Sonnenbrand trotz Liveticker

Heute haben wir einen richtig schönen Stadtbummel gemacht. Unsere neu gemachte Superstraße in Richtung Piazza del Popolo ist für Rollatoren eine wahre Rennstrecke. Breit, eben, einfach herrlich. Mit diesem Gerät sind wir eh die Superstars in Rom. Kein Wunder, dass keiner den Begriff auf italienisch kennt, es kennt keiner einen Rollator, das ist es. Mütter mit Kinderwagen haben kichernd oder ehrfürchtig Platz für uns gemacht und in den Geschäften wurden wir bestaunt als hätten wir mehrere Köpfe (was man bei so manch kluger Bemerkung eh alle denken würden).

Auf der Piazza del Popolo, die ich sozusagen zu Recherchezwecken aufsuchen musste, war es zunächst schattig. Eine der beiden Zwillingskirchen, ich glaube, es war die Miranda hat ihre Giebel noch frech gegen die Sonne gehalten. Aber der Kellner – auch schwer beeindruckt von unserem Equipment – hat uns fürsorglich neben einen flammenden Heizpilz gesetzt. Als dann zu unserem Spritz auch noch die Sonne hinter dem Gemäuer hervor gekrabbelt kam, war unser Glück perfekt. Gut, es standen viel zu viele Taxis unschön vor uns in der Reihe, aber man will ja nicht kleinlich sein.

Im Anschluss ging es denselben Weg zurück. Zwischendurch haben wir uns überlegt, dass über andere Kontinente jetzt Blizzards hinwegfegen und es deshalb vermutlich wieder einmal einen Liveticker gibt. Meine persönliche Vermutung ist ja, dass all die Liveticker eine Erfindung der Meteorologen sind. Im krampfhaften Bemühen, ihre fast hundertprozentigen Fehlprognosen durch puren Aktionismus zu kaschieren. Neulich habe ich zu allem Überfluss noch gelesen, dass es künftig möglich sein soll, für einzelne Straßenzüge das Wetter vorherzusagen. Das mag ich wohl glauben seit Menschen bei Lokalsendern anrufen, um ihr Wetter zu melden. Ansonsten treffen die Prognosen immer weniger zu, werden dafür immer dramatischer. Gibt es im Allgäu ein bisschen herbstlichen Wind, können wir ziemlich sicher damit rechnen, dass es eine Unwetterwarnung gibt. Und kaufen die Menschen ganz New York tausende von Schneeschaufeln in Erwartung eines Schneechaos und fallen dann ein paar Flocken Schnee, ist das genauso eine Fehlprognose wie heute in Rom. Es waren leichte Wolken angesagt und jetzt? Jetzt hab ich einen leichten Sonnenbrand. Hachja….

Das Meer verlockt und wirft Fragen auf

Ach, es ist ein Elend mit der Maßlosigkeit. Wie entspannend muss das Leben doch sein, wenn man Maß halten kann. Schon Ludwig Erhard hatte dazu eine strikte Meinung, die da lautete: ‚Wir können nicht doppelt soviel verdienen, wie wir an Werten schaffen.‘. Auf meine persönliche Situation heute bezogen müsste es heißen, man kann nicht doppelt so viel essen, wie man energetisch benötigt. Aber leider geht das eben doch. Wenn es so gut ist wie bei Pasquale und wenn man die Freude an Krustentieren nach 30-jähriger Abstinenz wiederentdeckt hat. Das ist übrigens an Silvester geschehen und ich gedenke, alles an Versäumtem nachzuholen.

Pasquales Meeresoase liegt, ich glaube, ich hatte es erwähnt, am Meer. In Ostia. Und dieses Ostia ist ein Phänomen. Aus vielerlei Hinsicht. Es ist zunächst von einzigartiger Scheußlichkeit. Man möchte nicht glauben, dass eine historisch und touristisch bedeutende Stadt wie Rom sich ein derart nichtssagendes, gar verwahrlostes Strandbad leistet. Gerade vom Seebad einer Großstadt, die Jahr für Jahr unter ziemlicher Hitze leidet, würde man sich doch etwas mehr Schönheit oder Sorgfalt in der Zuflucht am Meer erwarten. Aber Fehlanzeige! Abgerissene Häuser,  kaum Hotels, schäbige Bäder, una vergogna, wie der gemeine Italiener sagen würde, eine Schande. Ich komme gar nicht darüber hinweg, wie die römischen Strand- oder Seeorte aussehen. Es tut mir körperlich weh, zu sehen, dass die Römer hier ihre Ferienwohnungen haben oder ihre Kinder mit dem Bus in den großen Ferien her schicken. Es ist mir schlichtweg ein Rätsel wie so Vieles in diesem wunderbar verkommenden Land.

