Zeit ist der Steigbügel der Wahrheit

Das habe ich heute morgen in der „Bunte“ gelesen. Wie schön, wenn ein Geschenk einem selbst zum Geschenk wird. Weil ich meiner Mama ein Abo geschenkt habe und sie das Heft, in Windeseile gelesen, an mich weiterreicht, weiß nun auch ich – zeitnah und unabhängig von Arzt-, oder Friseurbesuchen -, was in der Welt so vor sich geht. Und das ist eine Menge. Mann, Mann, Mann. Die arme Dschungellästerin und Tierfreundin Sonja wurde beispielsweise Opfer übler Machenschaften als sie ihre bunten Flattertuniken auch anderen zum Kauf bereit stellen wollte, was prinzipiell eine schöne Idee ist. Wäre da nicht ihr energisches Engagement für den Tierschutz, das mich sehr beeindruckt, könnte in einem kleinen hinteren Gehirnwinkel die Idee aufkeimen, dass sie fairerweise „auch mal was abbekommt“. Sicher, sicher, es ist ihre Aufgabe, in dieser Sendung gnadenlos und zynisch zu lästern, aber so manches Mal schaudert es einen schon, wenn die schneidenden und scheinbar herzlosen Kommentare über die entblößten Dschungelinsassen gesprochen werden. Jedes Publikum bekommt die Sendungen, die es verdient? Jedes Land die Regierung, die es verdient? Stimmt das so? Kommt es zeitversetzt? Ist das wahr?

Der Spruch lässt mich nicht los. Er ist so blumig, dass er haften bleibt. Meine Mutter sagt oft, die Wahrheit ist im letzten Töpfchen. Kommt sie wirklich immer ans Licht? Wohl nicht, sonst gäbe es nicht so viele ungeklärte Morde. Oder so viele unrechtmäßige Vermögen, die nicht zurückgegeben werden müssen, oder? Kann man sich wirklich darauf verlassen, dass am Ende alles rauskommt? Ich kenne eine Familie, die ihren Schmuck während des Krieges so gut vergraben hat, weil der Vater in Sorge war, dass er doch noch geklaut würde, dass die jetzigen Bewohner des Hauses (sie können es ja nie verkaufen!!) in jedem Frühling beim Tulpenzwiebelnsetzen feuchte Hände vor Aufregung haben, ob sie vielleicht dieses Mal auf die Juwelen stoßen? Und was ist eigentlich die Wahrheit? Hat nicht jeder seine eigene Wahrheit? Gibt es eine universelle Wahrheit? Ist Wahrheit das, was jemand denkt und fühlt? Und dann auch so sagt? Oder das, was faktisch messbar ist? Aber ist wirklich alles messbar? Was ist es? Zu einer Auseinandersetzung kommt es meistens dann, wenn zwei Menschen unterschiedliche Wahrheiten in sich haben und diese vertreten. Was um Himmels Willen ist Wahrheit? Hat da schon mal jemand drüber nachgedacht?

In den USA, die momentan auf dem allerbesten Weg sind, sich zum Parallelprogramm von RTL II zu entwickeln und bald sämtliche Quoten von Frauentausch und Dschungelcamp übertreffen werden, wurde jüngst der brillante Begriff der „Alternativen Fakten“ geprägt. Einer meiner Lieblingssprüche lautet: „Alles, was man sagt, muss wahr sein, man muss aber nicht alles sagen, was wahr ist.“ Oder wie unsere Omas uns lehrten: „Wenn Du nichts Nettes, Freundliches sagen kannst, sag lieber gar nichts.“ Bedeutet das mit dem Steigbügel und der Zeit also, dass selbst, wenn jemand etwas nicht Nettes zu sagen hätte, er nur warten muss und es kommt von alleine raus? Das erfordert aber schon viel Vertrauen in das Leben und die Zukunft, mein lieber Herr Gesangsverein! In der momentanen Weltpolitik kann das auch mal garstig enden. In meiner eigenen Weltpolitik fahre ich hingegen mit ebendieser Einstellung nicht schlecht. Wenn ich richtig gut drauf bin, betrachte ich mir die alternativen Wahrheiten um mich herum wie ein Bühnenstück und freue mich auf die Auflösung. Das Happy End. Denn wie sagt so schön ein anderes Sprichwort: Everything will be fine at the end. And if it’s not fine, it’s not the end. So einfach ist das nämlich. Drücken wir uns alle die Daumen.