Neapel ….. nicht sehen

So, also ich habe mich gestern ergeben und habe wieder eine schwarze Strumpfhose und Stiefel, einen echten Rolli und einen Winterrock angezogen. Nur bei der Jacke war ich bockig und habe auf ein kurzes, farbiges Frühjahrs/Sommerdingelchen gesetzt und prompt gefroren wie ein Schneider. Allein was bringt’s, wenn man auf seinem Willen beharrt, wenn sämtliche Umstände dagegen sind und eher schlimmer als besser werden? Dann ist es auch kein Zeichen von Charakter mehr, sondern eher ein bisschen kindisch, auf seiner Sicht der Welt zu beharren und an Ideen stur festzuhalten. In der Psychologie wird „erwachsen“ als ein Zustand beschrieben, bei dem sich das Handeln an den aktuellen Gegebenheiten und Erfordernissen ausrichtet und nicht nur von Handlungsmustern und unverarbeiteten Erfahrungen geleitet wird. Und so habe ich in den letzten Tagen erstaunt und verwundert wahrgenommen, wie viele supererwachsene Menschen es gibt, die einfach alleine deshalb nicht frieren, weil sie nicht die doofe Maxime haben: Einmal keine Strümpfe mehr, nie mehr Strümpfe bis zum nächsten Winter. Sie sind fröhlich und warm mit ihren Daunenkapuzenjacken und Stiefeln an mir vorbei gehoppelt, während ich erbärmlich mit meinen Turnschuhen oder Ballerinas Pfützen mit Schneematsch umhüpft bin. Blöd sowas. Aber immerhin korrigierbar.

Dieses situativ nicht Angepasste ist ein zweischneidiges Schwert: gibt man seine Ziele zu schnell auf, erreicht man sie nicht. Verharrt man zu lange in ihnen und hält zu sehr an ihnen fest, bringen sie meist auch nicht das gewünschte Resultat. Sie sind zu hart erkämpft und können all den Ärger, den sie im Vorfeld verursacht haben, gar nicht mehr wett machen. Sie werden zu einer Enttäuschung.

Mir geht es zum Beispiel mit diesem blöden Neapel so. Seit über fünfzehn Jahren möchte ich in diese Stadt und zwar mal so richtig. Wir waren vor zehn Jahren für zwei Stunden an einem verregneten Sonntag dort, aber ich habe meinen Mann ein klitzekleines bisschen im Verdacht, dass wir absichtlich nur in scheußlichen Ecken waren, denn ich kann mich an rein gar nichts mehr erinnern, was bei dieser Stadt anscheinend völlig unmöglich ist, zumindest, wenn man all den begeisterten Berichten meiner Bekannten glauben darf. In den Osterferien haben wir erneut einen großen Anlauf genommen, ich hatte es als eine Art Überraschungsangriff geplant, aber auch das hat nicht funktioniert. Es war wohl noch nicht so weit und als die Schwierigkeiten immer absurder wurden, sogar unser Boiler sich eingeschaltet hat, indem er sich ausgeschaltet hat, habe ich den Wink des Schicksals erkannt und die Reise abgesagt. Offenbar ist es wirklich so einfach wie unsere Omas und Opas schon wussten: Jedes Ding hat seine Zeit. Schön, wenn man die erkennen kann. Ich trage gerade Fellstiefel. Das nur nebenbei.

Männer im Supermarkt

Ich fahre ja oft und gerne zum Einkaufen. Vor allem hier in Rom. Die meisten Leute in den Geschäften meiner Wahl arbeiten schon seit Ewigkeiten dort und so kennen wir uns und freuen uns aufeinander. Vom Metzger werde ich regelmäßig zur deutschen Politik befragt, was mich fast in ebensogroße Verlegenheit bringt, wie die gleich darauffolgenden Fragen nach dem deutschen Fußball. Meist verstehe ich sie gar nicht so richtig, weil der Dialekt doch sehr arg ist und auch ein wenig Genuschel hinzu kommt. In meinem Supermarkt, den ich vor Jahren aus der Versenkung meiner Gedanken gehoben habe und in dem ich inzwischen wie ein Großwildjäger, nein eher wie ein Trüffelsammler wahre Schätze entdecke und berge, habe ich ein paar fröhliche Mädels, mit denen man herrlich über das Leben an sich und im Speziellen philosophieren kann. Fast immer sind sie fröhlich, nennen einen Amore oder Bella und scheinen sich ein Loch in die Mütze zu freuen, wenn man ein halbes Brot möchte.

Nun hat der Supermarkt – vermutlich nicht nur dank meiner wiederaufgenommen Einkäufe dort – vor zwei Jahren total renoviert und seitdem haben wir auch eine Wursttheke. Zunächst dachte ich noch: naaaa, das geht doch nie, das ist doch so ein günstiger Supermarkt, fast wie der Aldi, was soll es da schon geben?! Aber weil man ja Neueerungen gegenüber aufgeschlossen sein soll, habe ich dort meinen gekochten Schinken gekauft. Zunächst nur hundert Gramm und ganz dünn geschnitten. Und als ich forsch auf die Frage nach der Sorte geantwortet habe, dass ich bitte gerne den besten hätte, konnte ich bei dem Schinkenschneider ein rasches Glitzern in den Augen sehen, denn fast nichts freut sie mehr als eine willfährige Kundin, die aber schon auch das Beste zu schätzen weiß, sich aber gleichzeitig anleiten lässt und angebotene Ware erster Güte probiert und danach auch noch sagt, dass sie vorzüglich war. Eine ebensolche kann ich sein. Ein Bund fürs Leben war geschmiedet mit Alessio und Michele (glaub ich). Alessio zeigt mir seine Zuneigung inzwischen verbal, indem er gerne in englischen Brocken mit mir kommuniziert, was fast noch schwieriger zu verstehen ist als der römische Dialekt vom Metzger gegenüber oder handfest, indem er mich mit Mozzarrella- und Schinkenstücken abfüttert. Wir sind ein Dreamteam und er hat mir versichert, er würde Frauen immer und in jeder Form zufrieden stellen, was mich sehr beruhigt. Für mich und auch für seine Frau.

