Der letzte Sommertag

Es gibt andauernd etwas, worüber man sich freuen kann, wenn man möchte. Zum Beispiel, dass der Fischhändler auf dem kleinen Samstagsmarkt heute die Triglie, ich glaube, sie heißen Rotbarben, filetiert hat. Das sind nämlich wunderbare, krebsfressende, aber arg grätige Fischlein, mit denen man beim Essen im Ganzen ein Mordsgfrett hat. Dann gab es die herrlichsten Rosen, auch auf dem Samstagsmarkt mit Stängeln wie kleine Äste und da auch noch für wenig Geld. Im ersten Arrondissement wird man sehr dankbar für solche Angebote.
Und weil wir recht verfressen sind, war es natürlich auch ein großes Vergnügen, dass ein (abgeschwächtes) Pendant zur Grande Epicerie de Paris im le Bon marché nun auch in den Galerie Lafayette Maisen eröffnet hat. Von den wichtigsten Pariser Gourmettempeln, aber vor allem aus Italien, Thailand, Indien und der Türkei gibt es die feinsten Leckereien, die man auswählt und auf Wunsch auch vor Ort zubereitet verzehren kann. Ein Traum.
Weil es aber eben der letzte Sommertag sein soll, zumindest wenn man dem Wetterbericht Glauben schenken darf, was einem weiteren Sieg der Hoffnung über die Erfahrung gleich kommt (das sagen Zyniker übrigens auch über die Ehe), hat es sich angeboten, den Salat über den Dächern von Paris zu nehmen. Hoch oben auf dem Dach eines der Grands Magasins gibt es ein Freiluftrestaurant, bei dem man wählen kann zwischen Vue Tour Eiffel oder Vue Montmartre, was ja prinzipiell eine ganz okaye Wahl ist. Hat man dann noch eine Bedienung, die sich der Einzigartigkeit ihres Arbeitsplatzes bewusst und melancholisch-überschwänglich ist, weil heute der letzte Tag ist, stellt sich wieder dieses wunderbare Jahreszeitengefühl ein, weil dieser letzte Tag gleichzeitig der Beginn von etwas Neuem, nämlich – Achtung jetzt – der Herbst- Vorweihnachtszeit ist. Wenn man will, kann man sich in der Spätherbstsonne über den Schönheiten von Paris nun darüber und darauf freuen.

Kreativität

Hier befasse ich mich ja zum Glück nur mit Gedanken aus dem europäischen Ausland. Meine Freundin Valentina, mit der ich gestern geskypt habe, kann interkontinentale Gedanken beisteuern, die ihr nicht gerade wenig Kopfzerbrechen bereiten, zum Beispiel die ausgeprägte Wettbewerbsorientierung in den USA. Mit zwei halbwüchsigen Töchtern in der Schule kann sie ein Lied davon singen. Wenig bis gar nichts wird dort zum Spaß oder Zeitvertreib getan. Fast alle Aktivitäten, die angeboten werden, sind von der ersten Stunde an wettbewerbsorientiert. Kurz nach dem Hallo beginnt die Vorbereitung der Abschlussveranstaltung, gerne auch bis spät in die Nacht. Und wir sprechen hier nicht von Ivy-League-Schulen. Auch in Deutschland greift der Trend, Kleinkinder mit chinesischen Wörtern und klassischer Musik zu bombardieren um sich.
Das ist gut und schön, aber es ist auch erwiesen, dass Kreativität auch das Nichtstun oder „vor sich hin sandeln“ braucht. Wer schon jemals versucht hat, eine brillante Lösung dann zu finden, wenn sie am nötigsten gebraucht wird, kann ein Lied davon singen. Meistens kommen einem Antworten auf schwierige Fragen, Lösungen oder Ideen unter der Dusche, im Wald beim Hundausführen, bei Frühstückmachen oder ähnlich aufregenden Tätigkeiten. Jetzt aufzuatmen, weil alles, was man über Amerikaner (und die genialen Kopierer, ihre ärgsten Widersacher – ich werde dieses Wort hier im Blog NIE MEHR schreiben) eh schon denkt, hiermit endlich eine Erklärung findet, wäre garstig. Dennoch scheint was dran zu sein am Zusammenhang zwischen Müßiggang und Kreativität.
Stille und quasi Gedankenlosigkeit werden als wichtige Voraussetzungen genannt, damit das, was in uns liegt und vor lauter Denken nicht raus kommen kann, den Weg findet. Nicht umsonst wird als eine der schwierigsten Yogaübungen das Shavasana betrachtet, bei dem man einfach nur auf dem Rücken liegen und Geist und Körper komplett entspannen soll. Einfach? Gar nicht. Gedanken los zu werden zählt zu den schwierigsten Aufgaben des Universums. Ist es dann besser, sie gar nicht erst zuzulassen, indem man sich andauend zielorientiert beschäftigt? Müssen sie erst da sein und wirkungsvoll getilgt werden, damit Kreativität einsetzt? Ich gehe jetzt mal raus in die Sonne und schaffe eine neue Basis für Kreativität….

