Ein µ voraus?

Für uns Menschen der Moderne, der Gegenwart, die wir Blogs schreiben, lesen, zum Mond fliegen und unseren Müll trennen, die wir die Höhe des Cappuccinoschaums per Smartphone programmieren können und mit unseren Kindern auf Augenhöhe diskutieren, gibt es trotz aller selbstbestimmten Vorteile – bei fast allen gleich – immer mal wieder den Moment völliger Demut. Mussten die Untertanen früher nolens, volens das Knie vor Fürst, König, Diktator beugen – und sei er auch noch so ein garstiger, dicker kleiner Mann – so müssen wir es heute vor den Menschen, die sich ein µ mehr mit der Technik auskennen als wir selbst. Ein µ bezeichnet übrigens ein Millionstel. Abgesehen von ärgerlichen und völlig willkürlichen WLAN-Ausfällen, bei denen sämtliche psychologischen Kenntnisse und Erfahrungen im zuständigen Callcenter benötigt werden, um an den Stereotypen der scheinbaren Kundenfreundlichkeit nicht zu zerschellen und seinen Fall durchzubringen, gibt es auch Zusammentreffen und Kasuistiken im Netz, die es zu bewältigen gilt. Zum Beispiel, wenn sich durch eine neue E-Mail-Adresse im Eingangsbereich Tür und Tor für Potenzmittel, Millionengewinne und unendliche Höhepunkten auf dem heimischen Rechner öffnet.

Schwupps findet man sich morgens beim Löschen von 120 solcher E-Mails wieder und das, obwohl man mit einem Rechner arbeitet, der qua Definition spamfrei sein sollte. Egal. Sich noch darüber aufzuregen wäre energetisch nicht mehr angemessen angesichts des großen Ärgerpotenzials, das die ganze Angelegenheit bietet. Ein Besuch bei Apple ergab, man müsse nur den E-Mail-Account umstellen und dann könnte das Telefon die Änderungen vom Rechner übernehmen und das Löschen hätte ein Ende, da die Einstellungen vom Rechner übernommen würden. Prima. Nach langen Telefonaten mit dem Provider, einem ärgerlichen Gatten und viel weiterer Unbill ging dann irgendwie gar nichts mehr so richtig. Also beherzt zurück zu Apple. Und dort nahm das Schicksal dann endgültig seinen Lauf. Verängstigt an einem Tisch sitzend und auf Peter wartend, fand ich mich neben einer jungen Frau wieder, angesichts deren Problematik meine scheinbar verschwindend gering war (was ich zähneknirschend, aber nicht gerne zugegeben habe). Hatte ich Probleme mit Spams, die sich nicht als solche zeigen wollten und von alleine in ihren Ordner verschwinden wollten, hatte sie das Problem, dass die Technikwelt sie nicht mehr als sie selbst erkennen wollte. Wie in einem dieser schrecklichen Neuzeitkrimis.

Sie hatte das Telefon von ihrem Lebensgefährten bekommen und dann haben sie sich getrennt (wohl nicht sehr freundlich oder gar einvernehmlich) und er hat ihr das Telefon genommen und es seiner neuen Freundin gegeben und nun kommt sie nicht mehr an ihre E-Mails und Telefonnummern dran und auch nicht an ihre Passwörter und kann den Menschen in wiederum einem Callcenter nicht beweisen, dass sie es ist. Sehr unangenehm. Im direkten Vergleich hatte sie tatsächlich gewonnen. Peter, der zwischen uns wie ein beschwichtigender Vater hin- und herpendelte, erlitt angesichts der zu bewältigenden Probleme einen soliden Moment des Größenwahns und drückte selbstherrlich viele Tasten an meinem Account, unter anderem auch die zum Löschen von zwei Accounts, die inaktiv waren (was ich wahnsinnig übergriffig fand, aber nicht mehr in der Lage, es zu stoppen). Kurz und gut – kein Mensch möchte von solchen Dingen auch noch zu lange in einem Blog lesen, wenn er sie mal gerade nicht selbst erlebt – das Problem war schlimmer als zuvor und ich sah keine andere Möglichkeit, als meine Mutter per WhatsApp zu bitten, mich sofort anzurufen, damit ich irgendwie heil wieder aus dieser Abhängigkeitshölle entfliehen konnte. Fühle mich, als hätte ein durch mein Dorf mäandernder Feldherr mir meine Lieblingsziege gestohlen.

Nachtrag: Es ist mir jetzt gelungen, den Ursprungszustand durch Zufall halbwegs wieder herzustellen, allerdings habe ich alle Demut aufgebraucht und werde in nächster Zeit unbarmherzig und gar nicht nachsichtig sein. Dies nur zur freundlichen Information.