Enrico, der romantische Farmacista

Erst mal wünsche ich Euch lieben Lesern da draußen ein glückliches und gesundes Neues Jahr! Man soll es ja nicht verschreien und ich habe mich kaum noch getraut, es zu sagen, aber ich persönlich fand 2016 ein prima Jahr. Natürlich abgesehen von all den schrecklichen Dingen, die in der Welt passiert sind, aber die finden doch irgendwie immer statt oder nicht? Daran zu verzweifeln ist nicht hilfreich, weil man dann den Schwung für die eigene Welt, die, die man gestalten und formen kann, verliert. Durch das Aufsaugen der Taten von Irren stellt sich zwangsläufig irgendwann Wut oder Mutlosigkeit ein und beides ist ganz fürchterlich. Ein kleines Panzerchen oder eine Fettschicht wie das die klugen Enten haben, ist sicherlich von großem Nutzen. Und unter dieser Fettschicht muss die Kraft für das, was man tun kann, lodern und darf nicht gefährdet sein. Der eigene Kreis, in den tagtäglich viele Menschen und Dinge eintreten möchten, darf und muss geschützt und ja, auch verteidigt werden.

Unser Jahr hat generell zwar etwas ruffelig geendet, aber letztlich sind die letzten Tage eines Jahres doch auch immer eine Zeit für Retrospektiven und Bilanzen und das wühlt auf und macht nachdenklich. Ich war recht zufrieden und stolz, aber natürlich auch nicht gefeit, mich gespiegelt zu bekommen. Am vorletzten Abend des Jahres, dem 30. hatten wir allerdings ein Erlebnis, das ich unter meine Federfettschicht schiebe und dort aufbewahre. Wir haben Enrico, den romantischen Apotheker aus Turin, respektive Venedig kennengelernt. Er kam in das Restaurant, das wir nach einigem Hin und Her (wir hatten beide nicht recht Hunger und dann findet man ja an jeder Osteria was auszusetzen) gefunden hatten. Meine Kriterien waren denkbar einfach: es musste ein Radicchio-Risotto geben, was – man möchte es kaum glauben – in der Lagunenstadt gar nicht so einfach war. Gemütlich bei einem Glas Wein saßen wir also da und ärgerten uns nur hin und wieder über den kühlen Wind aus der Türe, die achtlose Gäste nicht schließen wollten. Dann kam ein Herr herein, ein Buch unterm Arm, schloss sorgfältig die Tür und wurde aufs Liebevollste begrüßt: Buonasera dottore, come va? Der Dottere war offenkundig verstört und wusste nicht, wohin mit sich und seinem Buch und ehe ich mich versah, hörte ich mich sagen: Venga da noi, kommen Sie zu uns! Er hatte so einen verstörten Welpenblick, obwohl er schon um die 65 war.

Etwas ratlos hat er sich also hingesetzt und ist dann sofort dem Charme meines Mannes erlegen. Wie leicht er zu verführen ist, hat er uns dann (naja, nicht ganz gleich, musste schon ein wenig nachhelfen) erzählt. Also vor 40 Jahren, er kommt aus Turin, lernte er ein bildhübsches Mädchen aus Udine kennen, das in Venedig lebte. Er, Sohn aus reichem Hause, sagte sich von den Eltern los und zog nach Venedig, um dort eine Apotheke zu eröffnen. Sie, das undankbare, kurzsichtige junge Ding hat sich nach zwei Jahren von einem superreichen Araber verführen lassen und hat Enrico sitzengelassen. Ihm hatte es aber inzwischen gefallen und ganz ehrlich, wer will mit so einer Geschichte im Nacken schon in die Heimat zurück, nur um sich das hämische Getuschel von neidischen Nachbarn und verärgerten Eltern anzuhören? Also ist er geblieben. Aber hat leider nie sein Glück gefunden. Ein Schwerenöter mag er wohl sein, aber jetzt ist er etwas alleine. Jedenfalls hat ihm der Abend so gut gefallen, dass ihm das Unmögliche gelungen ist: er hat uns zum Essen eingeladen, ganz still und heimlich und mein Mann, der durch und durch ein Italiener ist, der sich in seinem eigenen Land schon gleich dreimal nicht einladen lässt, hat sich still gefügt. Wir werden ihn also sicher Ende dieses Jahres wiedersehen, um einen kleine Gegeneinladung anzubringen. War ein echt schöner Abend. Ist jetzt schon tief unter den Federn vergraben.

Evakuierung

Zurück auf meinem Sofa, in meiner nicht gesprengten und geplünderten Wohnung kehrt nun auch bei mir der Weihnachtsfrieden ein. War das eine Aufregung. Aber wie die liebe Mare schon geschrieben hat: wir haben versucht, das Beste draus zu machen und ich darf sagen: gut ist’s gegangen. Wir waren supervorbereitet und haben uns zu jedem Zeitpunkt sicher und gut gefühlt. In ein Hotel zu gehen, war die beste Entscheidung überhaupt und weil ich auch meine Liebsten dort verwahrt hatte, musste ich mich darum schon mal nicht sorgen. Und gerade, als ich für meinen Vater nach einem Zimmer gefragt hatte, kam die Nachricht: die Bombe ist entschärft. Wie beim Zigarettenanzünden an der Bushaltestelle. Nun schreibt mir meine Mutter, die weltgewandt die weitere gebuchte und bezahlte Nacht im Hotel verbracht hat, dass sie gerade mit den Entschärfern frühstückt und so dürften wir uns heute bei der verschobenen Acht-Kilo-Monstergans auch noch auf gänsehautige Anekdoten freuen und können uns wohlig gruseln.

