Zwanghaftes Fragen

Ich kenne Menschen, die immerzu fragen. Und fragen. Und fragen. Ich selbst frage auch viel. Um ein Gespräch anzufangen, es am Laufen zu halten und vor allem, weil es mich wirklich interessiert, was ich frage. Dann gibt es aber Diejenigen, die anderen so den Ball zuschieben, die Unterhaltung quasi alleine und vor allem völlig reaktiv zu betreiben. Das ist dann nicht mehr so schön. Vor allem, weil die Antwort an sich dann gar nicht mehr gehört wird, was man daran merkt, dass sie Minuten später eine Kreuzfrage stellen, deren Beantwortung schon längst in der vorvorvorletzten Frage gegeben wurde. Langer Rede, kurzer Sinn: Fragen sollte nicht nur als Machtdemonstration verwendet werden oder um den Befragten durch manipulierte Fragen in die gewünschte Richtung zu treiben.

Gestern Nachmittag war ich allerdings gezwungen, einen mir völlig fremden Menschen ziemlich auszuhorchen. Blöde war, dass dieser schon von Berufs wegen sehr geschult im Frage-Antwort-Spiel war und mir zwar höflich geantwortet hat, aber rein gar nichts rausgelassen hat. Der besonnene Antworter war ein Pariser Polizist. Einer von ca. fünfzig bis siebzig Polizisten, die sich in zehn bis zwölf Mannschaftswagen in unserer Straße und noch ein Stückchen die Rue St. Honoré entlang aufgereiht hatten. Pas de soucis, Madame beruhigte er mich, denn wer aus seiner Haustüre direkt in eine geschlossene Polizeiansammlung tritt, hat in Paris zunächst mal eines: Kribblige Sorge. Zumal ich heute erfahren habe – durch Zufall, beim Burgen- und Ritterspielen mit Robert, dem siebenjährigen Enkel meiner Nachbarin -, dass der Polizeischutz mit Maschinengewehr im Haus gegenüber der Witwe eines Charlie Hebdo Redakteurs gilt.

Das wirft viele Fragen auf: Wie gut verdient man eigentlich mit Sartire? Und wie lange soll das aufrecht erhalten bleiben? Wird es dadurch für die Nachbarn gefährlicher oder sicherer? Fragen über Fragen, auf die keiner so richtig Antworten geben kann. Aber genau darum geht es ja auch dem ein oder anderen Frager. Nämlich um’s in die Enge treiben. Und wenn man das mal weiß und erkannt hat, kann man den ein oder anderen Ball auch mal fallen lassen und nicht antworten. Oder mit einer Gegenfrage antworten. Mir kommt da ab und an die Höflichkeit in die Quere, nämlich, dass ich reflexartig antworte, wenn man mich was fragt. Aber jetzt, wo ich mich schon aus einem Pariser Aufzug befreit habe, wird das doch wohl ein Klacks sein, oder?

Heimat

Heute haben wir eine Dame kennengelernt, die in Augsburg geboren wurde, aber durch den Beruf ihres Mannes viel in der Welt herum gekommen war. Immer, so gestand sie mir, war es ihr Wunsch und Anliegen, zurück nach Augsburg zu kehren. Das ist ihr nach zähem und beständigem Gequengel auch gelungen. Sie kann es selbst nicht erklären, aber es ist stärker als sie. Mir geht es seit ich bewusst über meinen Standort entscheiden kann, genauso. Ich finde es großartig, in Rom zu sein, aufregend in Paris und spannend wo immer ich bin, aber zurück ziehen tut es mich immer nach Augsburg.

Mein Globetrotter-Gemahl ist inzwischen durch meinen steten Tropfen auch sehr durchlässig und freundet sich zunehmend mit einer Homebase an. Ist das nicht schön, dass das Leben in jedem Alter solche Befriedigungen bereit hält? Früher war es das ‚endlich eine eigene Wohnung, endlich essen und ins Bett gehen, wann man will‘, dann ‚endlich das erste Gehalt, Karriere machen‘ und jetzt kommt das ‚hier gehör ich her, egal, was drumherum passiert‘. Ich hoffe, das darf so bleiben und ich fühle mit den Menschen, die tatsächlich ihre Heimat nicht verlassen wollten, aber sich dazu gezwungen sahen. Die gibt es nämlich auch. Nicht nur die, die von der Welle profitieren.

Kein Mensch verlässt gerne seine Heimat, sein ‚da kenn ich mich aus‘, sein Klima. Davon bin ich zutiefst überzeugt. Es gibt die Heimatlosen im Geiste, denen nichts heilig ist, die bedenkenlos alles wegwerfen, was keinen direkten Wert mehr hat, die problemlos von hier nach da ziehen, aber ich behaupte, das ist nicht die Überzahl. Die meisten Menschen sehnen sich nach einer Heimat und wenn sie auch vorübergehend weg waren, so versuchen sie doch immer, dorthin zurück zu gehen.

