Weiße Auberginen im August

Kaum eine deutsche Zeitung kann man im August aufschlagen ohne auf launige Texte über die einzigartige Atmosphäre bekannter Städte im August zu stoßen. Wie schön ist München im August! Wie schön ist Paris ohne die Pariser im August! Wie wunderbar herrlich ist Rom im August! Ja, ich weiß das schon. Ich komme ja auch deshalb immer gerne im August hierher. Zumal es seit einigen Jahren gar nicht mehr so brütend heiß ist wie „früher“, sondern im Gegenteil angenehm windig und am Strand fast schon zu kühl. Also mit kühl meine ich, dass ich unter dem Schirm, den ich inzwischen nicht mehr verlasse, gut und gerne ein Handtuch vertragen kann, wenn ich längere Zeit lese oder vielleicht auch ein wenig hinüberschlummere. Aber alles in allem ist es natürlich herrlich, durch die Stadt zu sausen, kaum bedrängt vom Verkehr, wenn man sich wie der alleinige Betrachter all dieser einzigartigen Schönheit fühlen kann.

Aber – das wissen wir ja alle und verstehen auch vordergründig, dass es damit seine Richtigkeit hat – wo Licht ist, ist eben auch Schatten. Also nicht der angenehme Schatten, den wir beim Pasquale immer mieten, sondern der echte Schatten, den man halt nicht so gerne mag. Denn das, was das Zentrum so schön macht, die Vororte und auch die wilden Gegenden so sanft und ruhig, das führt auch zu erschütternden Engpässen. All diese Besonderheit liegt natürlich nur daran, dass alle zur gleichen Zeit in die Ferien gehen. Viele würden vielleicht auch gerne wann anders fahren, aber es würde ihnen herzlich bringen, ihren Urlaub aufzusparen und im September oder Juli zu reisen, wenn noch nicht alles so teuer ist. Sie können im August schlichtweg nicht arbeiten, weil ihre Firmen fast alle schließen. Das ist alles hinnehmbar. Was allerdings nicht hinnehmbar ist und nur mit tückischer Bosheit oder Übersättigung zu erklären ist, dass auch meine GESAMTEN arabischen Obst- und Gemüsehändler dicht gemacht haben. Der einzig noch offene ist der, den ich vor Jahren in ähnlichen Notzeiten zu meinem Haus- und Hoflieferanten auserkoren habe, weil er halt im August offen war. Und was hab ich von meiner Treue? In diesem August baut er von all meinem Geld um!

Nun ist es ja beileibe nicht so, dass ich nicht auch über Alternativen verfügen würde. Und so bin ich in den letzten Tagen – denn so richtig schlimm wurde es erst seit dem eigentlichen Ferragosto am Montag – wie ein Eichhörnchen meine Baumhöhlen abgefahren auf der Suche nach Obst und Gemüse. Alles zu. Und was offen ist, hat schauerliches, modriges Zeug. Unwürdig für ein Land, in dem Zitronen blühen und Tomaten wachsen. Überhaupt Tomaten. Gibt nur scheußliche im Moment. Gut, dann eben im Supermarkt. Aber das geht auch nicht. Wirklich nicht. Meine letzte Option auf dem Weg zum Gärtner war auch zu und damit nicht alles umsonst war, habe ich halt bei Mauro, der erstaunlicherweise offen war, eine blaue etwas klebrige Hängeblume gekauft. Und auf dem Weg zurück hinter einem Gerüst einen Obst- und Gemüseladen. Dort gab es mittelgute Ware und wirklich sehr freche Verkäufer. Aber was hilft’s? Ich bin ihnen ausgeliefert und auf diese Art und Weise lerne ich zu Demut und Schattenseiten offenbar auch noch Neues kennen. Albino-Auberginen. Heute Abend wollte ich sie probieren, sie scheinen wie ich den Schatten vorzuziehen, aber mein Kühlschrank ist weiß, sie sind weiß, ich hab sie nicht gesehen.

Die Chinesenmama

In Rom, wie in vielen anderen italienischen Städten, gibt es riesige chinesische Kolonien. Um den altehrwürdigen, leider nicht mehr in dieser Form existierenden Markt Vittorio herum leben zum Beispiel so viele, dass man sich in Shanghai wähnt und sicher nicht in einer italienischen Stadt oder gar der Hauptstadt. Allein in meiner Straße gibt es drei rund um die Uhr geöffnete Chinesenläden, in denen es – ich habe berichtet – scheinbar alles gibt. Allerdings glaube ich auch, dass das mehrminütige Einatmen der plastik- und weichmacherverseuchten Luft die Lebensdauer betrüblich verkürzt. Das aber nur am Rande, denn wie ich mir jedes Mal beim Vorbeifahren denke, sieht man dem Fleiß und der Bescheidenheit dieser Menschen zu, ist es fast unausweichlich, dass sie mit ihrer Masse im Sinne von Menge und Beharrlichkeit die Welt letztlich doch erobern werden. Das wollte ich aber gar nicht erzählen, sondern von unserer ganz persönlichen Chinesenfrau Patrizia.

