Schwerstarbeit

Nach einer recht aufregenden Fahrt zum Flughafen mit meinem obercoolen Vater, der meine Schimpftiraden auf überholende rumänische 200-Tonner mit stoischer Ruhe angehört hat, sitze ich nun mit relativ viel Muse am Flughafen, benehme mich leidlich gut, wenn ich dran denke, was ich in letzter Zeit über zufällige Begegnungen auf Reisen geschrieben habe, versuche, meinen Mundwinkeln immer ein zartes Lächeln zu verleihen, denke dabei an die Schwerstarbeit, die die arme Prinzessin Kate da immer zu leisten hat und lasse meine Blicke schweifen. Was mir auffällt, ist nichts Neues, aber es wird deshalb nicht besser. Die Hälfte der Passagiere ist schwer übergewichtig. Sie trägt bequeme Hosen in Strech und bequeme Shirts, die manchmal sogar den Kampf auf der Hälfte des Bauches aufgeben müssen und erstaunliche Körperfülle desselben freilegen.

Früher – und auch heute – sprach man gerne von Wohlstandsbäuchen, aber ich glaube, das trifft nicht mehr zu. Es gehört in unserer Welt inzwischen so viel Wissen und Disziplin dazu, nicht dick zu werden, dass sich die Verhältnisse schlichtweg gedreht haben. Früher war mager, wer arm oder normal war. Der Fabrikant hatte typischerweise einen dicken Bauch und nach dem zweiten Weltkrieg hat man stolz und erleichtert gezeigt, dass es einem wieder besser geht und ein Brot nicht mehr für die ganze Woche und die ganze Familie reichen muss. Jeden Tag Fleisch war ein Luxus für wenige und denen sah man es auch an.

Heute sind Nahrungsmittel meist das Billigste in einer großen, ungesunden Mogelpackung. Und ja, es ist die Verpackung, die kostet. Die Werbung für die verpackten Nahrungsmittel und der ganze Verpackungs- und Vermarktungsprozess, inklusive Transport. Und da schlägt dann ganz erbarmungslos die Grenzkostenrechnung zu. Die Verpackung etwas größer zu machen ist wesentlich günstiger, als zum Beispiel einen weiteren kleineren Becher zu produzieren und wenn man gleichzeitig sagen kann: doppelter Inhalt für nur 20% mehr, dann ist das „a gmahde Wiesn“ für die Hersteller und ein Desaster für die (armen, dicken) Konsumenten mit Sparwillen, bzw. dem Wunsch, ihren Nutzen zu maximieren. Die meinen, sie haben gespart und fressen und saufen sich in ihr Schicksal hinein. Entschuldigung, aber man muss es bei den Mengeneinheiten, die da verkauft und konsumiert werden einfach so nennen. Und weil ein entscheidender Teil des Gehirns leider nur auf die kurzfristige Befriedigung seiner Bedürfnisse ausgelegt ist, führt es leider häufiger zur kurzfristigen Lustbefriedigung mit fatalen langfristigen Folgen als zur kurzfristigen Erzeugung von Frust und dafür zur langfristigen gesunden Lebensweise. Um das zu erkennen, muss man darum wissen und seine störrischen Gehirnwindungen zu ihrem Wohl knechten. Wirklich verlangen kann man das nicht von Verbrauchern, die durch Fernsehsendungen, die immerfort Menschen zeigen, die noch schlimmer dran sind als man selbst, sicher nicht. Und ich hab heute einen Mittelplatz. Menno.

Kastanien de Luxe

Hatte ich es schon einmal erwähnt? Ich LIEBE Kastanien! Neben Kirschen sind sie mir die liebste jahreszeitliche Frucht oder Ernte oder wie man zu etwas, das von einem Baum fällt eben sagt. Sie sind so schön und glatt und schmeicheln der Hand so wunderbar und sollen auch noch Gesundheit und Glück bringen. Fragt man mich nach meinen Kindheitserinnerungen, fällt mir nicht wahnsinnig viel ein, aber an was ich mich sozusagen in Dolby-Stereo-Surround und in Farbe erinnere, ist das Kastaniensammeln mit meiner Mutter an der Kahnfahrt in Augsburg. Sackweise haben wir die braunen, glänzigen, runden Boller heimgewuchtet. Und dort ist der Spaß dann weitergegangen. Mit Hilfe von Zahnstochern und Streichhölzern haben wir die herrlichsten Kastanienmännchen und -tiere gebastelt, die die Welt je gesehen hatte. Wir hatten natürlich vorher beim Sammeln auf die relativ seltenen abgeflachten Kastanien geachtet!

