicht leisten kann, denn diese Generation weiß noch, was es heißt, Flüchtling zu sein.

Die anderen aber sind einfach schrecklich verloren und ich finde, die Italiener sind auch schrecklich verloren mit dem Problem. Wie gesagt, wer den Blog schon länger liest, weiß, dass ich weit entfernt von einer fundierten politischen Meinung bin, aber man müsste schon dumm, blind und kaltherzig sein, um nicht zu erkennen, welch ungleiche Verteilung hier im Moment in Europa herrscht. Und das Entsetzliche ist, Diejenigen, die Geld mit all dem machen, die Schlepper, die Organisationen, die Hoffnung und Lebensgefahr verkaufen, wissen inzwischen um die Handlungsweisen der Europäer und senden immer schäbigere und kleinere Boote aufs Meer. Wenn es die Italiener noch schaffen, Gekenterte zu retten, gut, wenn nicht, auch egal, das Geld haben sie ja dann schon.

Die eigene Stadt

Wer, wenn nicht ich, wüsste am besten, dass man das, was direkt vor einem ist, oft nicht sieht. Ich sehe generell nicht wirklich viel. Und bin ein Mensch mit sehr lieben Gewohnheiten und Routinen. Aber! Ich kann auch anders. So geschehen heute Nachmittag.  Das Wetter war traumhaft, ich hatte ein schrecklich schlechtes Gewissen, für den Wald war es schon zu spät, also einfach vor die Türe.

Keine zweihundert  Meter entfernt, den Berg hoch, steht eine Kirche, die mein Mann noch gar nie richtig gesehen hat. Eine wunderschöne, große und auch recht bekannte Kirche noch dazu. Die haben wir uns zuerst angesehen. Beim Weiterbummeln ist uns aufgefallen, dass während wir zuhause Aktenordner umsortieren oder Blogbeiträge schreiben, sehr viele Menschen unweit unserer Wohnung unterwegs sind und das Leben genießen. Sie bummeln, fotografieren, führen ihre Hunde, Kinder oder neuen Handtaschen aus. Weil wir kein konkretes Ziel hatten, sind wir völlig ziellos über unsere höchsteigene Prachtmeile gewandert. Der Foto, den wir um den Hals hatten, also ich zumindest, hat den ganzen Spaziergang zu einem touristischen Ausflug gemacht.

Langer Rede, kurzer Sinn oder wie meine Düsseldorfer Freundin zurecht immer so schön sagt, kurzer Rede langer Sinn: es lohnt sich wirklich, auch vermeintlich Bekanntes und ewig Vertrautes mal zu einer anderen Uhrzeit oder unter anderen Umständen kennenzulernen. Das sagt man ja über Partner und Beziehungen auch. Aber das würde jetzt zu weit führen.

Diese redlichen Schweizer

Keine Ahnung, was mich an den Schweizern so wuschig macht. Ich verliere, sobald sie den Mund auf machen, fast die Beherrschung und möchte sie gerne hauen. Derweil sind sie ja immer so irre korrekt und auf der Seite der Gerechtigkeit. Vermutlich ist es das. Alles ist immer sauber, alles ordentlich, alle Wege werden eingehalten. Igitt. Stehe ich wie heute in einem Geschäft, bin ich schon beim Grüezi wie ein Pitbull in  der Arena. Derweil ist doch der Dialekt eher beruhigend und niedlich, aber diese Selbstgefälligkeit. Also wirklich. Vielleicht liegt’s an der Emotionslosigkeit?

Mein Mann kann nicht genug darüber kichern, weil er meint, Deutsche seien doch genauso. Das mag wohl sein, aber nicht ganz so. Und Bayern schon gleich drei Mal nicht. Er mutmaßt, es würde mich fuchsig machen, wenn jemand noch pedantischer und ordentlicher ist als die Deutschen, als ich. Kann sein. Ich kann’s nicht erklären, mir ist es völlig unverständlich, dass so viele reiche Menschen dorthin ziehen. Da würde ich lieber viele viele Steuern zahlen.

