Liftgespräche und Schussfahren

Wir sind beim Skifahren. Wahnsinnig toll. Wie zwei Pferde, die zu lange im Stall waren, rasen wir – man möchte sagen: hirnlos, aber dafür sind wir zu vorsichtig und zu betagt, um die Folgen außer Acht zu lassen – seit zwei Tagen die Berge rauf und runter. Keiner möchte gerne mit uns fahren, die einzigen, die das gerne würden, müssen arbeiten, weil wir schrecklich außer Rand und Band sind. Gerade am Morgen, wenn noch wenige Leute unterwegs sind, gibt es ein, zwei Pisten, die dauern kaum eine Minute zum Abfahren und ca. vier Minuten Lift. Und eben auf dieser Piste hatten wir einen Parallellauf mit zwei anderen Skifahrern, zwei Männern, einer Oberbayer und Gschaftlhuber, der andere Düsseldorfer und sichtlich bemüht, so cool zu sein wie sein bayerischer Freund mit der weißen Porschebrille. Ich muss zugeben, ich hab extra Gas gegeben, um auch ja nichts von den Gesprächen im Lift zu versäumen. Es gab durchaus einen Einblick in die männliche Psyche, die ja oft verkannt wird, offenbar aber nicht immer soooo tiefgründig ist, um irgendwas zu verkennen.

Die Angelika auf der Maierlalm wäre ja also jetzt verliebt in ihn und würde sich Hoffnungen machen, da müsse man schon aufpassen. Warum? Na, ganz klar. Im Sommer arbeite sie auf Ibiza und vermiete dort Häuser und der Düsseldorfer (das Boatscherl) suche ein solches. Da hat er ihr seine Visitenkarte gegeben. Ist doch klar, dass sie sich jetzt Hoffnungen macht, törichtes kleines Ding, das sie nun mal ist. Und weil die Kerstin, des Düsseldorfers Gattin, eh eher ungern die Hänge rauf- und runtersaust und er das auch gar nicht so schlimm findet, müsse er doch gleich zwei Mal aufpassen. So sein weltmännischer bayerischer Freund. Dass man für zwei Kinder im Tagesskikurs, wo sie nur Schlepper fahren und zu zwanzigst rumrutschen 35 Euro pro Kind zahlt, weiß ich jetzt auch. Leider haben wir sie wegen einem kurzen Gerangel beim Einsteigen verloren und dann haben sie wohl auch die Lust verloren und eine andere Piste gewählt. Doof, hätte gerne noch mehr gelernt.

Gleich auf den nächsten Fahrten wurden wir dafür in die Denkstrukturen unserer jungen Hoffnungsträger, der berufstätigen Checker in Großstädten eingeweiht. Ja, man könne jetzt langsam wieder mit dem Rad zur Arbeit fahren, aber es wäre weitaus chilliger, von Zuhause aus zu arbeiten und dann einfach an der Isar entlang zu radeln, da der Weg durch die Stadt doch die volle Chemiedröhnung sei. Außerdem wäre die Kundenstruktur sowieso so unglaublich global, dass es wenig Sinn mache, sie vom Büro aus zu betreuen. Wir spitzten neugierig die Ohren, welch wahnsinnig aufregende Tätigkeit sich dahinter verberge, wurden dann aber jäh enttäuscht, als es hieß, manche könne man auch von den Eltern aus in Stuttgart betreuen, da ginge dann ein Regionalzug hin. Was soll man sagen? Sind das die Abenteuer der heutigen Jugend? Reutlingen, Biberach und co? Ganz so trist ist es aber doch nicht, denn bei einer unserer letzten Liftfahrten – wir waren am Nachmittag etwas entnervt von all den wahnsinnig schlechten Skifahrern, noch schlimmer aber von den hirnlosen Schussfahrern – durften wir lernen, was junge Menschen antreibt: drei verschiedene Apps auf dem Handy und der GoPro, die die Distanz messen und vor allem die Geschwindigkeit. Und damit sind wir für die nächsten Tage bestens gewappnet. Es geht nämlich nur um die Geschwindigkeit und die Anzahl der gefahrenen Kilometer. Alles andere ist nebensächlich. Vermutlich geht es auch beim Radeln nicht darum, an ein Ziel zu kommen, sondern nur möglichst viel zu radeln oder einen neuen Höhenmeterrekord oder so aufzustellen. Und wenn das alles so ist, um was geht es denn eigentlich in diesen jungen Leben, die alles filmen, messen und vergleichen?