Nun bin ich gerade in Paris und neben all den tollen Boulevards, schönen Restaurants und vor allem dem traumhaften Herbstwetter, bietet Paris vor allem eines: traumhafte Kastanienbäume. Und weil Paris eben Paris ist und immer rumprotzen muss, sind auch die Pariser Kastanien ganz besonders groß und glänzend. Und so haben wir (respektive ich) gestern beim Bummel über die Avenue Montaigne und die Champs Elysées Kastanien gesammelt, bis wir uns in einem Geschäft eine Tüte holen mussten, weil ich sie nicht mehr halten konnten. Ich muss zugeben, in diesen Luxusstraßen gab es in dem Moment nichts, was schöner oder verlockender gewesen wäre. Einzig der Impuls, sie zu werfen und hüpfen zu sehen, war fast unbezwinglich. Nachdem in Paris aber immer noch die Terrorpanik umgeht und viele Polizisten patrouillieren, möchte man wegen einer unbedachten Kastanienhüpflust ja nicht einem Verhör oder Arrest unterzogen werden. Also habe ich mich beherrscht. Bis es nicht mehr ging. Vor einer abschüssigen Tiefgarageneinfahrt, die auch noch wunderbare Rillen hatte, von denen die Kastanien noch besser abhüpfen konnten, habe ich eine nach unten geschleudert als ich sicher war, dass keiner guckt und habe hochzufrieden die wilden Sprünge meiner Starkastanie verfolgt. Als sie um die Ecke verschwunden war, zum Glück nicht auf ein hochfahrendes Auto gedotzt war, habe ich direkt in die anerkennenden Augen von zwei Maitres des benachbarten Luxusrestaurants geschaut….Ich würde wetten, dass sie das jetzt auch immer machen!

Und heute, als uns ein kleiner Schauer genau zur rechten Zeit auf den Champs Elysées überrascht hat und wir uns in ein süßes Restaurant flüchten mussten, in das ich schon lange einmal gehen wollte, waren da wieder so viele Bäume. Leider hatte es so stark geregnet, dass an Sammeln nicht zu denken war. Nach dem Essen war alles vorbei und wir sind heim geschlendert. Und was soll ich sagen? In einer Seitenstraße fegte ein livrierter junger Mann mit weißen Handschuhen das Trottoir von den runterfallenden Blättern frei und das waren Kastanienbaumblätter! Und gerade als er die schönste und größte Kastanie hinwegfegen wollte, konnte ich ihn bremsen und sie retten und als er erkannt hatte, dass es mir erst ist, hat er mit seinen blütenweißen Handschuhen weitere braunglänzende Kugeln für mich aufgehoben und in seinen lächelnden Augen konnte ich sehen, dass er sie als Kind auch immer mit seiner Oma gesammelt hatte. So was Völkerverbindendes, diese Kastanien.

Schon wieder

Ob man Dinge und Ereignisse herbeireden kann? Nicht immer, das ist klar, sonst hätte ich längst meine riesige Küche!!! Bei ein paar Treffen in letzter Zeit haben wir jedoch immer wieder drüber gesprochen, welch erstaunliche Zufälle es doch gibt und dass man sich tatsächlich immer und überall gleich gut kleiden und benehmen sollte, weil Bekannte allerorten lauern. Auf der Wiesn, das ist klar. Im Urlaub an entlegenen Orten, naja. Das mag vor 150 Jahren so gewesen sein, als nur verschrobene Engländer bestimmte Reisen unternommen haben und einander im tiefsten Busch hinter einem Bananenblatt höflich ein Tässchen Tee angeboten haben, wenn sie sich dort zufällig getroffen haben. Oder wenn sie in Florenz überwintert haben oder die Cote d’Azur wuschig gemacht haben mit ihren Forderungen nach pflaumenweichen Frühstückseiern und trockenen Martinis. Aber im Zug?

