Baguetteannagen

Nur wenig Dinge im Leben sind verlockender als ein frisches Brot/Baguette oder gekochter Schinken aus Italien. Und deshalb gelingt es mir fast niemals, von einem frisch gekauften Brot oder eben Baguette nicht sofort ein Stück abzunagen. Früher war ich der Schreck meiner Mutter, wenn ich ausgehöhlte Brote vom Bäcker mit nach Hause gebracht habe. Heute der meines Mannes, der es unpassend findet, dem Baguette noch im Geschäft oder auf der Straße den Po abzunagen. Ihm zuliebe beherrsche ich mich bis nach der Kasse. Denn normalerweise nehme ich es und breche ein Stück ab. Schlimm. Das mit dem Schinken in Italien ist hingegen ein Kindheitsversprechen an mich selbst. Früher, wenn wir unsere Ferien in Italien verbracht haben, gab es einen kleinen „Despar“, bei dem man schon auch mal Bonbons rausbekommen hat, wenn kein Kleingeld in der Kasse war oder es sich um so piepkleine Beträge gehandelt hat, die beim besten Willen nicht mehr monetarisierbar waren. Dort haben wir unsere größeren und kleineren Einkäufe erledigt. Und neben massig Schokolade und Ovomaltine für meinen unterernährten Vater, gab es auch immer den herrlichen gekochten Schinken, der in Italien so ganz anders schmeckte und immer noch schmeckt als in Deutschland.

Schon der Kauf war außerordentlich aufregend. Die Maschinen viel größer und auch die Verpackung. Die Ware wurde in Waschspalier eingewickelt, der Preis mit dickem schwarzen Filzstift auf das hellbraune Papier geschrieben und dann thronte er duftend in unserem Kühlschrank. Hauchdünn war er geschnitten und herrlich trocken (ich mag außer bei Fleisch fast gar nichts Saftiges, vielleicht noch bei Zwetschgendatschi, aber keinesfalls bei Garnelen oder Fisch!!!). Und er sollte die Quelle einer großen Sehnsucht werden. Er war nämlich für den Papa. Man konnte schon mal eine Scheibe haben, aber nicht die Mengen, die ich gerne gehabt hätte. Und damals vor dem kleinen Kühlschrank in der Küche mit dem Vorhang habe ich mir geschworen: wenn ich mal groß bin, kaufe ich mir gekochten italienischen Schinken, so viel ich will. Und esse ihn ohne Brot. Morgens, mittags und abends. Nun muss man wissen, es gab bei uns vernünftigerweise auch keine Cola oder Fanta oder so einen Kram. Aber das war mir relativ egal. Der Schinken war und ist bis heute hingegen eine große Freude für mich und mein Metzger in Rom weiß ganz genau, dass es keine gute Idee ist, ihn erstens zu dick zu schneiden und mit zweitens nicht probieren zu lassen.

Nun bin ich sicherlich mit solchen Kindheitserinnerungen oder -sehnsüchten gut dran und kann sie relativ harmlos im Leben ausleben (natürlich hilft es, dass ich regelmäßig in Italien bin, wer weiß, welch schlimme Störung sich sonst in mir breit gemacht hätte), aber was ist mit all den Menschen, denen (noch) Wichtigeres als dieser Schinken gefehlt hat? Neulich habe ich in der Mediathek einen Zweiteiler über den zweiten Weltkrieg gesehen und dass damals Kinder nach England verschickt wurden. Sie lebten dort bei fremden Familien – über Jahre hinweg – und sollten dann wieder zurück zu ihren eigenen (traumatisierten) Eltern. Wie soll das gehen? Und wie kann es sein, dass unsere Wohlstandskinder heute beinahe verstörter, dicker und lebensunfähiger im Sinne von sozial auffällig sind als diese Kinder? Fehlt ihnen das Korsett der Disziplin, an dem sie sich halten können? Ich für meinen (kindheitserinnernden) Teil freue mich jedenfalls sehr, dass ich momentan zwar noch in Paris, morgen aber bereits in Rom sein werde und als eine der ersten Taten mindestens 200 Gramm gekochten Schinken ordern werde. Wieviel davon nach Hause kommt, steht auf einem anderen Blatt.

Stadt der Liebe

Ich hatte ja versprochen, den Gedanken über vorurteilsbehaftete Schönheit bei einem Abendessen mit einem schönen Mann weiter zu beleuchten. Im Prinzip eignet sich ein jeder Ort dazu, aber einer nach landläufiger Vorstellung vielleicht ganz besonders: Paris. Also dieses Paris ist doch immer wieder ein Mirakel. Stadt der Liebe? Statt der Liebe? Es gibt wohl kaum eine Stadt, in der es einem so schmerzhaft bewusst wird, wenn man keinen Menschen an seiner Seite hat wie Paris. In der man die Hektik und Anonymität einer Großstadt schlechter aushält ohne einen anderen oder in der man häufiger nach dem Arm einer hoffentlichen Begleitperson greift wie in Paris. Deshalb, ja, es könnte durchaus die Stadt sein, in der einem die Liebe dankbar bewusst wird, wohingegen man sie in anderen, weniger gefährlichen Städten eher selbstverständlich hinnimmt. In der rauen Kühle der Pariser Luft hingegen ist sie nicht nur ein wärmende Kaschmirjäckchen, vielmehr ein notwendiger Daunenparka. Über den man sich nicht minder freut, wenn es kalt ist als über fluffige, kuschelige und federleichtes (farblich passende) Strickwaren bei einem Nachmittagsschokolade bei „Angelina“. Mein Verhältnis zu Paris ist zwiegespalten wie das einer Pariserin (hihihi). Ich bin superkritisch an den meisten Tagen und zähneknirschend verliebt an den anderen. Dieses Wochenende entwickelt sich zu einem verliebten Paris-Wochenende. Trotz oder gerade wegen mancherlei drolliger Dinge, die vermutlich nur hier passieren können.

