Gesundheitschecks

Nun sollen Piloten verstärkt auf psychische Gesundheit überprüft werden. Aber hier muss man ähnlich wie bei der Erstellung eines Fragebogens selbst Fragen gefallen lassen: Was passiert mit dem Ergebnis? Wem dient es? Reiner Neugier? Sind wir willens oder überhaupt in der Lage, etwas mit dem Ergebnis anzufangen? Ziehen wir Konsequenzen? Was passiert, wenn psychische Auffälligkeiten festgestellt werden? Wird der Pilot frei gestellt? Zum Psychiater geschickt? Und was passiert dann? Er darf vielleicht nicht mehr fliegen. Und dann kommt die Amerikanisierung der Gesellschaft ins Spiel: Er wird klagen wegen Diskriminierung. Und auf Wiedereinstellung oder was auch immer. Und dann trauen sich Gutachter nicht mehr, ‚echte‘ Diagnosen zu treffen. Und dann ist alles wie vorher.

Das ist dann ähnlich wie bei den Taschenkontrollen in den Pariser Kaufhäusern. Da wird schnell in die (riesige) Handtasche hineingeschaut, in der sich nicht mal die Besitzerin zurechtfindet und in der sie durchaus nach einigen Wochen ein müffelndes belegtes Baguette oder eine tote Katze finden könnte, ohne dass es vorher bemerkt wurde und wenn die Security das getan hat – natürlich ohne die Kunden zu verärgern – sind alle beruhigt. Das Kaufhaus kann sagen, dass es die Sicherheitskontrollen verstärkt hat, die Kunden können sich total sicher fühlen und wer tatsächlich Übles im Schilde führt, kann das genauso beruhigt durchziehen wie vorher.

Glaubt allen Ernstes jemand, dass die Flüssigkeitskontrollen an den Flughäfen irgendwas gebracht haben außer Umsatzzuwächse bei Zipper-Beuteln? Ich nicht. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass es sich hier um reinste Statistik handelt. Autofahrer, die sich entscheiden, falsch auf die Autobahn aufzufahren, Amokläufer, die von den Nachbarskindern gehänselt wurden und in Kinos oder an Schulen um sich schießen, Selbstmordattentäter, deren es Leben sich erst lohnt, wenn sie hundert Jungfrauen im Jenseits kriegen, alles Menschen, die nicht steuerbar, nicht vorhersehbar und selten greifbar sind. Wie eben das gesamte Leben.

Mitnahmesuizid

Ich kann es nicht ignorieren. Ich nicht und überhaupt keiner kann das, was am Dienstag geschehen ist, ignorieren. Und  wenn die Vermutung recht schnell nahe lag, ist doch die Gewissheit in ihrer gewaltigen Umfänglichkeit so wenig zu begreifen, dass nur Jahre ein langsames Akzeptieren geben werden. Niemals ein Verstehen. Ich habe versucht, etwas über den Begriff ‚erweiterter Suizid‘ zu finden, jeder geht anders mit solchen Meldungen um, ich muss zumindest versuchen, es zu verstehen. Wikipedia schreibt: Ein Mitnahmesuizid liegt allerdings nur dann vor, wenn das Ziel, sich selbst zu schaden, größer ist als das Ziel, anderen Schaden zuzufügen

Da geht es also einem Menschen so schlecht, dass es ihm schnurzegal ist, dass mit ihm 149 weitere Menschen den Tod erleiden. Wie lange er das geplant haben muss. Auf den passenden Moment gewartet haben muss. Der Ruhige, der einmal im Leben, im Tod im Mittelpunkt stehen möchte. Dem es völlig egal ist, was er anderen zufügt. Das kann ich gar nicht oft genug schreiben. Es ist wahnsinnig schrecklich, wenn ein Mensch unter Depressionen leidet. Nichts Schlimmeres als in einem Milcheimer zu stecken, die Wände glatt, grau und hoch und nicht herauszukommen. Aber deshalb andere Menschen mitreißen? Kommt das von Computerspielen? Der Abstraktion des Todes? Ist es ein Zeichen fortschreitenden, maßlosen Egoismus?

Die Parole der Stunde heißt: keine Spekulationen. Aber bitte: Die Unfassbarkeit der psychischen Störung dieses Copiloten kann gar nicht früh genug in Angriff genommen werden, um sie langsam zu verdauen. Die Durchsetzung der eigenen Ziele um jeden Preis – damit hätte er es auch im Leben weit gebracht.