Die Mischung der Menschen im Hotel war einzigartig. Da saß ein britisches Pärchen, sie mit dunkler Sonnenbrille und ansonsten alles in Glitzer mit ihrem kordhosengewandeten Gatten, der ihr ratlos und zunehmend verzweifelt immer wieder eine Limo gebracht hat, weil sie sich so gefürchtet hat. Vermutlich war es ein Verwandter von ihr, der das Biest in unserer Stadt abgeworfen hat und sie hatte deshalb so viel Angst. Oder die scheue Nachbarin von meiner Mama, die mit keinem Menschen spricht und – so sagte sie – lieber wieder in die Wohnung umkehrt, als jemandem auf dem Weg zum Briefkasten zu begegnen. Mit uns musste sie sprechen, als wir die zweite Flasche Prosecco bestellt hatte und meine Mama zum ersten Mal in ihrem Leben ein Clubsandwich gegessen hatte. Etwas, das sie – auch unter Evakuierungsumständen – nicht wieder zu essen gedenkt. Kurzum, wir haben es uns wirklich nett gemacht, zumindest ich hätte auch kleidungstechnisch noch etwas verweilen können, weil ich meine Lieblingskleider mitgenommen hatte (man weiß ja nie) und ich bin glücklich und dankbar, nicht nur über den guten Ausgang, sondern auch dafür, dass wir das überhaupt so überbrücken konnten.

Wieder einmal muss ich feststellen, dass es schön ist, Hilfe angeboten zu bekommen und wenn man alles getan habe, um sich selbst zu helfen, ist es wunderschön, sie anzunehmen. Andere in ihrer Lebensführung möglichst wenig zu beeinflussen, halte ich jedoch nach wie vor für einen Garant für Glück und wenn man sich möglichst lange den Luxus erhalten kann, Dinge freiwillig zu tun und nicht, weil man sie muss, dann sollte man das genießen. Ich jedenfalls werde heute sehr freiwillig unser Gänselein (hihihi) genießen und ganz viel Champagner auf die Entschärfungshelden und die Organisatoren meiner lieben kleinen Stadt trinken. Denn bei allem Gemaule über alles Provinzielle und manchmal Kleingeistige bleibt als Ergebnis stehen: Die Stadt hat eine Mammutaufgabe unter besonderen Umständen, innerhalb kürzester Zeit und mit unglaublicher Umsicht und Sorgfalt bravourös gemeistert. Ich bin sehr stolz auf mein Augsburg.

Maria und Josef

Heute in der Stadt (wo wir uns vollkommen entspannt, weil wir schon alles erledigt haben, nur noch die Zeit bis zum Mittagessen vertreiben wollten und zufällig noch ein klitzekleines Geschenk für mich gefunden haben!!!) war die Frage der Fragen: „Und? Wo geht ihr hin?“ Sie wurde beim Metzger diskutiert, in der Boutique (wo wir besagtes klitzekleines Geschenk gefunden haben!!), in der Apotheke und einfach so auf der Straße. Allüberall wird natürlich darüber gesprochen, wo man die Zeit ab acht Uhr am Weihnachtsmorgen verbringen wird. Manche gehen zu Verwandten, manche in die leere Wohnung von Freunden und wieder andere fahren „einfach mal in die Berge“. Man staunt, wie viele Menschen dann doch in der Inneninnenstadt wohnen. Natürlich meist supernette Menschen, deren Kinder schon aus dem Gröbsten raus sind. Coole Typen, die unser pulsierendes Augsburger Leben lieben und gerne mitten im Geschehen sind. Wie sintemal bei Maria und Josef wird entschieden, was mitgenommen werden soll und meine Freundin, die quasi auf der Bombe wohnt, nimmt zur Sicherheit auch mal ein paar Fotoalben mit. Sie ist im Schwäbischen und kehrt erst am 2. Weihnachtsfeiertag zurück, wenn hoffentlich alles vorbei ist.