Nehmen wir einfach mal den Freitagabend: Unerwarteterweise hat mich mein Mann in ein immer ausgebuchtes Restaurant mehr oder weniger unter dem Eiffelturm geführt. Wir waren da schon mal im Sommer vor zwei Jahren (kurz nachdem ich mich schrecklich mit meinem Onilne-Befragungsdienstleister gezankt hatte und immer noch vibriert habe vor lauter Ärger) und es war wunderschön. Denn tatsächlich sieht man das Stahlkonstrukt zwar von fast jeder Stelle der Stadt – außer aus einem der teuersten Restaurants in Paris, das sich eben gerade in der Spitze jenes Turms befindet -, aber es verliert auch dann nicht an Wirkung. Schon beim Betreten ist mir leider aufgefallen (ich finde es schlimm, dass mir so etwas auffällt, aber dann darf man mich nicht so lange an der Garderobe warten lassen), dass das Datum auf der Begrüßungskarte nicht stimmt und der Teppich durchaus eine Grundreinigung vertragen könnte. Freitag, der 14. ist einfach nicht am Freitag, den 13. Das kann man drehen und wenden wie man will und es hat nichts mit Creation und „je ne sais quoi“ zu tun. Das Essen war vorzüglich, nur etwas karg, so dass ich in meiner Not Butter bestellt habe. Damit haben wir uns dann sehr respektable Butterbrote geschmiert und feinsten Wein dazu geschlürft. Herrlich. Das Dessert wollten wir sicherheitshalber woanders nehmen und sind kichernd in einem nach feuchter Wäsche riechenden Taxi ins neu eröffnete Ritz gefahren. Das hat für seinen Totalumbau immerhin fünf Jahre gebraucht und entsprechend gespannt waren wir auch. Es liegt nämlich genauso nahe, dass es durchaus eine Art Stammbar für besonders nette Abendbeginne oder -ausklänge hätte werden können.

Aber wie groß war die Überraschung! Ein fast menschenleeres, blumenloses, totenstilles Ambiente hat uns empfangen. Die Bars seien im hinteren Flügel und nachdem wir einen Straßenzug im Inneren des Hotels vorbei an zahlreichen Vitrinen gelaufen sind und uns zunehmend wie in einer Shoppingmall in einem arabischen Emirat gefühlt haben, konnten wir leises Gemurmel hören. Es kam aus zwei gegenüberliegenden Räumen, die erleuchtet und nett gestaltet waren, aber zum Einen voll und zum Anderen irgendwie deplatziert in dieser unbelebten Atmosphäre. Hat uns nicht gefallen. Hunger hatten wir aber dennoch. Und so sind wir also in einem spanischen/italienischen Restaurant mit Bar gelandet, wo wir einen Teller mit feinstem Schinken Brot und zwei Gläser Rotwein bekommen haben. Satt, hochzufrieden und im sicheren Gefühl, der Stadt trotzdem das Beste abgetrotzt zu haben, sind wir heimgewankt. Gestern dafür hielt ein noch viel schöneres Restaurant die Überraschung bereit, so gut und fein zu sein, dass ich nur wieder an meinen kürzlich geposteten Beitrag anschließen kann: keine Vorurteile gegenüber Schönheit. Weder bei Restaurants noch bei ausnehmend hübschen Platzanweiserinnen oder Kellnern. Es ist einfach nicht fair. Und Paris gegenüber ist es vermutlich auch nicht fair, es zu verteufeln, nur weil es so eindrucksvoll schön ist. Halt auf eine ganz andere Art als mein Rom, das ich nächste Woche nach einer Ewigkeit wieder sehen werde.

Vorhang auf, Bühne frei!

Manchmal, nein oft sogar, bringt die Recherche für Artikel tatsächlich nicht nur Lesern, sondern auch mir einen Mehrwert. So zum Beispiel bereits in unseren römischen Sommerferien, in denen wir das Sommerkino und die Notte Romane entdeckt hatten. Warum nicht auch in Paris? Nach einem denkwürdigen Bummel zu Kenzo, Pardon, H&M, den ich alleine gemacht habe, weil selbst mein Mann nur begrenzt belastbar ist, haben wir einen herrlich sonnigen Mittag beim Essen vor dem Louvre verbracht. Allerdings, so fällt mir nun ein, ist es beleibe nicht mit einer solch lapidaren Beschreibung meines Ausflugs zu den Champs-Elysées getan. Dort angekommen nämlich – im Schweinsgalopp, weil die Luft so schön war, die Straßen so leer und Paris an sich auch ganz nett sein kann – hatte ich mich schon gewundert, warum Menschentrauben auf der Straßen stehen. Sie standen da, weil sie nicht auf die Heiligen Felder konnten, ohne vorher eine Taschenkontrolle und Leibesvisitation zu durchlaufen. Paris rechnet mit dem Schlimmsten und tut gut daran. An sich beruhigend in Zeiten wie diesen, zumindest für mich. Man fragt sich dann automatisch, was tun im Ernstfall? In ein Geschäft rennen? Nein. Wahrscheinlich nicht. In eine Metrostation? Auch nicht. Einfach stehen bleiben? Kommt drauf an. Aber Tatsache ist, Paris hat seine Unschuld verloren und mitten im schönsten Moment, das kann beim Essen in einem Restaurant sein oder beim Bummel auf dem Trocadero, schießt der Gedanke durch den Kopf: Was wäre wenn? Wäre jetzt nicht der perfekte Moment für einen Anschlag?