In der Schweiz fühle ich mich immer latent im Unrecht. Das beginnt schon auf der Autobahn. Ich bitte Sie, sooooo genau kann man es doch gar nicht mit dem Tempolimit nehmen und wer rast am schlimmsten auf der A 96?? Genau, die Schweizer! Ich schäme mich. Aber jetzt gehts mir schon besser. Werd mal ein Stück Toblerone essen….hahaha.

Freundlichkeit

Wenn man sehr jung ist, steht Coolness ganz hoch im Kurs, im Berufsleben
Zuverlässigkeit, wobei das auch im Privaten eine ganz wunderbare Eigenschaft ist, was man aber über alle Lebensphasen mit unterschiedlicher Aufmerksamkeit schätzt ist die Freundlichkeit. Was heißt das eigentlich? Auf jemanden treffen, der einem unvoreingenommen begegnet und sich im Zweifel für das Gute entscheidet, daran, es in Verhalten und Wesen zu sehen, helfen zu wollen und sich zu überlegen, was einem Freude machen könnte. Wie ich drauf komme? Aus dem nicht immer supertopfreundlichen Augsburg – hier wird auch mit der Freundlichkeit und dem Lächeln oft gespart – hat es mich heute glücklicherweise nach Oberstaufen verschlagen. Nicht nur dass man dort phänomenal essen kann, es gibt auch eine prächtige Auswahl an genau richtig dimensionierten Geschäften. Gut, ein winziger Hauch an Trachtenüberschuss mag sein, aber ansonsten? Perfekt. Fiel mir deutlich leichter, hier als in Paris fündig zu werden. So weit, so gut.
Der einzige Nachteil an Oberstaufen, und auch der ist logisch und nachvollziehbar, ist die Taxisituation. Ein Ferien- und Kurort überschaubarer Größe kann nicht allzuviele Taxen verkraften, geschweige denn Fahrer satt machen. Die Strecken sind irre kurz und bringen selten mehr als fünf bis sechs Euro ein. Ich muss beim Schreiben fast kichern, wenn ich denke, dass die rotzlöffeligen Pariser Fahrer oftmals schon mit zehn Euro auf dem Zähler ankommen. Nun wird man einwenden, na und? läuft man eben. Oberstaufen beherbergt aber eben auch eine große Kur- und Rehaklinik und da wird’s dann schon manchmal eng. Denn wenn deren zeitweilige Bewohner mal etwas Genießbares essen wollen oder sehen, wozu sie all das auf sich nehmen und wieder am Leben teilnehmen wollen, dann müssen sie schon in den Ort. Und oft können sie eben auch diese paar Meter nicht laufen.
Und dann kreuzen sich diese und die Taxifahrersituation sehr ungünstig. Gut, wenn man dann im ThoMi in Oberstaufen ist. Nicht nur, dass sie die zauberhaftesten warmen und hoch reduzierten Stiefelchen im Angebot hatten, die man sich nur vorstellen kann, sie sind auch noch wahnsinnig freundlich. Als die Dame, die uns bedient hat, bemerkte, dass wir über ein Taxi sprachen, hat sie angeboten, eines zu rufen und uns dann sehr betrübt gesagt, das dauere eine halbe Stunde. Wir hätten sie zwar rumgebracht, aber mehr schlecht als recht. Und dann sagte sie, wenn das nicht klappt, dann fährt uns halt der Thommi. Und wusch saßen wir in Thommis Auto und sind freundlich und selbstverständlich zurück gefahren worden. Und Freundlichkeit ist so ein Ping Pong Geschäft. Ich werde mir künftig ganz viele Albernheiten ausdenken, um nochmals in diesen Laden zu gehen. Vielleicht gibt es auch neue Stiefel, kann man ja nie wissen.