Offenbar sind jetzt alle untergebracht und der weihnachtliche Frieden kann Einzug halten. Zumindest bevor wir ausziehen wie Maria und Josef. Auch bei mir im Haus sind die süßen älteren Herrschaften alle versorgt. Ich wohne in einem Haus, in dem die Menschen zum Teil seit der Erbauung vor vierzig oder mehr Jahren leben. Das ist eine wahrlich eingeschworene Gemeinschaft, in die ich mich in knapp siebzehn Jahren hineingewühlt habe. Durch Grüßen, durch Kümmern und durch viele, viele Pakete, die ich bei ihnen abgeholt habe. Wir mögen einander, plaudern auf der Treppe, trauern miteinander, wenn vereinzelt welche für immer gehen müssen und helfen uns aus (meist sie mir mit Eiern, Mehr und sonstigem Kram, den man offenbar immer zuhause haben sollte, ich aber nicht. Ich habe dafür immer an die zehn Kilo Nudeln oder Feigenmarmelade, aber die will sich selten jemand ausleihen, was ich nicht verstehe). Ansonsten sehen wir uns fast nie, was sehr angenehm ist und behelligen einander auch nicht groß. Aber wenn zum Beispiel eine Evakuierung ansteht, dann halten wir auch zusammen. Und so habe ich auch heute Morgen erneut bei meinen direkten Nachbarn angerufen und sie gefragt, welche Pläne sie haben. Ein bisschen lapidar sagte mir Erich, er wolle ins Hotel, würde dann „irgendwann morgen buchen“.

Das mag er sich so gedacht haben, gebucht hat er allerdings zwei Minuten nach unserem Telefonat. Und zwar ebenfalls beim Herrn Eberle wie wir alle. Und so sehe ich nach dem Schock nunmehr wahrhaft fröhlichen Weihnachten entgegen. Bei einem großen Brunch, in einer Herberge ohne Stroh, sondern mit Federbetten, ohne Kleinkind in Windeln, was zur Abwechslung ja auch mal ganz schön sein kann, dafür aber sicherlich mit einigen Ochsen und Eseln, darauf würd ich Haus und Hof verwetten. Ich bin mir sicher, wir werden eine Bombenstimmung haben und ganz ehrlich kann ich mir schon jetzt kaum mehr vorstellen, was wir ohne unsere HC 4000 getan hätten. Zumindest nicht, worüber wir gesprochen hätten. Daumen drücken da draußen, dass alles gut geht! Bisschen mulmig ist mir ja doch….Sollten wir uns nicht mehr hören, lesen, sehen (ich meine jetzt vor Weihnachten, soooooo pessimistisch bin ich nicht): Frohe Weihnachten für euch lieben, treuen Leser da draußen! Wenn es euch nicht gäbe, hätte ich am Ende gar keine Gedanken. Zumindest nicht so viele. Oder nicht so häufig. Oder sie kämen nicht aus mir heraus. Am Ende würde ich gar explodieren….oh mei….

Liebe Einzellebkuchenversender!

So begann mein Artikel gestern Morgen nachdem ich eine Benachrichtigungskarte zur schlimmsten Postfiliale Augsburgs bekommen hatte und dann tatsächlich mit einem einzelnen aufwändig verpackten Lebkuchen in einer Pappschachtel wieder abgezogen bin. Ich musste dafür auf einen kostenpflichtigen Parkplatz fahren und alles in allem hat mich der Dreckslebkuchen eine halbe Stunde Zeit gekostet. Zwar wird mir die Firma, die ihn mir übrigens auch in einem Luftposterumschlag hätte schicken können, zeitlebens in Erinnerung bleiben, aber nicht zwingend in guter!!! Dann bin ich nach kurzer körperlicher und geistiger Ertüchtigung wieder an den Schreibtisch geeilt und war dann unglaublich produktiv bis ich eine befremdliche WhatsApp von meiner Mutter erhielt. „Was tun wir jetzt am 25.??“ lautete der erstaunliche Text, denn wenn eines sicher ist an Weihnachten, dann ist es die Gans am 1. Feiertag. Was hatte das zu bedeuten?

Drei Fragezeichen später konnte meine Mutter es nicht mehr aushalten und rief mich an, um mir mitzuteilen, dass wir sozusagen im Herzen des Evakuierungsgebietes lägen und zwar jedes einzelne Familienmitglied. Tatsache. In Augsburg, das ja immer saugerne schrecklich absurde Schlagzeilen schreibt, muss natürlich die größte Fliegerbombe, ein Wohnblockknacker, gefunden werden. Zwar sinnigerweise auf dem Grundstück eines von uns oftmals verteufelten Autohändlers und -reparateurs und direkt neben dem Rewe, der nur durch Glück nicht schon vor Jahren von meiner Mutter höchstselbst in Schutt und Asche gelegt worden ist, aber eben doch auch schrecklich nahe an unseren Wohnungen. In der Retrospektive kann ich jetzt genau sagen, wie ein Schockzustand abläuft: einfach weitermachen, langsam immer wieder dran denken, ungläubig sein, fassungslos, Schuldige suchen, jammern, dass es einen trifft, sich vorstellen, wie schön es wäre, wenn es nicht so wäre, handeln. Erst panisch, dann planmäßig.