Den Parisern merkt man solche Gedanken natürlich ebenso wenig an wie alle anderen Gefühle. Außer Genervtsein. Das sieht man ihnen 24/7 an. Es ist ihnen ins Gesicht gemeißelt. Und warum das so ist und wie man selbst auch möglichst so wird, haben wir abends in einem Theaterstück gelernt, das ich – wie gesagt – durch Zufall bei einer Recherche entdeckt hatte. In einem wahrlich sehr effizienten Theatersaal, was die Sitzanordnung angeht, steht für eine Stunde ein Pariser, der schon auf den ersten Blick und das erste Wort außergewöhnlich genannt werden kann. Warum? Er hat ein Bäuchlein und er spricht fließend Englisch. Und das Wichtigste an seinem Sprachtalent: er ist auch bereit, es im Umgang mit Nichtfranzosen zu nutzen. Andererseits bekommt er Geld dafür und vielleicht ist er im Privatleben auch einer von denen, die einen mit gerunzelter Stirn anschauen und stereotyp fragen „Comment??“. Egal. Seine gesamte One-hour-Show ist auf Englisch und erklärt, wie man in ebendieser Stunde zum Franzosen wird. Egal ob im Restaurant, in der Metro oder in Zwischenmenschlichen: Pariser sind genervt und zeigen keinerlei positive Gefühle. Das war die Quintessenz dieser lehrreichen Stunde. Um Gegensätze zu verdeutlichen, arbeitete der Entertainer mit dem Publikum. Da war zunächst Sonja aus Saarbrücken, die parisierisch tanzen sollte, aber der Star und Glücksgriff des Abends war Mr. George aus Prescott, USA.

Ganz im Gegensatz zum Pariser Entertainer, der vier Jahre seines Lebens in den USA verbracht hatte, war dieser fröhlich, wohlwollend und bereit, über jeden noch so kleinen Witz zu lachen und sich rundum prächtig zu amüsieren. Er war eine Offenbarung und durfte zum Schluss auf die Bühne, wo er eine Abschlussprüfung bestehen sollte: Grimmig schauen, Taxifahrer schlecht behandeln und französisch tanzen. Es gelang ihm mit Bravour, er hat ein Zertifikat dafür bekommen und sich mords gefreut. Wie er bei der Rückkehr in die Heimat auf die dortigen Entwicklungen reagiert hat, werden wir nie erfahren, aber vielleicht hat er mit genau demselben pragmatischen Optimismus ja auch „Le Trump“ gewählt und amüsiert sich nun auch darüber prächtig. So oder so, Laune scheint ein Grundhaltung zu sein. Hier wie dort. Mal braucht man sie mehr, mal weniger.

Mittagsbummel auf den Champs-Elysées

Es gibt Dinge, die passieren einem eher in Paris als in Augsburg. Obwohl Vieles von dem, was ich zu schreiben plane durchaus auch dort passieren könnte, wenn ich es mir genau überlege. Wollen mal sehen. Heute Morgen zum Beispiel war ich auf der Suche nach einem möglichst sehr warmen Pulli, weil es in dieser Wohnung zwar saunaartige Zustände hat, wenn man reinkommt, sitzt man aber über Stunden da und tippt vor sich hin, kühlt es sakrisch aus, wie der gepflegte Bayer sagen würde. Dann ist man froh um einen wärmenden Rolli. Zum Glück habe ich für solche Eventualitäten vorgesorgt und immer und überall einen schwarzen Rolli zur Hand. So viele, ich muss es zugeben, sind es inzwischen, dass ich sie bestenfalls noch an der Enge des Kragens unterscheiden kann. Die ist für mich nämlich immens wichtig. Ich hasse so Halbheiten, wenn der Rollkragen nicht anliegt. Wozu brauche ich ihn dann bitteschön? Jedenfalls habe ich heute Morgen ganz unten drin meinen allerältesten und heißgeliebten ersten schwarzen Kaschmirrolli gefunden. Was war das für eine Wiedersehensfreude!!! Ich habe diesen speziellen allerdings nicht am Kragen, sondern an den liebevoll aufgenähten Lederflicken am Ärmel erkannt. Die habe ich vor über zehn Jahren in Wien in einem Kaffeehaus durchgewetzt und ich sehe heute noch die Tränen der Rührung in den Augen meines geliebten Gatten. Um solche ärgerlichen Notstände künftig zu vermeiden, habe ich seitdem in steter Folge und mit nie ermüdendem Eifer immer wieder für Nachschub gesorgt und ich nehme auch auf fast jede Reise einen mit. Nur nicht, wenn wir im Frühjahr auf meine Geburtstagsreise gehen. Da bin ich voller Hoffnung und friere dann bitterlich. Oder kaufe einen neuen, aber meist gibt es sie nicht mehr, weil die Frühjahrsmode gerade rausgekommen ist. Unpassenderweise, zumindest, wenn man sich nach den Temperaturen richtet, was ich ja leider auch nicht tue….