Darmbakterien und Kofferrollen

Nachrichten verändern die Welt. Bücher auch. Eine besonders ungute Kombination – zumindest auf Reisen – ist das Lesen eines Buches über die Geheimnisse von Bakterien, Viren und co (zauberhaft geschrieben, sonst würde ich so etwas niemals lesen) und die Nachrichten aus dem madrilenischen Krankenhaus, in dem völlig unerlaubt und unvorhersehbar eine Krankenschwester an Ebola erkrankt ist. Steigt dann in Straßburg eine betagte Dame zu, die bis Stuttgart ein gefühltes Kilo Schleim hustet (tut mir leid, es ist so und ich kann an dieser Stelle versichern, schräg gegenüber zu sitzen ist noch viel weniger angenehm als es zu lesen), kommt man ins Grübeln und schlingt den Schal enger.
Und da ist es auch schon wieder dieses Phänomen des zuviel Wissens. Weiß man weniger um Risiken und Gefahren, lebt es sich deutlich besser. Man benutzt zwangloser Plastiktüten, freut sich über halbe Hendl zu 1,49 (schon gegrillt) und über die immer wärmer werdenden Sommer (gut, also dieser jetzt noch nicht, soll aber so kommen). Was ist also die Lösung? Nichts mehr lesen, nur noch genießen, hoffen, dass die Welt sich noch genau fünfzig Jahre dreht?
Im Verbindungszug ab Stuttgart konnte ich dafür ein anderes, kühnes wie ich finde, Phänomen betrachten. Ein Baby krabbelt fröhlich den ausgesprochen dreckigen Gang (eine eklige Schande ist das, das muss mal gesagt werden) entlang und verliebt sich auf den ersten Blick in meine Kofferrollen. Nun ging es mir fast ähnlich und deshalb habe ich den Koffer ja auch, allerdings kann ich es mit so viel sabbernder Hingabe keineswegs aufnehmen. Die Mutter des Babys hat vermutlich dasselbe Buch gelesen wie ich, dass bis drei Jahre der Darm mit seinen Zilliarden Keimen, Bakterien und was weiß ich noch alles immer schön gefordert werden muss. Sie hat es offenbar auch verstanden, wohingegen es mich viel gekostet hat, nichts zu unternehmen, denn ICH weiß, wo diese wunderschönen Rollen schon überall waren. Ich hab mich dann ein wenig geschämt für mein zickiges Schalumlegen und werde bei nächster Gelegenheit mal ordentlich an den kleinen Klapptischchen schlabbern, denn die waren als nächstes dran – allerdings nicht mit soviel Leidenschaft wie meine Kofferrollen.

Viel Bier, viele Fragen

Ganz ehrlich: wenn ich morgens um 07.44 Uhr einen Sechserpack Bier in einen Zug transportieren wollte, würde ich eine Tüte nehmen. Auch in Dirndl und Lederhose. Auch wenn Spaß oder Pressbetankung große Teile des Tagesprogramms ausmachen würden. Man könnte sie ja am Zielort oder nach Erreichung des Ziels entsorgen. Aber überhaupt: wer mag auf frischen Zahnpastageschmack Bier trinken? Wie ekelig.
Was unsere Großeltern und auch viele Eltern noch in Fleisch und Blut war, ist heute fast kein Thema mehr. Das Bedenken der Befindlichkeiten von Mitmenschen. Andererseits, warum sollte es jemanden stören, wenn ein Mitmensch sieben Uhr morgens für genau die richtige Zeit hält, drei Liter Bier auf der Fahrt zum teuren Oktoberfest in sich zu schütten? Der Ort des Geschehens ist tiefstes Schwaben, die Mädels und Jungs sind jung, die Wiesn ist teuer, also an sich alles völlig logisch. Es dreht sich vielmehr um das eigene Wertesystem und da fängt das Problem an: beim Werten. Aber wo kommt die Grenze zur Gleichgültigkeit? Zur vollkommenen Ignoranz? Dazu, dass man zum Beispiel „die Flüchtlinge“ sagt und nicht „die kleine Ayasha, die ihre Mama verloren hat und deren großer Bruder sie nun in Sicherheit nach Europa bringen will“? Wann einmischen und wann nicht? Wann helfen? Wäre nicht schon sieben Uhr morgens ein guter Moment, um Schlimmeres zu verhindern?
Ich sitze im Zug und habe es natürlich auf dem gegenüberliegenden Bahnsteig gesehen, aber ich hätte auch nichts gesagt, wenn ich im selben Zug sitzen würde. Kann das Leben funktionieren, wenn jeder möglichst berührungsfrei in seiner Lebenskapsel verbleibt? Wird die Welt besser oder schlechter, wenn welche mit hohem Sendungsbewusstsein das Leben Anderer zu beeinflussen trachten? Bin bestimmt übermüdet und bissle neidisch auf Wiesnbesucher. Das wird’s sein.