Ich bin gestern nach sehr langer Zeit wieder nach Paris gefahren und dachte mir schon beim Einsteigen über die Frau schräg hinter mir: meine Güte, ist die hübsch und was hat sie nur für geniale Schuhe???!!! Dann habe ich mich hingesetzt, eine grässliche, obergschaftlige, superhektische und wahnsinnig unsympathische Sitznachbarin bekommen und habe mich fürderhin kaum mehr getraut, auf die Toilette zu gehen, was angesichts meines großen Cappuccinos mehr als notwendig gewesen wäre. Aber nachdem sie schon beim ersten Mal schwer schnaufend Computer und Handy aufgestöpselt hat und mir signalisiert hat, dass ich wahrlich eine schlimme Nervensäge sei, hab ich mich ganz still verhalten. Sie hat Wichtigtuerei und Hektik aus jedem Wollbollen auf ihrem Polyester-Woll-Gemisch-Pullover (in Lila) ausgestrahlt und hat mich verängstigt. So habe ich mich also dem Redigieren eines Textes gewidmet, bis mir zwischen Straßburg und Paris so übel von der hirnlosen Raserei des Zugführers geworden ist, dass ich nur noch matt aus dem Fenster schauen konnte.

Dann stand die Frau hinter mir, die nebenbei bemerkt die hübscheste moosgrüne Wildlederhose trug, die ich je gesehen hatte auf und ging zur Toilette und ich war mir sicher, sie ist es. Aber ich habe mich wahrlich nicht mehr gewagt, was zu sagen. Nachrichten an eine gemeinsame Freundin sieben unbeantwortet und so konnte ich der garstigen Frau neben mir nicht mal richtig ausfallend werden, weil ich ja nicht wissen konnte, ob ich Zeugen habe (wie gesagt, ich hätte auch kaum den Mut aufgebraucht, sie war so furchtbar!!!). Und ja, in der Tat, ich würde mich manchmal liebend gerne sehr rüpelig benehmen. Und ab und an geschieht es auch. Hihi. Dann strecke ich sogar scheußlich plärrenden Kleinkindern die Zunge raus und lächle die Mütter an. Jetzt ist es raus. Andere nutzen ihre Blogs ja auch für Lebensbeichten. Das war jetzt meine. Aber natürlich ziehe ich auch aus dieser Begebenheit meine Lehre. Immer dem Wesen nach verhalten und daher immer am Wesen arbeiten. Dann ist alles gut.

Nach 10 Jahren tut einem beides leid….

….heiraten oder nicht heiraten. So sagt ein altes Sprichwort. Und wie so viele Sprichwörter hat auch dieses einen wahren Kern. Warum ist das so? Vielleicht weil laut einem anderen Sprichwort Heiraten und Schlittenfahren schnell gehen muss? Derweil mahnt doch ein weiteres zur größten Bedacht und rät, sich zu prüfen, bevor man sich ewig bindet? Ach, ganz wirr könnte einem der Kopf werden. In meiner kleinen Erfahrung stimmt am ehesten das erste. Zumindest wenn ein Partner bereits seit längerer Zeit Heiratspläne schmiedet, während der andere sich denkt, prima, passt, muss ich gar nichts ändern und wenns nicht mehr passt, bin ich weg. Oft sind das die Frauen, die gerne einen Knopf an die Beziehung machen würden, die sich nach dem Symbol der Zugehörigkeit in unserer Kultur, dem Commitment, dem zuverlässigen Zueinanderstehen, dem Ring sehnen. Sie möchten nicht als „meine Freundin“ oder „meine Lebensgefährtin“ vorgestellt werden und schon gar nicht als „meine Frau“, denn das führt ihnen noch deutlicher vor Augen, was sie schon ahnen: dass alle Vorteile mitgenommen werden und die dazugehörige Verantwortung nicht übernommen werden möchte.

Dabei ist es egal, ob sie selbst arbeiten, mehr verdienen, Kinder haben, Eigentumswohnungen, Hunde, Katzen, Eltern, was auch immer. Wer den Wunsch in sich verspürt, eine Beziehung ganz und rund zu machen, möchte in unserem Kulturkreis fast immer heiraten. Weil das in der Welt multipler und dauernd verfügbarer Optionen und Alternativen Sicherheit gibt und einen von der schrecklichen Wahlfreiheit befreit. Vorbei die Frage, ob es vielleicht doch noch „was Besseres“ gibt, hinein ins Entspannen und Konzentrieren auf den oder die Eine. Verstreicht zu viel Zeit in unentschlossenem Warten, wird einer ungeduldig, ja unduldsam. Warum fragt er nicht? Was möchte er, sie anders? Liegt es an mir? Was passt ihm, ihr nicht? Wir haben doch sogar ein Kind zusammen? Zwischendrin kommt immer wieder die Phase, in der man sich davon überzeugt, dass Heiraten was für Spießer ist und man das gar nicht braucht, aber so ganz glaubt man es selbst nicht. Sonst würde man gar nicht drüber nachdenken.