BMI, Promille, Irre, Obi

Also eigentlich hatte ich gestern einen Beitrag begonnen, der vom neuen Gesetz Models und ihr Gewicht betreffend handeln sollte. Ein solches wurde in Frankreich erlassen. Mindestens 18 soll demnach der Body-Mass-Index der jungen Giraffen sein. Damit sich auch ein Mensch, der sich nicht mit Gewicht, BMI, Diäten, etc. befasst auch was drunter vorstellen kann – so es überhaupt noch irgendeinen auf dieser Welt gibt -, wurde auch gleich erläutert, dass man dafür 55 Kilo bei 1,75 Meter Körpergröße wiegen müsse. Drunter ist sozusagen strafbar (drüber vermutlich auch). Man müsse die Mädchen vor sich selbst und der garstigen Welt schützen.

Dann habe ich heute morgen einen Artikel gelesen, in dem die hochinteressante Frage diskutiert und auch vor Gericht gebracht wurde, ob ein diagnostizierter und mehrfach stationär therapierter Alkoholiker für seinen Rückfall (wir sprechen hier von der Mutter aller Rückfälle: 4,9 Promille) verantwortlich gemacht werden könne. Nein. Kann er nicht. Daraus wurde abgeleitet, dass nicht die Krankenkasse seinen zehnmonatigen Arbeitsausfall zu bezahlen hätte, sondern der Arbeitgeber, der ihn nun auch nicht mehr kündigen darf. Auch den muss man vor sich selbst schützen und so langsam dämmert, dass eigentlich in dieser Welt gar kein Einziger mehr für sich selbst oder gar seine Handlungen verantwortlich ist.

Und dann, als ich dachte, es könnte nicht absurder werden, habe ich mich mit dem Fall Robert Durst befasst, der sieben Hunde mit dem selben Namen Igor gekauft und verschwinden hat lassen und vielleicht auch noch ein paar Menschen. Außerdem klaut er und uriniert in Papierkörbe und tut so, als wäre er eine stumme Botanikerin. Er ist Millionär und für all das wurde er noch niemals nennenswert zur Rechenschaft gezogen.

All das hat mich in wilden Aktionismus getrieben und ich habe mich dem Frühjahrsputz gewidmet, einen Dampfstrahler bestellt (Karl und Gertrud segeln immer wieder selig auf meinen Balkon) und begonnen, die Wintersachen wegzuräumen. Schließlich bin ich zu Obi gefahren, weil ich Vakuumierbeutel gebraucht habe. Ich liebe Vakuumirren, wenn aus vier Daunenjacken ein stabiles Brett wird, herrlich. Hatte ich schon mal erwähnt, dass mein Keller klein ist? Nun, wenn nicht, er ist es. Und ganz ehrlich, ich hätte viel früher zu Obi gehen sollen, anstatt so einen Müll beim morgendlichen Cappuccino zu lesen. Die Herren dort haben sich darum gebalgt, mir behilflich sein zu dürfen, die zwei federleichten Beutelchen wurden mir zur Kasse getragen, ob ich ganz sicher nicht noch irgendeinen Wunsch hätte? Ich war noch nicht mal geschminkt und wiege ein klitzekleines bisschen mehr als 55 Kilo, bin aber auch größer, hatte dafür allerdings auch noch niemals 4,9 Promille. Dafür aber zumindest EINEN Hund namens Igor.

Hört auch sicher jemand zu?

Bevor ich mich in diesem leichten Blog zu immer stürmischer danach drängenden Karikaturisten und ihren Werken äußere, wende ich mich doch lieber dem nächsten Krisenherd zu: dem hemdsärmeligen und wunderbaren Papst. Da hat sich dieser Mensch, der eine Mutter hat und auch mal ein Bub war, doch tatsächlich erdreistet, seine womöglich erfahrungsbasierte Meinung zu dem ein oder anderen Thema in diesem Zusammenhang zu äu0ern. Und dieselben Mütter, sekundiert von ihren verängstigten und im schlechten Gewissen klein gehaltenen Ehemännern, die im Biomarkt skrupellos kassierende Geschlechtsgenossinnen niederbefzgern, weil es nicht schnell genug geht, empören sich – natürlich.