Mit dieser kleinen Nischenleidenschaft bin ich jedoch beileibe nicht alleine auf der Welt wie mir gerade ein Blick in die heutigen Gazetten verdeutlicht hat. Es gibt andere Frauen auf der anderen Seite des Ozeans, die haben eine – weitaus fatalere – Leidenschaft für unpassende Blusen. Blusen, die den Busen ganz schaurig einrahmen oder betonen. Und das dann auch noch in fragwürdigen Farben und nicht in schlichtem schwarz, was fast immer das Schlimmste mindern oder nivellieren kann. Und was natürlich erschwerend hinzukommt: ich trage meine schwarzen Rollis zuhause am Schreibtisch oder mal beim Essen oder einfach den ganzen Winter durch. Diese Frau überm Meer trägt sie in einer sexistisch aufgeheizten Wahlkampfrede, angeblich um ihren Mann zu unterstützen. Das ist ungefähr so hilfreich, wie einem Diabetiker erst mal ein Nutellabrot zu schmieren. Egal, das soll nicht unsere Sache sein. Ist es für meinen Geschmack eh schon viel zu viel.

Was ich aber eigentlich berichten wollte, fand gestern auf den Champs-Elysées statt. Weil es also kalt in der Wohnung war und ich einen kleinen Hänger hatte, bin ich an die frische Luft und da das Wetter herrlich und ich so richtig in Schwung war, bin ich ziemlich weit gekommen bei meiner Wanderung. Entlang der Straße wurde schon der Weihnachtsmarkt mit allem Drum und Dran aufgebaut. Der Anblick eines halben Riesenrads beweist übrigens erneut wie fragil all diese technischen Fahrgeräte doch sind, aber das nur nebenbei. Auf meinem weiteren Weg habe ich dann aus den Augenwinkeln etwas sehr Buntes wahrgenommen. Ein Schaufenster mit SEHR floralen Motiven und einer Tafel mit Uhrzeiten. Die Uhrzeiten waren tatsächlich die Zeiten, zu denen man die Kenzo-Sonderkollektion bei H&M anschauen und kaufen durfte. Bereits auf den Tafeln war zu lesen, dass man sich gefälligst ordentlich zu benehmen hätte. Offenbar habe aber nur ich die gelesen. Drinnen ging es nämlich wirklich wüst zu. Ich war ja zum ersten Mal bei sowas. Und nicht nur, dass ich jetzt viele Worte für „Das probiere ich gerade, lassen Sie bitte ihre Finger von meiner eigenen Jacke“ und „Das sieht schrecklich aus“ kenne, weiß ich jetzt auch, dass es bei H&M nur wenige Spiegel im Verkaufsraum gibt und dass Französinnnen keineswegs immer so verruchtes Zeugs drunter tragen wie sie uns immer glauben machen wollen. Alles in allem war es ein hochinteressanter Mittag, den ich nun bei ruhigen Tätigkeiten zu verarbeiten gedenke.

Impact Investing

Das Gehirn hat eine vorherrschende Arbeitsweise: Es versucht neue Anforderungen und Aufgaben so schnell wie möglich als Routinen und Standardprozesse zu definieren, weil alles, was standardisiert ist, weniger Energie kostet und somit Ressourcen geschont werden. Was dann allerdings mit all den geschonten Ressourcen geschieht, nutzt man sie nicht für irgendetwas anderes und studiert zum Beispiel in seiner Freizeit Philosophie oder trainiert zumindest mit fünf Orangenn das Jonglieren, wissen wir leider auch ganz genau. Die solchermaßen geschonten und nicht genutzten Ressourcen verkümmern, schauen sich noch einmal traurig um und ziehen dann leise die Türe hinter sich zu, um erst mal zu verschwinden. Bestes Beispiel sind unsere Muskeln. Wer schon einmal etwas gebrochen hatte, weiß, dass sich die Muskeln innerhalb weniger Tage zurückbilden. Zumindest können sie relativ schnell wieder aufgebaut werden. Bei vielen Teilen des Gehirns geht das zum Glück auch, wie ich jüngst erfahren durfte. Denn mein Hirn hatte in der letzten Woche wahrlich viel Möglichkeit, die Muskeln spielen zu lassen. Ich habe es sozusagen vertikal und horizontal gefordert.

Vertikal durch das Zusammentreffen mit Menschen aus völlig anderen Lebensbereichen. Die von ganz anderen Dingen umgetrieben oder eben auch nicht werden als ich. Die auf gänzlich anderes Wert legen und das, was ich ziemlich wichtig finde, total ignorieren. Die für eine dreitägige Reise genau ein Polohemd, ein Sweatshirt und eine Hose mitnehmen und das natürlich dann auch beim Wandern, beim Abendessen und in der Stadt tragen. Ich hätte schon Angst, dass mir das Frühstücksbrot mit der falschen Seite runter fällt (übrigens ist das nicht persönliches Pech, wenn das passiert, sondern reine Physik, weil die Seite mit der Butter und der Marmelade die schwerere ist, hab mich da mal informiert, weil es über Kassenschlangen, die immer bei mir am längsten sind, nichts Brauchbares gab). Die sich dafür stundenlang über Hamburger Ortsteile auslassen können. Oder wiederum Menschen wie ich sie im letzten Beitrag beschrieben habe. Die einfach aussteigen und dann aber im Aussteigen genauso weiterleben wie daheim und ihre Partner eben dann mit dem Material vor Ort betrügen, also gänzlich ortsungebunden. Aus sich selbst steigt man eben doch nicht ganz aus. Um es kurz zu machen: Menschen, deren Leben man nicht kennt und die allein schon dadurch neue Aspekte ins Gehirn bringen.