Dann eine Flasche Prosecco trinken, allerdings mit inzwischen heimgekehrten Mann, der recht ratlos ist angesichts des inzwischen angehäuften Wissens der Ehefrau. Vor allem wegen der damit verbundenen Sorgen, an die er so vielleicht noch gar nicht gedacht hätte und dann völlig k.o. ins Bett sinken. All das ist schon sehr aufregend und wie das im Krieg gewesen sein muss, mag sich kein Mensch ausmalen. Wenn ich, die ich die Woche über alleine bin, mir vorstelle, diese Krisenzeiten immer, unvorhersehbar und alleine – vielleicht noch mit Geldsorgen und Verantwortung für Kinder – bewältigen zu müssen, dann kann ich nur sagen: Hut ab vor den Frauen der Kriegsjahre. Das hab ich mir natürlich schon vorher gedacht, aber denken und fühlen sind eben zweierlei. Mir tun momentan vor allem die ganzen älteren Menschen bei uns im Haus leid. Viele von ihnen haben den Krieg überstanden und werden nun zu Weihnachten wieder davon heimgesucht. Da sieht man mal wieder, dass es sich nicht lohnt, sich über Kleinigkeiten aufzuregen. Zum Beispiel über einzelne Lebkuchen. Lieber warten. Es kommen schon noch größere Dinge, die eine Aufregung noch viel mehr wert sind!

Gestatten: Unsere zauberhafte Weihnachtsknutschkugel!!!

Wir straffen das Weihnachtsprogramm dieses Jahr ein wenig. Montag Advent. Heute Weihnachten. Und obwohl es so dicht beinander liegt, konnte ich mich nicht dran gewöhnen, wie wahnsinnig gut alles im letzten Jahr organisiert und beschriftet wurde. Auf jedem Karton steht vermerkt, was drin ist, Drohungen ebenfalls, was passieren würde, sollte man sie über die sorglosen Sommermonate rumschubsen und so weiter. Heute Morgen beim Sichten der zahlreichen Kartons habe ich Hasenherz wieder alle drei (Umzugs) Kartons gepackt, geschimpft wie ein Bierkutscher und habe die ganze Heimfahrt vor mich hingemault, dass man sie dieses Jahr aber wirklich endgültig mal beschriften müsste, damit diese hirnlose und unstrukturierte Schlepperei mal ein Ende hätte. Kaum zuhause und hochgetragen, sind wir wieder los, um den Baum zu kaufen. Wie vermutlich alle Menschen ohne Kinder es heute tun oder schon vorher getan haben. Aber dann sieht man sich auch ein bisschen ab, finde ich. Wir waren noch vor zehn, gut, vor halb zehn. Das war unser Glück.

Beim Baumhändler unseres Vertrauens, direkt am Kirchvorplatz, habe ich meine Erfolgsstrategie der letzten Jahre verfolgt und kühn noch ein bisschen verfeinert. Und ich muss vorausgreifend sagen: es war genau richtig!!! Kühnheit zahlt sich aus. Sie stellen nämlich völlig zu Recht im Eingangsbereich diverse Protzbäumchen in verschiedenen Höhen aus. Angelockt von diesen und mit dem Erfolgswind der vergangenen Jahre, bin ich mutig vorangeschritten und habe mich fast in die zweite Reihe vorgewagt. Dort stand ein Bäumchen, über das bestenfalls zu sagen war: er ist eine Weihnachtskugel. Man ist schneller drüber als drumrum. Er hat Charakter. Man kann in ihm verschwinden. Vieles kann in ihm verschwinden, wie wir Stunden später feststellen sollten. Es war Liebe auf den ersten Blick. Der Widerstand meines Mannes und die leichte Skepsis der Verkäuferin haben mich nur noch in meiner Wahl bekräftigt. Innerhalb von geschätzten zwei Minuten waren wir wieder draußen und zugegebenermaßen mussten eineinhalb dieser Minuten darauf verwendet werden, die Kugel durch den Trichter der Netzumwickelmaschine zu stopfen. Mein Mann musste sich mit seinem ganzen Gewicht auf den Sockel auf der Gegenseite stemmen, damit er nicht umkippt. Und mein Mann ist keineswegs ein Hänfling. Das möchte ich hier mal anmerken.

Zum Glück wohnen wir den Berg runter und auch nicht lange. Dennoch stiegen zu meiner Linken leichte Dampfwölkchen auf…..Zuhause hat er sich sofort heimisch gefühlt, gut, sein Stamm ist noch ein bisschen zu lange und so sieht er eigentlich aus wie einer der köstlich glasierten Liebesäpfel am Spieß. Das Dekorieren sollte sich dann als umso größere Herausforderung erweisen. Der Baum schluckt, so der Vorwurf meines Mannes, Lichterketten! Die drei Hunderter oder noch mehr wurden förmlich aufgesaugt und es hat einige Stunden eifriger Planung gebraucht, sie so zu drapieren, dass das kleine Kügelchen nicht alles gierig verschluckt und nichts mehr nach außen dringen lässt. Dafür konnte ich mich danach mit dem Schmuck so richtig austoben! Und das habe ich nach allen Regeln der Kunst! Ich kann den Baum jetzt noch nicht zeigen, denn es soll erstens in der Weihnachtszeit keinen Neid geben und den gäbe es zwangsläufig und zweitens gibt es Mitleser, die das noch nicht wissen sollen. Alles in allem hat uns die Schmückerei unter den wachsamen Augen von erfahrenen Familienmitgliedern fast in den Alkoholismus getrieben und dafür gesorgt, dass 70% meines heutigen Weihnachtsprogramms unter den Tisch gefallen sind und das ist doch letztlich auch schön. In der staden Zeit.