Gestern, als ich zu einer für mich sehr ungewöhnlichen Zeit einkaufen gefahren war, habe ich bereits auf dem Parkpatz frohlockt. Nur ein anderes Auto, wo sich normalerweise zwanzig stapeln – ein Traum. Auch drinnen gähnende Leere, ein,zwei verlorene Männer, sonst nichts. In fünf Minuten bist Du raus, dachte ich mir und bin frohgemut in Richtung Schinken gestürzt. Ein Kunde vor mir – prima! Alessio krähte erfreut sein Ciao Bellissima und als ich gehört habe, dass er auch schon genau wusste, was ebendieser Kunde vor mir nehmen wird (due, due, due, vero? – si!), hab ich mich schon auf meine eigene Bestellung vorbereitet. Fast hätte ich sie vergessen. Was sind Männer nur für Ratschkattln! Fußball, Fernsehen, Frauen – alles haben sie eingehend besprochen, der Wahnsinn! Dann kam noch einer angeschlendert, der zwar keinen Schinken wollte, aber ganz sicher auch mitreden und schön langsam habe ich angefangen innerlich von tausend runter zu zählen. Irgendwann war ich dann doch dran, habe Alessio während des Bestellvorgangs die Basics im Deutschen (ich liebe Dich) beigebracht und wurde durch diese ganze Bummelei Zeuge eines mörderischen Streits zwischen dem Fleischzerteiler, den wir Kunden gar nie zu Gesicht bekommen, weil er immer im Kühlraum sein muss (was offenbar auch seinen guten Grund hat!!!) und der Filialleiterin. Es scheint so, als ob der Kühlraum Sergejs Gemüt erst so richtig aufgeheizt habe, es hat nicht viel gefehlt und er hätte sein Hackebeil geholt. Ich komme immer wieder zu dem Schluss: Männer im Einkaufs- und Verkaufsbereich müssen mit Bedacht gewählt werden. Männer im Einkaufssektor sogar mit noch mehr Bedacht. Sie können sonst ganze Lawinen an Stau und Empörung auslösen.

Der Tag des Schweinehunds

Die Gattung der immer populärer werden Schweinehunde ist eine Kreuzung aus schlechtem Gewissen und Notwendigkeit, der ewige Konflikt zwischen Es und Über-Ich, ein zähes Ringen, wer diesmal die Oberhand gewinnt. Ich habe meinen zauberhaften Schweinehund an sich ganz gut im Griff, will heißen, wir haben einen recht stabilen Nichtangriffspakt. Zum Beispiel haben wir uns drauf geeinigt, dass wir, wenn wir mehr als drei Mal denken: an sich müsste ich…., gemeinsam aufstehen und diese leidige Angelegenheit anpacken oder auch zu Ende führen, je nachdem in welchem Stadium sie sich befindet. Das können Kleinigkeiten wie Flusen auf dem dunklen Parkett und gelbe Blätter am Strauch vor der Sonnenliege ebenso sein wie nicht begonnene oder nicht beendete Texte oder Körperertüchtigungsübungen. Auch Blogbeiträge können durchaus zu einer Angelegenheit werden, derer sich mein lieber flauschiger Schweinehund anzunehmen berufen fühlt. Dann nämlich, wenn mich über Tage nicht die Muse küsst oder einfach nichts wirklich Gedankenvolles in meinem Leben geschieht. Das Geheimnis der meisten Schreibenden ist wohl, sich täglich zu einer festen Urzeit hinzusetzen und einfach mal drauf los zu schreiben. Damit werden der Geist, Schweinehund und vermutlich auch die ganzen Finger konditioniert, etwas zu tun.

Die magische „Drei“ bis zum Start hat in unserem ausgeklügelten System durchaus einen Sinn und sollte keinesfalls als Vorabzugeständnis an meinen hübschen Schweinehund verstanden werden. Gäbe es sie nicht und würde ich sofort losstürmen, wenn ein unliebsamer Gedanke durch meinen Kopf schießt, würden ungleich mehr Dinge in meinem Leben zu Belangen ebenjenes Schweinehundes werden. Niemals würde ich die Steckdose unter meinem Schreibtisch innen und außen vom Staub befreien, das Geheimnis meiner blühenden Terrasse liegt vermutlich in der Flucht vor meinem Schweinehund und viele meiner besten Rezepte haben dort ihren Ursprung. Denn ich stelle mich auf der Flucht vor dem Schweinehund gerne auch mal vor den Kühlschrank und überlege, was ich essen könnte. Das ist mitunter schwierig, denn oftmals versuche ich ihn auch laienhaft zu überlisten, indem ich mir vornehme, erst dann einkaufen zu gehen (zum Beispiel feinsten gekochten Schinken), wenn dieses oder jenes zu meiner eigenen und nicht seiner Zufriedenheit erledigt ist. Dieser Blogbeitrag zum Beispiel ist zu 90 % meinem felligen Kumpel zu verdanken…..