Gestern wiederum war ich beim Abendessen mit einem zauberhaften – nun erwachsenen – Mädchen, die mich schon vor zehn Jahren sehr beeindruckt hat, weil sie bereits damals recht klar wusste, was sie einmal tun möchte und ziemlich genau das heute auch tut. Und das nennt sich „Impact Investing“. Dabei geht es darum, Geld in Einrichtungen oder Unternehmen zu stecken, die nicht nur einen finanziellen Output bringen, sondern auch einen sozialen oder ökologischen. Unternehmen, die sich vereinfacht gesagt, um die Verbesserung der Welt kümmern. Wie auch immer die aussehen soll. Das sind erst mal ganz wunderbare Ideen und ich glaube, dass es diese zu jeder Zeit der Weltgeschichte schon gab. Das Mittelalter hat vermutlich neben vielen grausamen auch prozentual gesehen mindestens genauso viele geniale Philantrophen hervorgebracht wie unsere heutige Zeit. Leider krankte die Idee damals wie heute immer schon am Phänomen der Maslowschen Bedürfnispyramide und der Tatsache, dass 99% aller Menschen sich noch mit der ersten oder zweiten Ebene derselben herumschlagen und es ihnen relativ wurscht ist, ob die Pole schmelzen, Tiere leiden oder Wasser knapp wird. Sie wollen eine trockene Wohnung, jeden Tag Fleisch essen und einen Flachbildfernseher. Schöner ist es allerdings – unabhängig davon, ob man all das hat -, sich mit den beflügelnden Persepktiven des Machbaren zu befassen und damit vielleicht sogar selbst den Weg zu einem höher entwickelten Dasein zu beschreiten. Hinauf sozusagen. Dabei hilft satt sein. Zu satt allerdins nicht. Das hemmt dann eher.

Tauben auf Tisch und Gauner in der Buchhandlung

In diesem Blogbeitrag werden die Empörungen nur so aus mir heraussprudeln. Wem das zu viel ist, der möge bitte auf den nächsten warten oder in den alten Beiträgen stöbern. Wobei es durchaus sein könnte, dass er in einem der älteren Beiträge auf eben den stößt, der mit meiner aktuellen Empörung zu tun hat! Angefangen hat alles am Samstag, dem meist doch allerschönsten Tag der Woche. Zumindest für mich. Dann beginnt gerade erst das Wochenende, mein Mann ist da und meistens ist Samstag Abend auch noch irgendwas Nettes in der Planung. Dieser Samstag begann damit, dass ich zwecks Temperaturtest (mein Mann und ich können über die Fliege an der Wand streiten, wenn uns nur der Sinn danach steht. Worüber wir uns immer trefflich die Köpfe einrennen können, ist die Temperatur. Ich kann es einfach nicht begreifen, wieso er so stur auf seiner Überzeugung beharrt, es sei warm. Seine unerschütterliche Uneinsichtigkeit macht mich ärgerlich und wenn ich ihm dann doch einen Pullover einpacke, weil er sonst kränkelt, dann zieht er ihn in der Stadt „nur an, damit Du Ruhe gibst“, was ich eine bodenlose Frechheit finde, denn er hat dann meist schon blaue Finger. Ich könnte mich – so bemerke ich gerade – durchaus in einem ganzen eigenen Blogbeitrag darüber auslassen!!!) auf den Balkon getreten bin.

Nun wissen treue Leser, dass mein Balkon schon oft Schauplatz wahrer Tragödien war. Bereits verhüllt, verflucht, verwünscht und vor allem verdreckt von meinen unseligen Haustauben Karl und Gertrud. Ich bin ja dran gewöhnt, dass sie sich unter der Markise verstecken und inzwischen sogar schon mal einen Freund eingeladen haben, was ich zum Glück noch rechttzeitig bemerkt hatte und ich glaube auch nicht, dass der wiederkommt, er befindet sich vermutlich in einer Rehaklinik für Tauben-Herzinfarkte. Was ich aber an diesem verheißungsvollen Samstagmorgen auf meinem eben frisch herbstlich dekorierten Tisch entdeckt hatte, hat mir das Blut in den Adern gefrieren lassen: Fußspuren auf meiner Felldecke. Gehts noch??? Über den Tisch laufen? Wo sind wir denn???? Das kann jedoch bestenfalls als Ouvertüre, als Präludium zum Folgenden gewertet werden.