Banale Gedanken zu Weihnachten

Man hat ja gerne einzigartige Gedanken, ob aus dem Aus- oder Inland. Sie sind aber nicht immer möglich. Zumindest nicht um diese Jahreszeit, die doch alle gleichermaßen mit ähnlichen Themen beschäftigt, was ich nebenbei bemerkt wunderbar finde, weil sie für ein echtes Zusammengehörigkeitsgefühl in einer Gesellschaft sorgen und als vereinendes Fundament unserer Kultur gelten können. Aus welchen Motiven ist da fast egal. Auch die folgenden Gedanken zählen bei mindestens 80% der erwachsenen Bevölkerung zum verbindenden Faktor: Das ungläubige Staunen, dass schon wieder Weihnachten ist. Gestern habe ich hektisch, weil alle um mich herum schon voll weihnachtlich dekoriert haben, meinen Adventskarton im Keller gesucht. Adventskränze mag ich nicht, mochte ich noch nie und hab ich auch noch nie gehabt. Sie auch nie vermisst, die nadeligen Biester, die überall, wo sie stehen Wachsflecken und Verwüstung hinterlassen. Nein, ich mag sie nicht. Aber den Rest von Weihnachten schon.

Gestern also, nachdem ich eine vorweihnachtliche Einladung ausgesprochen hatte, bin ich pflichtbewusst und vorfreudig in den Keller geeilt, denn seit mein superordentlicher Mann mit meiner und der Hilfe eines weiteren Ikeaschranks dort für Struktur und System gesorgt hat, sind die alten Schrecken verschwunden und nicht ganz genauso viele nachgekommen. Vorteil der Restrukturierung ist definitiv, dass nur er sich noch auskennt und ich erkenne inzwischen ein gewisses System darin, dass er sich nie in die Küche oder den Haushalt mischt….ich kann einfach ohne ihn nichts mehr im Keller finden, weil ich sofort ertappt und in der Folge übel ausgeschimpft werde, wenn ich eigenmächtig, sagen wir mal, ein Paar Winterstiefel herausfische oder ein kleines Tütchen mit Sommerkleidung für den Secondhandladen in einen freien Regalplatz stelle. Ich hab den Keller noch nicht ganz abgesperrt, folgt die Rüge auf dem Fuße. Man könne nicht einfach alles reinschmeißen, es gibt ein System und weitere Wahrheiten prasseln dann auf mich ein. Und so sind wir gestern gemeinsam in den Keller und haben dort überrascht festgestellt, dass zum Beispiel der Osterschmuck in einem Karton mit dem Weihnachtsmann drauf verstaut ist. Wie äußerst perfide!!!! Und die Drecksküken und Hasen waren auch noch so gut eingewickelt wie es a) Holzkram gar nicht erfordert und b) dass man auch ja lange mit einer Hand, den Karton auf dem Knie balancieren musste. Natürlich war das vollumfänglich meine Schuld.

Nach kürzester Zeit und dem Gesetz, dass es immer der letzte Schlüssel am Bund ist, der passt, hatten wir auch schon den Adventskarton und wie groß war die Freude, nachdem ich ihn mühsam mit Händen und Schlüssel von seiner wirklich sorgfältigen Verschnürung befreit hatte, dass die Beschriftung eins zu eins mit dem Inhalt übereingestimmt hat. Das war eindeutig auch das Werk meines Mannes und ich ungläubiger Thomas bin selbst Schuld, wenn ich den Karton nicht einfach ohne jegliche Kontrolle dankbar schultere und hochtrage. Das soll mir eine Lehre fürs nächste Jahr sein. Aber so viel Ordnung und System macht doch misstrauisch oder nicht?! Während wir also versucht haben, keinesfalls zu streiten oder dem anderen die Schuld für die Verzögerung in die Schuhe zu schieben, hatten wir wahrlich genügend Gelegenheit in Déjà-vus zu schwelgen, dass es doch wirklich erst vor vier Wochen war, dass wir all das so sorgfältig verpackt haben. Und im Stillen hab ich mich erinnert, wie verwundert ich als Kind war, wenn meine Mama oder meine Oma etwas Ähnliches gesagt haben. Ich fand Weihnachten immer ewig weit weg und habe ihm sehr, sehr entgegen gefiebert. Woran liegt das? Haben Kinder ein anderes Zeitempfinden? Weiß das jemand?

Eichhörnchen

Hatte ich schon mal erwähnt, dass ich Eichhörnchen liebe? Nicht nur, weil ich sie von meinem Fenster aus sehen kann, wenn ich wahlweise nachdenklich oder um mich zu sammeln und niemanden zu ermorden, auf die Bäume vor meinem Fenster schaue. Ich tue das gerne und regelmäßig. Im Sommer rauschen die grünen Blätter beruhigend und im Winter sind die Äste und Zweige weit verzweigte Autobahnen für Eichhörnchen. Sie rasen an und auf ihnen auf und ab, schwingen sich von Ast zu Ast und sind wirklich andauernd in Bewegung. Angeblich – mir werden seit ich meine Liebe zu diesen possierlichen Nagern eingestanden habe lauter Horrorgeschichten über die possierlichen Tiere zugetragen – sind sie Massenmörder und verbreiten rasend schnell und unerbittlich, wo sie nur gehen und stehen, die Tollwut. Das mag ja alles sein, aber sie haben ein Fell und sehen nett aus. Und hinterlassen nichts auf meinem Balkon. Das genügt.