Und ist es dann nach vielen, vielen Jahren, in denen Freunde das Fragen aufgegeben haben, die Eltern sich damit abgefunden haben und man selbst auch, doch endlich so weit, dann fühlt man sich kurz am Ziel seiner Träume. Und dann kommt die ungünstige Phase, in der man sich fragen muss, ob man sich freut, weil man sein Ziel erreicht hat oder weil man den anderen liebt oder weil es jetzt eh schon Wurscht ist. Und spätestens wenn sich nach der Hochzeit rein gar nichts am anderen ändert, wird man ein wenig rachsüchtig und beginnt aus der nun etwas sichereren Position heraus, den anderen mit anderen Augen zu sehen und nicht mehr als das Objekt der Träume und während der andere sich vielleicht denkt, ach, mei, das ist ja doch gar nicht soooo schlimm, hätte ich auch früher machen können, dräuen über seinem Kopf die schwärzesten Wolken und läuten den Beginn einer ziemlich sicheren, ziemlich explosiven Trennung ein. Denn dieses demütigende Warten und Zappelnlassen wird der oder die Geheiratete schwerlich vergessen und selten verzeihen können.
Ja, die waren schon schlau früher.

Gewinnspiele und Karl und Gertrud

Heute Morgen war ich schon früh unterwegs und wie es inzwischen halt so ist, wenn man Radio hört, kam auch prompt ein Gewinnspiel. Um Seemannsgarn ging es, das aufzudecken war. Ein Mann war in der Leitung, immerhin wurde das Spiel über eine Woche hinweg aufgebaut und es brauchte schon Glück, eine freie Leitung zu bekommen. Ein Frange und auch noch Erzieher. Er klang wahnsinnig nett und wahnsinnig aufgeregt und er wusste alles. Und bei seiner unglaublichen und echten Freude, bei der herauszuhören war, wie glücklich er war, einmal so eine wahnsinnig tolle Karibikreise mit seiner Frau machen zu können, haben sich alle Härchen aufgestellt und ich muss zugeben, mir sind die Tränen gekommen. Ich war so gerührt über diese Freude und das Glück dieses Moments. Sowieso ist es eine Schande, dass Fußballspieler so überdimensional mehr verdienen als Erzieher oder Altenpfleger, aber das ist ein ganz anderes Kapitel.

Diese Bereitschaft zum Mitfühlen und Mitweinen bemerke ich in letzter Zeit häufiger. Ob ein Kind herzzerreißend im Flugzeug schreit, weil ihm die Ohren weh tun (sonst geht es mir nicht so, sonst werde ich eher ungehalten, wenn so ein Zornes- oder Quengelgeschrei gar nicht aufhört) oder ein Sportler seine Lebensbestleistung erbringt – ich bin gerührt und könnte mitweinen. Sind wir dünnhäutiger geworden? Oder nur ich? Haben all die Geschehnisse in den letzten Monaten Löcher in unseren Pelz gebohrt? Wie bei Enten, wenn die Fettschicht weg ist? Andererseits ertappe ich mich dabei, wie ich recht ungerührt Nachrichten schauen kann, in denen über Morde oder Schießereien berichtet wird. Es bräuchte sicherlich ein ganzes Psychologenteam, um das zu durchleuchten. Oder es ist ganz einfach das Alter?