Patrizia ist, wie der Name verrät, natürlich keine Chinesin. Zumindest nicht gebürtig. Sie hat jedoch ein seltenes Sprachtalent, an dem sie uns alle in den Sommermonaten teilhaben lässt und an dessen Blüten wir hin und wieder schnuppern dürfen, wenn sie ihre ungleichen Zwillinge Omar und Karim tadelt oder anspornt, was eigentlich zu jeder Minute des Nachmittags der Fall ist. Ich kenne die beiden seit sei geschlüpft sind, wobei kennen zu viel gesagt ist. Ich höre am Pool, was sie besser machen könnten und in der Mittagsruhe über die geöffneten Balkontüren, dass sie jetzt schlafen sollten. Da ich kein Sprachtalent bin und gerne lese entkomme ich fast jeden Sommer der Chinesenfrau. In Wahrheit halte ich mir meist nur ein Buch vor die Nase und lausche und staune über die Chinesenmama. Sie heißt übrigens so, weil ihr unfassbares Sprachtalent ihr einen chinesischen, wortkargen Ehemann eingebracht hat, der zwar ein großes Auto besitzt, wegen der römischen Parkplatznot aber lieber ihr kleines fährt, ihr im Gegenzug aber nicht erlaubt, mit seinem großem zum Einkaufen zu fahren. Zu allem Überfluss ist die Familie offenbar gerne Wassermelonen und wir wohnen auf einem Berg.

Über all dem ist Patrizia meiner Meinung nach sport- und magersüchtig geworden. Wenn man jemanden nun in Jahresabständen im Bikini sieht, kann man das ganz gut beurteilen, finde ich. Zum Glück hat Patrizia einen Papa, den Chinesen-Nonno, den Opa der Zwillinge. Und ich wage zu behaupten, dass die beiden ohne den Opa abgesoffen oder völlig verblödet wären. Der Chinesen-Nonno ist ein gutmütiger älterer Herr mit Unterhemd und einer Schiebermütze, mit der er auch im Hamburger Hafen nicht weiter auffallen würde. Täglich schifft er sein verbeultes Auto herauf, fährt mit seiner Tochter zum Einkaufen, lässt sich ausschimpfen, weil er die Kinder falsch behandelt und ich denke, er muss sich in den Stunden, in denen die Familie nicht beim Baden ist, sehr, sehr viele Geschichten über das Sprachtalent seiner Tochter anhören. Die Chinesenmama hat sich außerdem zum Ziel gesetzt, ihre beiden Kinder zu 1A-Schwimmern heranzutrainieren und ärgert sich fürchterlich, wenn sie lieber mit kleineren Kindern Wasserball spielen. Was sie, wie ich fürchte, allerdings am allermeisten ärgern würde, ist, wenn Sprach-Ignoranten wie ich diesen Ehrgeiz als viel chinesischer erachteten als ein perfekt gesprochenes Hoch-Mandarin.

Der Conad

Der Condad würde – bei schneller, bayrischer und leicht verwaschener Aussprache – ganz schnell das auf den Punkt bringen, was auch der Wahrheit entspricht: der ko ned, der kann nicht. Und das trifft den Nagel auf den Kopf. Wann immer es geht, vermeide ich, dorthin zu fahren. Weil ich mich jedes Mal so unfassbar aufregen kann, was mit zunehmendem Alter kein Spaß mehr ist und auch gesundheitliche Folgen mit sich führen kann. Der Conad also war von Anbeginn meiner römischen Zeit ein Stein des Anstoßes, ein Ärgernis, eine schwärende Pestbeule in der Schönheit meiner wilden Gegend und meines herrlichen Romlebens. In meinem ersten jungen Romsommer, den Tagen und Wochen, als ich frisch verheiratet, von riesigen Projekten heimgesucht in der brütenden Hitze meines neuen Atticos saß, als ich noch kein Hundele hatte und alles fremd und verstörend war, ich die Sprache noch nicht auf der Straße erproben musste und nichts über den ruppig-liebevollen römischen Umgangston wusste, saß ich oft stundenlang da und sprach mir Mut zu, um mich zum Einkaufen zu trauen. Ich war noch nie mit übergroßem Selbstbewusstsein ausgestattet, was hundsgemein ist, weil ich danach aussehe. Aber das nur nebenbei.

