Evakuierung

Zurück auf meinem Sofa, in meiner nicht gesprengten und geplünderten Wohnung kehrt nun auch bei mir der Weihnachtsfrieden ein. War das eine Aufregung. Aber wie die liebe Mare schon geschrieben hat: wir haben versucht, das Beste draus zu machen und ich darf sagen: gut ist’s gegangen. Wir waren supervorbereitet und haben uns zu jedem Zeitpunkt sicher und gut gefühlt. In ein Hotel zu gehen, war die beste Entscheidung überhaupt und weil ich auch meine Liebsten dort verwahrt hatte, musste ich mich darum schon mal nicht sorgen. Und gerade, als ich für meinen Vater nach einem Zimmer gefragt hatte, kam die Nachricht: die Bombe ist entschärft. Wie beim Zigarettenanzünden an der Bushaltestelle. Nun schreibt mir meine Mutter, die weltgewandt die weitere gebuchte und bezahlte Nacht im Hotel verbracht hat, dass sie gerade mit den Entschärfern frühstückt und so dürften wir uns heute bei der verschobenen Acht-Kilo-Monstergans auch noch auf gänsehautige Anekdoten freuen und können uns wohlig gruseln.

Die Mischung der Menschen im Hotel war einzigartig. Da saß ein britisches Pärchen, sie mit dunkler Sonnenbrille und ansonsten alles in Glitzer mit ihrem kordhosengewandeten Gatten, der ihr ratlos und zunehmend verzweifelt immer wieder eine Limo gebracht hat, weil sie sich so gefürchtet hat. Vermutlich war es ein Verwandter von ihr, der das Biest in unserer Stadt abgeworfen hat und sie hatte deshalb so viel Angst. Oder die scheue Nachbarin von meiner Mama, die mit keinem Menschen spricht und – so sagte sie – lieber wieder in die Wohnung umkehrt, als jemandem auf dem Weg zum Briefkasten zu begegnen. Mit uns musste sie sprechen, als wir die zweite Flasche Prosecco bestellt hatte und meine Mama zum ersten Mal in ihrem Leben ein Clubsandwich gegessen hatte. Etwas, das sie – auch unter Evakuierungsumständen – nicht wieder zu essen gedenkt. Kurzum, wir haben es uns wirklich nett gemacht, zumindest ich hätte auch kleidungstechnisch noch etwas verweilen können, weil ich meine Lieblingskleider mitgenommen hatte (man weiß ja nie) und ich bin glücklich und dankbar, nicht nur über den guten Ausgang, sondern auch dafür, dass wir das überhaupt so überbrücken konnten.

Wieder einmal muss ich feststellen, dass es schön ist, Hilfe angeboten zu bekommen und wenn man alles getan habe, um sich selbst zu helfen, ist es wunderschön, sie anzunehmen. Andere in ihrer Lebensführung möglichst wenig zu beeinflussen, halte ich jedoch nach wie vor für einen Garant für Glück und wenn man sich möglichst lange den Luxus erhalten kann, Dinge freiwillig zu tun und nicht, weil man sie muss, dann sollte man das genießen. Ich jedenfalls werde heute sehr freiwillig unser Gänselein (hihihi) genießen und ganz viel Champagner auf die Entschärfungshelden und die Organisatoren meiner lieben kleinen Stadt trinken. Denn bei allem Gemaule über alles Provinzielle und manchmal Kleingeistige bleibt als Ergebnis stehen: Die Stadt hat eine Mammutaufgabe unter besonderen Umständen, innerhalb kürzester Zeit und mit unglaublicher Umsicht und Sorgfalt bravourös gemeistert. Ich bin sehr stolz auf mein Augsburg.