Keine Plastiktüten mehr verwenden, lieber Einkaufswagen aus Plastik

Es ist mir schon länger aufgefallen. Immer wieder und an unterschiedlichen Orten. Ob beim Kinderspielzeug, bei Baustellenzäunen, die früher aus Metall waren und heute aus Plastik, bei Einkaufswagen, die früher aus Metall waren und heute aus Plastik, bei Pappbechern, die früher aus Pappe waren und heute aus Plastik – egal, wohin man den umweltbesorgten Blick wendet: es wird mehr Plastik denn je verwendet. Es wird von Firmen produziert, von Firmen verkauft und von anderen Firmen gekauft. Das sind dann dieselben Geschäfte, die für Plastiktüten aus Umweltgründen 10 Cent verlangen. Ich meine die, die jetzt Plastikeinkaufswagen haben.

Halten die uns alle für doof?

So ein Käse

Als ob es nicht schon genug Skandale und Aufreger gäbe, wenn man die Nachrichten liest, was kaum ein Mensch mehr ohne Extrasistolen tun kann, kommt nun auch noch der Käseskandal hinzu. Das wackere Italien schreit angesichts der neuen Verordnungen aus Brüssel entsetzt und empört auf, weil ab bald für die Käseproduktion auch Milchpulver verwendet werden darf. Nicht genug damit, dass etliche kleine Käsereien schließen mussten als die Verordnung kam, dass die Produktionsräume gekachelt und die Tische und Gefäße aus Metall sein müssten, nun auch noch das. Der Geschmack wird leiden und viele Kleinbetriebe auch. Aber das ist denen, die längst aus dem Hintergrund unsere Welt lenken, schnurzegal.

Nestlé und Danone möchten ihre Waren in Supermärkten platzieren. Am liebsten irgendwie vorbehandelt, damit man sie schön verpacken und bewerben kann. Kartoffeln, die gewaschen und vorgekocht sind, Kartoffeln, die geschnitzt sind, Gemüse in einer Mischung, Salat in einer Mischung, alles so, dass der Ignorant den Eindruck hat, frisch zu kochen, obwohl er mit diesen Waren bestenfalls einen Schritt weiter als mit Mikrowellenessen ist. Alles, um Zeit zu sparen. Wofür? Um sich aus Sofalandschaften mit integrierten Tabletts und Safthaltern Fotos zu schicken, was man gerade isst? Oder um Spiele an so einem Ding zu spielen und das alles dann mit der Realität zu verwechseln? Oder vielleicht gar um Kochshows zu sehen?

Denn die nehmen trotz gegenteiliger Verkündung immer mehr zu. Für alles gibt es inzwischen eine Show. Für Tattooentfernung, minderjährige Mütter, Haus- und Wohnungseinrichtung und das Kuchenbacken sowieso. Mich erinnert das alles an dieses Spiel, das es vor Jahren im Internet gab, „second life“ oder so hieß es. Darin konnte man alles tun, was man auch im echten Leben tut – plus Schicksal spielen. Und offenbar ist es das, was die Menschen wünschen. Scripted Reality für ihr eigenes Leben. Sich von jedem sagen lassen, was sie tun sollen. Nichts mehr selbst tun oder entscheiden, alles keim- und allergiefrei und künstlich. Huch, wie bin ich jetzt in so einen Beitrag hineingeschlittert? Keine Ahnung! Vermutlich unterzuckert, Zeit für ein Stück Parmesan.

Kaufbulimie

Meine weise Mutter hat heute ein sensationelles Wort geprägt, das bei gleichgesinnten (schwäbischen) Profis sofort auf allergrößte Zustimmung getroffen ist. Kaufbulimie. Man kauft etwas ein und gibt es dann zurück. Natürlich nicht vorsätzlich, aber ich kann mich erinnern, dass ich ein größeres deutsches Warenhaus ab und an durchaus wie eine Bank behandelt hatte, indem ich etwas gekauft habe und das Geld damit von meinem Konto weg war und ich es dann zurück gegeben habe und das Geld eben immer noch da war. Albern, aber sehr effektiv, denn wenn es auf dem Konto geblieben wäre, hätte ich es vielleicht für etwas anderes ausgegeben. Und so eben nicht. Eine Shoppingversicherung sozusagen.