Stopp. Kommando zurück. Keiner muss sich sorgen machen, ich kann – wie ich gerade festgestellt haben – ungerührt und nachgerade grausam sein. Während ich nämlich diesen gefühlvollen, fast schon philosophischen Text getippt habe, hat sich ein Geräusch langsam von meinem Ohr in mein Bewusstsein und von dort direkt in mein Gehirn vorgearbeitet. Es war ein Schaben und ein bisschen ein Quetschen. Dann schoben sich die Bilder von meinem Balkon heute Morgen vor mein geistiges Auge. Die waren nicht schön und voller kreisrunder, weißbrauner Häufchen, die zudem auch noch stark gerochen haben. Eindeutig: KARL und GERTRUD sind zurück. Und Tatsache, hat sich doch der moppelige Karl unter meine Markise geschoppt. Und weil das auch Emotionen sind, habe ich mich angeschlichen, erst für meine lieben Leser ein Foto von dem Frevel gemacht und dann gegen die Markise geschlagen. Karl ist entsetzt weggetaumelt. Ich habe nicht weinen müssen. Bin völlig normal. Karibikreisen und kleine Kinder und Hunde rühren mich. Tauben nicht. Alles gut.

Vorbei

Ich bin immer wieder fasziniert, wenn emotionale Handlungen unterbrochen und an genau derselben Stelle nach einer Pause wieder aufgegriffen werden. Feuerpausen im Krieg zum Beispiel oder Beziehungen. Man fragt sich dann, wie geht das? Kann man Zorn oder Liebe einfach einfrieren und dann wieder auftauen? Einen Knoten rein machen und dann wieder glatt ziehen? Liebende, die sich nach einem halben Leben wieder finden und einander in die Arme sinken? So mancher Paartherapeut gibt den klugen Rat, in Krisen oder Streits einfach zu unterbrechen, raus zu gehen und oft ist dann alles vergessen. Aber es gibt eben auch Konflikte, die werden nicht vergessen. Dann ist etwas Gravierendes zu Bruch gegangen und bleibt auch kaputt, klebt sich nicht wieder zusammen, egal, was passiert und welche Pause man einlegt. Und egal, was in dieser Pause passiert ist. Das ist sehr traurig, meist will man das selbst ja gar nicht, kann es aber nicht mehr ändern. Es hat eine Eigendynamik entwickelt, gegen die man – ebenso wie der gute Wille – machtlos ist.

Ein ansonsten nicht sehr wortgewandter Bekannter von mir sagte einmal: es ist etwas zerbrochen, ich habe kein Vertrauen mehr. Und mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Der Wunsch und die Nostalgie nach vergangener Unbeschwertheit ist noch da, aber der Weg zurück ist versperrt durch Vertrauensbruch, Enttäuschung, Betrug – was auch immer. Ein paar Mal versucht man es noch, aber die Gestelltheit der Treffen und das höfliche Bemühen machen alles nur noch schlimmer. Der Bruch ist da. Sekundenschnell vollzogen wie ein Terrorakt und ebenso grausam und unwiderruflich. Am besten ist es, den Schauplatz des Geschehens sofort zu verlassen, nicht umzuschauen und nie wieder zu kommen. Allerdings ist das nicht immer einfach. Beide wissen ja, was sie an Gutem verloren haben und hoffen, es auf irgendeine Weise doch wieder haben zu können. Es geht nicht. Fontane hat einen Roman geschrieben: Unwiederbringlich. So sind auch verlorene Freundschaften. Nicht alle, aber die ohne Herzenstiefe. Bei anderen überwiegt das Glück, einander wieder zu haben. Und das Wissen um die Zeit ohne einander macht dankbarer, langmütiger und auch gutmütiger.

Betrachtungen von der Weide

Wie schon mehrfach erwähnt, bin ich beim Lebensmitteleinkäufen eindeutig ein Jäger und Sammler. Supermärkte sind mir ein Graus und maximal am 24. Dezember, wenn ich mit den Nerven am Ende bin, weil ich so viele verschiedene Dinge für so viele verschiedene Gerichte brauche, erledige ich dort meine Beutezüge. Da ich ansonsten ein ausgesprochen puristischer Koch bin, kann ich die meisten Dinge in wenigen Fachgeschäften kaufen. Und wenn ich nicht gerade Fleisch oder Brot brauche, dann ist es meist Obst und Gemüse und da vertraue ich auf die erfahrenen Hände unserer türkischen Freunde. Bei meinem Lieblingstürken habe ich eine Lieblingsverkäuferin, die so unfassbar zart ist, dass sie im Winter auch mit fünf Schichten Kleidung wie ein schmales Streichholz aussieht. Derweil war sie – allein seit ich sie kenne – mindestens zwei Mal schwanger. Bis zum Schluss!!! Kein bissen ist es aufgefallen.