Gerade in diesen Tagen irren wir ratlos durch die verschmutzten Straßen und wundern uns, warum nicht mal einer der Ladenbesitzer einen Besen zur Hand nimmt und vor seinem Geschäft fegt. Im Privaten habe ich das Wundern längst aufgegeben. Spätestens als ich in meiner Anfangseuphorie vor fünfzehn Jahren versucht habe, unsere Nachbarn zum Streichen des Treppenhauses zu bewegen. Farbe hatte ich kostenlos versprochen und fand meinen Plan, dass jede der drei Parteien pro Etage ihren Treppenaufgang streicht, durchführ- und zumutbar. Freundliches Desinteresse war die Antwort. Wer also hält das Land am Laufen? Das Essen? Das Wetter? Die Mafia? Es wird mir ein ewiges Rätsel sein.

Ich, Kaninchen

Wir Karnickel stehen ja selten im Rampenlicht. Im Gegenteil, wir scheuen es eher. Lieber versteckeln wir uns im Gras oder auf Feldern, um zu mümmeln oder in unseren kuscheligen Höhlen, um gemütlich vor uns hinzurammeln. Wir sind nicht besonders darauf erpicht, dass uns alle süß und niedlich finden, denn auf all diese kleinen Kinder, die uns dauernd an den Ohren ziehen und in enge Käfige sperren, könnten wir prima verzichten. Aber was können wir tun, wir sind halt so unwiderstehlich mit unseren seidig-flauschigen Ohren und den puscheligen Schwänzchen. Von unseren felligen Füßen mal ganz abgesehen.

Und weil das Elend noch nicht groß genug ist in der Welt, haben wir jetzt auch noch Fürsprache aus selbst berufenem Munde bekommen. In einer Zeit, in der man in Sachen Religion und Beleidigung (wäre das modern ausgedrückt ein #Hashtag?? Das fragen wir uns!) doch nun wahrhaft genug um die Ohren haben sollte als Mensch. Aber nein, da kommt dieser selbst ernannte fleischgesichtige und in seiner Art typische Kaninchenzüchervereinsvorsitzende daher und zerrt uns durch seine oberpeinliche und ungebetene Verteidungsaktion ins Licht der Öffentlichkeit und gibt uns der Lächerlichkeit preis. Was denkt er sich? Wer hat ihn gebeten? Soll er sich doch mit dem Kerl, der vor Weihnachten den Bahnverkehr lahm gelegt hat, weil er von seiner Frau verlasen wurde und einfach auch mal wieder was zu sagen haben wollte, zusammen tun. Die könnten sich doch dann gegenseitig die Welt erklären und überall ein Haar in der Suppe suchen. Und teuren Wein dazu trinken.

Was ist denn dabei, wenn ein netter pragmatischer Religionsführer oder sagt man Kirchenoberhaupt – keiner kennt sich bei den Menschen und ihren Religionen mehr aus, angeblich geht es immer um Liebe und Respekt und dann schießen sie sich einfach mal so nieder oder machen sich übereinander lustig, bis es weh tut – also wenn so ein Papst ein Sprichwort bemüht? Was ist daran bitte so schlimm? Wir Kaninchen haben allerdings schon oft bei Menschen bemerkt, dass sie recht widersprüchlich sind. Lehrer, leider auch manchmal Journalisten zum Beispiel, die panisch zucken, wenn einer ein Zigeunerschnitzel bestellt (heißt jetzt Paprikaschnitzel) und die ganz, ganz arg Charlie sind, trauen sich im konfrontären Face-to-face-Kontakt nicht, Schüler ihrer Klasse zurechtzuweisen, wenn sie ihre Meinung zu den Pariser Anschlägen dahingehend äußern, dass das denen doch recht geschähe. Das sagen sie dann lieber im Biorestaurant ihrer Wahl. Vermutlich verzehren sie dabei Kaninchen in Weißwein und ein Kumpel von uns hockt in der Wohnung im Bioheu. Ach, es ist zum Heulen. Ein ärgerliches Kaninchen.