Und so möchte ich den heutigen Tag zum Tag des Schweinehundes ausrufen. Für alles und jedes gibt es einen Tag, warum nicht auch für ihn. Er regt uns an zur Kreativität, lässt uns Dinge tun, die wir eigentlich auch mal machen könnten, hält den Kontakt zu Menschen, die wir schon lange mal anrufen wollten, macht uns erfinderisch, lässt uns geduldig mit uns selbst sein und zu guter Letzt: gibt klein bei und folgt, wenn wir es wirklich wollen. Ein prima Kerl dieser Schweinehund. Was könnte ich bloß jetzt noch tun?? Ah, ich hab’s: Ich habe gegoogelt, welchen Tag der internationale Tag des Schweinehundes wohl verdrängen würde und siehe da – es ist der Tag der Kosmonauten. Das Weltall – ebenso weit und tief und unergründet wie der Schweinehund selbst.

Alte Griechen, rotzige Eichhörnchen

So! Kennt jemand die Kitkat-Werbung mit den Pandabären? Die, bei der ein Fotograf einen ganzen Tag lang vor einem Pandagehege auf der Lauer liegt, um die blöden Bären zu filmen? Und als er sich dann einmal erschöpft umdreht, fahren sie hinter seinem Rücken auf Rollschuhen hin und her und machen Kunststücke. Und ganz genau so ist es mir heute gegangen. Nur mit einem oder zwei Eichhörnchen. Schon den ganzen Morgen, als mir der Sinn wahrlich noch nicht nach Akrobatik gestanden ist, haben ein oder zwei Eichkater die Bäume unsicher gemacht. Sind aufreizend langsam Äste auf- und abgewandert und haben lange und possierlich an gut einsehbaren Orten verweilt. Da ich den gesamten Winter mit dem Teleobjektiv neben mir am Schreibtisch verbracht hatte, nur um eine gute Serie zu machen, dachte ich, hat ja ja eh keinen Sinn, denn bis ich die Kamera schussbereit hab, sind die Biester längst wieder in ihren Astlöchern. Ich habe sozusagen völlig losgelassen und auch die kleinen Gedanken in meinem Hinterkopf verbannt, dass nun einer der letzten Tage sei, an denen solche Aufnahmen noch möglich sein dürften. Man kann den Blättern vor dem Balkon nämlich beim Wachsen zuschauen und damit sind dann auch die Eichhörnchen für eine lange Zeit wieder unsichtbar. Aber egal, ich war gelassen.

Beim Mittagessen – zum ersten Mal draußen übrigens – ist ein anderer (laut meinem Mann) Eichkater hin- und hergerast. Ich war immer noch ganz cool und habe ihm meine Überzeugung diesbezüglich erläutert. Dann hab ich mich an meine Lieblingsfilme auf ARTE erinnert, wo Naturforscher stundenlang ein Mauseloch bewachen und gleich darauf bekam ich wunderschöne Storchenaufnahmen von meiner Mutter geschickt. Also gut, also gut, hab ich mir gedacht, dann hol ich jetzt den Foto, schraub das Tele drauf und lege mich auf die Lauer. Und was soll ich sagen? Alle Eichhörnchen wie vom Erdboden verschluckt. In der Zwischenzeit hab ich in der Sonne gelegen, gelesen, ein Schläfchen gemacht, gebügelt, einen Film gesehen und was man halt an einem Sonntag so macht. Kein Eichhörnchen. Ich könnte schwören, dass wenn ich meine Ausrüstung rein bringe, die Eichhörnchen aufatmend all die Kunststücke turnen, die sie sich in den vergangenen Stunden in ihren doofen Höhlen ausgedacht haben. Wenigstens bleibt mir die Schadenfreude, dass es da drin recht warm und stickig gewesen sein muss.

Welche Wahnsinnsnaturgesetze sind es, die sowas geschehen lassen? Die Busse länger aufhalten, wenn man auf sie wartet? Die Ampeln, die immer rot sind, auf grüne Welle schalten, wenn man sich einmal den Lippenstift nachlegen möchte? Die Kassenschlangen, die kürzer sind als alle anderen, mit dem einzigen Kunden versehen, der zuerst bar zahlen möchte, dann das Geld nicht hat, dann mit EC-Karte und dann seine Geheimzahl nicht kennt? Oder mit einem, der eine Flüssigzitrone ohne Etikett nimmt? Liegt das wirklich an der eigenen Wahrnehmung? Oder doch an den bösartigen Eichhörnchen? Es geschieht ja recht häufig, dass verschiedene Menschen dieselbe Situation völlig unterschiedlich erleben und dieses Phänomen hat schon der griechische Philosoph Epiktet benannt: Es sind nicht die Dinge an sich, die uns beunruhigen, sondern unsere Sicht der Dinge, bzw. wie wir sie bewerten. In dieser ganz speziellen Situation fällt es mir sehr schwer, das Verhalten der Eichhörnchen anders zu betrachten als als das, was es letztlich ist: eine bodenlose Frechheit!