Die beiden Kleider, die ich zurückgegeben habe, waren ein klassisches ‚Im-Laden-eigentlich-ganz-schön-Phänomen‘, daheim und mit Abstand aber dann eben nicht mehr. Wenn man zu zweit einkaufen geht, passiert das schon mal, dass man selbst und die Begleitung d- nach einigen Fehlversuchen in der Relation – begeistert ist und die Sachen nimmt (in meinem Fall der dusslige Outdoor-Hybrid). Früher hätte ich die Sachen dann vielleicht behalten, aber inzwischen weiß ich, dass sie nur herum hängen und für ein schlechtes Gewissen und schlechtes Feng Shui (oder so) sorgen. Und erstaunlicherweise freue ich mich wie ein Kind über das zurückgebuchte Geld und meine Lücke im Kleiderschrank. Irgendwie befreit und leicht.

Männer sagen zu Recht, man hätte es gar nicht erst ausgeben müssen oder sparen tut man nur, wenn man etwas gar nicht kauft, was natürlich völliger Schwachsinn ist, denn dann kann man genauso sagen: wer früher stirbt, ist länger tot. Klar, brauchen tun wir alle nichts, aber wenn uns etwas Hübsches vor die Flinte läuft, ist es doch wesentlich sinnvoller und befriedigender, wenn man bei etwas, das man zwar nicht braucht, aber gerne hätte, immerhin noch etwas spart. Männer schauen sich dafür blöde gruselige Filme an und freuen sich dann, wenn sie ins Bett kommen, dass sie eben nicht dauernd mit Monstern kämpfen oder von brennenden Motorrädern rumballern müssen, sondern schön in frischer Bettwäsche schnorcheln können. Frauen sind eben viel pazifistischer veranlagt in ihren Bedürfnissen und Freuden.

Hilfen?

Gleich vorweg: Die Zeit, in der ich eine Haushaltshilfe hatte, war kurz und schlimm. Sie hieß Gabriella und war die Schwiegermutter unseres Portiere in Rom. Sie war damals vermutlich um die fünfzig und SEHR fit. Die Stunden, in denen sie zu uns kam, habe ich gefürchtet und in der Zeit, in der sie bei uns war, habe ich versucht, so unauffällig wie nur irgend möglich in meinem Büro zu sitzen. Sie hat Unmengen an salmiakhaltigem Reiniger für den Boden verwendet, die Wohnung hat so stark gerochen, dass ich noch stundenlang danach lüften musste. Über Minuten hinweg war immer wieder das ‚Pfffft pfffft‘ von einer Sprühflasche zu hören, denn das war sozusagen ihr Tätigkeitsnachweis.Hemdenbügeln wurde bei ihr zu einer Arbeit, die als neue Foltermethode in Guantanamo eingesetzt werden könnte, allerdings auch für mich. Brauche ich vier Minuten für ein Hemd, hat sie in der Stunde vier Hemden geschafft. Fenster sahen nach dem Putzen aus, als hätte man mit Butter drüber gewischt und sie war Meisterin im Drumherumputzen.

Kurzum, das Effektivste an ihr war ihre Schreckensherrschaft über mich. Im ersten und einzigen Jahr hat sie mich im August vor ein Ultimatum gestellt: entweder sie bekäme Urlaubsgeld oder sie käme nicht mehr. Mir wäre sehr recht gewesen, wenn sie das wahr gemacht hätte, aber da Claudio, der nichtsnutzige Vorgänger unseres Juwels Massimo, einen Schlüssel von uns hatte, war mir dabei nicht sehr wohl, denn immer wieder hat sie anklingen lassen, was für drahtige Kerle sie kenne. Kurzum, das Beste an Gabriella war, dass sie einen Teil unserer alten Möbel genommen hat als sie und ihre ganze Familie in ein besseres Leben gezogen sind und weil sie wohl auch den Eindruck hatte, uns einen Riesengefallen zu tun, hat sie sich auch gar nicht erst bedankt. Ich habe ihr keine Träne nachgeweint und bin seitdem vehementer Selbstputzer.

Zumal ich ruhigen Gewissens eh niemand Vernünftigen finden würde, denn wer steht auf Abruf bereit und kommt, wenn ich mal da bin? Also kann ich – wenn es ganz blöd läuft – in einer Woche drei Mal Betten beziehen. Aber das sind Kleinigkeiten, die ich gerne noch in Kauf nehme, denn egal, wo ich hinhöre, scheinbar überall führen Haushaltshilfen ein solches Terrorregime Sie waschen teure Kaschmirpullis zu klein, verfärben Wäsche, zerkratzen Edelstahlflächen und sehen hartnäckig Kalkflecken am Waschbecken nicht. Menschen, die eine Haushaltshilfe beschäftigen, geben soviel von ihren persönlichen Belangen und auch die Verantwortung für ihr Wohlbefinden ab, dass ich sie sehr bewundere für ihre große Toleranz diesbezüglich. Ich habe die noch nicht.