Nun ist es eine alte Weisheit, dass der getretene Hund jault und trifft wohl auch hier den Nagel auf den Kopf. Das richtige Empören ersetzt das Handeln. Und das scheint eine probate Lebensmaxime für solche Leute zu sein. Ich persönlich kenne die Vorstufe dazu aus dem Stall. Dort haben die pferdeliebenden Mädels lang und breit auf ihre Tiere in pädagogisch fragwürdigen Monologen eingewirkt, um dadurch vielleicht die Aufmerksamkeit des Reitlehrers oder des neuen Stallburschen zu wecken. Die Gegenüber der empörten Schmähreden haben angelegentlich weiter ihren Führstrick aufgenibbelt und gelangweilt mit dem Vorderhuf Muster auf den Steinboden gescharrt, aber dass sie aufhören, war auch nie Ziel der Aktion. Natürlich sind stumme oder intellektuell noch nicht gleichgestellte Wesen die beliebtesten Partner in derartigen Situationen. Auf Wiesen und ab und an in Wäldern – da aber seltener mangels Publikum – kennen Hundebesitzer die Damen, die immer wieder in schönster Modulation vor sich hinplappern und moralische Diskuse auf dem Vierbeiner abladen, warum er sich doch jetzt nicht im Schlamm wälzen soll oder den Hasen nicht jagen soll. Eine Erziehungsabsicht verfolgt dabei keine von ihnen, aber die Umwelt soll denken: meine Güte, diese Frau hat aber mal echt voll viel Ahnung von Erziehung.

Und dann kommt das Beste, das Kind. Dem man mit eineinhalb Jahren schon erklären kann, dass man Kerzen lieber nicht anzünden soll, weil sonst das ganze Haus abbrennt und dass dann Mama und Papa ganz dolle traurig wären und das würde Mia-Sofie doch hoffentlich nicht wollen. Oder dass die Schokolade an der Kasse von ganz, ganz garstigen Menschen in schlimmster Unterdrückung produziert wird und voll fies extra dort platziert wird und Lucca-Moritz doch hoffentlich schon viel schlauer sei und den grau-beigenn Bio-Riegel vorzöge. Hm. Keine von diesen hat den Mut, der Katalysator für die noch nicht zu verstehende Welt zu sein und einfach nein zu sagen. Zu einer solchen Vertrauensperson zu werden, dass ein Nein genügt, weil man weiß, die Mama meint es gut. Meint sie ja auch nicht. Rausreden will sie sich. Dafür, dass sie nichts tun will und wird, außer sich auf Kosten von Abhängigen zu profilieren. Huch!, da hätte ich aber mal gleich über die Karikaturen schreiben können.

Abkürzungen, Verlängerungen – was jetzt?

Keinem kann man es recht machen. Der FBI-Chef, wird gescholten, weil er von mentalen Abkürzungen spricht, die Polizisten in Problemgebieten gelegentlich nehmen, wenn Sie mit Schwarzen konfrontiert werden, der hemdsärmelige, krawattenablehnende neue Grieche möchte unter gar keinen Umständen in einer wochenlang ausgehandelten Vereinbarung zur Rettung seines Landes das Wort Verlängerung sehen, also Männer können schon bockig sein. Würden Frauen sich so äußern oder querstellen, gäbe es eine prima Erklärung, ich spare sie mir hier. Warum sie selbst aber so handeln müssen, erklären sie am besten und auch am liebsten selbst.

Mansplaining ist ein wunderbares Wort, das ich leider erst vorgestern zum ersten Mal gehört habe. Wie kommt das? Wie kann es sein, dass ein Phänomen, das einem tagtäglich begegnet bisher nicht hinterfragt oder benannt wurde? Mansplaining bezeichnet – mit meinen Worten – die Lust des Mannes am Erklären der Welt, am Reduzieren von Komplexität in frauenverträgliche Wissenshappen. Weil, und das liegt nun mal auf der Hand, diese zauberhafte Dummerle sind. Nett anzuschauen, auf süße Art unberechenbar, stolpern sie durch die Welt und richten allerlei Unsinn an mit ihren hübschen Köpfchen. Man stelle sich vor, sie müssten so wichtige Dinge machen wie Politik! Nicht auszudenken. Da ist es gut, dass so viele Männer um unsere Frau Bundeskanzlerin waren, als sie nach Minsk geeilt ist, um das zu tun, was Frauen halt am besten können: ein bisschen schlichten, die Wogen glätten, gütig sein.