NACHTRAG: Das war der 600. Beitrag!!!

Dazwischen leben

Nach solchen Highlights wie einer ganzen Geburtstagswoche, die – ich muss es zugeben – fast schon royale Züge angenommen hat, könnte man ja durchaus in ein Loch fallen. Tut man aber nicht. Weil man schlau ist und sich gleich weitere schöne Dinge vornimmt oder sie zumindest plant. Nach Paris fahren zum Beispiel. Oder den nächsten Fünfziger am drauffolgenden Wochenende feiern oder weitere Geburtstage in der Familie begehen. Schönes vorzuhaben ist etwas ganz Wichtiges finde ich und bei mir stellt sich das – wie bei anderen vielleicht auch – relativ leicht dar, denn an sich muss es nichts Großes sein. Mit einer Freundin Cappuccino trinken reicht schon. Bei mir kommt – betrachtet man es positiv – auch noch hinzu, dass ich meinen Mann immer nur am Wochenende sehe und es damit einfach ist, etwas Schönes vor sich zu haben. Die wahre Kunst besteht darin, auch dazwischen zu leben. Klar, leben tut man schon, aber auch mit der Intensität? Mit der Freude? Dem Elan? Was macht das Leben aus? Die Spannung, das Neue, die Aufregung? Das Warten auf was Schönes? Braucht es (das Leben) – wie das Gehirn – auch Phasen, all das zu verarbeiten und mal ruhig vor sich hin zu sortieren? Kommen die automatisch? Sollte man also Gas geben, solange es geht? Oder ist das typabhängig? Von allem ein bisschen vermutlich.

Was passiert, wenn man immer aufregende neue Dinge tut? Nie Routine hat? Oder im Gegenteil gar keine neuen Dinge erlebt, nicht unter Menschen ist und ein einziges tägliches Einerlei hat? Beides ist vermutlich fatal und wie bei allem macht der Wechsel die Mischung aus. Wie ein Intervalltraining im Wald. Hundert Meter rennen, fünf Minuten gehen, hundert Meter hüpfen, wieder gehen. Menschen, die immer unterwegs sind, nie dasselbe tun, müssen doch wahnsinnig müde werden. Sie kommen glaube ich in so einen unwirklichen Zustand, der sie nur noch auf Sparflamme atmen und leben lässt und sie überhaupt nicht mehr runter- und bei sich ankommen. Oder ist das dann ihre Routine? Sind sie dran gewöhnt? Ein Freund von uns tut sich wahnsinnig schwer damit, mehr als vier wache Stunden zuhause zu sein, ohne etwas vorzuhaben oder essen zu gehen. Ich würde da verrückt werden. Mein Leben unter der Woche ist so dermaßen ruhig und voller Routine, dass es zum Piepen ist. Ich könnte das gar nicht aushalten, wenn ich jeden Tag irgendwas Neues zu tun hätte. Meine nettesten Tage sind die, bei denen der Gang zur Schneiderin das Highlight ist und ich ansonsten vor mich hintippe. Manchmal nehme ich mir dann noch vor, abends aus zu gehen und verwerfe es dann schaudernd wieder, worüber ich mich wahnsinnig freuen kann, weil es ist, als würde man bei P&C was kaufen und es dann wieder zurück bringen. Das ist wie gespart oder verdient oder Schlimmes abgewendet. Eigenartig unser kleines faules Gehirn oder? Will alles so rasch wie möglich standardisieren und einordnen. Damit es weniger Arbeit mit uns hat.

Wahrscheinlich ist es wohl wichtig, beide Phasen zu genießen und sie auch bewusst suchen. Gerade bei so überaus besonderen Gelegenheiten wie einer Feier kann man sehen, wie viel Energie da rumhüpft und wie sehr sie die Menschen aufladen kann. Wie sie auftauen und sich freuen und Teile von sich entdecken, von denen sie selbst nicht mehr wussten, dass sie da sind. Und dann ist es wieder traumhaft, einen Tag auf dem Sofa zu verbringen und gar nicht raus zu gehen. Eine liebe Freundin von mir hat sich vor sehr vielen Jahren mal wahnsinnig echauffiert, dass ich in verschiedenen Gruppen verschiedene Menschen bin. Heute weiß ich, dass das völlig normal ist, dass jeder Mensch verschiedene Rollen in verschiedenen Umfeldern einnimmt. Das macht die Vielfalt eines Charakters und eines Wesens aus. Und genauso ist es auch mit dem Leben, glaube ich. Denn eigentlich ist es so wie mein Mann immer wieder sagt, wenn ich mich fürchterlich über etwas aufrege: Alles geht in Wellen, mal hoch, mal runter, ist immer in Bewegung. Das ist Leben. Schön ist das. Und schön ist auch, wenn man so einen klugen Mann hat.

