So verliebt oder die Vorstufe zu einem Drama?

Mir gegenüber im Zug hat in Straßburg ein Pärchen Platz genommen. Freundlich, aber bestimmt haben sie die ältere Dame gebeten, sich auf ihren eigenen reservierten Platz zu setzen, weil sie gerne die von ihnen reservierten Plätze auch einnehmen wollten. Zunächst dachte ich, sie wollten einfach gerne rückwärts fahren, was mir auch immer am liebsten ist, weil man die Landschaft besser betrachten kann. Aber bereits nach zwei Minuten, nein, nach zwei Sekunden war klar, warum sie auf Plätzen nebeneinander bestehen mussten: Sie können nicht einen einzigen Moment voneinander lassen, sich streicheln, küssen oder umarmen. Nun ist das bei Teenagern nichts Ungewöhnliches. Aber.

Sie sind beide Anfang, Mitte 30 und werfen dadurch zahlreiche Fragen auf. Sind sie frisch verliebt? Haben sie sich nach langer Entbehrung wieder gefunden? Haben sie eine Affaire? Sind sie seit zehn Jahren verheiratet und lieben einander einfach sehr? Das ist die Vermutung, die am entferntesten liegt, zumindest in unserem sozial-gesellschaftlichen Verständnis. Automatisch drängen sich Vorstellungen auf, wie sie zusammen schmusend den Abwasch machen, singend durchs Haus tänzeln und glückstrahlend die Waschmaschine einräumen. Das hat ja jeder von uns schon erlebt. Manche öfter, manche nur einmal. Diesen Zustand hormonellen Überschäumens, den man gerne Verliebtheit nennt. Und der nicht für die Ewigkeit hält. Also was mag es sein?

Sie fahren gemeinsam nach Paris. Aber sie sind Franzosen. Also muss es sich nicht um ein romantisches Wochenende handeln, denn die Franzosen kennen Paris und die Pariser meistens und kommen daher gar nicht erst auf solche Ideen. Sie könnten auch einfach heim fahren, dann wären sie Pariser und dann wäre das auch unwahrscheinlich. Oder sie sind Kollegen und befinden sich auf der Rückfahrt von einer Dienstreise, auf der sie ihre lange und immer unterdrückten Liebe endlich nachgeben konnten? Wie wahnsinnig gerne wüsste man bei solchem Verhalten die Hintergründe. Wie erstaunlich ist es, dass einem so ein schönes Gefühl wie Verliebtsein oder Liebe im Alltag erlebt, außergewöhnlich vorkommt, während man bei unwirschen Wortwechseln gleichgültig mit den Achseln zuckt. Ich muss zugeben, ein klitzekleines Bisschen irritierend ist es auch und ich hoffe und bete, dass sie beim Knutschen ein wenig die Formen wahren, wir haben immerhin noch zwei Stunden zu bewältigen. Jetzt macht er – während sie in seinem Arm schläft – laufend Selfies von sich beiden. Achje, oft beginnen Psychothriller so. Jetzt macht er nur noch Selfies von sich. Ich bin überzeugt, dass es zu einem Desaster führt, wenn sie aus dieser Krakenumarmung, was er Liebe nennt, aufwacht und sich trennt.

4 Gedanken zu „So verliebt oder die Vorstufe zu einem Drama?“

  1. Ich glaube, dass es sich bei diesem Paar um eine verbotene Liebe handelt! Oder vielleicht noch um ein Paar, das sich gerade erst mal zwei Monate kennt. Da ist dieser Verliebtseinhormonüberschuss noch sehr aktiv, dieser wird ja dann doch langsam weniger und man muss leider feststellen, wieder nur einen ganz normalen Mann eingefangen zu haben. Mit etwas Pech auch noch einen mit klitzekleinen Fehlern. Fatal, fatal. Oder, Mme. hat etwas angestellt und versucht durch überdurchschnittliches Schmusig-sein vorneweg schon mal die Situation zu entschärfen. Oder er hat versprochen, keine Einwände mehr gegen die Anschaffung von Hund, Katze, Pferd, neuem Auto oder so zu haben. Dankbarkeit spielt oft eine tragende Rolle. Abschließend, sie kennen sich ganz frisch und echt bedauerlich, dass die sehr verehrte Bloggerin nicht nachgefragt hat, was denn nun Sache sei. Ich denke über die Anschaffung eines Mikrofons nach, gerne blind, aber die Leute lassen sich sicher aushorchen. Jetzt liege ich wieder die halbe Nacht wach und weiß nichts.

    1. Habe auch über Mikro nachgedacht, aber die haben nur gegurrt oder geflüstert oder gestammelt und dann auch noch auf französisch. Bin auch sehr unzufrieden. Der Mann, wegen dem ich mal eine Zeitlang hormonell überschüssig war, ist bereits eine Stunde in Verzug, das Essen leider nicht.

  2. Ach Mädels ! Was waren das für Zeiten, als man sich nicht lange kannte und bei jeder Gelegenheit über einander herfiel (ich hoffe, das darf man in einem öffentlichen Blog schreiben). Nun ja, auch ich kann mich daran erinnern. Jetzt nach vielen Jahren des Zusammensein legt sich dieser Hormonschwall deutlich und angesichts meines Alters setzen noch andere Befindlichkeiten ein, die ich hier nicht weiter erläutern möchte. Dieses Paar kennt sich sicherlich nicht sehr lange, höchstens ein Jahr, sonst würden die sich nicht so verhalten. Alles hat seine Zeit und manchmal trauert man ihr hinterher, sowie beim Handballfieber der letzten Wochen. Ich habe teilweise so mitgefiebert, dass ich heulen hätte können, weil ich mich an diese tolle Zeit noch sehr gut erinnern kann. Und ganz ehrlich, wenn ich mir was wünschen könnte, würde ich lieber nochmal den alles entscheidenden Wurf aufs Tor halten wollen als kuschelnd im Zug zu sitzen. Das bleibt aber unter uns!

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