Pariser Gebummel

Jetzt ist die Modewoche vorbei und es laufen nur noch ein paar Versprengte etwas melancholisch durch die Stadt. Gestern gab es nochmal ein Riesenaufgebot und auch ich habe mich in einen schwarzen, modisch glockigen Rock gehüllt (allerdings bin ich bei den Schuhen weich geworden, weil ich einen längeren Marsch geplant hatte) und habe doch wieder zu Ballerinas gegriffen, bin ja auch nicht in der Branche tätig, also bitte! und bin die Rue Saint Honoré hinaufgeeilt. Denn das Eilen ist das A und O, will man nicht in denn Rinnstein geschubst werden von einer wichtigen Pariserin. Es braucht – wir sprachen schon darüber – durchaus ein gesundes, in Marmor gemeißeltes Selbstbewusstsein, um auf den schmalen Trottoirs zu bestehen. Und das meine ich wörtlich. Sie sind zwar klein und schmächtig diese Franzosen und auch schneidend höflich, aber Platz machen sie nur dem, der es ernst meint. Am besten ist es, an etwas anderes zu denken oder in sein Handy zu schauen und wie ein Panzer loszuwalzen. Wird es eng, sagt man knapp „Pardon Madame“ oder eben Monsieur (wobei man das bei der aktuellen Modesituation manchmal auf die Schnelle kaum unterscheiden kann, vorgestern hatten Bauarbeiter aus Versehen einem Mann in einem kurzen Faltenröckchen nachgepfiffen, gut er hatte spektakuläre Beine, aber es war ihnen dann doch sehr peinlich) und rast scheinbar ausstellend, aber eben doch nicht, weiter.
Nachdem ich den ganzen Tag wie eine Wilde Emails geschrieben, Telefonate geführt, Tabellen kontrolliert, etc. habe, dachte ich mir, andere gehen auch essen, tust Du das auch. Während des Treibenlassens bin ich an der Madeleine vor einem Café im strahlenden Sonnenschein gelandet und wollte mich setzen. Ich fand nicht, dass ich so übel aussah, dass man mich in den Innenraum verstecken hätte müssen, aber genau das wollten sie. Weil ich als Einzelne nutzloserweise einen Zweiertisch, der sogar unter Umständen zu einem Vierertisch erweitert werden hätte können, blockiert habe. Aber ich hatte meine Lektion – auch von meinem kleinen zauberhaften Hund – gelernt. Ich bin einfach stehen geblieben. Und schwupps ging alles. Essen war der Mühe nicht wert, aber schön war es doch und parbleu, man kann doch in Sachen Mode gar nicht aufgeschlossen genug sein. Bei mir ging es noch leidlich, aber es hätte noch tausendmal besser sein können, wenn ich a. meine Haare länger nicht waschen würde, b. sie niemals föhnen würde und c. wie schon erwähnt alle Glühbirnen rausdrehen und mich dann erst anziehen würde.
Weiter also. Zu den Kaffeepads, denn die Tabellen kontrollieren sich nicht von selbst. Bin also in das riesige Warenhaus, hab mich noch über die geänderten Öffnungszeiten gefreut, dann über den Geruch gewundert, aber gedacht, dass all die Essensstände sicher ein Tribut an die armen verhungerten Models und ihr Gefolge sind (was natürlich dumm von mir war), dann ins Untergeschoss gefahren und unbeirrt durch einen tropischen Wald an Obst und exotischem Wasweißich gegangen und schließlich vor einem Sortiment verschiedner Reissorten gelandet. Keine Kaffepads weit und breit. Fragen hat nichts geholfen. Kaffee gäbe es dort und aus. Eine Dame hat sich erbarmt und mich in den ersten Stock geschickt und dann auf dem Rückweg ist es mir aufgefallen, dass aus der guten Haushaltswarenabteilung ein Gourmethimmel geworden ist. Offenbar haben nicht nur Männer einen Tunnelblick. Im ersten Stock hab ich mir schwören lassen, dass das die letzte Veränderung in diesem Geschäft sein wird und ab jetzt alles so bleibt wie jetzt. Gut. Kann ja nicht jedes Mal einen halben Tag mit dem Beschaffen von Kaffee verbringen. Aufgrund einer Aneinanderreihung von Fragen meinerseits, ob man Fotos machen dürfte und der Tatsache, dass das nur im 6. Stock des Haupthauses beantwortet werden könnte, bin ich dann noch auf dem Dachgarten der Galerie Lafayette gelandet, was als Abschluss der scheinbaren Bummelei doch wirklich wunderbar war. Und das war’s eigentlich schon für heute. Ein reiner Erlebnisbericht, keine Gedanken, nur Pariser Gebummel.