The Medium is the message

Die Zeiten ändern sich. Wer wüsste das besser als ich? Weil ich noch ein wenig hinter den sozialen Medien her hinke, bin ich um ein Haar aus meiner Frühstücksrunde geflogen, rufe bei einer Freundin an, obwohl sie doch gepostet hat, dass sie Skifahren ist und bekomme skandalöse Weihnachtsaktionen erst mit, wenn sie schon Schnee von gestern sind. Doof. Wie weit ich aber in Wirklichkeit hinten dran bin, ist mir aufgefallen, als ich die Nachrichten gesehen habe. Nicht diese echten Nachrichten, in denen es ja ausschließlich um Demonstrationen, Mörder und Umweltkatastrophen geht, sondern nette Nachrichten. War es eine Zeit lang skandalös, per SMS Schluss zu machen, brauchte man sich bei Facebook nicht mal mehr die Mühe des Tippens machen, man änderte nur seinen Status von Beziehung auf Single und schwupps war dieses leidige Thema durch und wenn man es noch kurz vor dem ersten Kuss mit der neuen Flamme in der Disco gemacht hat, war man nicht mal ein Betrüger oder Fremdgänger.

All das ist schon recht fortgeschritten, den Vogel schießt aber das Schlussmachen auf dem Turnschuh ab. Gut, klar, weiß ich schon auch, dass da schon länger Schluss war zwischen Schweinsteiger und der hübschen Sarah. Aber dennoch ausgesprochen lässig, einfach den Namen durchzustreichen und dann gleich neue Schuhe bedrucken zu lassen. Meiner Schwägerin wurde ein ganzes Haus gewidmet. Von ihrem Exfreund. Das heißt immer noch so. Würde vielleicht auch die Bewohner sonst verwirren. Boote heißen wie einst geliebte Ehefrauen und müssen mühsam überpinselt werden, es ist ein Kreuz. Am schlimmsten sind Tatoos, das tut angeblich auch noch höllisch weh, wenn man sich da trennt. Aber was rede ich? Dass Trennungen weh tun, wissen wir doch alle!

Bei den Turnschuhen wirkt es aber doch irgendwie so, als hätte man einen Tritt bekommen, also ich weiß nicht.

Trendfollower wider Willen

Gestern war der internationale Tag der Jogginghose und zum ersten Mal in meinem ganzen langen Leben habe ich mein Yoga-Outfit irgendwie den ganzen Tag nicht aus bekommen. Und – oh Wunder – ich bin nicht mal besonders aufgefallen. Karl Lagerfeld würde zwar sagen, ich hätte die Kontrolle über mein Leben verloren und gestern hätte das auch ein bisschen zugetroffen, weil irgendwie immer irgendwas war und ich von hier nach da gehoppelt bin, ohne Rast und ohne Ruh. Das lag zum einen am ursächlichen Motiv für die Leggins (es waren keine Jogginghosen, sondern schwarze Leggins mit schwarzem T-Shirt, also bitte!), nämlich der Yogastunde, dann an einem Termin, den man sicherlich ebenso schwierig mit dem Papst bekommen hätte. Der war bei einem Stoffgroßhandel im nächsten Ort und musste auf die Minute genau eingehalten werden.