In diesen Tagen sollte der Conad, wir sprechen hier übrigens von einer bekannten italienischen Supermarktkette, mein Prüfstein, manchmal auch mein Waterloo werden. Da es in unserer Straße nur noch einen weiteren Supermarkt gab, der sich als italienischer Aldi erwiesen hat, den ich inzwischen für alles, was er verkauft, darstellt und beherbergt von Herzen liebe, wurde ich vor 17 Jahren natürlich in den grundsoliden bürgerlichen Conad (wenn das Programm noch EINMAL Conrad oder Conan aus dem blöden Conad macht, lass ich es!!!) geschickt. Eine schier endlose Kette an Schikaneien nahm ihren Anfang. Vor meinem ersten Weihnachten wollte ich beispielsweise Ketchup kaufen, um mit der berühmten Walnusssoße, in die ein Löffel Ketchup reingehört wenigstens ein bisschen Heimatgefühl zu zaubern. Nach langem ratlosen Suchen habe ich gefragt, wurde verständnislos angeschaut, habe erfahren, dass es das nicht gibt, habe es geglaubt, verstanden, weil in Italien natürlich kein Fastfood gegessen wird (oh mei, damals wusste ich noch nicht, wie gerne hier Fastfood gegessen wird!!!), nur um dann auf ein wohlsortiertes Ketchup-Angebot zu stoßen. Der Verkäufer kam nur mit der englischen Aussprache nicht zurecht. Depp.

Und so geht’s weiter und weiter. Das Schlimmste am Conad geschieht allerdings an den Kassen. Nicht nur, dass höchstens eine von zwölf offen ist, sie haben auch NIE Wechselgeld! Hai spici? Hast Du Kleingeld? ist inzwischen ein Synonym für Beim-Conad-Einkaufen geworden. Einmal konnte ich einen Blick in die Kassenschublade werfen und ganz ehrlich, wenn ich alles nur in ein Fach werfe, macht mir das Rausgeben natürlich keinen Spaß. Da muss man halt mal zur Bank gehen und wechseln. Oder wie mein guter Todis Zigeuner zu seinen Kunden zählen. Da kommen schnell mehr Spici zusammen als einem lieb ist! Gestern jedenfalls war ich – mal wieder – an der langsamsten Kasse und schon sehr erzürnt (ich muss ab und an hin wegen Waschmittel und Reinigungszeugs, da bin ich markenhörig) und habe mir fest vorgenommen, dass ich unter gar keinen Umständen auch nur ein Zehncent-Stück rausrücke, sondern im Gegenteil mit einem Fünfziger zahlen werde. Und als nach ca. vier Stunden endlich dran war, bereit, dort meine Zelte für immer aufzuschlagen, bis er das Wechselgeld von allen Kassen zusammengesucht hat, was geschieht dann??? 25 Euro, gradraus. Ist mir noch nie passiert. Hatte es passend, habe bis Daheim rachsüchtig vor mich hingebroddelt.

Fremdgehen

Welch schlimmes Wort! Allerdings nur, weil wir es in einem bestimmten Zusammenhang kennen und fürchten gelernt haben. Ansonsten ist man überallhin mal als Fremder gegangen und wenn es nicht schön war, auch ein solcher geblieben. Die ersten Male irgendwo oder mit irgendwem zu sein, sind immer spannend, aufregend, ungewiss und erst mit der Zeit lüftet sich, ob aus dem Fremden etwas Vertrautes werden könnte. Manchmal hat man gleich zu Anfang ein Gefühl, Daumen hoch oder runter, aber selbst das kann trügen, kann von einem Menschen abhängig sein, der an diesem Tag nur zufällig da war, von einem Duft, von irgendwas. Ich hatte ja schon mehrmals erwähnt, dass bei unserem Pasquale nicht mehr alles ist, wie es war und dass der dicke Luca das Restaurant mit seinen Leuchttürmen, Muscheln, Weinschränken und dem blöden weißen Flügel schön langsam in den Traum einer jeden Vorstadtdekorateurin verwandelt hat.