Zeit ist der Steigbügel der Wahrheit

Das habe ich heute morgen in der „Bunte“ gelesen. Wie schön, wenn ein Geschenk einem selbst zum Geschenk wird. Weil ich meiner Mama ein Abo geschenkt habe und sie das Heft, in Windeseile gelesen, an mich weiterreicht, weiß nun auch ich – zeitnah und unabhängig von Arzt-, oder Friseurbesuchen -, was in der Welt so vor sich geht. Und das ist eine Menge. Mann, Mann, Mann. Die arme Dschungellästerin und Tierfreundin Sonja wurde beispielsweise Opfer übler Machenschaften als sie ihre bunten Flattertuniken auch anderen zum Kauf bereit stellen wollte, was prinzipiell eine schöne Idee ist. Wäre da nicht ihr energisches Engagement für den Tierschutz, das mich sehr beeindruckt, könnte in einem kleinen hinteren Gehirnwinkel die Idee aufkeimen, dass sie fairerweise „auch mal was abbekommt“. Sicher, sicher, es ist ihre Aufgabe, in dieser Sendung gnadenlos und zynisch zu lästern, aber so manches Mal schaudert es einen schon, wenn die schneidenden und scheinbar herzlosen Kommentare über die entblößten Dschungelinsassen gesprochen werden. Jedes Publikum bekommt die Sendungen, die es verdient? Jedes Land die Regierung, die es verdient? Stimmt das so? Kommt es zeitversetzt? Ist das wahr?

Der Spruch lässt mich nicht los. Er ist so blumig, dass er haften bleibt. Meine Mutter sagt oft, die Wahrheit ist im letzten Töpfchen. Kommt sie wirklich immer ans Licht? Wohl nicht, sonst gäbe es nicht so viele ungeklärte Morde. Oder so viele unrechtmäßige Vermögen, die nicht zurückgegeben werden müssen, oder? Kann man sich wirklich darauf verlassen, dass am Ende alles rauskommt? Ich kenne eine Familie, die ihren Schmuck während des Krieges so gut vergraben hat, weil der Vater in Sorge war, dass er doch noch geklaut würde, dass die jetzigen Bewohner des Hauses (sie können es ja nie verkaufen!!) in jedem Frühling beim Tulpenzwiebelnsetzen feuchte Hände vor Aufregung haben, ob sie vielleicht dieses Mal auf die Juwelen stoßen? Und was ist eigentlich die Wahrheit? Hat nicht jeder seine eigene Wahrheit? Gibt es eine universelle Wahrheit? Ist Wahrheit das, was jemand denkt und fühlt? Und dann auch so sagt? Oder das, was faktisch messbar ist? Aber ist wirklich alles messbar? Was ist es? Zu einer Auseinandersetzung kommt es meistens dann, wenn zwei Menschen unterschiedliche Wahrheiten in sich haben und diese vertreten. Was um Himmels Willen ist Wahrheit? Hat da schon mal jemand drüber nachgedacht?