Unser städtischer Stoffladen, den ich angeblich schon als Kleinkind mit gutem Grund in Grund und Boden gebrüllt habe, hat nämlich gar nichts. Der Stoffgroßhandel nur unwesentlich mehr. Egal, nun war ich schon mal da und wollte auch eine bella figura machen, weil ich mit der Karte einer Freundin drin war. Also habe ich scheu und brav und begeistert etwas ausgewählt, von dem ich hoffe, dass es sich zu dem verarbeiten lässt, was ich mir seit vielen, vielen Jahren wünsche. Dann musste das erst aus dem Lager geholt werden, in der Zeit war ich einkaufen, eigentlich nur Wimperntusche, aber die hätte ich vor lauter Waschmittel und Badreiniger fast vergessen. Dann habe ich meine Lektion gelernt, dass ich besser nicht mehr in Leggins und Daunenjacke einkaufen gehe, denn der Stoffgroßhändler war offenbar gerade richtig in Fahrt, weil er lange Fachgespräche mit einem Kunden über die glitzernden Stöffchen geführt hat. Ob jetzt das aufgenähte Glitzerdekolleté bei einer Frau mit 1,68 (das ist schon recht groß, finden Sie nicht und dabei schaut er mich an – hm) alles bedeckt, ob die perlenvorhangartigen Fransen beim Tanzen von Singing in the rain auch schön schwingen und all Solches mehr wurde da durchgesprochen. Klar, dass der Herr in Schwung war und mir einen herzhaften Klaps auf den sehr verlängerten Rücken gegeben hat. Führt direkt wieder zu Satz eins. Noch nie im Leben ist mir das passiert.

Ich habe auch festgestellt, dass ich in einem normalen Bäckereishop, in dem ich mir während der Wartezeit einen Kaffee gekauft habe, überhaupt nicht aufgefallen bin, alle trugen Leggins, alle trugen Fellstiefel, alle trugen Daunenjacken, alle trugen Pferdeschwanz. Ich bin auch nicht im Drogeriemarkt aufgefallen und so langsam muss ich mich fragen, warum ich all das Geld ausgebe und mir nicht einfach jeden Tag meine Yogatasche mit dem pinkfarbenen Elefanten umhänge und so tue, als käme ich vom Yoga. Jetzt bleibt erst mal abzuwarten, ob sich all diese Gänge gelohnt haben und mein Stoffprojekt einen neuen Anti-Trend zur Jogginghose setzen kann.

Erziehung in Theorie und Praxis

Auf der Suche nach Ablenkung von einem zähen Artikel (also für mich als nicht so sehr Sportbegeisterte ist er schwierig, für andere wäre er sicherlich ein guter Leitfaden fürs ganze Jahr) habe ich ein wenig im Internet rumgestöbert und bin auf einen bizarren Beitrag in unserer doch wirklich schon genügend absurden modernen Welt gestoßen Ein Fünfjähriger wird zu einer Geburtstagsfeier  mit allem Vor und Zurück eingeladen. Auf einer Skipiste wollte sein kleiner Freund feiern, was auch aus meiner geringen Erfahrung ein neues Highlight im immerwährenden Konkurrenzkampf der Mütter um die aberwitzigste Location für die Geburtstagsfeier ihres Dreikäsehochs ist. Alle Daten waren drauf, aber dann fiel den Eltern ein, dass das Kind just an diesem Tag die Großeltern besuchen sollte.

Ein Schelm, der Böses dabei denkt, jedoch wage ich die Unterstellung, dass es den Eltern erstens zu riskant, zweitens zu teuer oder drittens einfach nicht mehr in den Kram gepasst hat. Den anderen Eltern hat wiederum nicht gefallen, dass das Kind einfach nicht erschienen ist. Ohne abzusagen, ohne irgendwas. Dass sie sich da wundern, wundert mich allerdings. Ist es doch heute gang und gäbe, dass man wenn überhaupt eher vage Zusagen bekommt, weil sich ja immer noch etwas Besseres ergeben könnte. Dass der Vater des kleinen Skifahrers allerdings gleich gar eine offizielle Rechnung über den ausgelegten Skipass-Betrag oder was auch immer stellt, ist ebenfalls skurril. Was treibt Menschen, einander vom Hof zu klagen, Fünfjährigen Rechnungen zu schreiben oder Kassiererinnen im Bio-Basic-Hier-ist-alles-verschrumpelt-Markt anzufahren?

