Biarritz

Um Himmels Willen, wo soll man da anfangen? 25000 Einwohner und so viel zu erleben! Der Ort ist der Wahnsinn. Für jeden Menschen, der sein Leben abseits von amerikanischen TV-Serien ab und zu mit Lesen verbracht hat, muss dieser Ort ein Sehnsuchtsort und „Oh-ja-genauso-muss-es-gewesen-sein“-Ort sein. Einfach unglaublich all diese leicht maroden Villen aus groben Steinen mit Türmchen hier und Hortensienbüschen da. Überhaupt, die Hortensienbüsche! Eine solch verschwenderische Pracht hat die Welt noch nicht gesehen. Freut sich unsereins über zehn bis zwanzig Blüten, kichert man hier nur darüber und holzt den Schwächling aus. Ganze Mauern sind hier verdeckt durch LKW-breite und lange Hortensienwucherungen. Die Menschen sind freundlich, das Wetter charakteristisch-schroff, windig, der Himmel voller Wolken, die Touristen eine coole Mischung aus surfermäßig verratzt und mondän veraltet.
Das gesamte Städtchen atmet einen morbiden Charme von altem Seebad und auch die Läden mit dem state-of-the-art-Surferequipement können daran nichts ändern. Gut, zum Hafen hin gibt es Bestrebungen, eine Partymeile zu etablieren, aber das hat zumindest bis jetzt noch keine schädlichen Auswirkungen. Bitte, das ist alles völlig subjektiv und um Himmels Willen nichts gegen den Wunsch zu feiern und literweise billigen Alkohol in sich hinein zu schütten.
Ich weiß nur, dass es zu meinen Zeiten der Effekt eines fröhlichen Abends war, wenn man einen zuviel getrunken hatte, es war zu keinem Moment das Ziel. Heute ist das möglichst schnelle Erreichen eines komatösen und gesundheitsschädlichen Alkohollevels ein hehres Ziel und läuft je nach Wahl des Zeitpunktes entweder unter „Vorglühen“ oder „Komasaufen“. Jedoch, und das ist eben das Schöne, scheint es hier in Biarritz zu fad für Beides.
Surfer haben nur eine wahre Leidenschaft und die lassen sie sich nicht vernebeln und die Anderen wissen aus leidvoller Erfahrung, dass der Rausch inzwischen nicht nur teurer geworden ist, sondern auch schwerer zu verkraften.
Einen Tip habe ich noch:
Wem als Mann die Erfahrung eines Leihsakkos im Restaurant noch abgeht, der sollte unbedingt ins wunderschöne La Rotonde gehen und dort im königlichen Speisesaal dinieren. Da die Kellner alle schmalen Größen für sich beanspruchen (wahrscheinlich wegen der Rennerei), bleibt für den armen Touristen nur noch ein überdimensioniertes Leihsakko übrig. Anders ist das, was wir gesehen haben, nicht zu erklären.

P.S. Das Beitragsfoto ist nicht das, das ich wählen wollte, aber technische Beschränkungen lassen nur das zu. Es ist aber aus Biarritz und zeigt sehr anschaulich, welche Stimmung hier auch herrschen kann, zumindest im Winter zum Beispiel.

3 Gedanken zu „Biarritz“

  1. Das mit den Hortensien finde ich zu arg geprotzt. Da ist, wie bei uns in Bayern, weniger mehr! Die gleichen unanständigen Massen habe ich in Norddeutschland gesehen, tja, wer’s mag! Und zum Leihsakko: ich würde es nicht tragen, wer das schon alles anhatte und auch noch zu groß, dann lieber mit einem Designerhemd in ein toleranteres Restaurant, als schlecht gekleidet dort die zu großen Ärmel ins Horsd’oeuvre gehängt. Was passiert denn im Zuge des Genderismus mit den unzulänglich gewandeten Damen? Bekommen sie ein Damasttischtuch umgehängt?! Oder wie? Muss man dort Referenzen vorlegen? Bankauskunft? Autoschlüssel zeigen? Ach genau so, wie ich nie eine Diskothek besuchen würde, bei der jemand aus einschlägigem Milieu darüber entscheidet, ob ich da rein gehe oder nicht.
    Deshalb bin ich soviel zuhause, weil ich Angst vor einem zu komplizierten Dresscode und abschätzenden Blicken von Türstehern habe.

  2. Das ist sehr weise. Die Damen dürfen kommen, wie sie möchten, was nicht immer schön ist, aber eben erlaubt und Geschmack liegt ja voll und ganz im Auge des Betrachters. Manche Herren betrachten eben gerne mehr.

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