Streiks

Wenn ich einmal in unsere Hauptstadt reisen möchte, den Flug schon gebucht habe und auch schon weiß, was ich anziehen möchte, lauert ein Hindernis der ganz anderen Art. Eines, das wir in unserem kleinen Augsburg fast gar nicht kennen. Ein Streik. Und zwar des Bodenpersonals am Flughafen. Für einen Bahnfahrer wie mich ein Schlag ins Gesicht. Ein Streik – ich habe das eben nachgeschaut – ist ein Schlag, ein Streich. In jedem Fall ein Mittel des Arbeitskampfes, um Ziele zu erreichen. Selten geht es dabei um mehr Arbeit für weniger Geld. Fast immer, so scheint es, finden Streiks im öffentlichen Verkehr statt. Oder bemerken wir sie nur dort? Wenn ein paar Autos nicht rechtzeitig zusammengeschraubt werden, ist das sicherlich auch ärgerlich, trifft aber nur die Wenigsten. Wenn Bahnhöfe oder Flughäfen bestreikt werden, ist das was völlig anderes. Das trifft dann viele und die sind sauer. Und wirklich nur die allerwenigsten können und wollen verstehen, warum diese Streiks notwendig sein sollen. Sind die Unternehmen wirklich so verbohrt, raffgierig und kurzsichtig wie es immer heißt? Schütten sie wirklich all ihre Gewinne an die Aktionäre aus? Und überhaupt: an welche Aktionäre? Haben die Berliner Flughäfen Aktionäre? Oder geht es hier darum, dass wir supergünstig fliegen können?

Wie das mit der Günstigfliegerei geht, ist mir sowieso ein völliges Rätsel. Nicht, dass es mich nicht freuen würde, ich profitiere sehr davon und könnte mir mein Leben ansonsten keineswegs in diesem Stile leisten. Früher, zu reinen Lufthansa- oder Alitalia-Zeiten musste man echte Hin- und Rückflüge buchen und die gab’s selten unter fünf, sechshundert Mark. Da war es dann schon sehr ärgerlich, wenn ein Termin verlegt wurde und man schnell zurück nach Deutschland musste. Wer zahlt also für diese Erleichterung? Das Benzin ist nicht billiger geworden, das wissen wir alle, auch wenn wir immer nur für zwanzig Euro tanken. Die Flugzeuge selbst sind es hoffentlich auch nicht. An der Wartung wird hoffentlich ebenfalls nicht gespart und auch an der Ausbildung der Piloten nicht. Hoffe ich mal. Vielleicht sind die Uniformen der armen Stewardessen aus nicht ganz so hautfreundlichem Material. Auch wird sicherlich an Design und Tragekomfort zugunsten von Fleckabweisbarkeit des Stoffes gespart. Wo hat sich dann also dieses riesige Einsparpotenzial aufgetan, von dem wir alle so trefflich profitieren, wenn wir für 19 Euro nach London fliegen? Wo übrigens ein Tagespass für den Bus teurer ist?! Klar, wir buchen inzwischen selbst, drucken unser Ticket selber aus, checken uns ein, zahlen für unser Gepäck und so weiter und so fort.

Aber ist es vielleicht doch auch das Bodenpersonal, an dem gespart wird? Die Flugbegleiter? Immerhin streiken sie ja im flotten Wechsel. Und wenn es nicht die sind, dann sicher die im Gegenzug millionärshaft verdienenden Piloten. Wir bekommen nur die ärgerlichen Auswirkungen mit, das ist klar und leider gibt es auch unter den mir bekannten Flugbegleitern keinen echten Streiknickl, den ich fragen könnte. Dennoch frage ich mich: gibt es nicht auch andere Berufe, wo ein Streik noch gerechter wäre? Krankenpfleger zum Beispiel? Freie Journalisten? Scherz beiseite, ich möchte sicherlich nicht die Arbeit von Krankenpflegern mit der von freien Journalisten vergleichen, aber während Erstere nicht streiken, weil sie wissen, dass dann Menschen sterben, lohnt es sich bei freien Journalisten nicht, weil jeden Morgen Tausende aufstehen, die alles täten, um überhaupt veröffentlicht zu werden. Auch umsonst. Was ich an sich sagen möchte: Klar sind Streiks sauärgerlich und klar soll jeder froh, sein, dass noch keine Maschine seinen Job macht, die Macht liegt jedoch wie immer in der Einigkeit der Betroffenen. Und irgendwo muss bei dieser ganzen Sache doch der Hund begraben sein, oder?

Baguetteannagen

Nur wenig Dinge im Leben sind verlockender als ein frisches Brot/Baguette oder gekochter Schinken aus Italien. Und deshalb gelingt es mir fast niemals, von einem frisch gekauften Brot oder eben Baguette nicht sofort ein Stück abzunagen. Früher war ich der Schreck meiner Mutter, wenn ich ausgehöhlte Brote vom Bäcker mit nach Hause gebracht habe. Heute der meines Mannes, der es unpassend findet, dem Baguette noch im Geschäft oder auf der Straße den Po abzunagen. Ihm zuliebe beherrsche ich mich bis nach der Kasse. Denn normalerweise nehme ich es und breche ein Stück ab. Schlimm. Das mit dem Schinken in Italien ist hingegen ein Kindheitsversprechen an mich selbst. Früher, wenn wir unsere Ferien in Italien verbracht haben, gab es einen kleinen „Despar“, bei dem man schon auch mal Bonbons rausbekommen hat, wenn kein Kleingeld in der Kasse war oder es sich um so piepkleine Beträge gehandelt hat, die beim besten Willen nicht mehr monetarisierbar waren. Dort haben wir unsere größeren und kleineren Einkäufe erledigt. Und neben massig Schokolade und Ovomaltine für meinen unterernährten Vater, gab es auch immer den herrlichen gekochten Schinken, der in Italien so ganz anders schmeckte und immer noch schmeckt als in Deutschland.