In den USA, die momentan auf dem allerbesten Weg sind, sich zum Parallelprogramm von RTL II zu entwickeln und bald sämtliche Quoten von Frauentausch und Dschungelcamp übertreffen werden, wurde jüngst der brillante Begriff der „Alternativen Fakten“ geprägt. Einer meiner Lieblingssprüche lautet: „Alles, was man sagt, muss wahr sein, man muss aber nicht alles sagen, was wahr ist.“ Oder wie unsere Omas uns lehrten: „Wenn Du nichts Nettes, Freundliches sagen kannst, sag lieber gar nichts.“ Bedeutet das mit dem Steigbügel und der Zeit also, dass selbst, wenn jemand etwas nicht Nettes zu sagen hätte, er nur warten muss und es kommt von alleine raus? Das erfordert aber schon viel Vertrauen in das Leben und die Zukunft, mein lieber Herr Gesangsverein! In der momentanen Weltpolitik kann das auch mal garstig enden. In meiner eigenen Weltpolitik fahre ich hingegen mit ebendieser Einstellung nicht schlecht. Wenn ich richtig gut drauf bin, betrachte ich mir die alternativen Wahrheiten um mich herum wie ein Bühnenstück und freue mich auf die Auflösung. Das Happy End. Denn wie sagt so schön ein anderes Sprichwort: Everything will be fine at the end. And if it’s not fine, it’s not the end. So einfach ist das nämlich. Drücken wir uns alle die Daumen.

What goes around, comes around

Was für ein aufregender Tag! So viele Erlebnisse. Ich muss der Reihe nach beginnen. Der Tag begann mit einem Anruf der lieben Mare, die mich auf die fürchterlichen Erdbeben in Rom aufmerksam gemacht hat und eine Verschiebung meiner Reise dringend angeraten hat. Nach einigem strategischem Geplauder haben wir uns verabschiedet und ich habe mich dran gemacht, meine kleine Handtasche von gestern Abend umzuräumen, weil sonst wieder Lippenstifte, Puder und sonstiger Kram auf Nimmerwiedersehen darin verschwinden. Auch das Geld aus dem kleinen Ausgehbeutel (ich weiß, ich bin ein Spießer, aber wer jemals mein normales Portemonnaie gesehen und gehoben hat, weiß, dass es durchaus sinnvol ist, abends mit leichtem Gepäck zu reisen. Vor allem, wenn man zu Fuß unterwegs ist.) wollte ich wieder umschichten (naja, drei Scheine….klingt recht erhaben dieses „Umschichten“, aber „Umräumen“ hab ich schon verbraucht und naja, egal). Trotz heftiger Suche war kein rosa Beutelchen zu finden. Da dieses kleine Biest von Tasche trotz ihrer relativen Kleinheit schon einmal über Monate mein französisches Iphone in Geiselhaft verborgen hatte, habe ich misstrauisch nochmal gründlich geschaut, mir dabei eine Nadel aus dem Nähset unter den Mittelfingernagel gerammt (deshalb nähe ich nicht, keine Ahnung, warum ich den verletzungslastigen Kram dann überhaupt mitschleppe??!!) und schließlich aufgegeben. Draußen lag auch nichts. Und dann dämmerte es mir:

Das kleine leichte Beutelchen muss auf der Straße beim Handschuherausziehen die Chance zur Flucht ergriffen haben und hat sich hinausgestürzt. Oder anders gesagt, es wurde in die eisigen Tiefen der Straße geschleudert. Zusammen mit meinen Visitenkarten und einem anonymen Anruf um 21.43 Uhr bei mir zuhause ergab das in meiner Fantasie eine ungute Kombination und ich war verstört. Außerdem traurig, weil ich – bis auf die blöden 150 Euro vom letzten Jahr, die mir aus der Hosentasche gerutscht waren – noch nie was verloren hatte. Es war nicht das Geld, es war nicht das Beutelchen, es war einfach die Tatsache, die mich betrübt hat. Bin dann meinem Tagwerk nachgegangen, hab ein bisschen vor mich hingejammert und dann am Nachmittag auf dem Weg zum Flughafen nochmal den Weg abgefahren und habe natürlich nichts gefunden. Vom Auto aus hab ich meine Mutter angerufen und wie es fast immer so ist, hat just in diesem Moment meine Mailbox geklingelt und ich aus einem Impuls habe ich das Gespräch unterbrochen und die unbekannte Nummer zurückgerufen.