Don’t complain, don’t explain

Das hab ich heute zum ersten Mal gehört und finde es großartig. So divenmäßig und autark. So werde ich das jetzt auch machen. Warum auch erklären, was man tut? Es hilft doch auch Kindern nicht immer weiter, wenn man ihnen mit zwei Jahren exakt darlegt, warum es jetzt keinen Kaugummi an der Kasse gibt oder man gefälligst stehenbleibt, wenn die Mama das sagt? Erklärungen sind leider oftmals Ausreden für etwas, das man nicht getan hat oder wenn man zu spät ist, habe ich festgestellt. Ich bewundere Menschen, die einfach zu spät kommen und dann da sind. Einfach so. Als wären alle anderen zu früh. Ich hingegen werde vollkommen panisch und wenn – ich kann die Male, bei denen ich zu spät war, an einer Hand abzählen – dann liegt es mir auch am Herzen, ein so abartiges Verhalten zu erklären.

Wie cool es ist, sich nicht zu erklären, habe ich auch heute erleben dürfen. Wir waren beim Mittagessen mit Freunden und Bekannten und einer reichte ein kleines Präsent an seinen Kumpel, ohne Anlass meines Wissens. Dabei hat er offenbar nicht bedacht, dass es sich um ein Geschenk zu seinem Geburtstag von anderen am Tisch gehandelt hat. Er ist einfach saucool darüber hinweg gesegelt und hat der Sache somit überhaupt keinen Raum, kein Fitzelchen Energie gelassen. Und so ist es auch nicht zu etwas Großen geworden. Angeblich soll man ja deshalb auch nicht mehr ‚Gesundheit‘ sagen, wenn jemand niest, um dieser ungewollten Lautäußerung keinen weiteren Raum einzuräumen.

Ähnliches gilt wohl auch für das Nicht-Beschweren. Eine Bekannte von mir beschwert sich seit Jahren immer über Dasselbe, ich habe bald den Eindruck, es ist Teil ihrer Konversation. Ich merke an mir selbst, dass ich es nicht mehr mit demselben Schwung höre wie noch vor Jahren und dass ich auch etwas abgestumpft bin, so dass sie die Dinge immer dramatischer schildert, was aber auch nicht wirklich hilft. Was bewirkt das in einem Menschen, wenn er derart mit Negativem zugeschüttet wird? In den wenigsten Fällen Anteilnahme, eher Rückzug. Natürlich gibt es Zeiten, da muss man sein Herz erleichtern und seine Gefühle teilen, aber immer? Und nie was ändern? Ich finde das schwierig, möchte es aber an dieser Stelle nicht weiter erklären…

Betrachtungen von der Weide

Treue Blogleser erfreuen sich beinahe täglich – wenn nicht, ist das natürlich auf Verzug meinerseits zurückzuführen – an den weisen Kommentaren des Prunkschafs. Ich schätze mich glücklich, auch abseits des Blogs von den Perlen dieser Erfahrung zu profitieren und wenn ich das ein oder andere Mal geplättet davon verstumme, stellen wir, das Prunkschaf und ich, gemeinsam fest, dass all das vom langen Stehen auf der Weide des Lebens kommt. Und welche äußere Gleichmut man dabei erlernt! Und weil das so ist, scheint es mir nur recht und billig, eine eigene Kategorie für diese Betrachtungen zu eröffnen.

In der Tat bemerke ich auch jetzt schon, dass Erfahrung ein herrliches Federkissen ist. Man regt sich weniger auf, kann milde bleiben und sich denken ‚this too shall pass‘, das wird auch vorbei gehen, denn genauso wird es sein. Blöderweise gilt das auch für die ganz besonders schönen Dinge im Leben. Ich finde sowieso, der Herbst ist eine ganz wunderbare Zeit für philosophische Betrachtungen. Ein paar davon werde ich – so zumindest meine Hoffnung – auch heute Abend, wenn wir zum Geburtstag einer jungen, 40-jährigen Freundin eingeladen sind, nutzen oder gar sammeln können.

‚What I always wanted to be‘ lautet nämlich – wie wir jetzt präzisiert bekommen haben – das Motto. Es prangte zwar auf der Einladungskarte, aber ich war, wie ca. 90% der anderen Gäste, davon ausgegangen, dass sie im Kreise ihrer betagteren Freunde schlichtweg auch eine vier vor dem Alter haben wollte und das schon immer. Aber nein, wir sollen als das kommen, was wir schon immer gerne sein wollten. Und wenn man das genau nimmt, kann man so lange und ausgiebig drüber nachdenken, dass man vom Hölzchen aufs Stöckchen kommt und gar nicht mehr in Partystimmung ist. Mit diesen Gedanken verderben sich jedoch die wenigsten das Fest und so vermute ich, dass wir auf viele leicht bekleidete Damen treffen werden und da, ganz ehrlich, kann man sich dann schon mal fragen….