Pasquale – der Fischflüsterer

Jetzt ist der Moment gekommen, um von unserem Pasquale zu berichten und ihn zu lobpreisen. An der ein oder anderen Stelle hat er schon durchgeschimmert, aber einer wie er hat einen ganz eigenen Eintrag verdient. Die Geschichte von Pasquale ist eine robust gewachsene Liebesgeschichte. Im ersten Jahr in Rom war es mein Bestreben als hinzugezogene Deutsche, möglichst oft und viel am Meer zu sein, dort zu essen, in den Wellen zu knutschen, auf Schwimmtieren zu reiten und sehr oft mit den Füßen im Sand zu sein. Mein Mann wollte wie bei fast allem, was mich betrifft, keinesfalls etwas dem Zufall überlassen und nur das Allerbeste und so begann er mit seinen Erkundigungen nach einem Ort, wo man am Meer wirklich guten Fisch essen könnte. Es geht nämlich die Schauergeschichte um, dass man in manchen Lokalen am Strand durchaus Tiefkühlware von meeresfern aufgewachsenen Köchen zubereitet bekommt. Das sollte uns nicht passieren. Waren wir bei der Wahl des Badeortes noch indifferent, so durften wir ein solches Risiko beim Essen keinesfalls eingehen. Und so hat es eine Weile gedauert, bis wir an Pasquale kamen. Der Ingenieur im Büro meines Mannes hatte einen Cousin mit Kontakten zum Fischversteigerungsmarkt in Ostia. Und der hat gesagt, dass unser Pasquale einer der beiden Einzigen ist, die wirklich nachts da stehen und den Fisch aussuchen. Inzwischen leitet Pasquale die Versteigerungen und somit ist eh alles gut. Übrigens eine hochkomplexe Angelegenheit dieses Fischekaufen und -verkaufen.
Eines Abends – noch im alten Jahrtausend – sind wir also aufgeregt nach Ostia aufgebrochen. Man hat uns in dem sehr überfüllten Restaurant im wintergärtlichen Außenbereich einen Tisch mitten in der Mitte zugewiesen. Zum Glück müssen wir das heute nicht mehr aushalten. Aber da waren wir ja noch am Anfang. Ein recht strenger Ober, Vincenzo, wie wir nachher erfahren sollten, der älteste und engste der Gesellen, hat uns bedient. Viel weiß ich nicht mehr von diesem Abend, außer, dass ich ein Kleid mit rosa Blumen und Spaghettiträgern trug und wir entzückt waren. Ab da ist alles Geschichte. In rascher Folge wurden Eltern und ausgewählte Freunde mitgenommen und niemals, zu keinem Zeitpunkt durften Geschäftspartner zu Pasquale. Überhaupt habe ich von Anfang an eifersüchtig darüber gewacht, dass nichts und niemand uns diesen Hort der Meeresheimat zerstört. Nur damit kein falscher Eindruck entsteht: wirklich schön ist es nicht, nicht stylisch oder cool. Aber mit einem Wirt, dem es nach 50 Jahren immer noch ans Herz geht, einen Gast zu verwöhnen und glücklich zu machen, entsteht eben eine ganz besondere Atmosphäre. Natürlich hilft die ganze Familie mit. Die Gattin zaubert die besten dolci, die Tochter sitzt an der Kasse und der Sohn organisiert im Sommer den Strand und ist ansonsten einfach wahnsinnig freundlich.
Bei Pasquale haben wir Geburtstage gefeiert, Silvester in Ruhe verbracht, wenn wir erschöpft aus Deutschland gelandet sind, ging der direkte Weg vom Flughafen nach Ostia, wir haben denn neuen Papst hier erlebt und das letzte Abendessen mit unserem kleinen Hund. Pasquale war und ist hoffentlich noch sehr lange Teil unseres Lebens. Auch wenn er jetzt – sehr zu meinem Leidwesen – einen Partner aufnehmen musste. Seitdem steht ein weißer Flügel im Restaurant, die Stühle sind weiß und neu und unbequem, es stehen Gladiolen auf den Tischen, alles ist schicker, es gibt Muschelschalen auf Schiefertafeln und es werden Empfänge veranstaltet. Mein aufgeschlossener Mann erklärt mir zwar, dass die Alternative wahrscheinlich Schließung gewesen wäre, aber dennoch, für mich hätte auch alles beim Alten bleiben können. Andererseits, das Meer ist ja auch immer in Bewegung und bleibt doch das Gleiche, hilft ja nichts.