Dran war eine zauberhafte junge Frau mit einer lachenden Stimme, die mich gefragt hat, ob ich vielleicht etwas verloren hatte. Ich hätte fast geweint vor Freude und sie hat sich erst gefreut. Das war so eine Freudenspirale, denn sie hatte auf dem Heimweg mit einem Kollegen das Beutelchen gefunden und sich gefreut, dass eine Karte drin war (was mir am meisten Sorge bereitet hatte!) und als ich sie gebeten habe, zwanzig Euro zu nehmen, hat sie so vehement abgelehnt und gesagt, sie bringt mir das Beutelchen, weil sie im Kino neben meiner Wohnung arbeitet und das für sie überhaupt kein Umstand ist. Kann man das glauben? So wahnsinnig nette Menschen gibt es und sie hat sich immer wieder genau wie ich einfach nur darüber gefreut, nett sein zu können, helfen zu können und dass sie jemanden froh gemacht hat. Wir waren in einem Perpetuum Mobile der Freude und ich habe die Geschichte gleich ganz vielen Menschen erzählt und jeder hat sich gefreut und damit sind wir wieder bei meiner Ausgangsüberzeugung, auf die ich immer wieder zurück komme: 1. Die meisten Menschen möchten gut sein und handeln, 2. Mit solchen Handlungen löst man eine Kettenreaktion, ein Schneeballsystem aus. Es kommt nicht immer an der gleichen Stelle zurück, aber es kommt. Ich hatte übrigens zu Beginn des Abends einem jungen Mann, der mich auf der Straße angesprochen hatte, Geld gegeben und zwar auch noch etwas mehr, als das, um das er mich gebeten hatte. Cool, oder?

Stadt der Liebe

Ich hatte ja versprochen, den Gedanken über vorurteilsbehaftete Schönheit bei einem Abendessen mit einem schönen Mann weiter zu beleuchten. Im Prinzip eignet sich ein jeder Ort dazu, aber einer nach landläufiger Vorstellung vielleicht ganz besonders: Paris. Also dieses Paris ist doch immer wieder ein Mirakel. Stadt der Liebe? Statt der Liebe? Es gibt wohl kaum eine Stadt, in der es einem so schmerzhaft bewusst wird, wenn man keinen Menschen an seiner Seite hat wie Paris. In der man die Hektik und Anonymität einer Großstadt schlechter aushält ohne einen anderen oder in der man häufiger nach dem Arm einer hoffentlichen Begleitperson greift wie in Paris. Deshalb, ja, es könnte durchaus die Stadt sein, in der einem die Liebe dankbar bewusst wird, wohingegen man sie in anderen, weniger gefährlichen Städten eher selbstverständlich hinnimmt. In der rauen Kühle der Pariser Luft hingegen ist sie nicht nur ein wärmende Kaschmirjäckchen, vielmehr ein notwendiger Daunenparka. Über den man sich nicht minder freut, wenn es kalt ist als über fluffige, kuschelige und federleichtes (farblich passende) Strickwaren bei einem Nachmittagsschokolade bei „Angelina“. Mein Verhältnis zu Paris ist zwiegespalten wie das einer Pariserin (hihihi). Ich bin superkritisch an den meisten Tagen und zähneknirschend verliebt an den anderen. Dieses Wochenende entwickelt sich zu einem verliebten Paris-Wochenende. Trotz oder gerade wegen mancherlei drolliger Dinge, die vermutlich nur hier passieren können.