Das Essen war immer noch wunderbar, zumindest die Hauptgerichte, im Service waren auf einmal andere Leute da, nicht wie sonst Festangestellte, sondern Aushilfen und Leihkräfte, aber darüber konnten und wollten Stammgäste hinwegsehen. Nun waren wir heute das erste Mal so richtig dort und ich konnte mich vorab durchsetzen, dass wir mal das Mittagsbuffet ausprobieren und nicht immer à la carte essen. Ich hatte es heute für einen guten Tag erachtet, weil Massimo, unser Hauptkellner nicht da zu sein schien. Allein, es wäre gar kein Trick notwendig gewesen. Es gab überhaupt kein echte Mittagessen. Jetzt bin ich gespannt wie ein Flitzebogen, denn am Strand – neben dem Capo und seiner Gemahlin – haben wir natürlich die wildesten Verschwörungstheorien gewälzt und dass vielleicht bald alles in Casinos oder sonstwas umgewandelt werden soll und die ganze Geschichte nur ein Trick ist, um günstig an Land zu kommen. Ein wahrhaftiger Krimi und da soll man sich erholen?!

Und weil Frauen einen siebten Sinn für solche Veränderungen haben, waren wir bereits gestern an einem gänzlich anderen Ort, zwar auch am Meer, aber sozusagen an einem anderen. Dort waren wir zum ersten Mal, Fremde, und dementsprechend aufgeregt. Am Strand gibt es keine festen Schirme, keine Schirmständer, alles ist frei (ich habe erst auf dem Heimweg verstanden, warum es mir dort so anders vorgekommen ist) und man kann mit den Füßen im Sand essen, was für mich als Urdeutsche der Inbegriff des Himmels ist. Was wir gegessen haben, kam nicht im Entferntesten an Pasquales Küche heran, aber ganz ehrlich: kochen kann ist selber. Und auch nicht schlecht. Wir schauen jetzt mal und halten es wie die Römer „Si chiude una porta, si apre un portone“, es schließt sich eine Tür, es öffnet sich ein Tor.

Kundenorientierung

Verkäufer, die sich und ihre Waren aus dem Effeff kennen, sind Segen und Fluch zugleich. Wie ich das meine? Kommt schon, die Geschichte braucht Anlauf. Also: Gestern Abend haben offiziell unsere Ferien begonnen. Noch ein kleiner geschäftlicher Termin auf der Via Veneto – es könnte einen schlimmer treffen – und dann nichts wie los in den Urlaub, in die Vacanze Romane. Während es für andere nichts Schöneres gibt, als im Urlaub mal richtig auszuflippen, jeden Tag woanders zu sein und es voll krachen zu lassen, gibt es für mich und zum Glück für meinen Mann auch, nichts Schöneres als an einem Ort zu sein und gar nichts, aber wirklich gar nichts vorzuhaben außer riesige Wassermelonen zu essen (und die Planung, wann wir sie anschneiden, kostet uns schon viel Kraft und Energie) oder zu entscheiden, ob wir mit der Vespa in die Stadt fahren oder nicht. Das kann in unserem Fall durchaus eine Challenge sein, denn unsere wunderhübsche cremeweiße Vespa ist eine wahre Diva, die für unfassbare Maintenanceekosten im Prinzip doch macht, was sie gerade möchte. Und das ist nicht immer anspringen.

Also bin ich heute los in den chinesischen Laden unseres Vertrauens und habe mir eine LED-Lampe, besser gesagt, mehrere, gekauft. Darunter ist auch eine Kopflampe, die ich gedenke, mir verkehrt herum um den Helm zu binden. Nachdem ich heute schon an den Fußrasten von einem Motorrad, das unbedingt in der Garage stehen muss mein frisch poliertes Auto ruiniert habe, kann ich keine weiteren Schäden mehr brauchen. Der Chinese jedenfalls ist ein Phänomen, denn bis auf Duschgel hat er tatsächlich alles. Er legt kurz sein wellensittichkleines Köpfchen schräg und schon saust er los in die Tiefen seines Ladens und wenn etwas nicht da ist, fragt er, ob man hier wohnt und wenn ja, dass es bis Montag da sein könnte. Prima. Er muss immer sehr flink sein, denn erstens gibt es drei solche Läden in unserer Straße und zweitens muss er die Kasse alleine lassen, während er uns was zeigt und das bereitet ihm körperliche Schmerzen. Würde man ihn nach einem Heißluftballon fragen, würde er auch den Kopf schräg legen und vermutlich bedauernd sagen, die seien gerade aus, könnten aber bis Montag, spätestens Dienstag wieder im Laden sein.