Schon der Kauf war außerordentlich aufregend. Die Maschinen viel größer und auch die Verpackung. Die Ware wurde in Waschspalier eingewickelt, der Preis mit dickem schwarzen Filzstift auf das hellbraune Papier geschrieben und dann thronte er duftend in unserem Kühlschrank. Hauchdünn war er geschnitten und herrlich trocken (ich mag außer bei Fleisch fast gar nichts Saftiges, vielleicht noch bei Zwetschgendatschi, aber keinesfalls bei Garnelen oder Fisch!!!). Und er sollte die Quelle einer großen Sehnsucht werden. Er war nämlich für den Papa. Man konnte schon mal eine Scheibe haben, aber nicht die Mengen, die ich gerne gehabt hätte. Und damals vor dem kleinen Kühlschrank in der Küche mit dem Vorhang habe ich mir geschworen: wenn ich mal groß bin, kaufe ich mir gekochten italienischen Schinken, so viel ich will. Und esse ihn ohne Brot. Morgens, mittags und abends. Nun muss man wissen, es gab bei uns vernünftigerweise auch keine Cola oder Fanta oder so einen Kram. Aber das war mir relativ egal. Der Schinken war und ist bis heute hingegen eine große Freude für mich und mein Metzger in Rom weiß ganz genau, dass es keine gute Idee ist, ihn erstens zu dick zu schneiden und mit zweitens nicht probieren zu lassen.

Nun bin ich sicherlich mit solchen Kindheitserinnerungen oder -sehnsüchten gut dran und kann sie relativ harmlos im Leben ausleben (natürlich hilft es, dass ich regelmäßig in Italien bin, wer weiß, welch schlimme Störung sich sonst in mir breit gemacht hätte), aber was ist mit all den Menschen, denen (noch) Wichtigeres als dieser Schinken gefehlt hat? Neulich habe ich in der Mediathek einen Zweiteiler über den zweiten Weltkrieg gesehen und dass damals Kinder nach England verschickt wurden. Sie lebten dort bei fremden Familien – über Jahre hinweg – und sollten dann wieder zurück zu ihren eigenen (traumatisierten) Eltern. Wie soll das gehen? Und wie kann es sein, dass unsere Wohlstandskinder heute beinahe verstörter, dicker und lebensunfähiger im Sinne von sozial auffällig sind als diese Kinder? Fehlt ihnen das Korsett der Disziplin, an dem sie sich halten können? Ich für meinen (kindheitserinnernden) Teil freue mich jedenfalls sehr, dass ich momentan zwar noch in Paris, morgen aber bereits in Rom sein werde und als eine der ersten Taten mindestens 200 Gramm gekochten Schinken ordern werde. Wieviel davon nach Hause kommt, steht auf einem anderen Blatt.

Eine Yacht ist immer länger

Früher habe ich über Menschen wie ich es heute bin, gekichert. Sucht sich jemand wirklich einen Film vorher aus, den er im Fernsehen anschaut? Stimmt es, wenn jemand sagt, er schaut am liebsten „ARTE“ oder inzwischen auch „Servus TV“? Wegen der schönen Tier- und Landschaftsfilme? Oder Dokumentationen? Kann doch gar nicht sein, dachte ich mir. Aber heute gebe ich freimütig zu: Ja, wenn ich schaue, dann gezielt. Und bei der heutigen Recherche, nachdem ich zwei Tage hintereinander aus war und deshalb ein ganz schlechtes Gewissen habe, bin ich auf eine beachtliche Doku gestoßen: „Arme Reiche“. Da ist die Rede von Selbsthilfegruppen für Multimillionäre und der Disziplin „Reichtumsforschung“, die auf wissenschaftliche Erkenntnisse zur Vermögenskultur abzielt. Die Sorgen der Reichen drehen sich – wer hätte es gedacht – ums Geld. Also nicht viel anders als bei Nicht-Reichen. Dabei kann einem die Niedrigsinspolitik genauso zusetzen wie Währungskrisen oder Vermögenssteuern. Ein Elend. Wahrlich.

Habe ich neulich noch gelesen, dass manche Reiche – allerdings in diesem Fall Milliardäre – immer einen vollgetankten Heli mit laufenden Rotorblättern bereit stehen haben, um sich im Fall eines politischen Zusammenbruchs in ihrem Land (Trump!) oder zu vielen Immigranten schnell, schnell an einen anderen sicheren Ort transportieren zu lassen. Klar ist es prima, wenn man derartige Fall-Back-Options hat, aber lebt man damit ruhiger oder eher unruhiger? Kann wirklich so viel passieren? Klar, wenn es denn soweit ist, ärgert man sich, nicht drüber nachgedacht zu haben. Aber immer daran denken? Auch nicht schön. Was noch viel weniger schön sein muss, ist, dass fast immer jemand zehn Zentimeter mehr Yacht hat oder eine Flügellänge voraus im Privatjet ist. Und weil mir das Schicksal hold ist und mir eine Vorabend-Magazinsendung anschaue, weiß ich auch, dass eine wahnsinnig hässliche, ziemlich alte Multimillionärin sich wieder mit ihrem fast schon teeniehaften (sie 76, er 50) Liebhaber ausgesöhnt hat. Kichernd mutmaßte er, er hätte ihr einen 49-Karat-Ring geschenkt, sie wollte wohl aber einen 50-Karäter. Klar, da würde ich meinem Mann auch das Gesicht zerkratzen.