Wäre es nicht viel, viel besser, wenn sie diese zuhause erzögen und andere Menschen mit ihrem theoretischen Pädagogikwissen verschonten? Oder sich einfach mal selbst so benähmen, wie sie es ihren Kindern leider nicht beibringen? Das wäre so so wunderschön und für alle eine Riesenerleichterung. Ich bin jedenfalls in besagtem Schrumpel-Bio-Markt, den ich – ich schwöre es – nur aus Neugierde besucht habe, weil alle Mütter um mich herum fast ohnmächtig werden, wenn ich „normal“ einkaufe, beinahe in den Kindersitz meines Einkaufswagens gekrabbelt, als die Frau hinter mir die recht lange Schlange entlang blaffte: Könnten Sie bitte dafür sorgen, dass eine zweite Kasse aufgemacht wird?! Danke! Nicht den ersten Satz fand ich beleidigend, das Danke war es erstaunlicherweise, das ohne Pause und sehr selbstverständlich-hanseatisch nachgeschoben wurde. Fast hätte ich sie vorgelassen, aber echt auch nur fast, ich habe meine Zeit nämlich auch nicht gestohlen und muss diesen Artikel nieder ringen.

Schwärmereien

Es wird ja gerne gesagt, dass Trotzalter, Pubertät und Wechseljahre ein Nullsummenspiel sind. Was man da nicht hat, holt man irgendwo nach. Mein Mann muss sich auf was gefasst machen, ich hatte keine schlimme Pubertät. Vor allem hatte ich überhaupt keine einzige Schwärmerei. Das hole ich nun gründlich nach und zwar im klassischen Sektor. So geschehen heute an der Ampel. Man spottet ja gerne über Cabrios, die die Straße beschallen und zu solchen Leuten oder Gewohnheiten hätte ich mich niemals gezählt. Als ich allerdings einen Herren kichernd in mein Auto spähen sah, war mir rasch klar, warum. Ich hatte meine Arien so derartig laut, dass sicherlich auch die gesamte Straßenbahnhaltestelle ergriffen von der besungenen Tragik war.

Ja, auch ich reihe mich in die Schlange der Jonas-Kaufmann-Verehrerinnen, mir ist klar und das wurde mir natürlich auch aus auto-berufenem Munde versichert, dass das übler Mainstream sei, aber wer ihn wie ich vor sechs, sieben Jahren in der Carmen in Mailand gesehen hat, musste sich einfach unsterblich verlieben und damals war es sogar noch möglich, Karten zu bekommen. Kein Don José hat jemals mehr gelitten als er. Keiner wurde mehr gedemütigt durch den Torero, damals Erwin Schrott. Es war hochdeutsch gesagt eine Wucht in Tüten. Ab da habe ich teenagermäßig die Opernhäuser dieser Welt heim gesucht, wenn irgendwo Karten zu bekommen waren und gedenke das, auch weiterhin zu tun.

Der Herr heute an der Haltestelle hat offenbar meine Vorliebe geteilt und hat dirigierende Bewegungen mit seinem Stock gemacht. Wir haben uns angelacht und das behaupte ich, passiert einem mit reinem Gewummer aus den Boxen nicht. Ein bisschen rot bin ich allerdings geworden, wie ein Teenager halt.

Karikaturen, Kühe, Keine Lösung

Je suis Charlie. Ich muss zugeben, ich fühle mich nicht so sehr wie Charlie, eher fühle ich mit dem Jungbauern Forstmaier, der von seiner Mutter vom Hof geklagt wurde und seine 150 Milchkühe unversorgt zurück lassen musste. Das ist mir näher, das verstehe ich eher. Die Tragödien sind natürlich in der Ausprägung nicht vergleichbar, die Wurzeln jedoch ähneln sich. Es geht um die komplette Unfähigkeit Zuzuhören, die Unbereitschaft, einander zu verstehen, miteinander zu sprechen und zu erkennen, was dem Anderen wirklich etwas bedeutet. Der Fall Forstmaier in Bayern – ich muss es gestehen – beschäftigt mich inzwischen wie ein Krimi und ich frage mich: wie kann eine Mutter so etwas tun? Wie kann es soweit kommen? Wie kann es ein Sohn soweit kommen lassen? Ich möchte wissen, was da passiert ist.