Nehmen wir einfach mal den Freitagabend: Unerwarteterweise hat mich mein Mann in ein immer ausgebuchtes Restaurant mehr oder weniger unter dem Eiffelturm geführt. Wir waren da schon mal im Sommer vor zwei Jahren (kurz nachdem ich mich schrecklich mit meinem Onilne-Befragungsdienstleister gezankt hatte und immer noch vibriert habe vor lauter Ärger) und es war wunderschön. Denn tatsächlich sieht man das Stahlkonstrukt zwar von fast jeder Stelle der Stadt – außer aus einem der teuersten Restaurants in Paris, das sich eben gerade in der Spitze jenes Turms befindet -, aber es verliert auch dann nicht an Wirkung. Schon beim Betreten ist mir leider aufgefallen (ich finde es schlimm, dass mir so etwas auffällt, aber dann darf man mich nicht so lange an der Garderobe warten lassen), dass das Datum auf der Begrüßungskarte nicht stimmt und der Teppich durchaus eine Grundreinigung vertragen könnte. Freitag, der 14. ist einfach nicht am Freitag, den 13. Das kann man drehen und wenden wie man will und es hat nichts mit Creation und „je ne sais quoi“ zu tun. Das Essen war vorzüglich, nur etwas karg, so dass ich in meiner Not Butter bestellt habe. Damit haben wir uns dann sehr respektable Butterbrote geschmiert und feinsten Wein dazu geschlürft. Herrlich. Das Dessert wollten wir sicherheitshalber woanders nehmen und sind kichernd in einem nach feuchter Wäsche riechenden Taxi ins neu eröffnete Ritz gefahren. Das hat für seinen Totalumbau immerhin fünf Jahre gebraucht und entsprechend gespannt waren wir auch. Es liegt nämlich genauso nahe, dass es durchaus eine Art Stammbar für besonders nette Abendbeginne oder -ausklänge hätte werden können.

Aber wie groß war die Überraschung! Ein fast menschenleeres, blumenloses, totenstilles Ambiente hat uns empfangen. Die Bars seien im hinteren Flügel und nachdem wir einen Straßenzug im Inneren des Hotels vorbei an zahlreichen Vitrinen gelaufen sind und uns zunehmend wie in einer Shoppingmall in einem arabischen Emirat gefühlt haben, konnten wir leises Gemurmel hören. Es kam aus zwei gegenüberliegenden Räumen, die erleuchtet und nett gestaltet waren, aber zum Einen voll und zum Anderen irgendwie deplatziert in dieser unbelebten Atmosphäre. Hat uns nicht gefallen. Hunger hatten wir aber dennoch. Und so sind wir also in einem spanischen/italienischen Restaurant mit Bar gelandet, wo wir einen Teller mit feinstem Schinken Brot und zwei Gläser Rotwein bekommen haben. Satt, hochzufrieden und im sicheren Gefühl, der Stadt trotzdem das Beste abgetrotzt zu haben, sind wir heimgewankt. Gestern dafür hielt ein noch viel schöneres Restaurant die Überraschung bereit, so gut und fein zu sein, dass ich nur wieder an meinen kürzlich geposteten Beitrag anschließen kann: keine Vorurteile gegenüber Schönheit. Weder bei Restaurants noch bei ausnehmend hübschen Platzanweiserinnen oder Kellnern. Es ist einfach nicht fair. Und Paris gegenüber ist es vermutlich auch nicht fair, es zu verteufeln, nur weil es so eindrucksvoll schön ist. Halt auf eine ganz andere Art als mein Rom, das ich nächste Woche nach einer Ewigkeit wieder sehen werde.