Wir sind ja hier kein politischer Blog, auch das ist logisch, die Autorin ist eine Frau, ging also gar nicht. Deshalb gleich zurück zum nächsten Krisenherd: Männer. Ich für meinen Teil muss sagen, ich habe Glück. Glück deshalb, weil ich in der Tat Vieles nicht weiß oder mich bislang nicht dafür interessiert habe, was mein Mann zum Glück weiß und – großer Vorteil – es sich auch merken konnte. So kann ich das Ein oder Andere fragen, bekomme es erklärt und vergesse es leider danach auch wieder. Ich muss allerdings zugeben, genauso gerne wie ich Geschichten erzählt oder Essen gekocht bekomme, lasse ich mir etwas erklären. Es stört mich keineswegs, außer, wenn ich es am Tag vorher meinem Mann selbst, sozusagen aus erster Hand, erzählt habe. Dann kann es durchaus sein, dass ich aufbegehre und darauf hinweise, dass mir das passiert ist, was er mir gerade als universelle Wahrheit darlegt. Da nehme ich dann die Abkürzung und gehe – wenn notwendig – gerne auch in die Verlängerung.

Ich, Kaninchen

Wir Karnickel stehen ja selten im Rampenlicht. Im Gegenteil, wir scheuen es eher. Lieber versteckeln wir uns im Gras oder auf Feldern, um zu mümmeln oder in unseren kuscheligen Höhlen, um gemütlich vor uns hinzurammeln. Wir sind nicht besonders darauf erpicht, dass uns alle süß und niedlich finden, denn auf all diese kleinen Kinder, die uns dauernd an den Ohren ziehen und in enge Käfige sperren, könnten wir prima verzichten. Aber was können wir tun, wir sind halt so unwiderstehlich mit unseren seidig-flauschigen Ohren und den puscheligen Schwänzchen. Von unseren felligen Füßen mal ganz abgesehen.

Und weil das Elend noch nicht groß genug ist in der Welt, haben wir jetzt auch noch Fürsprache aus selbst berufenem Munde bekommen. In einer Zeit, in der man in Sachen Religion und Beleidigung (wäre das modern ausgedrückt ein #Hashtag?? Das fragen wir uns!) doch nun wahrhaft genug um die Ohren haben sollte als Mensch. Aber nein, da kommt dieser selbst ernannte fleischgesichtige und in seiner Art typische Kaninchenzüchervereinsvorsitzende daher und zerrt uns durch seine oberpeinliche und ungebetene Verteidungsaktion ins Licht der Öffentlichkeit und gibt uns der Lächerlichkeit preis. Was denkt er sich? Wer hat ihn gebeten? Soll er sich doch mit dem Kerl, der vor Weihnachten den Bahnverkehr lahm gelegt hat, weil er von seiner Frau verlasen wurde und einfach auch mal wieder was zu sagen haben wollte, zusammen tun. Die könnten sich doch dann gegenseitig die Welt erklären und überall ein Haar in der Suppe suchen. Und teuren Wein dazu trinken.

Was ist denn dabei, wenn ein netter pragmatischer Religionsführer oder sagt man Kirchenoberhaupt – keiner kennt sich bei den Menschen und ihren Religionen mehr aus, angeblich geht es immer um Liebe und Respekt und dann schießen sie sich einfach mal so nieder oder machen sich übereinander lustig, bis es weh tut – also wenn so ein Papst ein Sprichwort bemüht? Was ist daran bitte so schlimm? Wir Kaninchen haben allerdings schon oft bei Menschen bemerkt, dass sie recht widersprüchlich sind. Lehrer, leider auch manchmal Journalisten zum Beispiel, die panisch zucken, wenn einer ein Zigeunerschnitzel bestellt (heißt jetzt Paprikaschnitzel) und die ganz, ganz arg Charlie sind, trauen sich im konfrontären Face-to-face-Kontakt nicht, Schüler ihrer Klasse zurechtzuweisen, wenn sie ihre Meinung zu den Pariser Anschlägen dahingehend äußern, dass das denen doch recht geschähe. Das sagen sie dann lieber im Biorestaurant ihrer Wahl. Vermutlich verzehren sie dabei Kaninchen in Weißwein und ein Kumpel von uns hockt in der Wohnung im Bioheu. Ach, es ist zum Heulen. Ein ärgerliches Kaninchen.

Vorsicht oder Nachsehen?