Um mich möglichst schnell abzulenken und aus der Gefahrenzone zu bugsieren, drängte mein Mann zum Aufbruch. Es sei ihm auch zu heiß mit all dem, was ich kleidungstechnisch angemessen fand. Wir sind Richtung Altstadt gegangen und dort ging der Ärger nahtlos weiter. Eine meiner Lieblingsbuchhandlungen schließt und alle Bücher sind günstiger. Da schnobert man natürlich gerne ein wenig durch auch unbekanntes Terrain. Und auf einmal kräht mein Mann fröhlich: Schau mal, den kennst Du doch! Das sagte er mit Blick auf ein Buchcover, das von einer Reise von Paris nach Berlin ohne Geld berichtet. Und tatsächlich prangte auf dem Cover das Foto von diesem Menschen, der mir in Paris am Bahnhof Geld mit einem miesen Trick abgeluchst hat. Und es gleich vier Tage später mit demselben Trick erneut versucht hat. Ich hatte das damals beschrieben, weil ich es schändlich finde, die Hilfsbereitschaft von Menschen auszunutzen. Weil daraus eine Kettenreaktion wird und wirklich Bedürftige dann auch keine Hilfe mehr erfahren. Das Übelste ist: er war im Sommer in Augsburg, um mit seinem Buch rumzuprahlen. Ich war zu Lesung eingeladen und bin nicht hin. Und Karl und Gertrud hab ich auch nicht erwischt. Wie schön und befreiend müsste es doch sein, wenigstens einem Delinquenten mal die Flügel oder Hammelbeine lang zu ziehen. Ich bin rachsüchtig, ich weiß.

Notizen

Dass das Leben in und zwischen drei Wohnorten nicht nur aus Café au Lait, Cappuccino und Kaffeetrinken besteht, sondern auch zu einem Gutteil aus Organisieren und logistischer Planung, ist vermutlich jedem klar. Manchmal gleicht es eher einem Transportunternehmen, das internationale Güter hin- und herfährt. Nun habe ich Artikel des täglichen Bedarfs natürlich an allen Standorten und fahre nur Lieblingssachen hin und her. Seit die Airlines sich sogar den Transport von Gepäck bezahlen lassen und die Flughäfen trotz aller Bemühungen kaum in der Lage sind, die Herausgabezeit des Ausgabegepäcks unter der Flugzeit zu halten, wäre es auch kaum möglich, Schuhe, Jeans und weiße T-Shirts mitzunehmen. Und Kaschmirpullis kann man ja eh nicht genug haben, oder? Auch bieten verschiedene Standorte die klimatische Möglichkeit, diverse Schwerpunkte zu setzen. Durchaus gibt es Kleidungsstücke, für die Augsburg noch nicht reif ist oder ich mich zu Tode frieren würde. Aber wusch, gleiten wir schon wieder in die pseudoglamourösen Aspekte ab. Derweil wollte ich doch über was ganz anderes schreiben.

Über Briefe an einen selbst. Abenteurer und Vielreisende aus früheren Zeiten machten es vor. Sensible Geister sowieso. Zu Zeiten von Briefen und Postkarten schrieben sie sich selbst. Je nach Land waren sie weit vor den eigenen Zeilen wieder zu hause, aber wie groß war die Freude, zwischen ärgerlichen Rechnungen und immergleichen Werbesendungen die eigene Schrift zu erkennen und sich selbst an die schöne Urlaubszeit zu erinnern. Wieder andere hinterlegen gleich ganze Prophezeiungen über innenfamiliäre Entwicklungen beim Notar. Oder sie schreiben sich profane Notizen. Menschen wie ich, die Listen aller Art lieben und an Tagen mit hohem Frustpotenzial am liebsten noch „Atmen“ drauf schreiben würden, nur damit es abgestrichen werden kann, lieben es natürlich, Zettel zu schreiben, was am nächsten Standort beispielsweise zu kaufen ist: Gesichtscreme, Finishsalz oder besonderen Pfeffer zum Beispiel. Müllbeutel und Geschirrreinigertabs, die es in der Heimat besser und günstiger gibt, für den anderen. Und weil einen das Hirn trotz aller bester Vorsätze über die Wochen im Stich lässt, macht es Sinn, sich nicht nur zu schreiben, was man noch tun muss, sondern auch wie der Status-Quo ist.

So vergesse ich immer wieder, wann ich das Bett in Rom das zuletzt überzogen habe. Ich nehme mir vor, einen Rhythmus zu halten, aber wer weiß, wann man fliegt, wer kann sich erinnern, wie oft darin geschlafen? Warum wir auf der Welt sind? Und so weiter und so weiter. Seit ich mir diese netten kleinen Zettel schreibe und selbst die wieder vergesse, freue ich mich wie ein Eichhörnchen, wenn es unversehens im hintersten Winkel eines Astlochs einen Vorrat köstlicher Haselnüsse findet. Noch mehr freue ich mich, wenn da steht: Einmal geschlafen. Dann ist es zwar nicht mehr superfrisch, aber erspart mir, gleich nach der Ankunft zentnerschwere Matratzen zu beziehen. Auch bei der saisonalen Wiederinbetriebnahme von Ski- oder Badesachen kann ich mich fürchterlich freuen, wenn ich auf einen Zettel stoße, der mich daran erinnert, die Badetasche zum Schuster zu bringen oder dass die Ski frisch gewachst waren. Man sollte generell viel mehr mit sich selbst kommunizieren. Man ist ja nie derselbe Mensch und so bleibt es auch immer spannend. Echt.