Pariser Modewoche

Man möchte ja nicht jammern und es ist sicherlich auch wichtig und richtig, dass man sich immerzu über den aktuellen Stand der Mode informiert und ganz klar muss das in Paris statt finden. Aber das hat auch seine Schattenseiten, das kann ich Ihnen sagen. Dann nämlich, wenn man mal eben den Großeinkauf mit einem Ziehwagele erledigt und eh schon ein bisschen verschwitzt und verstruppelt daher kommt, weil sechs eineinhalb-Liter-Flaschen Wasser und eine nicht unerhebliche Menge an Obst, Gemüse, Milch, Weinflaschen und was man halt sonst so braucht, eben auch im Wagele schwer hinter sich her zu zerren sind. Dann noch schnell mit dem Metzger rumgetan, der nun nach fast zwei Jahren beginnt aufzutauen und auch versteht, wenn man was nicht Premier-arrondisement-mäßig ordert und dann steht man gefühlten hundert riesigen, dünnen, schönen und abwesend blickenden Gazellen oder staksigen Giraffen gegenüber.
Warum? Weil die gegenüber im Jardin des Tuileries ihr Zelt aufgebaut haben und halt auch mal raus wollen und was für die Mama zum Mitbringen shoppen wollen. Am besten noch in diesem unsäglich unverständlichen Conceptstore Colette, von dem ich bislang nur verstanden habe, dass es überall anders auf der Welt günstiger ist und dass man schon ein recht unsicherer Mensch sein muss, wenn man sich das dort ausgestellte Sammelsurium als Geschmack verkaufen lassen muss. Egal. Einkaufen wird so jedenfalls zu einer – Achtung neudeutsch – Challenge und ich werde mich ihr stellen.
Vorbei mit flachen Ballerinas und Hosen, hinein in wilde Sachen, am besten im Dunklen zusammengestellt, Haare nicht mehr gefönt, einfach hochgezwirbelt, wenn ich so überlege, ich war eigentlich top gestylt, kein Mensch wäre drauf gekommen, dass mein schwarz-weißer Ziehwagen kein Accessoire ist. Muss an meiner Attitüde arbeiten, das ist es.