Zwar haben die Gedanken aus dem Ausland immer das Ziel, zu unterhalten und erfreuen, aber sitzt man in Paris bei bedecktem Himmel und liest, dass es hier eine Schießerei gab, da eine Verfolgungsjagd und allerorten spontane Anschläge auf muslimische Einrichtungen, dann kann einem die Kurzweiligkeit schon mal abhanden kommen. Nicht, dass man jetzt direkt Angst hätte. Es ist die Unsicherheit im Zentrum. Ich habe mit ein paar Leuten gesprochen und alle sagen mehr oder weniger Dasselbe. Man schaut sich genauer um, sieht Leute genauer an, Filme laufen im Kopf ab. Direkt nach dem Attentat war der Schock und das Nichtbegreifenkönnen noch da und ich habe in den Galerie Lafayettes Strümpfe gekauft. Gestern war ich gar nicht aus dem Haus und heute überlege ich es.
Ist es das, was die ‚Experten‘ befürchten? Dass dann der Terror siegt? Aus den USA hört man, dass dreizehn Flugbegleiter ihren Job verloren haben, weil sie Angst hatten, die kindischen Schmierereien auf ihrem Flugzeug deuteten auf einen Anschlag hin. Sie weigerten sich, mit der Maschine zu fliegen – und flogen selbst. Hätte man eine Bombe gefunden, wären sie Helden gewesen. Und doch nutzen alle Vorsichtsmaßnahmen wenig, wenn Einer vorhat, Böses zu tun. Die Redaktion in Paris stand unter ‚Polizeischutz‘, der verantwortliche Redakteur unter Personenschutz. Allein was hat es ihm genutzt? Die Adresse war geheim, kein Schild, kein gar nichts. Wo endet Vorsicht, wo beginnt Panik?
Phantasiebegabte Menschen malen sich aus, was passierte, wenn die Fluchtroute solcher Verbrecher den eigenen Einkaufsweg kreuzt? Würde man auch hier – ganz à la Parisienne – das Auto beim Überqueren der Straße zum Halten nötigen wollen, um dann an einen zu gelangen, der weder Tod noch Teufel fürchtet, weil er es selbst ist? Bei uns ums Eck, ca. fünfzig Meter Luftlinie wurde kürzlich der berühmte Conceptstore Colette ausgeraubt. Da möchte man doch auch nicht gerade die Hosen aus der Reinigung holen und sich lautstark über auf dem (schmalen) Trottoir geparkte Motorräder beschweren. Hat der Terror also gesiegt? Lohnen sich Charakter und Zivilcourage? Bei vielen Beispielen aus den letzten Wochen offenbar nicht. Lieber aufrecht sterben als auf Knien leben. Was heißt das? Ist das eine Frage, ob das eigene Leben in erster Linie aus Überzeugungen besteht? Würde ein Mensch mit Familie auch so denken können? Ist der, der das sagt, ein besserer, weil tapferer Mensch?
Sicher ist, ich muss nachher in die Reinigung und Wasser kaufen. Und danach gehe ich durch den Jardin des Tuileries zurück. Mal sehen, ob wieder alle Papierkörbe weg sind. Einer muss ja ein bisschen nach dem Rechten sehen hier.

Ausweichmanöver

Heute beginnen die ‚Soldes‘ in Paris. Das kann den Adrenalinspiegel ganz schön heben, vor allem, wenn man sozusagen im Auge des Hurrikans wohnt. Aber nicht nur das. Auf dem Weg zum Büro, den ich morgens gerne und oft mit meinem Mann beschreite, weil ich dann erstens weiß, wie das Wetter ist und anschließend noch das Ein oder Andere erledigen kann, sind wir gemütlich plaudernd auf dem ungewöhnlich breiten Bürgersteig der Rue de la Paix gelaufen. Viele Menschen kommen einem da entgegen. Die Einen joggen, die Anderen haben Kopfhörer auf und sind vertieft, wieder Anderen sieht man an, dass sie jetzt zum Arbeiten in die Geschäfte gehen, in denen sie sich meistens gerade mal einen Schlüsselanhänger leisten könnten und einen vermutlich deshalb auch nicht immer arg nett behandeln und die ganz Anderen…die sind einfach wahnsinnig aggressiv und suchen Ärger. Ich komme ja nun aus einer kleinen Stadt, in der bewusstes Rempeln als das verstanden wird, was es ja auch letztendlich ist: eine wenig subtile Provokation, vor allem, wenn ein Mann eine Frau anrempelt, obwohl ganz viel Platz ist.