Geht man die Thematik mal streng logisch an, wird schnell klar: Um wirklich richtig (erfolg)reich zu werden, braucht es eine gehörige Prise Narzissmus (hab neulich gelesen, dass überdurchschnittlich viele Narzissten in den Führungsetagen zu finden sind). Der gibt nämlich den nötigen Schwung, all seine Ideen für großartig und umsetzbar zu halten und das ist ja meist schon die halbe Miete (nur bei US-Präsident scheint es dann doch nicht zu genügen). Ärgerlich für Narzissten ist dann nur noch, dass sie auch wahnsinnig schnell gekränkt sind, andere Menschen oftmals für ihre Zwecke ausbeuten und deshalb kein wirklich stabiles Freundessystem aufbauen konnten und wollten. Und dann sind wir ziemlich schnell beim Thema „Arme Reiche“. Ich möchte jetzt nicht den Gänseblümchenspruch „wer Freunde hat, ist reich“ zitieren, aber es ist schon was dran, dass es zum Glück beiträgt, sich über einen der ersten Sonnentage freuen zu können. Und wenn man dann noch jemand hat, mit dem man in der Sonne einen Cappuccino trinken kann, kann der Heli ruhig am Boden bleiben. Auch wenn die Frau am Nebentisch eine echt hübsche Handtasche hatte….

Männer in Filzpantoffeln

Über so vieles im Leben macht man sich Gedanken: Werde ich die Prüfung bestehen? Hab ich noch Butter im Haus? Passt der schwarze Rolli zum silbernen Plisseerock? Über so vieles andere wiederum nicht. Das ist ein Fehler, wie ich spätestens seit einer kürzlichen Veranstaltung weiß. Die Frage der Stunde müsste lauten: dürfen Männer bei einer Einladung im eigenen Haus gemütliche, ausgelatschte Filzpantoffeln tragen? Hm. Wer hätte sich darüber je Gedanken gemacht? Es war nie notwendig und schwupps sind wir bei dem, was mein Orga-Professor an der Uni einen „Hygienefaktor“ genannt hat. Und der hat an sich recht wenig mit Hygiene zu tun. Konkret geht es dabei um die Umstände und Fakten, die nicht positiv auffallen, wenn sie vorhanden sind, weil sie – ähnlich wie saubere Waschräume – als eine Selbstverständlichkeit vorausgesetzt werden. Sind sie jedoch mangelhaft oder liegen gar nicht erst vor, fallen sie umso unangenehmer auf und haben auch Einfluss auf andere, durchaus positive Umstände und Elemente. Sie haben also eine geheime Macht, die erst durch ihre Abwesenheit zum Tragen kommt. Voll fies sowas.

Bei manchen Dingen braucht es aber tatsächlich so einen Hygienefaktor, der dem eigenen Unwohlsein bei bislang unbedachten Sachverhalten so richtig Form und Gestalt gibt. Wenn es bei uns klingelt oder wir Besuch haben, werde ich echt fuchsig, wenn mein Mann keine Schuhe anhat, bei Frauen geht es im Sommer vielleicht noch, wenn sie barfuß sind, aber Männer sollten in meinem Unterbewusstsein wohl doch immer verteidigungs- oder auch angriffsbereit sein. Und das sind sie nun mal nicht in Schluppen. Daher fürchte ich auch nichts mehr als Einladungen, wo ich Schuhe vor der Haustüre (entsetzlich) oder im Flur (grauenvoll) vorfinde und mir liebevoll ein Paar Pantoffeln hingestellt wird. Ich hab mir etwas gedacht, als ich genau diese Schuhe zu meinem Outfit gewählt habe. Es wirkt in Strümpfen einfach nicht. Oder ich bin tollkühn bei Eisregen barfuß in Lackschuhe gehüpft, weil ich ein bisschen Sommergefühl haben wollte und es einfach besser aussieht. Dann wirke ich wie eine hilflose Ente, die sich durch hohes Laub watschelt. Ein einziger Graus. Und kein Parkett der Welt kann dies wert sein finde ich (deshalb sieht meines auch so aus wie es aussieht).

Was ist es, das Schuhe so besonders macht? Die Frage an sich ist für Frauen beinahe unvorstellbar, die meisten würden nur selten auf eine Gelegenheit verzichten, neue, hohe, unbequeme, einzigartige oder seltene Schuhe zu tragen und zu zeigen. Schuhe haben so viele Vorteile. Sie sind nicht weiter nachtragend, auch wenn man zwei Wochen nur von Eis und Pasta und Weißwein gelebt hat, ignorieren, dass die Jeans von H&M und das T-Shirt vom Freund ist, gehen eine Allianz mit der Handtasche ein oder stemmen sich ihr charakterstark entgegen und verleihen der Trägerin Streetstyle-Chic, kurzum: Schuhe sind unverzichtbare Begleiter im Leben. Vielleicht nicht im Haus. Dort kann auf sie verzichtet werden, aber wenn ich drüber nachdenke, auch erst in den letzten Jahren. Meine Mutter oder meinen Vater habe ich selten bis niemals ohne Schuhe gesehen. Wikipedia sagt dazu: „In der Antike war das Tragen von Schuhes das Vorrecht der Herrschenden und damit ein Symbol der Macht, während die Sklaven barfuß gehen mussten.“ Erniedrigt man sich also selbst, wenn man sich anderen barfuß präsentiert? Oder ist es in einem bestimmten gesellschaftlichen Kontext einfach respektlos, in Filzpantoffeln aufzukreuzen? Egal wie, auch hier haben Frauen einfach ein natürliches Gefühl für Anstand und Sitte: sie würden nur unter ganz besonderen Umständen eine Gelegenheit auslassen, ihre Schuhe zu zeigen. Und wir ertragen auch noch mit Gleichmut die ständig wiederkehrenden Fragen, ob wir nicht schon ein paar „schwarze, hohe Schuhe“ hätten…..Ja, so sind wir.