Geht es wirklich um die kleinen Wünsche der Mutter, die bei der Planung des Austragshäusels nicht berücksichtigt wurden, wie zum Beispiel einen nicht zurück geschnittenen Baum oder die Ausstattung der Küche? Das kann doch nicht sein. Eine Frau hat ein Kind groß gezogen, das offenbar auch über Familiensinn, Empathie und Fleiß verfügt. Was ist da passiert? Warum um Himmels Willen kommt man aus einer solchen Spirale nicht mehr heraus? Zwischen Mutter und Sohn? Und da sind auch Schwestern da. Haben die versucht, zu vermitteln? Dass Menschen sich trennen, ja, ok, aber dass eine Mutter ihren Sohn, ihre Enkelkinder vom Hof klagt, erscheint mir so unvorstellbar wie die Anschläge in Paris.

Man kann so Vieles auf der Welt nicht verstehen, sich nur wundern, warum man sich in der kurzen Zeit, die man auf diesem Planeten hat, das antut. Einander aus dem Weg zu gehen ist doch auch eine Lösung, muss denn immer dieser Bekehrungs- und Rechthaberwillen siegen? Man könnte doch einfach – so wie ich bei fast allem im Moment – sozusagen mentale Gummihandschuhe anziehen und weder seinen Nägeln noch dem Anderen zu nahe kommen. Auf diese Art kommt man prima durch den Tag und das, was einem gut tut, kann man ja auch anfassen (Käsebrote zum Beispiel). Wenn das nicht geht, muss man es deshalb doch noch lange nicht zerstören. Also wirklich.

Schön aber tyrannisch

In Paris regnet es und ist warm. Ich muss dennoch Handschuhe tragen, weil ich ja die frischen Nägel habe. So Vieles kann ich nun verstehen. Unsere Vermieterin, Fleure, die sich, kaum dass sie eine Küche auch nur aus der Ferne sieht,  sofort Gummihandschuhe überstülpt, warum Frauen früher immer Handschuhe getragen haben, warum die Damen der Gesellschaft entweder diese fürchterlichen Gelnägel haben, die man – wie ich gestern erleben durfte – fast nur unter Einbuße der eigenen Hand wieder ab bekommt, oder Zugehfrauen haben. Ach und überhaupt würde ich meinen, dass viel Unglück auf der Welt daher kommt, weil man seine Hände nicht ordentlich benutzen kann.

Zum Glück kann ich mit ihnen schreiben, weil ich so kinderkurze Nägel habe (vom letzten Lackieren im November), aber sonst? Was tut man mit so langen, bunten, unpraktischen Händen den ganzen Tag über? Man wird zur Gefangenen seiner Nägel oder man lernt, mit ihnen zu leben. Wie eine Freundin von mir, die ungerührt mit zehn Zentimeter Absätzen neben mir durch das verschneite Sankt Petersburg gestöckelt ist, während ich mit Stiefeln noch kalt hatte, vom Rutschen jetzt mal nicht zu reden. Das ist wohl eine Einstellungssache wie so Vieles im Leben. Und eine Gewohnheit.

Dennoch. Wie oft geht es mir in Rom so – ich bin ja zum Glück beinahe schon immer ein Freiberufler -, dass ich da sitze, etwas schreibe oder rechne (ganz schlimm), versonnen nach draußen blicke und ein gelbes Blatt sehe. Dann kämpfe ich gegen meinen zwanghaften Kontrollzwang an und nötige mich zum ruhig weiterarbeiten. Dann schaue ich wieder hin. Und dann mache ich einen Handel mit mir, dass ich beim dritten Mal Hinschauen aufstehe und es abzupfe.

Das ist schnell geschehen, jedoch ist das erst der Anfang, denn dann beginnt das Drama seinen Lauf zu nehmen. Es bleibt natürlich nicht bei einem Blatt. Aus dem einen Blatt werden mehrere, es finden sich kleine welke Zweiglein, Unkraut hat sich breit gemacht, hinter dem Topf welkes Laub gesammelt (bitte denken Sie nicht, ich ließe meine Terrasse verwahrlosen, sie ist nur recht groß und ich bin nicht immer da, wie treue Leser ja am besten wissen müssten), wie sieht eigentlich der Orangenbaum aus? Und diese mistigen Rosen? Schon wieder leichter Schimmel und diese kleinen grünen Drecksbiester, die hoffnungsvolle zarte Knospen zum Frühstück nehmen. Da muss Gerät her.