Die Nachweihnachtszeit

Warum wird eigentlich der Vorweihnachtszeit so eine große Rolle eingeräumt und der weit längeren und schwerer zu ertragenden Nachweihnachtszeit überhaupt keine Aufmerksamkeit geschenkt? Das möchte ich doch wirklich gerne wissen. Vorher ist alles eiteitei und hell und glitzernd und keiner denkt an das Danach. Wenn Champagnerkorken müde in Schneematschpfützen dümpeln, einst heiß geliebte und geschmückte Christbäume achtlos und kahl bei den Mülltonnen auf ihre letzte Verwendung warten und allerorten Babyhunde ausgeführt werden und sich langsam aber sicher die Gewissheit einschleicht, dass die Arbeit doch an den Eltern, respektive der Mutter hängen bleibt und die schriftlichen Versprechungen des Nachwuchses sich einmal wieder als manipulative Makulatur erweisen. Zynisch oder resigniert könnte man in diesen Nachweihnachtswochen werden. Griesgrämig und bar jeder Hoffnung auf hellere, lichtere Tage.

Zum Beispiel müsste jeder außer mir superfroh sein, dass 2016 vorbei ist. Es galt als allgemeines Schreckensjahr und man war froh, ihm den Rücken zuwenden zu können. Schon alleine deshalb sollte das große Jubeln noch anhalten. Dann kommt hinzu, dass in ein paar wenigen Monaten (vielleicht vier oder fünf höchstens) der Frühling Einzug halten wird und wir uns auf sicherlich einen Sommertag freuen dürfen. Außerdem schneit es endlich und wenngleich die sanfte weiße Decke in den Straßen rasend schnell grau und tiefpfützig wird, ist es doch immer wieder zauberhaft, dem Treiben der Flocken zuzusehen. Meine geliebten Eichhörnchen rasen durch die kahlen Bäume und ab und zu landet eine empörte Meise auf meiner Balkonbrüstung, um in meinem Besen nach Baumaterial zu suchen. Dennoch scheint der Januar eher eine Zeit, die es durchzustehen gilt. In der die erlebte Freude wehmütig nachwabert und die künftige noch in weiter Ferne ist. Ich finde, man muss schon froh sein, wenn man nicht in dieser Zeit Geburtstag hat.

Persönlich komme ich mit ihr ziemlich gut zurecht, weil ich nach langer, langer Fesselung an den Schreibtisch mein Näslein wieder in die Luft hängen kann, einen Blog schreiben und die Bereisung meiner schwer (von mir) vernachlässigten Wohnsitze planen kann. Und wenn man so lange weg war und nicht viel anderes getan hat, als in den Rechner zu starren, ist das ein großes Geschenk. Persönlich könnte ich es kaum netter haben und vermutlich bin ich gerade deshalb so mitfühlend mit all Denjenigen, die den Jahresbeginnblues haben. Als Tipp kann ich nur sagen: Planung ist alles. Einfach für jede Woche etwas Schönes planen, ein Abendessen, Kino, einen Ausflug und schon kann man sich wie eben meine lieben Eichhörnchen von Ast zu Ast, von Nusshöhle zu Nusshöhle hangeln und wusch ist Frühjahr oder Fasching, wenn man das mag oder irgendwas anderes Tolles, auf das sich alle drumherum auch freuen. Denn an sich ist das ja das wirklich Besondere an Weihnachten und macht es so viel mehr besonders als Geburtstage: alle freuen sich und stecken einander mit der Freude an. Wenn also nur einer sich jetzt so richtig, sagen wir mal, auf’s Kino freut, dann trägt er das weiter und weiter und das ganze Grau wird langsam wieder farbig.

Neujahrsappell: Für mehr Toleranz gegenüber Schönheit

In den letzten Wochen, aber natürlich auch vorher, ist mir beim Essengehen Folgendes aufgefallen: Kaum liegt ein Restaurant an einer besonders schönen Stelle und wird damit viel besucht, wundert man sich, dass man dort auch gut essen kann. Oder ist erstaunt, dass das Essen nicht grauslich und touristenfallig ist. Ist das nicht gemein? Warum sollte ein Restaurant, sagen wir mal, am Rialto oder mitten in Trastevere, das Unsummen für die Miete ausgeben muss, ausgerechnet am Koch sparen? Kaum ist etwas hübsch, denkt man gern, es könne keine inneren Werte haben. Nicht dass Sie jetzt denken, ich litte unter diesem Problem. Keine Spur. Ich war in meinen Teenagerjahren weit davon entfernt, als superhübsch zu gelten. Und als Kind schon gleich gar nicht. Was gut ist, wie mein Mann immer sagt, denn es macht im späteren Leben Manches leichter, weil man gleich gelernt hat, sich nicht auf sein Aussehen zu verlassen, das sich betrüblicherweise ja doch ändert mit der Zeit.