Kopfkamera versus Yoga

Heute auf dem Batobus in Paris und überhaupt in der ganzen Stadt und auch in Rom kann man ein Phänomen beobachten: Menschen, die mit langen Stecken vor sich herlaufen. Auf denen sind Fotokameras montiert, damit sie jeden Schritt dokumentieren können. Autos werden mehr und mehr mit Fahrtkameras ausgesatattet, Motorräder und Skifahrer eh und ganz besonders Engagierte sind sich nicht zu schade, einen Helm mit montierter Kamera auch in der Stadt zu tragen. Dabei werden auch Menschen gefilmt, die das vielleicht gar nicht möchten, das nur nebenbei. Solches Verhalten wirft viele Fragen auf.
Wann sehen sich die wilden Filmer all das an? Da alles in Echtzeit ist, dauert das Anschauen nochmal so lange wie das Erleben und hält einen somit vom Erleben neuer Dinge ab.
Welche übergroße Angst, etwas zu verpassen, treibt Menschen dazu, so etwas zu tun?
Wie passt eine derartige Zeit- und Raumwahrnehmung mit dem frenetischen Yogatrend zusammen? Dem Trend, im Hier und Jetzt zu leben, den zigmillionenfach angepriesenen Achtsamkeitsübungen, dem ganz in der Gegenwart aufgehen? Wieso sollte der Moment später besser sein als der Moment jetzt? Hat das Künftige gar nichts Schönes, Spannendes zu bieten?
Werden Vergangenheit und Zukunft höher bewertet als der Augenblick?
Ich habe eine Freundin, die Städte fast ausschließlich durch die Linse ihrer Kamera wahrnimmt. Sie macht traumhafte Fotos und freut sich an regnerischen Tagen daran. Auch ich fotografiere gerne, zwar fast nie Menschen, aber auch ich freue mich an den Ergebnissen. Allerdings hat es eher Hobbycharakter, weil mir das Farben- und Formenspiel mancher Bauten und Details gut gefällt.
Die Realität eins zu eins abzubilden und sie später erneut abzuspielen, käme mir nie in den Sinn. Ich würde wirklich gerne verstehen, warum jemand das tut.

D-Day: Normandie oder Badeanzug

Unser heutiger Blogbeitrag beginnt mit einem Zitat aus dem immerschlauen Wikipedia: Der Ausdruck D-Day bezeichnet im Englischen den Stichtag …. In vielen Sprachen steht der Ausdruck heute speziell für den 6. Juni 1944 als Beginn der Landung der Alliierten in der Normandie im Zweiten Weltkrieg.

Wie ich drauf komme? Ganz einfach. Aus dem Büro meines Mann erreichte mich heute die Meldung, dass heute und morgen von den Champs-Élysées bis zum Place de l’Opera so ziemlich alles gesperrt sein wird, was nur gesperrt sein kann. Weil – und jetzt halten Sie sich fest – die Queen mir im Eurostar nachgereist ist. Wir hatten uns Anfang der Woche verpasst und die Gelegenheit so kurz darauf, über Paris in die Normandie wegen ebendieses Jubeltages zu reisen, bot sich einfach an.

Leider musste ich auch diese Chance ungenutzt verstreichen lassen, da ich heute meinen persönlichen D-Day hatte: Ich habe mir aus gegebenem Anlass einen Badeanzug gekauft. Und wer meint, mei, hat die’s schön, da bummelt sie erst durch London und dann stöbert sie ein wenig durch Paris und kauft sich einen Badeanzug, der hat so einen Plan noch nicht selbst umgesetzt. Das mag alles schön und gut sein, wenn man eine Figur wie die Herzogin von Cambridge hat, dann braucht man allerdings auch keinen Badeanzug, sondern es genügt ein Brillenputztuch mit Bändchen dran (oder was vergleichbar Winziges). Wenn man aber normale bayerisch-italienische Maße hat, dann kann das schon, sagen wir mal, challenging sein. Und so war es auch bei Princess TamTam (ich weiß, aber ich habe den Namen nicht ausgesucht und bei Pain de Sucre war es mir zu anrüchig) nicht gerade einfach, der Verkäuferin klar zu machen, dass ich wirklich die größte Größe aus dem Lager haben möchte. Sie hatte zu allem Überfluss noch asiatische Wurzeln und ich kann getrost sagen, dass zwei ihrer Hände in meiner Platz hatten und ich diese auch noch schließen konnte. Tant pis. Irgendwann griff sie mir dann beherzt an den Busen, weil sie es einfach nicht glauben konnte und ist dann kichernd in die hinteren Räume getrippelt. Trotz aller Schmach kann ich mich nun über einen wirklich reizenden Badeanzug freuen. Zwar ist er für die Provence geplant, jedoch könnte ich mir durchaus vorstellen, ihn mit meiner Freundin aus England in der Normandie einzuweihen. Sollten Sie von einer Verkehrssperre dort lesen, habe ich mich zu dieser Variante entschlossen und die Sperre ist wegen der Schaulustigen.

