Madame B. verlässt Paris

Gestern Abend hat es ziemlich spät noch an unserer direkten Haustüre geklingelt. In einer großen Stadt wie Paris, in der man an sich niemanden so gut kennt, dass er nach 20 Uhr noch spontan vorbei kommt, könnte man da schon nervös werden. Nicht so mein Mann (ich war drauf und dran, ein Küchenmesser parat zu halten). Und – wie fast immer – sollte er Recht behalten. Es war unsere goldige deutsche Nachbarin, der ich mich vor vier Jahren radebrechend auf Französisch vorgestellt habe und die in mein vor Anstrengung und Verlegenheit hochrotes Gesicht sagte, sie kenne den Brauch neuer Nachbarn sich vorzustellen sehr gut, sie sei nämlich selbst Deutsche. Was bin ich ihr um den Hals gefallen. Eine Deutsche, alt genug meine Mutter zu sein, als Nachbarin in dieser garstigen bösen großen Stadt. Ja, es gibt noch Wunder. Sie hat sich zwar als ein recht unstetes Wunder entpuppt, weil sie – ähnlich mir – dauernd zwischen Deutschland und Paris hin- und hergependelt ist, aber ab und an haben wir uns doch gesehen und mitsammen geplaudert.

Sie ist eine Seele von Mensch. Unbedarft und unkompliziert und vor allem gänzlich uneitel. Ihre Wohnung ist riesengroß und geht nach vorne raus. In jedem Zimmer ein Kamin, ein Traum. Allerdings wurde sie meiner Einschätzung nach das letzte Mal renoviert, als ihr Mann sie von seinen Eltern irgendwann nach dem Krieg übernommen hat und mit seiner ersten Frau eingezogen ist. Aber das hat Frau B. nie gestört. Sie hat alles so hingenommen wie es war und auch nicht in Frage gestellt. Auch als ihr Mann sie nicht gleich geheiratet hat, weil seine Frau krank war, nichts und niemand konnte ihre Ruhe stören. Das finde ich sehr bewundernswert. Umso trauriger war es, dass sie nach dem Tod ihres Mannes im letzten Jahr an der Garstigkeit des ältesten Sohnes ihres Mannes fast zerbrochen ist. Der hat mit 65 noch so nachgetreten als wäre er wieder 16. Wahrhaft erbärmlich.

Nunja, gestern Abend jedenfalls hat sie bei uns Licht gesehen und geklingelt, wir haben ein Glas Wein zusammen getrunken und sie kam auf die Geheimnisse der Wohnung zu sprechen. Und so sahen wir uns kurze Zeit später mit unserem besten Küchenmesser bewaffnet vor einer übertapezierten Wandschranktüre stehen. Sie hatte diese kurz erwähnt und – meine Vermutung – das nicht ohne Grund, denn sie war selbst ziemlich neugierig, hatte aber kein Werkzeug mehr. Wir haben zwar unser Küchenmesser abgebrochen, aber die Türe nicht aufbekommen. Was wohl dahinter verborgen ist? Und warum wurde gerade diese Türe zugespachtelt und übertapeziert? In Filmen sind in solchen Fällen geheime Dokumente oder verschollene Kunstwerke drin, Leichenteile eher nicht, würde ja riechen, aber im echten Leben? Wir werden weiter hier bleiben und sollte sich irgendetwas Aufregendes drüben tun, Freuden- oder Entsetzensschreie eingeschlossen, werde ich in diesem Blog als Erstes drüber berichten. Versprochen. Frau B. jedenfalls schließt ihr Pariser Leben ab und plant zu ihrem Geburtstag im Juni erstmal eine Reise nach Rügen. Recht hat sie. Das letzte Geschenk ihres Mannes an sie war das Parfum „La vie est belle“.

2 Gedanken zu „Madame B. verlässt Paris“

  1. Das ist eine wirklich zu Herzen gehende Geschichte. Da muss man weinen. Man kennt sich nicht, ist in einer fremden Stadt und findet doch zueinander und offenbart sich völlig vertrauensvoll. Unsere heutige Zeit hat doch nicht alles an Menschlichkeit verschüttet. Das ist eine so wundervolle Geschichte, die ich eigentlich nicht weiter kommentieren möchte. Tapetentüren finde ich auch toll. Als ich die Letzte geöffnet habe, war ich 20 und zusammen mit einer Freundin auch in Paris im Hotel und hinter der geöffneten Türe fanden wir einen halbbekleideten Mann, der nicht wirklich froh war über unsere Neugierde. Diese jetzige Tapetentüre öffnet natürlich allen Vermutungen Tür und Tor und ich würde evtl. ein Stemmeisen vom Hausmeister erbitten. Bin sehr neugierig.

  2. Irgendwie sehe ich diese nette Dame vor mir, wie sie vertrauensselig die Bloggerin anschaut und es ihr egal, ist ob sie ein Messer in der Hand hat oder nicht! Bin auch schon sehr neugierig, was hinter der Tür versteckt ist !

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