Außerdem liegen sie mir schon deshalb, weil sie meinem weiblichen und schwäbischen Wesen so verwandt scheinen. Sie sammeln Nüsse, tragen sie in ihre Bauten oder Höhlen oder wo sie halt wohnen, sie sind possierlich und vorausschauend und sportlich und irgendwo doch auch sehr elegant mit ihrem wunderhübsch buschigen Schwanz. Auch Frauen können beispielsweise wunderbar auf etwas sparen und das ganze für die Urlaubskasse gesammelte Geld dann für ein Paar traumhafter Riemchensandalen ausgeben, denen sie im Schaufenster nicht widerstehen können oder ganz, ganz lange abnehmen, weil auf einem Fest in weiter Ferne der Drecksack von Exfreund erwartet wird, der einen vor Jahren schmachvoll verlassen hat. Sie sind also gleichermaßen vorausblickend wie leichtfüßig. Und Pelzkragen mögen sie auch. Und nichts sieht anmutiger aus als ein Eichhörnchen, das eine Nuss zwischen den kleinen zarten Vorderpfoten hält. Außer vielleicht einer Frau, die nachdenklich eine Cappuccinotasse mit beiden Händen hält. Also bitte: mehr Gemeinsamkeiten haben nur eineiige Zwillinge. Und die Ähnlichkeit mit Schwaben muss ich ja wohl nicht erklären. Nüsse? Vorrat? Für schlechte Zeiten? Na bitte. Ist also nur logisch, dass ich sie so putzig finde.

Ich habe nur einen ganz großen Kritikpunkt an diesen kleinen Biestern: Sie lassen sich einfach nicht fotografieren. Seit Tagen liegt meine Kamera mit dem größten Teleobjektiv, das man außerhalb der Paparazzofotografie verwenden kann, auf meinem Schreibtisch und ich krieg einfach keines scharf. Immer verstecken sie sich in den Ästen und wenn ich sie dann doch mit viel List und Tücke scharf fokussiert habe, dann erschrecken die Viecher und ich kann wieder von vorne anfangen. Sehr ärgerlich. Und während ich ihnen noch so versonnen nachschaue, gehe ich selbst meiner Eichhörnchentätigkeit nach und sammle im Rahmen eines Projekts Redaktion um Redaktion und muss mich wundern, wie Menschen, die immer, aber wirklich immer auf die Unterstützung und Zuverlässigkeit anderer angewiesen sind, selbst teilweise so entsetzlich ignorant sein können und gar nicht hilfsbereit und vorausschauend sind. Denn kein Mensch und kein Eichhörnchen kann wissen, wohin ihn seine Zukunft führt und ob es sich nicht eines Tages vielleicht als idiotisch blöd erweisen wird, dass man damals auch auf das sechste E-Mail nicht reagiert hat. Und dann krieg ich wieder die Kurve und konzentriere mich auf die andere Eichhörnchenseite: das Sammeln und Ablegen von schönen Momenten. Dazu eignet sich die Adventszeit ganz besonders und ganz sicher kommen auch wieder Tage, in denen man ganz unerwartet auf so eine gemachte schöne Erfahrung stößt. Wie ein vergessliches Eichhörnchen. Denn wie meine Mutter stets zu sagen pflegt: warum wachsen so viele Nussbäume? Weil Eichhörnchen so vergesslich sind.

Rauchende Colts

Samstag oder Sonntag, je nachdem, wann es Nachbarn noch zuzumuten ist, über oder unter ihnen zu waschen, ist Bügelmorgen. Ich bügle gerne. In einer schnelllebigen Zeit mit oftmals eher unabsehbaren Projekterfolgen bietet Bügeln eine ideale Befriedigung: Hemd aufs Brett, erst Kragen, dann rechts vorne, dann seitlich, dann Rücken, dann links vorne, dann Ärmel, dann fertig. Wunderbar. Nach fünf Hemden und ein paar Hosen ist sichtbarer Erfolg geschaffen und ein gutes Gewissen. Und manchnmal kann die Zeit auch noch prima genutzt werden um sich über die Woche zu aktualisieren oder – huijuijuijuijui – um tagsüber den Fernseher anzuschalten. Ich bin mit dem strikten Grundsatz (nicht kommuniziert, aber vorgelebt) groß geworden, dass Fernsehen und Alkoholkonsum etwas sind, das nach Sonnenuntergang stattzufinden haben und ich bin nicht schlecht damit gefahren. Daytime-TV gab es in unserer Familie nicht und war bei mir immer ganz nahe bei Hartz IV, wobei es natürlich Lebenssituationen gibt, in denen eine gewisse Geschmeidigkeit in Bezug auf solch rigide Vorstellungen nicht schadet.