Besonders ist es mir aufgefallen, als wir in Venedig an unserem letzten Tag noch einmal Pasta in der Sonne essen wollten und zwar an einem Platz, an dem auch was zu sehen und voilà, welcher würde sich besser eigenen als die Rialtobrücke? Um kurz vor zwölf (wir hätten eigentlich schon längst auf der Autobahn sein müssen) wurde unser Essen geliefert und die Spaghetti al Pomodoro (bei denen man entgegen landläufiger Meinungen ALLES falsch machen kann und deren perfekter Rezeptur und Textur ich immer noch nachjage) waren ein Gedicht. Nun sind sie sowieso mein Verlobungs-Venedig-Essen, an dem sich sämtliche Kochversuche orientieren, aber diese waren außerordentlich gut. Haben wir auch bei Schönheit Vorurteile? Gar böse Vorurteile? Meine Meinung zu Touristenattraktionen, die ja – ist man auch nur ein kleines bisschen Individualist, will heißen, fährt Audi, hat ein iPhone, trägt Nikes – gemeinhin verdammt werden, ist, dass es ja einen Grund haben muss, warum sie zu dem geworden sind, was sie sind. Und sie sind wohl irgendwann mal besonders schön gewesen. Und können meistens gar nichts dafür, dass man sie heute hinter all den Souvenirständen und Snackbars kaum mehr erkennen kann.

Wir sollten Schönheit gegenüber nicht so abwertend sein, weniger Vorurteile haben. Nicht alle (Restaurants, Plätze, Frauen, Männer) bilden sich darauf etwas ein. Manche tun viel dafür, um sie zu erhalten, ihr gerecht zu werden, sie zu teilen. Überhaupt wäre die Welt um Vieles einfacher, wenn wir die Dinge zunächst mal so sehen könnten, wie sie sind. Und nicht mit der Brille der Erfahrungen, die unsere ganz eigenen sind oder der unfassbar großen Egozentrik, die wir haben. Nicht alles, was uns im Leben begegnet, bezieht sein Wesen aus der Spiegelung der Begegnung mit uns. Manche Dinge und Menschen sind einfach schon da und fertig und sind, wie sie sind. Als Summe ihrer eigenen Erfahrungen. Nicht als Reaktion auf uns. Zwar kann man sagen: hier gefällt es mir nicht, der Mensch und sein Verhalten ist nicht das, was ich in meiner Nähe möchte, selten jedoch verhält sich der Mensch nur in der Begegnung mit uns so. Zu 99% spiegelt sein Verhalten SEIN Wesen, nicht unseres. Ob wir uns dann den Schuh anziehen, ist unsere Sache. Ich werde dieses Thema noch vertiefen. Vielleicht bei einem schönen Essen an einem wunderschönen Ort. Mit einem schönen Mann.

