Haben muss

In einer Zeitschrift bin ich allen Ernstes auf diesen Auswuchs kindischer Willensäußerung – in Form einer offenbar regelmäßigen Kolumne – gestoßen. Soll das die Übersetzung von Must have sein? Oder zum Ausdruck bringen, was offenkundig ist: dass Der- oder Diejenige zwar weiß, wie man einen Parka zu einem Fransenkleid kombiniert, mit der simpelsten Grammatik jedoch ernsthafte Schwierigkeiten hat? Kann das erstrebenswert sein? In dieser Zeitschrift sehen übrigens die meisten Frauen hm, wie soll man sagen? Easy to get? Leicht zu haben? aus. Oder sie setzen alles dran, um auf Fotos wie Schulmädchen mit sechs bis acht Jahren rüber zu kommen. Beine werden knochig O-beinig voreinander gestellt und die Regieanweisung scheint in den meisten Fällen zu lauten: Erinnere Dich an Deinen ersten Schultag und stell Dich genauso hin.

Ist das die Antwort auf die immer komplexer werdende Welt? Kleinmädchengesten und Kapuzenpullis? Hätte das nicht eher in die Nachkriegsjahre gepasst, in denen man Grund hatte, sich zu flüchten. Hat man jetzt keine Veranlassung mehr, erwachsen zu sein, weil eh alles so prima chillig und vorhanden ist? Reden wir uns die Komplexität der Welt einfach ein bisschen ein? Wenn es um Computerspiele geht oder halblebige Sexbücher (und deren Verfilmungen) möchten alle wie die Erwachsenen mitspielen, in der Mode kann’s gar nicht chillig genug sein. Das Thema Jogginghose aus der Gangsterszene hatten wir schon und was als nächstes vom hochgelobten Streetstyle zu erwarten ist, mag man sich kaum ausmalen.

Ein bisschen erinnert diese Flucht in den Straßenstil daran, dass Designern halt auch einfach nicht mehr viel einfällt, weil zusammenpassen dürfen Kleidungsstücke zum einen überhaupt nicht und – so der Eindruck – passen schon gar nicht. Wir haben hier in Paris wieder die Ausläufer der Modewoche und ein paar Versprengte huschen immer noch wehmütig herum. Sehr viele sehen trotz ihrer hochmodischen, streetstyligen Mode, die immer die Idee des ‚Hach, ich bin einfach so wie ich war aus dem Haus geschossen und hab mir noch ein Beanie über meine seit einer Woche nicht gewaschenen Haare gestülpt‘ vermitteln, großartig aus. Das ist ein Wunder und einzig und alleine der Natur geschuldet. Sicher nicht dem, was sie tragen. Zu toppen ist dieses ‚Haben muss‘ übrigens in meinen Augen nur noch durch ‚Haben will‘. Das kommt in dieselbe Kategorie wie das Weglassen des Verbs in einem Satz, den Kinder gerne sagen: Kann ich nen Saft? Was? Machen? Essen? Holen? Trinken? Können ist ein Hilfsverb. Was bei Haben muss alles fehlt – außer Hirn – kann ich gar nicht auflisten. Hab die Zeitschrift weggeworfen. Haben muss nicht.

4 Gedanken zu „Haben muss“

  1. Einen Tag habe ich die Zügel schleifen lassen und schon ist es passiert. Ich hinke, ach was renne hinterher! Sowas aber auch. Es ist dem zufolge auch egal, worauf ich zuerst antworte.

    Die weggeworfene Zeitung habe ich gekauft, um nicht immer modisch hinter allen Bergen zu sein. Ich dachte, etwas Gutes für die Generation der sehr verehrten Bloggerin zu tun. Was wohl ein Schuss in den Ofen war. Also ich bin ja auch der Meinung, dass diese Mädels alle sehr bescheiden aussehen, egal wie verrupft und verwegen sie sich kleiden. Das liegt aber zum großen Teil auch daran, dass sie bei 1,50 Meter Körpergröße alle das Wachstum eingestellt haben. Und, Zwerge gut zu fotografieren, ist eine Kunst. Sie sehen halt immer gewollt und nicht gekonnt aus.

    Meinen Fußballgott hat fast der Schlag getroffen, als er mich mit diesem Journal sah. Naja, man kann sich ja mal irren. Und übrigens glaube ich, dass es ganz schön mühsam ist, sich so zu kleiden, denn ich weiß ganz genau, welche langen Überlegungen hinter meiner vermeintlich legeren Kleidung, spontan was übergeworfen, liegen. Das hat man schon mal gedanklich durchlaufen lassen, vielleicht sogar schon mal ausprobiert um dann ganz entspannt göttinnengleich zu erscheinen.

    Gerade die vermeintlich einfachen Dinge machen die meiste Arbeit. So z.B. gebratene Auberginen. Da denkt man sich doch nichts Böses. Ds kann ich auch nur sagen, Finger weg und dann die Reste wegwerfen!

  2. So, da bin ich ja sowas von raus. Habe mir gestern die Brigitte Woman gekauft, weil ich dachte, ach komm, lies mal mehr und schau net nur Bilder an. Also ich weiß ja nicht, was die Damen für ein Heft gekauft haben, aber bitte kauft nicht die Woman, wenn ihr euch nicht schlagartig 10 Jahre älter fühlen wollt. Kauft lieber die Hefte der jungen Biberle, dann hat man zwar was zu meckern und zum wundern, aber man fühlt sich jünger. Mich erinnert das alles, ehrlich gesagt, an meine Eltern, die die Hände über dem Kopf zusammen schlugen, als sie meine Kleidungswahl sahen. Mich hat das ja modisch vollkommen verunsichert, deshalb lasse ich meine Tochter weitgehend rumlaufen, wie sie will. Na ja, vielleicht werden wir einfach älter und verstehen die jungen Leute nicht mehr und das ist wahrscheinlich gut so. Sollen sie doch ihre eigenen Erfahrungen machen.

    1. Ja, also das ist so weise und der Gedanke ist mir in der Tat auch schon gekommen. Natürlich werde ich mich in jedem Fall ab jetzt über diese grässlichen Mützen freuen, die ja schon fast wieder out sind, aber mich immer noch zur Weißglut treiben.

  3. Also Mare, ich bin entsetzt, Du bist viel zu jung, um Brigitte Woman zu kaufen. Nicht mal ich, die ich Deine Mutter sein könnte, fühle mich alt genug für dieses Journal. Nein, nein, Du musst es wie ich machen, kauf mal In Style, ha, da bist Du mitten im Leben, gib halt dieses Heft nicht unbedingt unserer sehr verehrten Bloggerin, selbige wirft es nämlich weg, wegen angeblicher Unlesbarkeit. Also ich finde schon, dass man den einen oder anderen Tipp vorsichtig umsetzen könnte, wenn man sich trauen würde. Du darfst Dich dann halt nicht bei Deiner Tochter sehen lassen, genauso wie ich!

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