Liftgespräche und Schussfahren

Wir sind beim Skifahren. Wahnsinnig toll. Wie zwei Pferde, die zu lange im Stall waren, rasen wir – man möchte sagen: hirnlos, aber dafür sind wir zu vorsichtig und zu betagt, um die Folgen außer Acht zu lassen – seit zwei Tagen die Berge rauf und runter. Keiner möchte gerne mit uns fahren, die einzigen, die das gerne würden, müssen arbeiten, weil wir schrecklich außer Rand und Band sind. Gerade am Morgen, wenn noch wenige Leute unterwegs sind, gibt es ein, zwei Pisten, die dauern kaum eine Minute zum Abfahren und ca. vier Minuten Lift. Und eben auf dieser Piste hatten wir einen Parallellauf mit zwei anderen Skifahrern, zwei Männern, einer Oberbayer und Gschaftlhuber, der andere Düsseldorfer und sichtlich bemüht, so cool zu sein wie sein bayerischer Freund mit der weißen Porschebrille. Ich muss zugeben, ich hab extra Gas gegeben, um auch ja nichts von den Gesprächen im Lift zu versäumen. Es gab durchaus einen Einblick in die männliche Psyche, die ja oft verkannt wird, offenbar aber nicht immer soooo tiefgründig ist, um irgendwas zu verkennen.

Die Angelika auf der Maierlalm wäre ja also jetzt verliebt in ihn und würde sich Hoffnungen machen, da müsse man schon aufpassen. Warum? Na, ganz klar. Im Sommer arbeite sie auf Ibiza und vermiete dort Häuser und der Düsseldorfer (das Boatscherl) suche ein solches. Da hat er ihr seine Visitenkarte gegeben. Ist doch klar, dass sie sich jetzt Hoffnungen macht, törichtes kleines Ding, das sie nun mal ist. Und weil die Kerstin, des Düsseldorfers Gattin, eh eher ungern die Hänge rauf- und runtersaust und er das auch gar nicht so schlimm findet, müsse er doch gleich zwei Mal aufpassen. So sein weltmännischer bayerischer Freund. Dass man für zwei Kinder im Tagesskikurs, wo sie nur Schlepper fahren und zu zwanzigst rumrutschen 35 Euro pro Kind zahlt, weiß ich jetzt auch. Leider haben wir sie wegen einem kurzen Gerangel beim Einsteigen verloren und dann haben sie wohl auch die Lust verloren und eine andere Piste gewählt. Doof, hätte gerne noch mehr gelernt.

Gleich auf den nächsten Fahrten wurden wir dafür in die Denkstrukturen unserer jungen Hoffnungsträger, der berufstätigen Checker in Großstädten eingeweiht. Ja, man könne jetzt langsam wieder mit dem Rad zur Arbeit fahren, aber es wäre weitaus chilliger, von Zuhause aus zu arbeiten und dann einfach an der Isar entlang zu radeln, da der Weg durch die Stadt doch die volle Chemiedröhnung sei. Außerdem wäre die Kundenstruktur sowieso so unglaublich global, dass es wenig Sinn mache, sie vom Büro aus zu betreuen. Wir spitzten neugierig die Ohren, welch wahnsinnig aufregende Tätigkeit sich dahinter verberge, wurden dann aber jäh enttäuscht, als es hieß, manche könne man auch von den Eltern aus in Stuttgart betreuen, da ginge dann ein Regionalzug hin. Was soll man sagen? Sind das die Abenteuer der heutigen Jugend? Reutlingen, Biberach und co? Ganz so trist ist es aber doch nicht, denn bei einer unserer letzten Liftfahrten – wir waren am Nachmittag etwas entnervt von all den wahnsinnig schlechten Skifahrern, noch schlimmer aber von den hirnlosen Schussfahrern – durften wir lernen, was junge Menschen antreibt: drei verschiedene Apps auf dem Handy und der GoPro, die die Distanz messen und vor allem die Geschwindigkeit. Und damit sind wir für die nächsten Tage bestens gewappnet. Es geht nämlich nur um die Geschwindigkeit und die Anzahl der gefahrenen Kilometer. Alles andere ist nebensächlich. Vermutlich geht es auch beim Radeln nicht darum, an ein Ziel zu kommen, sondern nur möglichst viel zu radeln oder einen neuen Höhenmeterrekord oder so aufzustellen. Und wenn das alles so ist, um was geht es denn eigentlich in diesen jungen Leben, die alles filmen, messen und vergleichen?