Weil ich davon überzeugt bin, dass man immer in Kontakt mit der Natur sein soll, nehme ich meine Hände als Geräte. Wühle, zupfe und grabe. Erwache ich dann nach eineinhalb Stunden aus meinem Rausch, weil vielleicht gnädigerweise das Telefon klingelt oder ich Hunger bekomme und ich gehe rein zum Händewaschen, ist der Schock über ein gelbes Blatt vergleichsweise harmlos. Ich sehe aus als hätte ich zwanzig Katzenbabies groß gezogen, nur dass die roten Flecken auf meinen Händen nicht (nur) Blut sind, sondern der klägliche Rest meines Nagellacks. Dieses Mal wird das anders. Diese teure Farbe hält bis Sonntag Früh. Samstag sind wir auf einem Ball und basta. Und nach Rom fahre ich eh erst – wenn überhaupt – nächste Woche.

Alles auf Rot

Das hat schon einen Grund, warum ich nur einmal im Jahr zur Maniküre gehe. Alles wird wahnsinnig mühsam danach. Man mag ja gar nicht glauben, was man ununterbrochen mit den Händen tut. Und wie einen die Maniküristin (sagt man so?) anschaut, wenn man eben nur einmal im Jahr kommt. Was sie für Gerätschaften herbeischafft und auch skrupellos benutzt. Wahnsinn! Da ich unmöglich auch noch warten konnte, bis – nach vielen Schichten Unter-, Farb- und Überllack – all das bombenfest getrocknet ist, habe ich mir das Geld aus der Tasche ziehen lassen, weil ich das nicht mehr selbst tun konnte, den Mantel wie eine Dreijährige zuknöpfen lasen und bin mit wedelnden Händen mit meiner Freundin Betty zur Metro geeilt.

Metrofahren war laut Gladys aus dem Studio um diese Zeit ok, weil nicht viel los ist. Ich vermute, ansonsten hätte ich laufen müssen. Wäre nicht schlimm gewesen, nur dass ich eben keine Anweisungen vom Telefon bekommen hätte (weil ich es nicht aus der Manteltasche hätte holen können) und irgendwann zwar mit schönen Nägeln, aber erfroren in der Nähe des Boulevard Malherbes gefunden worden wäre. Aber, wie gesagt, Metro war ok. Nun ist es ein ungeschriebenes Gesetz dass die Metrotickets zwar eh nur dann durch die Maschine gehen, wenn sie möchten, jedes zweite ungefähr muss man bei der Information umtauschen, weil es trotz Jungfräulichkeit die Tore nicht öffnet, aber natürlich speziell, wenn man keine Hände hat, überhaupt nicht funktionieren. Das ist das umgekehrte Phänomen zum Zigaretten-Bus-Lippenstift-Ampel-Wunder aus vorhergehenden Beiträgen.

Betty hatte mir das Ticket extra schon rausgekramt, als wir noch im Nagelsalon waren, aber das hat alles nichts geholfen. Sie ist mit ihrem Navigopass durch die Barriere gestürmt und ich musste hilflos zusehen, weil mein Ticket nicht ging. In die Tasche konnte ich nach einer so kurzen Strecke noch nicht greifen. Geld konnte ich auch keines herausholen, also musste ich mich wohl oder übel mit erhobenen, albern wedelnden Händen über die Brüstung und zwischen diesen mörderischen Schwing-Klapp-Türen hindurch zu Betty beugen. Sie hat verzweifelt in meiner Tasche und meinen Manteltaschen genestelt, aber nichts außer alten Einkaufszetteln gefunden. Da kam eine Dame von hinten, das Drama ahnend, vermutlich wegen meiner emporgestreckten Hände, hielt ihren Navigopass ans Gerät und scheuchte mich durch, Allez-y, allez-y. Ich war sehr gerührt und habe beschlossen, viel, viel öfter zur Maniküre zu gehen. Nebenbei haben wir auch ein petit Restaurant entdeckt, das die weltbesten kleinen Club-Sandwiches und ein traumhaftes Pannacotta macht. Rote Nägel haben eigentlich nur Vorteile. Echt jetzt.