 

 

Kirschen

Aus gegebenem Anlass muss ich noch einen Beitrag schreiben und weil ich nicht sicher bin, ob es die nächsten Tage klappen wird, sozusagen auf Vorrat. Und weil es einen ganz besonderen Anlass gibt, der fast so toll ist, wie der erste Schnee: die ersten Kirschen!

Kirschen sind fast das einzige Obst, das es noch hauptsächlich saisonal gibt. Ok, und Spargel. Aber erstens ist das kein Obst und zweitens ist es bei Kirschen irgendwie noch mal viel toller. Ich habe gestern in meiner Lieblingsstrasse in Paris, der Rue Montorgueil ein Kilo zum horrenden Preis von sieben Euro gekauft. Aber sie sind so groß wie Aprikosen und wahnsinnig gut. Ich finde Kirschen das weltallerbeste Obst und könnte (und werde) mich wie jedes Jahr um Sinn und Verstand fressen daran. Leider habe ich letztes Jahr, als es mir nach eineinhalb Kilo abends mal recht schlecht ging am nächsten Morgen, nachgeschaut, ob mein Zustand vielleicht mit ihnen in Verbindung steht. Tatsächlich haben diese Biester irre viel Kalorien. Und ich war schon so froh, dass es ein Obst gibt, das mich so entzückt. Tant pis, wie der gepflegte Franzose sagt und jede Leidenschaft hat ihre Schattenseiten.

Dass ich Kirschen so sehr liebe, liegt sicher auch an meinen romantischen Jugenderinnerungen, als wir auf einem Baugrundstück auf einem Kirschbaum saßen und uns fast bis zur Bewusstlosigkeit vollgestopft haben. Romantische Dates waren inklusive. Wobei die tatsächlich angesichts der Kirschen nebensächlich waren. Und da soll noch einer sagen, Essen sei der Sex des Alters!

Dann gab es noch den Kirschenmann, der aus einem Nachbarort regelmäßig bei uns geläutet hat und diese herrlichen prallen, noch warmen Kirschen steigenweise und sehr günstig verkauft hat. Seine Kirschen haben mir zwar fast meinen Abschlussball vom Tanzkurs ruiniert, weil mein Kleid nach zwei Kilo nicht mehr so gepasst hatte wie zuvor, aber jede einzelne von ihnen war es wert.

Kirschen sind wunderbar. Und eigentlich ist es schade, dass man alles Andere immer haben kann. Bis auf Schnee halt.

P.S. Zwei Stunden später: Meine Güte ist mir schlecht. Vielleicht lege ich dieses Jahr eine Vernunftpause nach einem Pfund ein. Das hält ja kein Mensch aus.

So klein und so gefährlich

Vor ein paar Tagen war im Internet zu lesen, dass eine blinde Passagier-Ratte einen ganzen U-Bahn-Waggon in New York zum Erbeben gebracht hat. Passagiere sind auf Bänke geflüchtet, haben hysterisch geschluchzt und gewimmert und bei der kleinsten Bewegung des Nagers geschrien. Nun sind Ratten sicherlich nicht jedermanns Lieblingshaustier und das auch mit gutem Grund. Krankheitsüberträger, Überlebenskünstler, Rudeltiere, Allesfresser, dem Menschen alles in allem sehr ähnlich, versetzen sie uns durch diese Ähnlichkeit und die nackten kleinen Füße, nicht zu vergessen den rosafarbenen, recht langen Schwanz, in Angst und Schrecken.