Heute auf dem Weg zu ihr, habe ich im Radio gehört, dass in Paris ein Terroranschlag vereitelt worden sei, den drei muslimische Frauen geplant hatten. Froh, weil mein Mann nicht in diesem gefährlichen Paris weilt, habe ich meine Einkäufe erledigt und mich ein wenig gewundert, weil sie (weiß gar nicht, wie sie heißt, dafür jetzt, dass ihre 15-jährige Nichte Seline heißt), weil sie mit zwei ihrer Brüder, Cousins, was weiß ich, immer wieder vor dem Laden stand und sie gebannt in Telefone geschaut hatten. Beim Zitronenwiegen habe ich sie gefragt, ob was passiert ist, kann ja heutzutage immer sein. Ja, ihre Nichte läge im Krankenhaus in München mit schwersten Herzproblemen und wartet auf ein neues Herz. Die ganze Familie hat ihren Türkeiurlaub abgebrochen und nun stehen sie deutschlandweit an 300. Stelle für ein neues Herz. Ich habe ihr gesagt, sie soll zu ihrem Gott beten und ich zünde bei meinem eine Kerze an. Und sie hat es genau als das genommen, was es war: Respekt vor ihrem Glauben und Selbstbewusstsein in Bezug auf meinen.

Als ich weggefahren bin, ist mir noch einmal bewusst geworden, dass Muslime (Paris, Terror) und Muslime (meine Obstverkäuferin oder Friseurin) wirklich völlig unterschiedliche Menschen sind und dass Generalisierungen verwerflich und unsinnig sind. Allerdings kann ich nicht bei jedem Fremden, Andersgläubigen über zehn Jahren Obst und Gemüse kaufen, um mich davon zu überzeugen, dass er oder sie dieselben Werte hat wie ich. Ich glaube, Sprache und optische Ähnlichkeit sind die Garanten für Erfolg von Integration. Zwar werden in Schafherden schwarze und braune Lämmer nicht ratsgezüchtet, damit die weißen Schafe den Hirtehund optisch akzeptieren und nicht gleich blökend davon rennen, aber ihr Impuls wäre eben doch das Davonrennen. Und so ist es bei uns eben auch. Kennt man das andere Schaf, sieht man gar nicht mehr, dass es anders ist. Es gehört dann zur Herde, wenn es den Herdegesetzen weitgehend folgt. Ich hoffe, Seline wird gesund.

Was sich alles so ansammelt

Nach einer unruhigen Nacht, in der ich von üblen Träumen bezüglich meiner Toilette heimgesucht worden bin – vielleicht lag es auch daran, dass kurz vor dem Einschlafen wieder die blechernen Stimmen aus dem Fernseher (ich hatte berichtet) gekommen sind, was mich nunmehr nur noch erbost und nicht mehr zu Tode ängstigt – habe ich gleich als Erstes um sieben Uhr früh den Sanitärinstallateur meines Vertrauens angerufen, der das letzte Jahr oder vorletzte Jahr mehr bei mir als zu hause verbracht hat. Ich hatte damals einen Wasserschaden, der nun die komplette Eingerüstung der Wohnanlage und eine aufwändige Dachsanierung zur Folge hat und wenn ich das den Hausbewohnern sagen würde, bin ich mir nicht sicher, ob sie mich noch so freundlich grüßen und fragen würden, ob ich endlich wieder da bin. Egal. Tatsache ist, dass um sieben Uhr früh noch gar kein Handwerker ans Telefon geht. Parbleu! Wer hätte das gedacht?!

Also habe ich kurz umdisponiert und bin zur Metro geschossen, nicht ohne vorher zu schauen, ob die schon auf hat. Hat sie. Allerdings nur für mich. Da möchte man doch meinen, dass Gastronomen die sprichwörtlich frühen Vögel sind, die sich den Schnabel mit zahlreichen fetten und günstigen Würmern vollschaufeln – aber nein, außer mir war keiner dort. Und so konnte ich in aller Ruhe Beute machen und war nach fünf Minuten wieder draußen, habe auf dem Rückweg Familie und ein paar unglückliche Freunde angerufen, von denen ich sicher war, dass sie ebenfalls Frühaufsteher sind. Wie man sich doch in seinen Bekannten täuschen kann! Als mich dann um halb neun die Disponentin vom Sanitär zurückgerufen hatte, schlug sie mir einen Termin um halb zehn vor und als sie mein resigniertes, „gut, dann gehe ich halt nicht zu Yoga“ hörte, sagte sie sehr resolut: „Das kommt überhaupt nicht in Frage, Sie gehen, denn wenn Sie heute nicht gehen, dann ist nächste Woche wieder irgendwas und übernächste auch und dann kommen Sie gar nicht mehr hin.“ Das fand ich so goldig und habe geduldig abgewartet, bis sie mir für halb zwölf einen jungen Mann vorbeischieben konnte.