Auf ebenso viel Kompetenz bin ich im Zentrum Roms bei Fragen nach einer Handtasche gestoßen. Und das war so: In dem Restaurant / Café / Arabertreff, in dem die Besprechung stattgefunden hatte, hatte ich wirklich Zeit genug, mir zu überlegen, dass Geld alleine keine Schönheit kaufen kann und dass nicht alle westlichen Errungenschaften ein Segen für alle Menschen sind. Insbesondere gilt das wohl für Fast- oder Komfortfood. Was Geld allerdings kaufen kann, sind wunder- einfach wundervolle Handtaschen! Und ich bin da keineswegs leicht zu beeindrucken. Eine jedoch hing an einer Frau, die so jung, so arg geschminkt und so sehr böse war, dass es einem eiskalt den Rücken hinunterlief. Ich habe die Tasche sofort fotografiert und bin damit in das ihr zugehörige Geschäft gefahren, was zum Glück nicht weit entfernt war und dort teilte mir der Storemanager freundlich mit, die Tasche, ja, die sei von ihm, aber der Gurt nicht, der sei von einer anderen Firma. Ich habe mich geschämt und muss mich wirklich empören, denn wenn ich einmal, zum ersten Mal in meinem Leben etwas derart nachverfolge, dann möchte ich bitteschön nicht gleich auf solche Schwierigkeiten und Peinlichkeiten stoßen. Da kaufe ich lieber weiter bei meinem Chinesen. Der wollte mir für das letzte Exemplar einer herzförmigen Tasche mit Kette an der Kasse sogar noch einen Preisnachlass machen, aber ich würde vermutlich von dem Geruch beim Tragen ohnmächtig werden. Ist auch keine Lösung.

Frau Raggi räumt auf

Wo wir doch gerade so schön beim Thema sind. Eigentlich bei allen möglichen Themen, die hier in diesem Beitrag zu einer Synthese zusammen finden. Herr Amsel, Frau Amsel, Politik, Frauen in der Politik, mit oder oder Kinder, Liebe, Drama, Wahnsinn, Rom und eigentlich alles, was wir so in den letzten Wochen immer mal wieder besprochen haben. All dies läuft in unserer, meiner Straße in meiner wilden römischen Gegend zusammen. Das muss man sich mal vorstellen. Gerade noch habe ich mein Auto vom Kundendienst geholt, mal wieder mit neuen Stoßdämpfern, weil die alten den römischen Straßenverhältnissen nicht mehr gewachsen waren, gerade eben sind wir noch um mülltonnengroße Löcher mit der Vespa herumgefahren und gerade eben wird Virginia Raggi zu Roms Bürgermeisterin gewählt und schon bekommen wir nach ich weiß nicht wieviel Jahren einen neuen Straßenasphalt. Und das einen Monat nach ihrer Wahl.

Es kann allerdings auch nicht viel Freude bereiten, Roms Straßen neu zu asphaltieren, wenn einem jede Hausfrau der Gegend auf der Jagd nach Auberginen über den dampfenden Belag fährt. Oder irgendein Simpl meint, dass genau jetzt der richtige Moment ist, beim Chinesen gegenüber Sonnencreme zu kaufen und sich dann wundert, warum die Sohlen seiner Turnschuhe schmelzen. Das würde mich als Walzenfahrer auch erzürnen (was es ihn auch hat, denn unter seinem Tropenhütchen mit Baumwollschleier hat er ganz schön rausgeschimpft). Vielleicht machen römische Bauarbeiter ihren Job deshalb auch so selten es eben geht?

Normalerweise wissen wir, dass Wahlen bevorstehen, wenn ein Fitzelchen Straße in unserer Gegend neu geteert wird. Das wird dann meist, sehr zum Verdruss meines Mannes gemacht, ohne die Kanalisation anzuheben, was natürlich langfristig zu ebenso großen Löchern führt wie überbelegte Busse oder zuwenig irgendwas im Asphalt (da fehlt oft etwas, das dann auch Häuser zum Einsturz bringt, aber offenbar so teuer ist, dass vom Bestechungsgeld nicht mehr genügend für eine Yacht übrig bliebe, was ja auch ein Ärgernis sein kann – vor allem bei so schlechten Straßen). Dieses Mal fand das Asphaltieren nach einer Wahl statt und gilt somit als Einlösung eines Wahlversprechens, was mich mit allergrößter Zuversicht, ich möchte fast sagen Liebe für Frau Raggi erfüllt. Ist sie nur ein neuer Besen, der aber auch bald zerfledderte Borsten haben wird? Oder kann ihr das Meisterstück gelingen, sich nichts unterjubeln zu lassen? Ich würde es mir so sehr wünschen. Es könnte doch einfach mal das Gute siegen. Wäre das nicht schön?

