Gerade rücken

Ich habe eine kleine – liebenswerte, wie ich finde – Marotte, die sicherlich tief in meine Psyche blicken lässt, darüber bin ich mir im Klaren. Sie schadet an sich niemandem, im Gegenteil, sie ist sogar nützlich. Egal, wo ich gehe und stehe, kaum lässt man mir Zeit (weil ich auf einen Termin warte, darauf, dass man mir Blut abnimmt, dass der Drucker in der Bank endlich seinen Dienst tut, man meine neue Brille in der Werkstatt findet etc.), beginne ich, die allgegenwärtigen Prospekte zu sortieren und ordentlich zusammenzuschieben. Manchmal klopfe ich sie auf dem Tisch auf, um sie dann mit einem erleichterten „So“ wieder hinzulegen. Zuhause würde mir das nicht passieren. Leider.

Heute beim Blutdruckmessen ist mein Blick an einem hübschen, aber sehr schief hängenden Bild hängen geblieben und beim Rausgehen, als mein einwandfreier Blutdruck notiert wurde (er hat sich wegen des Bildes nicht verändert, so schlimm ist die Marotte noch nicht), hab ich es schnell grad gerückt und bin ins Grübeln geraten. Schließlich kann es ebenso gut passieren, dass ich im Vorbeigehen ein welkes Blatt von einer straßenbildverzierenden städtischen Pflanze abzupfe oder schnell einer Freundin ein Haar vom schwarzen Pulli zupfe – umgekehrt bin ich dafür übrigens auch sehr dankbar.

Aber ich bin nicht alleine. Eine Freundin von mir ist jüngst aus trauter Studienstammtischrunde von Tisch, Wein und Pizza aufgesprungen mit den Worten: entschuldigt bitte, aber ich kann das nicht ertragen. Flugs war sie an die Wand geeilt und hat – unter unser aller Beihilfe – den Stein des Anstoßes gerade gerückt. Beinahe war ich beschämt, weil mich selbst die dampfende Pizza davon abgelenkt hatte, allerdings sooo schief war es nun auch wieder nicht. Diese selbe Freundin hat mir nach dem Bezug ihres Traumhauses vor einigen Jahren zugeraunt, sie wäre abendlich recht lange damit beschäftigt, die Edelstahloberflächen tapper- und streifenfrei zu bekommen. Das ist doch schön, wenn man nicht alleine mit seinen kleinen Eigenheiten ist.

Das sagen übrigens auch viele Chinesen, die sich jetzt langsam, langsam an die Dienste eines Psychiaters wagen, weil sie dem westlichen Leistungsdruck einfach nicht mehr gewachsen sind und in Depressionen verfallen. Wahrhaft allemal besser ist das Geraderücken von Printmaterial als die Marotte, über die ich mich – ebenfalls in diesem Wartezimmer – informiert habe: die sogenannten PUAs, die Pick-up-Artists. Das sind Frauenaufreißer, die sich mit ihren dubiosen und schändlichen Akquisemethoden von beischlafwilligen Frauen in einigen Ländern sogar schon Einreiseverbot erarbeitet haben. Da glaube ich, kann ich von Glück reden mit meinem Geraderückwahn. Die Praxis übrigens auch. Ich habe natürlich alle Zeitschriften ordentlich sortiert.

3 thoughts on “Gerade rücken

  1. Bei dieser Glosse fällt mir nur der Film von Loriot dazu ein, der ein schiefes Bild in einem Wohnzimmer gerade rücken will und nach langem Hin und Her das ganze Wohnzimmer zerlegt hat. Also immer schön vorsichtig. Ach, ich mag so Vieles nicht, das ich sehe, aber meine Marotte ist der Zwang in mir, mich daran zu hindern auf fremdem Terrain einzugreifen. Manchmal müsste man ganz Wohnungen umdekorieren, weil sie nicht schief, sondern nur scheußlich eingerichtet sind. Also eine Freundin habe ich schon, die im Laufe von fünf Jahren, die ich nun schon auf sie einwirke, viele Dinge in der Wohnung und am Mann geändert hat. Ha! Manchmal lasse ich meine Mitmenschen ganze Kommoden in Wohnräumen verschieben, weil ich den Anblick nicht ertragen kann und ich wundere mich, wie bereitwillig mitgemacht wird. Und ich kann auch überraschend kommen, es steht noch alles so, wie ich es angeordnet habe!
    Nur bei meiner sehr verehrten Bloggerin geht das gar nicht! Werde mal Prospekte mitbringen und in der Wohnung ablegen hihihi…..

  2. Fast wäre ich drauf reingefallen, das Bild wurde ausgetauscht. So geht das nicht, ich dachte ich muss schon wieder meine grauen Zellen durcheinander wirbeln und gescheite Dinge von mir geben. Also wirklich.

    • Shame on me, aber es passt besser! Hatte heute zwischen Telekom, Mutter- und Freundinnenbesuch und Metro und Yoga und Artikel leider keine Zeit. Dachte, Täuschungsmanöver tut’s auch.

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