Yoga war die Hölle, ich kann es kaum anders sagen. Und weil mir der Satz mit dem „wenn Sie es heute nicht machen, dann machen Sie es auch nächste Woche nicht“ und so weiter nachklang, habe ich mich gleich an die Marmelade und den Kuchen gemacht, dabei ein Glas zerschmissen, alles gesaugt, dann gewischt, Kühlschrank aufgeräumt und sauber gemacht, alle Dichtungen von der Toilette ausgetauscht (das war der junge Mann, der da war, aber ich habe es überwacht), ach und was noch alles, ich weiß es kaum mehr – ahja, Silber geputzt! Tatsache ist, dass ich mich nach den normalen Arbeitstagen zurück sehne, da war ich um zwei Uhr mittags bei Weitem nicht so maushin wie jetzt. Fahre jetzt noch alle alten Kleider weg, manche zum Second Hand, manche zur Caritas und dann sauge ich noch mein Auto und dann muss aber auch mal gut sein. Also wirklich, das kann sich doch nicht wirklich alles über diesen minikleinen Sommer angestaut und angesammelt haben. Ist doch Wahnsinn!

Nachsommerliche Freuden

Nach so langen Ferien ist der Wiedereintritt in den Alltag nicht immer reibungslos. Außer, man macht sich gleich soviele Termine, dass es ist, als hätte man niemals Urlaub gehabt und wäre gar nie weg gewesen. Es fühlt sich an, wie früher, wenn mann seinen Tretroller mit einem Fuß angeschoben hat und dann in voller Fahrt drauf gesprungen ist. Dazu braucht es natürlich ein wenig Erfahrung und Geschick. Nur Tölpel stellen sich auf einen stehenden Roller – und fallen um. Man muss schon vom Urlaub aus ein bisschen anschieben, planen und kann dann überaus elegant aufspringen. Ich muss sagen, ich bin hochzufrieden mit der jetzigen Geschwindigkeit, auch wenn ich jeden Abend um halb neun in die Federn sinke und mir fest vornehme, noch einen Beitrag zu schreiben oder zumindest in einer Zeitschrift zu blättern, die hier zuhauf herumliegen, weil meine liebe Mama sie mir gesammelt hat. Kaum nehme ich eine zur Hand, fallen mir die Augen zu. Beschämend in diesem Alter.

Und was soll ich sagen? Ich freue mich auf den Herbst, ich finde es herrlich, dass es morgens kühl, chilli (ich glaube, neudeutsch schreibt man das so??) ist und dann im Laufe des Tages auf Gluthitze aufwärmt. Ich kann mich sogar schon mit dem Gedanken an November anfreunden. Vor allem, weil ich zu dem Thema heute eine Anfrage hatte. Hihi, bei 25 Grad. Aber, wie wir alle wissen, es kommt. So sicher wie das Amen in der Kirche. Bald tragen wir wieder blickdichte Strümpfe und Stiefel und freuen uns auf ein Glas Rotwein anstatt Rosé. Ich muss leider jetzt schnell zu Ende kommen, es ist weit über halb neun, meine Halbwertszeit ist nicht mehr sehr lange. Denn offenbar stellt sich mein Körper schon auf Herbst und Winter ein. Recht hat er, es ist dunkel draußen, da kann man auch schlafen.

Worauf ich mich auch freuen würde – denn es ist ein bisschen Herbst und ihm wurde sogar schon ein eigener Blogbeitrag gewidmet – wäre ein Zwetschgendatschi. Ob auch das klappt, obwohl ich vom Urlaub aus kräftig auch in diese Richtung angetreten habe, steht noch in den Sternen. Die Produzentin zieht es vor, Jubiläen mit einer treuen Würzburger Stammleserin zu feiern. Nun ja, muss auch mal sein, sollte aber nicht zur Gewohnheit werden. Gehört nämlich zum nachsommerlichen Alltag.