Kastanien de Luxe

Hatte ich es schon einmal erwähnt? Ich LIEBE Kastanien! Neben Kirschen sind sie mir die liebste jahreszeitliche Frucht oder Ernte oder wie man zu etwas, das von einem Baum fällt eben sagt. Sie sind so schön und glatt und schmeicheln der Hand so wunderbar und sollen auch noch Gesundheit und Glück bringen. Fragt man mich nach meinen Kindheitserinnerungen, fällt mir nicht wahnsinnig viel ein, aber an was ich mich sozusagen in Dolby-Stereo-Surround und in Farbe erinnere, ist das Kastaniensammeln mit meiner Mutter an der Kahnfahrt in Augsburg. Sackweise haben wir die braunen, glänzigen, runden Boller heimgewuchtet. Und dort ist der Spaß dann weitergegangen. Mit Hilfe von Zahnstochern und Streichhölzern haben wir die herrlichsten Kastanienmännchen und -tiere gebastelt, die die Welt je gesehen hatte. Wir hatten natürlich vorher beim Sammeln auf die relativ seltenen abgeflachten Kastanien geachtet!

Nun bin ich gerade in Paris und neben all den tollen Boulevards, schönen Restaurants und vor allem dem traumhaften Herbstwetter, bietet Paris vor allem eines: traumhafte Kastanienbäume. Und weil Paris eben Paris ist und immer rumprotzen muss, sind auch die Pariser Kastanien ganz besonders groß und glänzend. Und so haben wir (respektive ich) gestern beim Bummel über die Avenue Montaigne und die Champs Elysées Kastanien gesammelt, bis wir uns in einem Geschäft eine Tüte holen mussten, weil ich sie nicht mehr halten konnten. Ich muss zugeben, in diesen Luxusstraßen gab es in dem Moment nichts, was schöner oder verlockender gewesen wäre. Einzig der Impuls, sie zu werfen und hüpfen zu sehen, war fast unbezwinglich. Nachdem in Paris aber immer noch die Terrorpanik umgeht und viele Polizisten patrouillieren, möchte man wegen einer unbedachten Kastanienhüpflust ja nicht einem Verhör oder Arrest unterzogen werden. Also habe ich mich beherrscht. Bis es nicht mehr ging. Vor einer abschüssigen Tiefgarageneinfahrt, die auch noch wunderbare Rillen hatte, von denen die Kastanien noch besser abhüpfen konnten, habe ich eine nach unten geschleudert als ich sicher war, dass keiner guckt und habe hochzufrieden die wilden Sprünge meiner Starkastanie verfolgt. Als sie um die Ecke verschwunden war, zum Glück nicht auf ein hochfahrendes Auto gedotzt war, habe ich direkt in die anerkennenden Augen von zwei Maitres des benachbarten Luxusrestaurants geschaut….Ich würde wetten, dass sie das jetzt auch immer machen!

Und heute, als uns ein kleiner Schauer genau zur rechten Zeit auf den Champs Elysées überrascht hat und wir uns in ein süßes Restaurant flüchten mussten, in das ich schon lange einmal gehen wollte, waren da wieder so viele Bäume. Leider hatte es so stark geregnet, dass an Sammeln nicht zu denken war. Nach dem Essen war alles vorbei und wir sind heim geschlendert. Und was soll ich sagen? In einer Seitenstraße fegte ein livrierter junger Mann mit weißen Handschuhen das Trottoir von den runterfallenden Blättern frei und das waren Kastanienbaumblätter! Und gerade als er die schönste und größte Kastanie hinwegfegen wollte, konnte ich ihn bremsen und sie retten und als er erkannt hatte, dass es mir erst ist, hat er mit seinen blütenweißen Handschuhen weitere braunglänzende Kugeln für mich aufgehoben und in seinen lächelnden Augen konnte ich sehen, dass er sie als Kind auch immer mit seiner Oma gesammelt hatte. So was Völkerverbindendes, diese Kastanien.

Schon wieder

Ob man Dinge und Ereignisse herbeireden kann? Nicht immer, das ist klar, sonst hätte ich längst meine riesige Küche!!! Bei ein paar Treffen in letzter Zeit haben wir jedoch immer wieder drüber gesprochen, welch erstaunliche Zufälle es doch gibt und dass man sich tatsächlich immer und überall gleich gut kleiden und benehmen sollte, weil Bekannte allerorten lauern. Auf der Wiesn, das ist klar. Im Urlaub an entlegenen Orten, naja. Das mag vor 150 Jahren so gewesen sein, als nur verschrobene Engländer bestimmte Reisen unternommen haben und einander im tiefsten Busch hinter einem Bananenblatt höflich ein Tässchen Tee angeboten haben, wenn sie sich dort zufällig getroffen haben. Oder wenn sie in Florenz überwintert haben oder die Cote d’Azur wuschig gemacht haben mit ihren Forderungen nach pflaumenweichen Frühstückseiern und trockenen Martinis. Aber im Zug?

Ich bin gestern nach sehr langer Zeit wieder nach Paris gefahren und dachte mir schon beim Einsteigen über die Frau schräg hinter mir: meine Güte, ist die hübsch und was hat sie nur für geniale Schuhe???!!! Dann habe ich mich hingesetzt, eine grässliche, obergschaftlige, superhektische und wahnsinnig unsympathische Sitznachbarin bekommen und habe mich fürderhin kaum mehr getraut, auf die Toilette zu gehen, was angesichts meines großen Cappuccinos mehr als notwendig gewesen wäre. Aber nachdem sie schon beim ersten Mal schwer schnaufend Computer und Handy aufgestöpselt hat und mir signalisiert hat, dass ich wahrlich eine schlimme Nervensäge sei, hab ich mich ganz still verhalten. Sie hat Wichtigtuerei und Hektik aus jedem Wollbollen auf ihrem Polyester-Woll-Gemisch-Pullover (in Lila) ausgestrahlt und hat mich verängstigt. So habe ich mich also dem Redigieren eines Textes gewidmet, bis mir zwischen Straßburg und Paris so übel von der hirnlosen Raserei des Zugführers geworden ist, dass ich nur noch matt aus dem Fenster schauen konnte.

