Kennen Sie das? Sie sitzen jemandem gegenüber, im Wartezimmer oder im Zug wie bei mir und lächeln, einfach so, um eine Verbindung, zumindest aber keine negative Verbindung herzustellen und Ihr Gegenüber schaut einfach zurück, bzw. zögert genau die Sekunde, in der sich ein Machtungleichgewicht einstellt. Sie lächeln, das Gegenüber nicht. Und Sie wissen, dass Sie sich noch genau 3.29 Stunden gegenüber sitzen werden. Der Zug ist nämlich rammelvoll.
Das ist mir heute passiert und es hat mich erbost. Weil es an so einem schönen Tag eigentlich überhaupt keinen Grund gibt, nicht zu lächeln und wenn man schwanger und nur am Bauch kugelrund ist und sonst alles dünn, dann doch erst recht nicht. Aber die Zugfahrt war lange und ich hatte das falsche Buch dabei, da kommt man ins Grübeln. Und vielleicht dachte ich mir, hat sie ja trotzdem Sorgen, auch wenn man von außen gar nicht meinen möchte, dass das so ist. Vielleicht war der glatzköpfige Mann neben ihr ein Arbeitskollege, der sie wie eine Antilope hetzt und genau die Zeit im Kreissaal dafür hernehmen wird, sie auszubooten bei diesem riesigen Projekt, über das sie die ganze Zeit gesprochen haben. Zuzutrauen wäre es ihm. Er hat mir ja auch nicht mit dem Koffer geholfen. Flegel. Französischer. Is doch wahr. Aber vielleicht ist sie einfach miesmuschelig. Das kann ja auch sein.
In so einer Situation würde man sich doch einen beherzten älteren Herren als Gegenüber wünschen. Gerade so einen wie den, der heute aus seinem Pflegeheim in England ausgebüchst ist. Denn der D-Day, den ich bislang aus völlig unverständlichen Gründen nicht so recht beachtet hatte, bringt offenbar nicht nur bei mir und meiner englischen Freundin das Reisefieber hervor, sondern auch bei einem echten Kriegsveteranen. Der ist, nachdem man es ihm offiziell nicht ermöglichen konnte und es ihm dann verboten hatte, kurzerhand mit seinen Kumpels in den Bus gestiegen. Ziel: Normandie.
Er wollte dort seiner gefallenen Kameraden gedenken. Das finde ich so eine schöne Geschichte, so eine mutige und energische Geste, dass ich mich frage: warum sitzt so jemand in einem Pflegeheim und muss sich Dinge verbieten lassen, die seine ureigensten Wünsche betreffen? Kann das richtig sein? Natürlich muss man in einem solchen Heim schon schauen, dass nicht dauernd Party und Ponyhof ist, geht ja nicht allen gleich gut, aber warum gibt es um Himmels Willen niemanden, der mit ihm da hin fährt? So langsam frage ich mich, ob ich nicht wirklich besser dorthin gefahren wäre. Der Veteran und ich hätten uns angelächelt, er hätte sich über meinen Badeanzug gefreut und meine englische Freundin hätte mich vermutlich mit einer kleinen Medaille ausgezeichnet. Nächstes Jahr bin ich bereit.
Das mit dem Lächeln passiert auch nur so harmoniesüchtigen Schafen wie uns. Ich habe mir nach derartigen Erfahrungen vorgenommen, nie mehr nett zu sein, aber bei mir schlägt Alzheimer zu und schon grinse ich wieder. Ich habe es heute wie dieser alte Mann gemacht, habe mein „Pflegeheim“ zwar genehmigt verlassen, aber nur zum Zweck des wilden Austobens. Und um dem vergeblichen Lächeln der höflichen deutschen Bloggerin in Zukunft vorzubeugen, ist mir auch schon etwas eingefallen. Etwas Geduld ma Chere!