Was bedeutet eigentlich Freundschaft?

Wikipedia definiert es wie folgt: „Freundschaft ist ein auf gegenseitiger Zuneigung beruhendes Verhältnis von Menschen zueinander, das sich durch Sympathie und Vertrauen auszeichnet. Eine in einer freundschaftlichen Beziehung stehende Person bezeichnet man als Freund oder Freundin. Freundschaften haben eine herausragende Bedeutung für Menschen und Gesellschaften. Schon antike Philosophen wie Aristoteles und Cicero haben sich mit der Freundschaft auseinandergesetzt.“ Aristoteles führt die Freundschaft noch weiter aus – klar, er war ja auch Philosoph: „Die Freundschaft unter Gleichen gilt für gleichgestellte Bürger. Man ist einander ebenbürtig. Diese Freundschaft unterteilt er weiter in Nutzen-, Lust- und Tugendfreundschaft. Die Nutzenfreundschaft bringt die Menschen zu einem Zweck zusammen. Fällt dieser Zweck weg, ist die Freundschaft gefährdet. Ähnliches gilt für die Lustfreundschaft, die rein affektiv begründet ist. Diese beiden Arten sind akzidentiell und labil. Stabil dagegen ist die Tugend- oder Charakterfreundschaft. Sie ist die Freundschaft um des Freundes willen. Hier kommt Aristoteles’ Mesotes-Lehre ins Spiel, deren Maxime zufolge das Maßhalten der Weg zu einem tugendhaften und erfüllten Leben ist. Sind sich zwei Personen in ihrer Tugendhaftigkeit ähnlich, so ist das die Voraussetzung für die vollkommene Freundschaft. Wie für jegliche Tugend gilt auch für die Freundschaft bei Aristoteles, dass sie durch wiederholtes Handeln zur Gewohnheit werden muss. Man übt die Freundschaft nur im alltäglichen Umgang. Die Teilhabe am Leben des Freundes und damit die räumliche Nähe sind nach Aristoteles für eine Freundschaft unerlässlich.“

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass meine Freundschaften aus den Zwanziger Jahren die stabilsten sind. Auch heute noch. Es war die letzte Zeit, in der ein Kennenlernen unter Gleichen noch möglich war. An der Uni hatten wir alle dieselben Startbedingungen. Manche kamen aus wohlhabenderen Elternhäusern, fuhren vielleicht schon BMWs, während andere „nur“ Golfs hatten, die einen haben ein Weißbier bestellt, die anderen schon einen ordentlichen Rotwein, allen gleich war jedoch die Angst vor der Prüfung, das gemeinsame Lernen und natürlich das gemeinsame Feiern. Gefrotzelt wurde liebevoll und fast immer vor dem anderen, hinter dem Rücken ging nichts. Und wahrscheinlich ist das auch bis heute das wichtigste Kriterium für Freundschaft, zumindest für gute Kameradschaft: Vertrauen, gemeinsame Erlebnisse und gemeinsame Ziele.

Geht eine Freundschaft zu Ende hat Wikipedia auch eine überraschend klare Definition: „Freundschaften werden, wenn sie nicht mehr funktionieren, entweder in der Schwebe gehalten, d. h. nur noch mit minimalem Aufwand gepflegt, oder beendet. Wie Arno Frank schrieb, sind solche Freundschaftsabbrüche – anders als Trennungen von Sexualpartnern – in aller Regel nicht von Aussprachen und expliziten Aufkündigungen der Beziehung begleitet, sondern erfolgen fast immer schleichend und ohne aufweisbaren Schlusspunkt, etwa dadurch, dass man den anderen immer seltener kontaktiert und auch Kontaktgesuche des anderen schließlich ganz ignoriert.“
Persönlich kann ich nur sagen, dass viele gemeinsame Jahre und nicht enttäuschtes Vertrauen ein so festes Band sind, das war mal locker hängen kann, zwischendurch gespannt sein darf, aber nur selten reißt. Ratschen und Intrigieren bringt es hingegen sicherlich zum Reißen. Dann war es aber auch vorher schon keine Freundschaft.