Neujahrsappell: Für mehr Toleranz gegenüber Schönheit

In den letzten Wochen, aber natürlich auch vorher, ist mir beim Essengehen Folgendes aufgefallen: Kaum liegt ein Restaurant an einer besonders schönen Stelle und wird damit viel besucht, wundert man sich, dass man dort auch gut essen kann. Oder ist erstaunt, dass das Essen nicht grauslich und touristenfallig ist. Ist das nicht gemein? Warum sollte ein Restaurant, sagen wir mal, am Rialto oder mitten in Trastevere, das Unsummen für die Miete ausgeben muss, ausgerechnet am Koch sparen? Kaum ist etwas hübsch, denkt man gern, es könne keine inneren Werte haben. Nicht dass Sie jetzt denken, ich litte unter diesem Problem. Keine Spur. Ich war in meinen Teenagerjahren weit davon entfernt, als superhübsch zu gelten. Und als Kind schon gleich gar nicht. Was gut ist, wie mein Mann immer sagt, denn es macht im späteren Leben Manches leichter, weil man gleich gelernt hat, sich nicht auf sein Aussehen zu verlassen, das sich betrüblicherweise ja doch ändert mit der Zeit.

Besonders ist es mir aufgefallen, als wir in Venedig an unserem letzten Tag noch einmal Pasta in der Sonne essen wollten und zwar an einem Platz, an dem auch was zu sehen und voilà, welcher würde sich besser eigenen als die Rialtobrücke? Um kurz vor zwölf (wir hätten eigentlich schon längst auf der Autobahn sein müssen) wurde unser Essen geliefert und die Spaghetti al Pomodoro (bei denen man entgegen landläufiger Meinungen ALLES falsch machen kann und deren perfekter Rezeptur und Textur ich immer noch nachjage) waren ein Gedicht. Nun sind sie sowieso mein Verlobungs-Venedig-Essen, an dem sich sämtliche Kochversuche orientieren, aber diese waren außerordentlich gut. Haben wir auch bei Schönheit Vorurteile? Gar böse Vorurteile? Meine Meinung zu Touristenattraktionen, die ja – ist man auch nur ein kleines bisschen Individualist, will heißen, fährt Audi, hat ein iPhone, trägt Nikes – gemeinhin verdammt werden, ist, dass es ja einen Grund haben muss, warum sie zu dem geworden sind, was sie sind. Und sie sind wohl irgendwann mal besonders schön gewesen. Und können meistens gar nichts dafür, dass man sie heute hinter all den Souvenirständen und Snackbars kaum mehr erkennen kann.

Wir sollten Schönheit gegenüber nicht so abwertend sein, weniger Vorurteile haben. Nicht alle (Restaurants, Plätze, Frauen, Männer) bilden sich darauf etwas ein. Manche tun viel dafür, um sie zu erhalten, ihr gerecht zu werden, sie zu teilen. Überhaupt wäre die Welt um Vieles einfacher, wenn wir die Dinge zunächst mal so sehen könnten, wie sie sind. Und nicht mit der Brille der Erfahrungen, die unsere ganz eigenen sind oder der unfassbar großen Egozentrik, die wir haben. Nicht alles, was uns im Leben begegnet, bezieht sein Wesen aus der Spiegelung der Begegnung mit uns. Manche Dinge und Menschen sind einfach schon da und fertig und sind, wie sie sind. Als Summe ihrer eigenen Erfahrungen. Nicht als Reaktion auf uns. Zwar kann man sagen: hier gefällt es mir nicht, der Mensch und sein Verhalten ist nicht das, was ich in meiner Nähe möchte, selten jedoch verhält sich der Mensch nur in der Begegnung mit uns so. Zu 99% spiegelt sein Verhalten SEIN Wesen, nicht unseres. Ob wir uns dann den Schuh anziehen, ist unsere Sache. Ich werde dieses Thema noch vertiefen. Vielleicht bei einem schönen Essen an einem wunderschönen Ort. Mit einem schönen Mann.

3 Gedanken zu „Neujahrsappell: Für mehr Toleranz gegenüber Schönheit“

  1. Mit einem schönen Mann, an einem schönen Ort????? Natürlich sollte man sich nicht auf sein Äußeres verlassen müssen. Gibt ja wirklich sehr kluge bedeutende Menschen auf unserer Welt, die nicht gerade mit Schönheit gesegnet sind. Trotzdem habe ich in meinem Leben oft erfahren müssen, dass es nun doch der erste Eindruck ist, der erste Blick, der ein bestimmtes Bild im Gegenüber prägt. Dies resultiert aus Erfahrungen und leider, wie ich finde, ist das nicht immer der beste Ratgeber. Wenn ich Menschen treffe, funkt es oder halt nicht. Es soll ja Menschen geben, die nur ins Herz des Gegenübers sehen können. Papperlerpapp! Schöne Menschen haben’s einfach leichter, auch wenn sie es nicht wissen .

  2. Die Vorurteile sind sehr vielfältig, Finger weg von gut aussehenden Männern, schöne Frauen sind meistens dumm oder raffiniert, besonders schöne Pferde sind kaum reitbar…. die Liste lässt sich ins Unendliche führen. Soeben habe ich die wunderbare, unverhoffte Chance wahrgenommen und mit meinem unvergleichlich attraktiven und verständnisvollen Fußballgott diese Thematik besprochen. Sehr klug meinte er, sehr schöne Frauen seien meist nicht „betriebstauglich“. Hm. Also wahrscheinlich heißt das, man kann sie nicht fürs Grobe nehmen, sie zicken rum und haben Angst um ihre lackierten Fingernägel. Das passiert alles bei mir nicht, der Fußballgott lehnt Farbe im Gesicht, auf den Lippen und auf den Nägeln ab, insofern bin ich eine Schönheit, die betriebstauglich, genauer gesagt fürs Grobe geeignet ist. Werde mich jetzt mit dieser Erkenntnis in meine Schmollecke zurückziehen und in meiner restlich verbliebenen Schönheit darüber nachdenken.

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