Egal. Jedenfalls beim Bügeln kann man prima fernsehen. Auch tagsüber, vor allem weil abends ja wohl kein Mensch bügeln möchte. Als ich heute Morgen mein Bügelbrett aufgebaut habe und nach einer Weile bemerkt habe, dass heute eher ein Tag für Fernsehen als für Austausch mit meinem Mann zu sein scheint, lief ein Western. Was hab ich früher Western geliebt!!! Mit meiner Oma hab ich quasi immer Western angeschaut und – jetzt fällts mir auf – früher gab es auch noch viel mehr davon. Bonanza und all das, vor allem mein All-time-Favourit „unsere kleine Farm“ finden sich nur noch zu ganz abartigen Zeiten, zu denen nicht mal ich bügeln würde. Heute Morgen jedenfalls lief „Rauchende Colts“ und ich war hingerissen. Sogar eine Doppel- oder Dreifachfolge. Ich vermute, die Ausstrahlungsrechte sind supergünstig und man kann kleine Kinder und ältere Menschen mit seniler oder juvenlier Bettflucht wunderbar am Sonntagmorgen damit beschäftigen. Mich auch. Ich war so entzückt, dass ich mir an sich eine doppelte Hemdenladung gewünscht hätte. Denn weiterschauen ohne dabei was zu tun ist nicht in meiner DNA. Leider.

Und als diese Nostalgie nicht schon genug gewesen wäre, kamen in der Werbung (die wir früher nicht kannten, nur aus amerikanischen Filmen und wenn dann so eine Lücke an der spannendsten Stelle war, haben wir uns wissend zugenickt, weil wir wussten, sowas müssen nur die Amerikaner erdulden – o tempora o mores!!!) auch noch die aktuellen Weihnachtswerbungen der großen Lebensmitteldiscounter. Und vielleicht ist es nicht nur mir, sondern auch meinen lieben Lesern aufgefallen, diese Spots entwickeln in den letzten Jahren wahren Kultstatus. Warum? Weil es ihnen tatsächlich gelingt, das hochemotionale Thema „Weihnachten“ in seinen vielen Facetten aufzugreifen und zu spiegeln. Sie regt zum Nachdenken an und schafft es, dass Menschen sich in ihr wiederfinden und vielleicht sogar den Geist der Weihnacht erhaschen können. Ob es der Vater und Opa ist, der seine Familie mit einer Todesanzeige zu sich lockt oder die Frau, die furchtbar Angst vor ihrer Schwiegermutter hat – das ein oder andere Gefühl kennt jeder und weiß, dass er damit nicht alleine ist. Und irgendwie ist das wie „Rauchende Colts“ schauen. Die kennt auch fast jeder und das gibt – wie alles Vertraute – ein wohliges Gefühl. Auch beim Bügeln.

Körpersprache

Es heißt, der Körper würde quasi unabhängig von dem, der ihn gemeinhin steuert, kommunizieren. Ganze Fernsehserien beschäftigen sich mit Augenbewegungen, Handhaltungen und anderen vegetativen Reaktionen. Bei Verhören oder in Verkaufstrainings sind Körpersignale schon längst der totale Renner. Wir haben also gelernt, auf Blinzeln, Erröten, Hand- und Fußhaltung etc. zu schauen. Um daraus einen Vorteil zu ziehen. Was wir manchmal noch nicht gelernt haben, ist auf die Signale aus dem eigenen Körper zu hören. Müdigkeit, Blasssein, Übelkeit oder Schmerzen. Glaubt man seinem Körper, ist er dann an einem Punkt, an dem er Erholung braucht. Einen Spaziergang, ein Schläfchen oder einfach nur eine Tasse Tee mit Plätzchen. Er freut sich in der Regel darüber, wahrgenommen zu werden und arbeitet im Anschluss munter mit einem weiter. Ignoriert man die Zeichen zu lange, kann es sein, dass er ruppig und grantig wird und einen niederstreckt. Das endet im schlimmsten Fall tödlich. Warum hört man nicht auf ihn?

Ich kenne ganz viele Leute, die sind superstolz drauf, dass sie trotz Fieber, Schicksalsschlag oder gerade überstandener Krankheit schon wieder joggen gehen, arbeiten oder Weltreisen antreten. Dann haut’s ihnen irgendwann das Gestell zusammen, wie man in Bayern so lapidar sagt und sie sind völlig fassungslos und empört. Wo ist die Grenze? Was ist die richtige Balance? Denn immer nur rumliegen ist ja sicherlich auch keine Option. Wer keine Grenzen antestet, wird sie auch nicht erweitern, aber auf der anderen Seite – muss man das? Vermutlich schon, wenn es doch immer heißt, das Glück läge auch darin, seine Grenzen zu erforschen und dann zu erweitern und in der Erweiterung zu bestehen? Ach, es ist eine schwierige Gratwanderung. Ich habe noch nie davon gehört, dass Menschen, die immer auf dem Sofa liegen und RTL2 schauen, superglücklich sind. Manager in Hamsterrädern natürlich auch nicht. Bauern vielleicht? Die, denen die Natur den Rhythmus vorgibt? Aber dann nur solche, die ihr Land und ihre Kühe nicht vergewaltigen müssen, um EU-Richtlinien zu genügen. Und schwupps sind wir in einer umfassenden Gesellschafts- und Wirtschaftskritik. Und schwupps schon wieder zurück auf der Ebene, die jedem von uns zur Veränderung zur Verfügung steht: Das eigene Selbst.