Al Mare

In den Jahren mit unserem zauberhaften kleinen Hund mussten wir nur auf eine einzige Sache verzichten und das war der Besuch des Meeres in den Sommermonaten. Denn im Land der ungezogenen Hunde, die man gerne „per i bambini“ oder „per l’estate“ nimmt, sind Hunde leider ein nachvollziehbares Ärgernis am Strand. Die Hundebesitzer sind natürlich schuld, weil sie einfach stinkfaul sind und die Geschäfte ihrer Vierbeiner nicht entfernen. Büßen müssen alle. Denn nicht jeder Hund ist wie unserer gewesen. Wir haben sie von Beginn an auf Grünflächen erzogen und das ging soweit, dass mein kleiner süßer Hund – das erste Mal am Meer – verzweifelt durch Sand und Dünen gehüpft ist, um sich dann aufatmend auf mein frisches grünes Badehandtuch zu werfen und einen großen See zu machen.
Seit letztem Jahr also können wir – leider – auch in den Sommermonaten ans Meer. Das genießen wir sehr und dabei habe ich festgestellt, dass es zwei Geräusche gibt, die ich seit meiner Kindheit kenne und liebe und sie mir so vertraut sind wie nur wenige andere: Die Schreie der Mauersegler im Hinterhof meines Vaters und die Schreie von italienischen Kindern am Strand. Beide gehen direkt in eine Zone meines Gehirns, die wahrscheinlich das Reptiliengehirn oder sonstwas Exotisches ist. Sie gehen ungefiltert in mein Herz und ziehen einen Rattenschwanz an schönen Bildern nach sich.
Denen kann ich nachhängen, zähle ich doch am Strand eher zu den sehr kontemplativen Gesellen. Noch nie hätte mich die Lust gepackt, Wanderungen zu unternehmen, keinen Cent muss man für mich in saisonale Trendballspiele investieren, ich bin der festen Ansicht, dass es nur sehr wenige Menschen gibt, die beim Ping-Pong nicht unvorteilhaft aussehen, geschweige denn, es überhaupt können. Wenn ich Bälle alle zwei Sekunden aufheben möchte, schaffe ich mir wieder einen Hund an. Und so liege ich die meiste Zeit tatenlos rum und schaue träge durch die Gegend.
Dabei wundere ich mich dann zum Beispiel über die Bikinimode und frage mich, wer nur diese schlimmen brasilianischen Dinger nach Europa gebracht hat, die fast ganz im Po verschwinden? Wer soll denn sowas anziehen? Bei den meisten sieht das Stück Stoff aus wie der Bosphorus, der zwei Kontinente trennt. Nächste Saison kann es noch schlimmer kommen: Dann dürfen wir mit Schnürungen rechnen und wenn die schon an Victoria Secret Models Fleischsegmente teilen, wie soll das dann bei normalen Frauen werden? Wie bei einem Rollbraten?
Heute war beim Rumschauen allerdings auch purer Neid dabei. Zwei Sechsjährige hatten ein Schwimmtier dabei, das riesengroß und wunderschön war und Haltegriffe hatte. Hier könnte ich nun wieder schwach werden. Aber das Gemeine daran ist, auch wenn ich heute nicht mehr quengeln müsste, um es zu haben, es würde an mir leider genauso lächerlich wirken wie der brasilianische Bikini an den meisten Trägerinnen.