Finalmente Venezia

Traditionen müssen gelebt werden. Erstens, um überhaupt entstehen zu können und zweitens um nicht zu sterben. Und so plagen wir uns Jahr für Jahr im Winter nach Venedig. Und seit wir vor Jahren mal durch Zufall und beinahe völlig zerstritten (um diese Zeit des Jahres gibt es bei uns entsetzlich viele Missverständnisse, weil halt an Weihnachten einer anschaffen muss und das meistens ich bin, weil ich zuhause bin und weiß, was für Fondue zu tun ist, etc.) ein wunderbares neapolitanisches Restaurant entdeckt haben, das ich sehr liebe, weil ich dort mein Zutrauen zu Krustentieren wiedergefunden habe, möchte ich dort jedes Jahr wieder hin gehen. ACHTUNG: Aufgrund großer Müdigkeit musste dieser Blogeintrag unterbrochen werden und das ist gut so! Wir waren inzwischen in diesem legendären Restaurant und nun kann ich die schalen Worte meiner Freundin verstehen, die auch dort war und auf meine begeisterte Nachfrage nur lasch sagte, ach, naja, da haben wir aber auch besser gegessen. Ich dachte mir noch, wie ist sie doch verzogen. Aber von wegen. Das Restaurant hat aufgrund meiner furiosen und kostspieligen Krustentierliebe umbauen können und zwar nicht zu seinem Vorteil. Alles ist neonhell und sieht aus wie der Konferenzraum eines Hotels. Greulich. Das Essen war versalzen und es gab auch gar nicht mehr die vielen kleine neapolitanischen Schweinerein auf Kosten des Hauses vorweg (mir ist natürlich klar, dass die nie auf Kosten des Hauses, sondern immer nur auf meine, bzw. die Kosten meines Mannes waren! Bin ja nicht doof!). Alles in allem war es eine Enttäuschung, unterhaltungstechnisch jedoch nicht, weil wir gegen Ende des Jahres immer viel zu besprechen haben, was zunächst vor sich hinbroddelt und dann rausblubbert wie der Vesuv oder wie dieses neapolitanische Dings eben heißt. Hinter uns saß ein zauberhaftes älteres Paar, die sich dauernd geneckt haben und sehr verliebt waren. Aber vielleicht haben sie sich auch gerade erst über Parship gefunden. Kann ja heute alles sein. Ich bin immer so leichtgläubig. Das letzte Mal, als ich seufzend dachte, oh mei, so alte Kinder und noch so verliebt, waren die erst seit acht Wochen beinander und noch völlig im Hormonrausch. Also bitte.

Auf dem Weg dorthin war jedenfalls Grund genug für Unstimmigkeiten, weil ich an jeder Ecke sehnsüchtig gekräht habe, wie gemütlich und schön dieses und jenes Restaurant doch aussähe, denn eigentlich hatte ich nicht mehr viel Hunger nach all den Aperitivi, die wir am Nachmittag schon genommen hatten. Und wenn ich keinen Hunger habe, bin ich auch nicht unbedingt willens, weit zu laufen. Wenn ich Hunger habe, allerdings auch nicht. Ach, es ist sicher auch nicht einfach mit mir. Das denke ich mir sogar beim Schreiben. Was jedoch für mich spricht, ist die unbedingte Zuverlässigkeit und Planungsgenauigkeit. Dass ich mich manchmal selbst fast zu Tränen rühre, wenn ich zum Beispiel in Paris feststelle, dass ich einen Ersatzsüßstoff im Schrank habe oder einen Zettel vorfinde, wo ich das Geld versteckt habe (das mach ich manchmal, man weiß ja nie, wer in die Wohnung kommt und dann kenne ich mich doch auch zu genau, um zu wissen, dass ich es sicherlich selber auch vergesse und in Panik verfalle, weil ich vergessen habe, dass ich es versteckt habe und davon überzeugt bin, dass es gestohlen worden ist), hab ich schon geschrieben. Aber was eben als Erinnerungsfunktion in meinem Computer aufgepoppt ist, hat mir dann doch die Sprache verschlagen: „Morgen 20.00 Uhr Essen im Rosa Rossa“.

Dazu muss ich ausholen: Auf dem langen Weg zu unserem ehemaligen Lieblingsrestaurant kamen wir an einer Pizzeria vorbei, die mir bekannt vorkam. Ich habe lange in meinem Gedächtnis gekramt und mir gedacht, da wollte ich sicher mal essen gehen. Kaum daheim hüpft also die Erinnerung an eben dieses Restaurant hoch. Ich bin sowas von entzückt von mir selbst, weil ich mir eben nicht denke: ach, das merk ich mir, sondern vorausblickend und mich selbst kennend denke, schreib es Dir auf, dann freust Du Dich! Zum Ende eines langen Jahres kann man ruhig auch mal wegen solcher Kleinigkeiten zufrieden und stolz mit und auf sich sein. Vielleicht gehen wir da morgen hin. Vielleicht wird es mein neues Lieblingsrestaurant. Ich werde berichten.