Und das ist anerkanntermaßen der schwierigste Bereich. Weil er Taten verlangt, statt Worte. Aushalten, dass man in Frage gestellt wird. Denn lebt man nicht auf einer einsamen Insel, wird jede Veränderung – auch die an sich selbst – Fragen und Unsicherheiten im Umfeld aufwerfen. Und Versuche, die Person, die man zu kennen meinte, wieder zurück in die bekannten und sicher vertrauten Bahnen zu schubsen. Einen neuen anderen Weg mit ihm zu gehen, würde ihn auf den Kern seines Wesens reduzieren, der ja trotz aller Änderungen gleich geblieben ist, aber den nur die Allerwenigsten kennen, weil sie gar nicht zu ihm durchkommen möchten oder können. Weil meistens nur die jeweiligen Kerne der Menschen miteinander sprechen können. Hülle und Kern finden nicht zueinander und weil so viele Menschen nicht durch ihre eigene Hülle hindurch zum eigenen Kern kommen, bleibt es oft bei Hülle zu Hülle. Und dann verstehen diese sich nicht mehr. Logisch. Die Menschwerdung jedoch – so habe ich erst neulich wieder gelesen – sollte uns das wichtigste Lebensziel sein. Warum? Was tun wir damit? Ich denke da jetzt einfach noch weiter drüber nach. Und ihr müsst mitdenken, weil ich meine jeweiligen Fortschritte sicher immer wieder aufschreiben werde. Vor allem jetzt in der staden Zeit. Aber für wen ist die eigentlich stad? Auch diese Pause wird von den Wenigsten genutzt.

Tatort: Tatort

Eine einst schwurbelige Mittelklassesendung ist zum neuen Star am TV-Horizont aufgestiegen. Der Tatort. Die allerlängste Zeit meines Lebens habe ich mich keinen Deut darum geschert, ob es ihn gibt oder nicht. Und ich muss nun feststellen: fernsehtechnisch war es sicherlich die bessere Zeit meines Lebens. Dann begann der Hype auch mich zu umgarnen und letztlich zu fesseln. Begleitmedien wie Twitter und Facebookgruppen, auf denen das Geschehen, die Glaubwürdigkeit oder die Realitätsnähe der Polizeiarbeit kommentierten, wurden ganz im Sinne des nicht-linearen Fernsehkonsums ins Leben gerufen und ich frage mich, wie einer die komplexen Handlungsstränge noch verstehen kann, wenn er nebenbei auch noch seine Meinung zum Aussehen der Leiche auf dem Telefon oder Computer abgibt. Was ich mich auch frage ist, ob diese nun schon recht lange andauernde neue Berühmtheit dann letztlich auch dazu geführt hat, dass der Großteil der deutschen Bevölkerung mit einem mulmigen Gefühl in die neue Woche startet.

Sowieso werden Familienverbünde am Sonntagabend regelmäßig auf eine harte Harmonieprobe gestellt: auf der einen Seite die Männer, die natürlich niemals zugeben können und möchten, dass sie seit einigen Jahren nicht mehr unbeschwert mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fahren können, seit im Sonntagabend-Tatort gezeigt wurde, was passieren kann, wenn man dort mal schief schaut, weil eine ältere Dame von Jugendlichen angepöbelt wird (man kann von diesen Jugendlichen nach dem Aussteigen verfolgt und niedergeschlagen und in der Folge totgetrampelt werden – just for fun, versteht sich) oder ob es wirklich so eine gute Idee ist, sich auf einer Fremdgehplattform anzumelden (NEIN! Natürlich nicht. Tatortunabhängig. Logisch!). Auf der anderen Seite die Frauen, die längst erkannt haben, dass sie die Woche mit einem solchen Übermaß an selektiver Realität kaum bewältigen können und sich noch einmal eine Portion heile Welt aus Cornwall, Schweden oder den USA auf dem Gegenprogramm holen möchten.

Wie so oft kann ich mich da nur auf die Seite der Frauen werfen. Es mag witzige Tatort-Folgen geben, aber grundsätzlich kann mir keiner erzählen, dass es ihm am Sonntag um 21.45 Uhr besser als vorher geht und er mit Schwung und Optimismus sein Wochenende beendet und in die neue Woche startet. Das mit Sicherheit nicht. Gerade die letzte Folge hat mich nachgerade empört. Mein Mann, der nicht immer über das Programm bestimmen möchte, weil er ein aufgeklärter und friedliebender Gatte ist, teilte mir mit, dass dieser spezielle Tatort ganz besonders skurril und toll sein soll, zumindest wenn man den Medien glauben dürfe. Und was war? Depressionen, Selbstmord, alles anschaulich dargestellt und fast schon zum Nachmachen einladend nachvollziehbar. Gut gespielt, realistischer Plot, aber warum das alles vor dem Start in eine neue Woche? Ich verstehe sowas nicht und werde mich wieder den ausländischen Romantikerinnen zuwenden. Ich bin dann montags einfach ein netterer Mensch. Und davon können auch wiederum viele profitieren.