Als mir das heute passiert ist, hab ich kurz warten müssen, um es zu verarbeiten und dann war mein erster Impuls: nachlaufen und fragen, ob er einen Knall hat. Mein großstadterprobter und besonnener Mann hat mir das zum Glück ausgeredet, das heißt, er hat mich schlichtweg festgehalten, weil ich vor Zorn geschäumt habe. Man kann nämlich sehr gut zwischen einem Rempler und einem trottoirschubsenden Bodycheck unterscheiden. Kurzum, es hat mich gar nicht richtig losgelassen, bis wir mittags mit einem Kollegen beim Essen waren. Auf dem Weg dorthin hat er – Italiener aus Rom – erzählt, was er so alles in Paris erlebt hat und wie sehr er sich verändert hätte. Früher und auch in Rom hat er auf Frechheiten reagiert, hat geantwortet, sich eingemischt, normal halt. Hier in Paris, nach der ein oder anderen schlechten Erfahrung, hat er sich das angewöhnt, was alle tun: ruhig sein, nicht auffallen, seinen Weg gehen.

Und dann kommen wir ins Restaurant, ein gemütliches italienisches Restaurant, wo alles gut riecht, der italienische Wirt sich freut, lauter Landsleute (und mich) zu haben und während wir die Mäntel ausziehen, erzählt er uns völlig geschockt von diesem unfassbaren Akt des Terrors, der sich eine halbe Stunde zuvor in Paris ereignet hat. Mehr Zeichen brauche ich nicht. Ich werde ausweichen.

Lillifee an die Macht!

Es gibt Meldungen, die reißen einen aus der Indifferenz. Nicht nur dass mich Politik nicht sonderlich bewegt, meine Meinung hierzu ist, dass alle Politiker (bis auf offene oder heimliche Diktatoren, aber das sind auch keine Politiker, sondern Herrscher) letztendlich gleich sind und man zumindest einen Unterhaltungswert von ihnen erwarten darf. Deshalb ziehe ich Sarkozy eindeutig dem faden Hollande vor, der nicht mal seine Affären mit Schnackes lebt. Eine Meldung heute früh hat mich jedoch aus meiner schändlichen Lethargie gerissen: die FDP will ihre Farbe wechseln. Warum? Das weiß der Himmel. Es scheint mir die Verzweiflungstat einer Image-Agentur zu sein, die mit diesem Fisch eindeutig überfordert ist.

Magenta soll es sein. Die Farbe der kleinen Mädchen, der Homosexuellen und der Telekom – ja, die kann’s richten. Ganz bestimmt. Geht man etwas tiefer in der Farbpsychologie, wird man feststellen, dass nichts, aber auch rein gar nichts an dieser Farbe sympathisch ist (Tausende von Telekom-Kunden können das belegen, wenn sie einmal in die Fänge des Call-Centers geraten sind oder ihr hart verdientes Geld in die ‚Volksaktie‘ gesteckt oder gar Jan Ullrich die Daumen gedrückt haben). Warum tut man so etwas also? Meine Oma hat immer gesagt, wenn eine betagtere Dame ein lilafarbenes Kostüm trug: Ha, schau, Lila, der letzte Versuch! Nun ist Lila nicht gleich Magenta, sondern viel eher noch eine ‚echte Farbe‘, wohingegen Magenta nicht mehr und nicht weniger als reine kalte Künstlichkeit ausstrahlt. Wikipedia weiß, wie immer, Interessantes über die Farbe: so soll sie nach einem Ort namens Magenta in der Nähe von Mailand benannt sein. In einer Schlacht im Sardinischen Krieg floss so viel Blut, dass der Boden diese Farbe annahm. Na, das ist doch mal eine prima Assoziation für eine Partei.

Man mag es ja generell nicht glauben, welch winzige Motivationen wirklich große Veränderungen hervor bringen. Ein ehemaliger Wirtschaftsführer hat sich von seiner Frau getrennt und wollte seiner Neuen ein wenig imponieren mit Geschäftsreisen nach New York? Kein Problem, da machen wir gschwind einen Merger, da sieht sie, was ich für ein Kerl bin! Auflösen mussten ihn dann Andere. Ein Spezl sucht ein neues Geschäftsfeld für seinen Versicherungskonzern? Na, da hilft man doch! Die Angst vor der Altersarmut kann in Deutschland immer vor den Karren gespannt werden und schon ist wenigstens Einer viel glücklicher als zuvor. Man darf gespannt sein, welche Richtung die ‚Wirtschaftspartei‘ FDP mit ihrer neuen Farbgebung einschlägt. Meinem zehnjährigen Patenkind ist pink schon seit langem zuwider, sie findet es zu babyhaft.