Blindflug

Ich weiß, es ist schändlich. Aber ich mag nun mal keine Meerestiere. Weder Hummer, noch Garnelen, noch Tintenfische, noch irgendwas Anderes, wofür normale Menschen ein Buffet stürmen. Wenn man dann noch oft in Italien und dort auch noch am Meer ist (und isst), wird aus einer netten kleinen Schrulle schnell ein unverzeihlicher Staatsakt. Hat aber auch angenehme Seiten: Bei offiziellen Abendessen, im Rahmen derer spendable Gastgeber ihre Geschmackssicherheit gerne mit dem Servieren möglichst vieler ganzer Tiere aus den Meerestiefen unter Beweis stellen, gibt es kaum jemand aus meinem Bekannten- und Freundeskreis, der nicht mit Wonne neben mir sitzen möchte. Ich habe mir den Ruf erworben, mit Spaghetti al Pomodoro am allerglücklichsten zu sein und störende Meeresbewohner großzügig aus der Pastasoße zu pulen und nach nebenan zu schubsen. Ich glaube zwar, die mögen mich auch so, aber diese kleine Marotte von mir gibt der Freundschaft die seltene Möglichkeit, mir aus der Patsche zu helfen und sich selbst was Gutes zu tun.
Aber auch ich beuge mich dem Zeitgeist und nach dem selben Prinzip, das Frauen auch zuhause etwas Anderes als Hoppelanzüge tragen lässt, habe ich mich an die Zubereitung von Meeresfrüchten gemacht. Ivano, der Fischhändler unserer wilden Gegend, trägt natürlich eine Teilschuld. Mein Mann soll schließlich nicht unter meiner abartigen Meeresfrüchteverweigerung leiden und wenn nun mal die ganze Welt verrückt danach ist, wird der Fehler wohl bei mir zu suchen sein. Gutes soll er sich ganz sicher nicht außer Haus suchen müssen.
Ich habe also gelernt, Garnelen zuzubereiten. Und hier kann ich mit dem allergrößten Stolz verkünden: Es ist mir gelungen. Wie einem blinden Schneider, wie einem geruchslosen Parfümeur. Ich habe die strengsten Prüfer überzeugt. Abgebrüht habe ich der Spitzfindigkeit meines Vaters entsprochen, einen Entdarmer erworben (der hieß sogar in Rom origianl deutsch Entdarmer) und mich mit Todesverachtung und yogischer Atmung an die Zubereitung gemacht. Das Ergebnis hatte nur noch einen kleinen Makel. Die Sämigkeit fehlte. Hier konnte mein Mann helfen. Mit Kennermiene hat er mich auf Calamaretti verwiesen. Gut, hab ich auch noch diese kleinen Biester rein. Auf die kommt es nun wirklich nicht mehr an. Und siehe da: es stimmt. Schön ist, dass ich sie auch noch geschenkt bekommen habe. Warum? Weil mein guter treuer Ivano im Wettlokal seines Vertrauens auf den Sieg der Deutschen im WM-Finale gesetzt hatte. Wenn er als italienischer Fußballfan über seinen Schatten springen kann, kann ich das eben auch.

2 thoughts on “Blindflug

  1. Wenn ich diesen Artikel richtig lese, kommen harte Zeiten auf mich zu. Es gab mal eine Zeit, da mochte man keine Tomaten! Ha, man mochte auch mal keinen Spargel, nach Jahren hat man sich geopfert und die Stangen hahaha, ohne Kopf gegessen, weil dieser so scheußlich schmeckt und jetzt, ganze Spargelfelder, Tomatenplantagen werden leergeräumt. Als Nächstes droht eine Überfischung in südlichen Gefielden weil sich Meeresfrüchte als durchaus genießbar herausstellen. Wo soll das enden? Ich hatte auf einen ruhigen Lebensabend mit Platten von Meeresfrüchten und köstlichem Tomatensalat mit etwas Spargel gehofft. Alles Makkulatur! Warte ergeben auf die nächste Hiobsbotschaft.

    • Nein, nein, keine Sorge. Zur Not werden ich Reis ohne Soße bestellen. Das neidet mir niemand und davon gibt es auch genug. In der ganzen Familie bin ich die Günstigste im Unterhalt, das muss mal gesagt sein!

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