Enrico, der romantische Farmacista

Erst mal wünsche ich Euch lieben Lesern da draußen ein glückliches und gesundes Neues Jahr! Man soll es ja nicht verschreien und ich habe mich kaum noch getraut, es zu sagen, aber ich persönlich fand 2016 ein prima Jahr. Natürlich abgesehen von all den schrecklichen Dingen, die in der Welt passiert sind, aber die finden doch irgendwie immer statt oder nicht? Daran zu verzweifeln ist nicht hilfreich, weil man dann den Schwung für die eigene Welt, die, die man gestalten und formen kann, verliert. Durch das Aufsaugen der Taten von Irren stellt sich zwangsläufig irgendwann Wut oder Mutlosigkeit ein und beides ist ganz fürchterlich. Ein kleines Panzerchen oder eine Fettschicht wie das die klugen Enten haben, ist sicherlich von großem Nutzen. Und unter dieser Fettschicht muss die Kraft für das, was man tun kann, lodern und darf nicht gefährdet sein. Der eigene Kreis, in den tagtäglich viele Menschen und Dinge eintreten möchten, darf und muss geschützt und ja, auch verteidigt werden.

Unser Jahr hat generell zwar etwas ruffelig geendet, aber letztlich sind die letzten Tage eines Jahres doch auch immer eine Zeit für Retrospektiven und Bilanzen und das wühlt auf und macht nachdenklich. Ich war recht zufrieden und stolz, aber natürlich auch nicht gefeit, mich gespiegelt zu bekommen. Am vorletzten Abend des Jahres, dem 30. hatten wir allerdings ein Erlebnis, das ich unter meine Federfettschicht schiebe und dort aufbewahre. Wir haben Enrico, den romantischen Apotheker aus Turin, respektive Venedig kennengelernt. Er kam in das Restaurant, das wir nach einigem Hin und Her (wir hatten beide nicht recht Hunger und dann findet man ja an jeder Osteria was auszusetzen) gefunden hatten. Meine Kriterien waren denkbar einfach: es musste ein Radicchio-Risotto geben, was – man möchte es kaum glauben – in der Lagunenstadt gar nicht so einfach war. Gemütlich bei einem Glas Wein saßen wir also da und ärgerten uns nur hin und wieder über den kühlen Wind aus der Türe, die achtlose Gäste nicht schließen wollten. Dann kam ein Herr herein, ein Buch unterm Arm, schloss sorgfältig die Tür und wurde aufs Liebevollste begrüßt: Buonasera dottore, come va? Der Dottere war offenkundig verstört und wusste nicht, wohin mit sich und seinem Buch und ehe ich mich versah, hörte ich mich sagen: Venga da noi, kommen Sie zu uns! Er hatte so einen verstörten Welpenblick, obwohl er schon um die 65 war.

Etwas ratlos hat er sich also hingesetzt und ist dann sofort dem Charme meines Mannes erlegen. Wie leicht er zu verführen ist, hat er uns dann (naja, nicht ganz gleich, musste schon ein wenig nachhelfen) erzählt. Also vor 40 Jahren, er kommt aus Turin, lernte er ein bildhübsches Mädchen aus Udine kennen, das in Venedig lebte. Er, Sohn aus reichem Hause, sagte sich von den Eltern los und zog nach Venedig, um dort eine Apotheke zu eröffnen. Sie, das undankbare, kurzsichtige junge Ding hat sich nach zwei Jahren von einem superreichen Araber verführen lassen und hat Enrico sitzengelassen. Ihm hatte es aber inzwischen gefallen und ganz ehrlich, wer will mit so einer Geschichte im Nacken schon in die Heimat zurück, nur um sich das hämische Getuschel von neidischen Nachbarn und verärgerten Eltern anzuhören? Also ist er geblieben. Aber hat leider nie sein Glück gefunden. Ein Schwerenöter mag er wohl sein, aber jetzt ist er etwas alleine. Jedenfalls hat ihm der Abend so gut gefallen, dass ihm das Unmögliche gelungen ist: er hat uns zum Essen eingeladen, ganz still und heimlich und mein Mann, der durch und durch ein Italiener ist, der sich in seinem eigenen Land schon gleich dreimal nicht einladen lässt, hat sich still gefügt. Wir werden ihn also sicher Ende dieses Jahres wiedersehen, um einen kleine Gegeneinladung anzubringen. War ein echt schöner Abend. Ist jetzt schon tief unter den Federn vergraben.