Mann vor Frau – hier die Welt noch in Ordnung

Zu Zeiten, in denen sich die Welt schneller zu drehen oder gefangen im Wahnsinn scheint, ganz wie man es betrachten möchte, kann ich mit großer Freude berichten, dass in Mikrokosmos meiner römischen Terrasse die Welt noch vollkommen in Ordnung ist. Wie alle inzwischen wissen, lebe ich auch hier mit Vögeln. Und da die Vögel mich hier nolens volens inzwischen als einen zwar etwas großen, aber harmlosen Störenfried akzeptiert haben, verhalten sie sich weiterhin, wie es ihnen beliebt und gehen ihren ganz normalen Alltagstätigkeiten nach: Baden, Plustern, Picken, Erleichtern – was halt so zu einem Vogelalltag gehört. Durch regungsloses Sitzen im Schatten (Fingerbewegungen auf der Tastatur nehmen sie offenbar nicht als Bedrohung wahr), bin ich Teil ihrer Welt geworden und konnte mir einen Überblick über einen typischen Amselvormittag verschaffen:

Gegen 9.15 Uhr, kurz nachdem die Bewässerungsanlage frisches Wasser in die Pflanzen und damit auch die Untertöpfe gepumpt hat, kommt Herr Amsel und nimmt sein sehr ausgiebiges Bad im angenehm länglichen Untertopf von Oregano und Rosmarin, er mag es offenbar eher herb. Wenn er im – für ihn – hüfttiefen Wasser steht und planscht, könnte den Geräuschen nach zu urteilen, auch ein Elefant sein Morgenritual durchziehen. Es wird geprustet, geschüttelt, geplanscht, dass das Wasser nur so spritzt. Triefend und ungefähr doppelt so groß taucht Signor Amsel dann aus den Fluten auf, taumelt aufs Geländer und schüttelt sich erstmal vehement. Alsdann fliegt er in den nahegelegenen Oleanderbusch und macht sich an die Feinarbeiten. Meist ist er dann so glücklich und erleichtert, dass das Wasser ihm nicht geschadet hat, dass er sich erst mal gründlich erleichtern muss. Oft drängt ihn das Bedürfnis, von seinem Badeevent zu erzählen und er schreit mächtig rum. So mächtig man halt schreien kann, wenn man männerfaustgroß ist. Meistens mache ich dann aber irgendeine falsche Bewegung und er stürmt empört davon.

Ist dieser Vorgang abgeschlossen, so nach ca. fünfzehn Minuten, denn ich vermute, so lange dauert es, bis er der Signora Amsel von seinen Heldentaten und Abenteuern berichtet hat, kommt sie angeflogen, betrachtet mit schräg gelegtem Kopf das Chaos um sein Waschbecken und flattert ins benachbarte Salbei-Thymianbad (die Kräuter haben bei mir alle gemeinsame Untertöpfe, sonst würde noch mehr überlaufen als es eh schon tut). Dort führt sie sich im Prinzip genauso auf wie ihr Gatte, nur für den anschließenden Prozess des Glätten, Zupfens und Legens braucht sie länger und setzt sich dazu gerne auch auf eine Stuhllehne, weil sie da nicht durch Blätter gestört wird, was ich allerdings nicht so schätze, denn auch sie entspannt sich hier und das führt zu unschönen Spuren entlang meiner Sitzlehnen. Aber bitte, es gesehenen ja weit schlimmere Dinge auf der Welt, wie wir alle wissen. Frau Amsel scheint diesen Vorgang sehr zu genießen und ich habe ab und an den Eindruck, sie würde sich am liebsten zu mir setzen und ein bisschen von Frau zu Frau plaudern. Wir wären uns dann völlig einig, wie schön die Welt ist, wenn man sie für ein paar Momente auf seine eigene Umgebung und das, was man beeinflussen kann, eingrenzt.

Nun auch noch ein Storch

Bestimmt geht es mir nicht alleine so, dass ich mich morgens vor dem ersten Blick ins Internet erst einmal wappne, was nun auf der Welt, in Bayern geschehen sein mag. Meistens scrolle ich dann rasch weiter zu „Panorama“, was mir seit jeher eh das Liebste ist, weil letztlich doch alles aufs Zwischenmenschliche hinausläuft und zum Beispiel ein Film wie „Pretty Woman“ – versteht man ihn zu lesen (!) – mindestens genauso viel Wissen über das menschliche Sein und damit unser aller vermitteln kann, wie eine psychologische Abhandlung. Egal, bin abgeschweift. Heute Morgen jedoch als ich pflichtbewusst schon sehr früh wach war und nicht zu den Glücklichen zähle, die „sich nochmal umdrehen“, hat mich im vermeintlich sicheren Hafen meiner Lieblingsrubrik nahezu Dasselbe erwartet wie im „Aktuellen Tagesgeschehen“: ein randalierender Problemstorch mit Persönlichkeitsstörung.