In einer Stadt wie New York, wo reale Gefahren wie Verfettung, Verarmung oder Verrohung an jeder Straßenecke lauern, wo Kinder  zynischer sind als 60 jährige Landbewohner es jemals noch werden können, ist das beachtlich. Vielleicht liegt es daran, dass man die Gefahr benennen und identifizieren kann und selbst nicht aus der Komfortzone kommen muss dafür? Es ist leicht, sich vor einer Ratte, die ca. 80 Mal leichter ist als ein durchschnittlicher, burger-pommes-creamshakes-verzehrender New Yorker ist, zu fürchten. Endlich kann man mal alles an Ängsten rauslassen und muss gar nichts an seinem Konsumverhalten ändern. Ich trinke jeden Tag eineinhalb Liter Coca Cola? Das soll gefährlich sein? Neinnein! Eine kleine Ratte ist es. Perfide Logik.

Ähnlich geschehen heute – mal wieder – im Jardin des Tuileries:  Eine junge asiatische Frau knabbert weinend an ihrem Baguette. Ihr Freund wedelt halbherzig mit seinem Baguette ein paar der allerdings beachtlich stattlichen Tauben weg. Das stört sie nicht. Sie sind Schlimmeres gewöhnt und flattern nur kurz höflich hoch. Beim Wedeln verliert er knackige Krümel. Das ist gut. Das Mädchen weint inzwischen verzweifelt. Sie lässt ihr Baguette nicht los. Sie geht nicht aus dem Park. Sie steigt auf einen Stuhl. Was bei Vögeln nicht so viel bringt, wie bei Ratten. Sie weint immer heftiger, er wedelt immer weniger. Der Konflikt scheint tiefer zu liegen.

Ängste sind irrational. Ob man sich ihnen aussetzt, ist meist wählbar.

Simply perfect

Es gibt einfach Menschen, bei denen sehen Schuhe immer neu aus, Hosen immer gebügelt und Hemden nie anders als rein und gestärkt. Die Haare werden nicht fusselig, sondern locken sich im Wind. Sie laufen durch Parks, wie zum Beispiel den Jardin des Tuileries und alles an ihnen sieht neu und rein – preppy – aus. Während man selbst, glücklich zwar, aber eben doch etwas ramponiert von der Frühlingssonne, der Frühlingsbrise und dem saisonübergreifenden Staub auf einem der pistaziengrünen Eisenstühle sitzt. Und staunt. Eben hat man noch über ein Buch gegrübelt, aufgeschaut, woher der Lärm kam – ah, ein Kind, das einen Eiffelturm aus Plastik möchte, aber nicht bekommt – und im nächsten Moment ist man genötigt, derart philosophische Betrachtungen anzustellen.

Aber dann. Dann erhascht man durch den leichten Frühlingswind die Gesprächsfetzen der drei Perfekten nebenan. Schnell das Schulfranzösich zusammengekratzt (Zeit wird’s eh, lange kann man dem Metzger nicht mehr weis machen, dass man eine arme zugereiste Deutsche ist, die sich auf die Hüfte klopfen und muhen muss, um ein Stück Rinderlende zu bekommen, von Huhn mal ganz zu schweigen) und dann gestaunt.

Alles, was bisher wie ein angeregtes Geplauder über eine Ausstellung, den Besuch beim Edelschuster Roger Vivier (Tüte) oder auch die geplanten Ferien auf dem Boot geklungen hat, waren detaillierte Lästereien über jeden sichtbaren Besucher des Parks. Und der ist nicht klein. Die Sprache troff vor Häme, die Gestik war abwehrend und genervt und die Mimik spiegelte fast schon Ekel wieder.

Das war der Moment, sich wieder auf die Tauben und die Blumen und die Sonne zu konzentrieren. Die sind, was sie sind.