Bestimmt hat jeder während seiner Studien- oder Jugendzeit eine „Stammkneipe“ gehabt. Eine, in die er immer gegangen ist und der er treu geblieben ist. Und das über viele Jahre. Zumindest zu meiner Zeit gab es sowas noch. Gewechselt wurde nicht, warum auch? Man hätte so viele Leute motivieren müssen und es hätte letztlich ja gar nichts gebracht. Wir waren immer und immer im Odeon. Es gab zwar direkt in der Stadt noch eine andere Bar / Kneipe / Café, aber das war ein wenig halbseiden und es gingen Leute hin, die uns nicht zusagten. Und im Odeon war alles tippitoppi. Vielleicht war die Uhrzeit, ab der man hingehen konnte, etwas spät, aber bis halb elf konnte man ja trefflich zuhause schlafen, gar kein Problem. Im Odeon hatten wir wunderbare Abende, die immer gleich abliefen. Kein Wunder, waren es ja auch die immer gleichen Leute, die sich trafen. Andere hatten nach ein, zwei Erfahrungen mit uns auch keine große Lust mehr, uns näher kennenzulernen.
Der einzige Wermutstropfen am Odeon war seine unsensibel frühe Sperrstunde und die Parkplatzsituation. Um ein Uhr waren wir erst richtig warm gelaufen und dann sollten wir schon wieder gehen? Ärgerlich. Aber wenn Christian oder Norbert oder Herrmann die drei Lieder spielten, ließen sie danach auch nicht mehr mit sich reden. Nach „My Way“ war unerbittlich Schluss und wir sind quengelnd und pläneschmiedend in die Augsburger Nacht gezogen, die dann entweder bei jemandem daheim endete oder bei sich selbst daheim, was meist der Fall war, denn frische Luft wirkte auch damals schon ernüchternd. Nun, Jahrzehnte später und nach dem traurigen Tod eines der Gründer und Betreiber unseres studentischen Wohnzimmers, schließt das Odeon seine Pforten. Ich war in den Jahren nach meinem Studium nur noch ein oder zwei Mal dort und als ich das erste Mal respektvoll im Eingang gesiezt wurde, wusste ich, dass die gemeinsame Zeit vorbei war. Weil aber viele, viele Menschen meines Alters romantische Erinnerungen an die Brasserie hatten (wir wussten damals nicht, dass man dort auch essen konnte. Wie auch? Um diese Uhrzeit!), kam nun die Zeit der Abschiedspartys. Und so war ich in diesem Jahr so oft im Odeon wie in all den Jahren davor zusammen.
Die letzte Feier am Wochenende war erklärtermaßen die schönste. In Verbindung mit einem runden Geburtstag wurde noch einmal – eine Woche nach der offiziellen Schließung – die Flügeltüre aufgesperrt und mit großen Teilen der Originalcrew gefeiert, was das Zeug hielt. War es am Anfang noch sorglos lustig, begann sich leichte Melancholie in die wilde Feierlaune zu mischen. Erst recht als ich einen Aperol Spritz abgelehnt hatte und die Bedienung mir sagte, es sei der Letzte, jetzt sei die Flasche aus. Wie eine Verdurstende hab ich mich drauf gestürzt und ihn sehr andächtig getrunken. Unser altbekannter DJ, den wir von vielen, vielen Festen kennen und lieben, hat herrlichste Musik aufgelegt und bis um drei Uhr hat sich der verbleibende Rest der Illusion hingegeben, dass es doch noch ewig weitergeht. Denn auch wenn man nicht mehr hingegangen ist, das Odeon war trotzdem da und machte das Bild komplett. Die Jugendzeit gab es noch. Nicht aktiv, aber vorhanden. Um drei Uhr – eigentlich recht unvermittelt – kamen dann dennoch die immer schon gefürchteten drei Abschiedslieder: Auf der Reeperbahn, New York, New York und My Way. Wenige Augen blieben trocken, aber alles andere hätte das Odeon auch nicht verdient.
Sandra featuring Prunkschaf:
Ohoh, meine Stammkneipe, sowas gab es früher nicht. Wer meine Mutter kannte, weiß, wovon ich rede. Also mein „Stammlokal“ war eine Eisdiele, zwei Jahre lang. Ich war 16, meine Freundin 15. Mit dem Kleingeld, das mein Vater großzügig dem Wuzel und mir gab, gingen wir in die nahegelegenen Eisdiele, in der Lelio arbeitete. Italiener, damals eine Novität im römischen Feldlager und deshalb bestaunt. Ich trank immer Bananen- oder Erdbeermilch und starrte den Rest der Zeit Lelio an. Eigentlich kannte ich diese Freiheiten nicht, erst als ich mein erstes eigenes Pferd hatte, war ich lieber im Stall als irgendwo anders. Abends fortgehen ist nicht mein Ding, ich bin ein reiner Morgenmensch und Menschenansammlungen jeglicher Couleur liegen mir nicht, apropos liegen, wenn ich es genau nehme und so weitermache, kann ich bald ein neues Stammlokal nennen.
Sandra featuring Mare:
Also mich macht das etwas traurig, da ich auch viele Jahre ins Odeon gegangen bin. Überrascht bin ich, dass ich die Liebe Bloggerin nie bewusst getroffen habe, vor allem, wenn die bis tief in die Nacht getanzt hat. Also ich hatte mehrere Stammkneipen, da ich auch in verschiedenen Gruppen unterwegs war. Ja, ich hatte halt immer Angst, etwas zu versäumen als junges Mädel. Das Odeon war ja immer eine Yuppie-Kneipe, also ist man da als Hippie nicht hingegangen. Mit Handballern tanzt man eher in einer Haunstetter Pizzeria betrunken auf dem Tisch. Traurig bin ich trotzdem, weil dieses Lokal einfach zu Augsburg gehört hat.