Irgendwo im Brandenburgischen gibt es den armen Ronny, der sein eigenes Spiegelbild verabscheut und deshalb energisch drauf einhackt, sobald er dessen ansichtig wird. Das Selbsterkennen funktioniert naturgemäß am besten in Scheiben und auf dunklen Lacken. Und die gibts natürlich vor allem bei Autos, am besten bei Autos mit großer Spiegelfläche. Und genau da hört der Spaß auf. Störche ja, auch mit Persönlichkeitsstörung (liegt vermutlich an der Entwurzelung, kommt ja von weit her), aber bitte nicht auf unseren Autos! Apropos Auto: Bei allem Entsetzen über das Tagesgeschehen dürfte sich der ein oder andere Autobauer doch erleichtert die Hände reiben, dass er nicht Opfer des Sommerlochs geworden ist. Und die Griechen eigentlich auch. Und die Engländer. Sie alle profitieren nun davon, was unsere Großmütter schon immer sagten, dass nämlich nichts so heiß gegessen wird, wie es gekocht wird und wenn es doch nicht abkühlt, dann liegt es dran, dass immer jemand nachschürt.

Nun soll das keinesfalls in eine Medienschelte ausarten, jedoch stellt sich schon die Frage, ob die Einzelfälle nun nicht mehr so wichtig sind, weil sie keine Einzelfälle mehr sind oder weil sie veraltet sind und nicht wert sind, weiter behandelt zu werden. Wer erinnert sich noch an den Griechenlandwahnsinn vor – wann war das? Vor zwei Jahren? – den Brexit? Ist all das nicht mehr wichtig oder handelt es sich um das gleiche Phänomen, wie es manche It-Girls mit ihren Handtaschen und Kleidern haben? Sie sind tagtäglich von so viel Luxusgütern umgeben, dass sie Handtasche oder Kleid eben nur einmal tragen und sie dann langweilig finden? Das macht die Dinge nicht weniger schön, aber eben nur zu einer von vielen Möglichkeiten und damit austauschbar. Wie sind wir jetzt von einem Problemstorch darauf gekommen? Keine Ahnung. Ich nehme jedoch mit Sicherheit an, dass der Storch einen Migrationshintergrund hat.

Lesen mit Keksen im Bett bei grauem Himmel

Graue Wolken, gar Regen im Urlaub oder am Wochenende mögen für viele ein Ärgernis darstellen, für mich sind sie sozusagen der Brandbeschleuniger des Urlaubsgefühls, weil man dann wirklich überhaupt gar nichts unternehmen kann und muss. Jaha, ich weiheiß, es gibt kein schlechtes Wetter, nur falsche Kleidung, aber gehen Sie dann doch bitte selbst im Bikini mit Flatterhemdchen raus und schauen sich was an. Ist man solcherart gekleidet, für den Sommer eben, bleiben im Prinzip nur die folgenden Aktivitäten: Rumsandeln, auf dem Bett liegen, mal in einen Film reinschauen und dann doch wieder lesen, überlegen, was man alles kochen könnte und dann ein Brot essen, Urlaube planen und dann erleichtert sagen, ach, jetzt warten wir mal ab, all solche Sachen halt. Kekse im Bett essen. Ein Bier dazu trinken. Natürlich gibt es Tage, an denen man vor Aktionismus überbordert und der Tag gar nicht genügend Stunden hat und das sind wirklich ganz wundervolle Tage, aber solche, an denen der Himmel leicht gräulich ist und sogar eine kühle Brise übers Bett weht, sind mir sogar noch lieber. Vor allem, wenn ich so falsch gekleidet bin.

Im Laufe meines mittellangen Lebens habe ich bezüglich des Aktivitätslevels von Personen bemerken können, dass es tatsächlich große Unterschiede gibt und dass einer der Hauptunterschiede ist, ob jemand gerne liest und sich still mit sich beschäftigen kann oder nicht. Diejenigen, die das nicht gerne tun, sind meist sehr aktiv, sportlich und auch erfolgreich. Warum? Weil es ihnen einfach langweilig ist, mit oder gar ohne Buch herumzusitzen, gar zu liegen. Hörbücher sind eine prima Alternative für Diejenigen, die beides mögen, aber es ist eben nicht „the real thing“. Lesen aber ist eine Welt für sich. Leben aus zweiter Hand nennen es die einen, für die anderen sind es Reisen, Fantasien, Welten, an die man vorher nicht gedacht hätte und all das aus der Komfortzone des Alltags mit dem sicheren Wissen, dass die Küche nicht weit weg ist im Extremfall auch mal ein paar Seiten überglättert werden können. Was könnte schöner sein?