Dann stand die Frau hinter mir, die nebenbei bemerkt die hübscheste moosgrüne Wildlederhose trug, die ich je gesehen hatte auf und ging zur Toilette und ich war mir sicher, sie ist es. Aber ich habe mich wahrlich nicht mehr gewagt, was zu sagen. Nachrichten an eine gemeinsame Freundin sieben unbeantwortet und so konnte ich der garstigen Frau neben mir nicht mal richtig ausfallend werden, weil ich ja nicht wissen konnte, ob ich Zeugen habe (wie gesagt, ich hätte auch kaum den Mut aufgebraucht, sie war so furchtbar!!!). Und ja, in der Tat, ich würde mich manchmal liebend gerne sehr rüpelig benehmen. Und ab und an geschieht es auch. Hihi. Dann strecke ich sogar scheußlich plärrenden Kleinkindern die Zunge raus und lächle die Mütter an. Jetzt ist es raus. Andere nutzen ihre Blogs ja auch für Lebensbeichten. Das war jetzt meine. Aber natürlich ziehe ich auch aus dieser Begebenheit meine Lehre. Immer dem Wesen nach verhalten und daher immer am Wesen arbeiten. Dann ist alles gut.

Lauter Entdeckungen

Heute scheint endlich die Sonne und fast bin ich verleitet, alle meine Sommerkleider, die ich seit über einer Woche nutzlos mit mir durch Europa schleppe im Stundentakt anzuziehen. Vor lauter Empörung über das mistige und lausekalte Wetter der letzten Tage habe ich heute Morgen – trotzdem wir gestern bis zehn Uhr abends draußen sitzen konnten, ja, ich weiß, undankbar! – einen schwarzen Rock und langärmligen Pulli angezogen und bin in den strahlenden Sonnenschein getreten. Beim Skifahren scheint ja auch oft die Sonne und keiner hat ein Sommerfähnchen an. Eben. Als ich dann nach einer Stunde erneut das Haus verlassen musste, habe ich mich doch verleiten lassen und eines der ungeduldig im Koffer quengelnden Kleider rausgezupft und es halt mitgenommen. Es war – ungerechterweise, aber so ist das Leben eben – dasselbe, das auch schon ans Meer durfte. Es lag günstig oben auf, bzw. war nicht in Papier eingeschlagen. So einfach kann’s manchmal sein.

Hat es mir Glück gebracht? Ja! Definitiv. Denn beim Zurückgeben einer weißen Bluse (wir brauchen nicht drüber sprechen, welche Odysseen auf der Jagd nach der richtigen weißen Bluse durchlebt werden müssen!) habe ich eine Wahnsinnsentdeckung gemacht, die treue Blogleser sicherlich ebenso in Aufregung versetzen wird wie mich. Mein Nagelstudio hat eine Dependance neben einem meiner Lieblingsläden eröffnet. Da ich nämlich an dem fast immer vorbeischieße, muss ich den Blick streng nach oben richten, um die Geschäftsschilder zu lesen und da stach es mir ins Auge: Bel Ange Paris. Ich hätte sowieso hinlaufen müssen, weil dieser elendige Hausputz vor der Abreise kleine aber unschöne Schäden an meinen roten Fingern angerichtet hat oder es kommt vom unermüdlichen Tippen meiner Artikel, das kann natürlich auch sein, wäre aber ganz fürchterlich, wenn man’s bedenkt. Die Maniküre beim letzten Mal war keinesfalls so ausgefallen ist, wie ich es mir vorstelle, weil ich es auch so gewohnt bin, war ich noch mal froher, dass mein Abo ausgelaufen war und ich eine Alternative – übrigens machen die KEINE Abos! – gefunden habe.

Inzwischen arbeiten nämlich auch in diesem Laden nur Asiatinnen, die unter einem Wahnsinnsdruck stehen, nur ja schnell und ohne jegliche Pause zu arbeiten. Das ist schon schlimm genug in Augsburg, wo eine regelrechte Organisation hinter den Nagelartistinnen steht, aber bei einem „normalen“ Studio möchte ich nicht das Gefühl haben, ein übler Sklaventreiber zu sein, zumal auch das Preis das nicht rechtfertigt. Egal, ich konnte den Nagel richten lassen, eine Bluse umtauschen und dabei feststellen, dass die Verkäuferin, die mich vorgestern schön auf Französisch hat stottern lassen, sehr wohl Englisch spricht, allerdings in etwa so wie ich Französisch. Hätte ich nicht zehn Minuten vorher eine so erfreuliche Entdeckung gemacht, ich hätte mich tatsächlich geärgert. Bin froh, dass ich zwischendurch noch ganz normale Dinge wie arbeiten machen kann. So viel Aufregung und emotionales Auf und Ab wäre wirklich nicht auszuhalten.