Ich muss zwar immer erst einem mühsamen Ritual folgen, um endlich zum Lesen zu kommen, so versuche ich es alleine heute Nachmittag seit geschlagenen vier Stunden…..und bin immer noch nicht dazu gekommen, weil ich dauernd irgendwas nachschlagen muss, ein Lied suchen, Kekse holen, ein Bier holen, mich kurz ausruhen, Nachrichten beantworten und was halt an so einem Nachmittag so anfällt. Jetzt dräut die Essenszubereitung über meinem Haupt und vielleicht werde ich nach all dem Stress und den Keksen einfach ein bisschen in einem Kochbuch blättern. Zur Abwechslung von all der Leserei.

Heute beim Gemüsehändler

Zu sehr unchristlicher Zeit, nämlich um vier Uhr morgens, mussten wir heute aufstehen, um den einzigen Flug nach Rom zu bekommen. Um diese Zeit bin ich noch nicht besonders aufnahmefähig, entgegen meiner Annahmen, wenn ich mal wieder mitten in der Nacht aufwache und nicht mehr einschlafen kann, was mich dann sehr wurmt, weil ich mir denke, dass ich doch eigentlich schon mordsviel unternehmen könnte. Stimmt gar nicht, wie ich heute festgestellt habe. Das frühe Aufstehen hatte allerdings den Vorteil, dass wir bereits um halb acht hin Rom waren und gegen acht Uhr zuhause, wo ich mich gleich mit Verve an mein liebstes Gerät nach dem Urlaub, die Waschmaschine, geworfen habe. Ich komme gerne nach Hause. Diesmal weniger gerne als sonst, aber schon auch gerne. Nach kurzer Rast haben wir einen kleinen Ausflug zum Obst- und Gemüsehändler, zur Reinigung und so weiter gestartet und dort durfte ich Folgendes – nicht unbedingt Bedeutungsloses, betrachtet man den größeren Zusammenhang – beobachten.

Der Obsthändler am Ende unserer Straße, die wie gesagt in einer wilden Gegend liegt, befindet sich wie die meisten anderen römischen Obst- und Gemüsehändler fest in nordafrikanischer Hand. Er dient als Anlaufstelle immer wieder neuer und junger Verwandter von alteingesessenen Hasen mit schwieligen harten Pranken und Fingernägeln, mit denen sie Schrauben rein- oder wahlweise rausdrehen könnten. Die ersten Worte, die sie lernen sind: „Ciao Bellissima“ und da sich ihnen die Bedeutung dieser Worte offenbar in keinster Weise erschließt (wie auch? Und wer hätte nicht schon Spaß dran gehabt, armen Nicht-die-jeweilige-Sprache-Sprechenden fürchterliche Wortwendungen beizubringen, auf dass sie im Restaurant statt eines Schnitzels eine Nacht mit dem schnuckeligen Kellner bestellen?!), rufen sie diese ihre neue Worterrungenschaft mit dunkelblitzenden Augen jeder noch so furchteinflößenden Matrone zu, die über ihre Schwelle tritt. Bin ich längere Zeit in Rom, kann ich mit mütterlicher Freude den Aufstieg in die Routine bei den zunächst scheuen jungen Wilden verfolgen und miterleben, wie sie dann nach gewisser Zeit einen noch Jüngeren zum Rumbossen an die Seite gestellt bekommen. Es ist ein reizendes Schauspiel und fast immer ist es von plärrender, wenig verständlicher, vermutlich orientalischer (?) Musik untermalt.

Heute geschah jedoch Folgendes: Kurz nachdem ich den Laden betreten habe, konnte ich beobachten, wie mein jüngstes Küken sich wacker mit ein paar Hausfrauen herumschlug, alles freundlich schäkernd, aber bestimmt. Er war stolz und froh, dass ich Zeuge davon wurde. Das sollte sich rasch ändern, denn dann kam ein Mann in den frühen Sechzigern an die Theke und herrschte ihn an, dass er ihm 15 Cent nicht zurückgegeben hätte und ob er denn glaube, er sei blöd?! Der Junge war recht verdattert, hat ihm das Geld gegeben und mich angesehen. Ich hab die Achseln gezuckt und gelächelt, aber er war sauer, gekränkt und empört, hat sich gebückt und ziemlich lange an der Musikanlage herumgewurschtelt und dann war auf einmal sehr fürchterliche, sehr laute Musik zu hören und jedes Lächeln aus seinem Gesicht verschwunden. In Zeiten wie diesen drängt sich dann schon die Frage auf, was alles passieren kann, wenn einem Jugendlichen ohne große Wurzeln und mit weniger Bestätigung Solches häufiger passiert. Musiklautdrehen hilft dann nicht mehr und ich komme wieder einmal zu dem Schluss, dass die meisten Ursachen schlimmer Taten an sich entsetzlich klein sind.