Die Chinesenmama

In Rom, wie in vielen anderen italienischen Städten, gibt es riesige chinesische Kolonien. Um den altehrwürdigen, leider nicht mehr in dieser Form existierenden Markt Vittorio herum leben zum Beispiel so viele, dass man sich in Shanghai wähnt und sicher nicht in einer italienischen Stadt oder gar der Hauptstadt. Allein in meiner Straße gibt es drei rund um die Uhr geöffnete Chinesenläden, in denen es – ich habe berichtet – scheinbar alles gibt. Allerdings glaube ich auch, dass das mehrminütige Einatmen der plastik- und weichmacherverseuchten Luft die Lebensdauer betrüblich verkürzt. Das aber nur am Rande, denn wie ich mir jedes Mal beim Vorbeifahren denke, sieht man dem Fleiß und der Bescheidenheit dieser Menschen zu, ist es fast unausweichlich, dass sie mit ihrer Masse im Sinne von Menge und Beharrlichkeit die Welt letztlich doch erobern werden. Das wollte ich aber gar nicht erzählen, sondern von unserer ganz persönlichen Chinesenfrau Patrizia.

Patrizia ist, wie der Name verrät, natürlich keine Chinesin. Zumindest nicht gebürtig. Sie hat jedoch ein seltenes Sprachtalent, an dem sie uns alle in den Sommermonaten teilhaben lässt und an dessen Blüten wir hin und wieder schnuppern dürfen, wenn sie ihre ungleichen Zwillinge Omar und Karim tadelt oder anspornt, was eigentlich zu jeder Minute des Nachmittags der Fall ist. Ich kenne die beiden seit sei geschlüpft sind, wobei kennen zu viel gesagt ist. Ich höre am Pool, was sie besser machen könnten und in der Mittagsruhe über die geöffneten Balkontüren, dass sie jetzt schlafen sollten. Da ich kein Sprachtalent bin und gerne lese entkomme ich fast jeden Sommer der Chinesenfrau. In Wahrheit halte ich mir meist nur ein Buch vor die Nase und lausche und staune über die Chinesenmama. Sie heißt übrigens so, weil ihr unfassbares Sprachtalent ihr einen chinesischen, wortkargen Ehemann eingebracht hat, der zwar ein großes Auto besitzt, wegen der römischen Parkplatznot aber lieber ihr kleines fährt, ihr im Gegenzug aber nicht erlaubt, mit seinem großem zum Einkaufen zu fahren. Zu allem Überfluss ist die Familie offenbar gerne Wassermelonen und wir wohnen auf einem Berg.

Über all dem ist Patrizia meiner Meinung nach sport- und magersüchtig geworden. Wenn man jemanden nun in Jahresabständen im Bikini sieht, kann man das ganz gut beurteilen, finde ich. Zum Glück hat Patrizia einen Papa, den Chinesen-Nonno, den Opa der Zwillinge. Und ich wage zu behaupten, dass die beiden ohne den Opa abgesoffen oder völlig verblödet wären. Der Chinesen-Nonno ist ein gutmütiger älterer Herr mit Unterhemd und einer Schiebermütze, mit der er auch im Hamburger Hafen nicht weiter auffallen würde. Täglich schifft er sein verbeultes Auto herauf, fährt mit seiner Tochter zum Einkaufen, lässt sich ausschimpfen, weil er die Kinder falsch behandelt und ich denke, er muss sich in den Stunden, in denen die Familie nicht beim Baden ist, sehr, sehr viele Geschichten über das Sprachtalent seiner Tochter anhören. Die Chinesenmama hat sich außerdem zum Ziel gesetzt, ihre beiden Kinder zu 1A-Schwimmern heranzutrainieren und ärgert sich fürchterlich, wenn sie lieber mit kleineren Kindern Wasserball spielen. Was sie, wie ich fürchte, allerdings am allermeisten ärgern würde, ist, wenn Sprach-Ignoranten wie ich diesen Ehrgeiz als viel chinesischer erachteten als ein perfekt gesprochenes Hoch-Mandarin.

3 thoughts on “Die Chinesenmama

  1. Also ich glaube, diese Patrizia heißt Patrizia, weil sie in Hongkong geboren wurde. Diese Chinesen haben dort meist sehr klangvolle europäische Namen, sozusagen ein Entgegenkommen an die Europäer, denn diese chinesischen Namen auszusprechen, ist schon eine Kunst. Dass sie sich das alles gefallen lässt von ihrem Mann, dürfte ihr Problem sein oder sie hat selbst darauf verzichtet, im römischen Verkehr einen großen Wagen zu fahren. Ansonsten kann ich mir ein derartiges Verhalten nicht vorstellen. Und der Drill, den die Kinder bekommen, den hat sie halt aus ihrer Heimat mitgebracht. Dort muss man ja immer die Nummer eins sein, weil alles andere auf die Familie zurückfällt und diese dann in Drachen oder sowas verwandelt wird. Ganz ehrlich, das ist eine Mentalität, mit der ich nullkommanichts anfangen kann, da sie mir so fern und fremd ist und diese armen Würmchen haben keine Chance einfach mal unbeschwert ein paar Wochen Ferien zu genießen. Die Mama ja offenbar auch nicht, vielleicht hat sie einen 5-Jahresplan, der abgearbeitet werden muss. Wer weiß? Viel lieber würde ich wissen, wie die weiße Aubergine schmeckt und kann Euch mitteilen, dass ich jetzt zwei! Tage ohne Gummibärle war und selbige heute super gut schmecken. Ganz neues Geschmackserlebnis.

  2. Ja deshalb stehen die Chinesen auch im Medaillenspiegel vor uns. Ja, ja von nichts kommt nichts! Nachdem meine Kinder nun schon seit mehr als 5 Wochen zu Hause sind, ohne Plan, ohne Aufgabe, ohne, ach ich weiß nicht, versteh ich die Patrizia. Das schadet gar nicht, die mal ein bisschen anzutreiben. Habe heute auch so einen Tag, jage alle mit irgendwelchen Aufgaben durch’s Haus, weil mir das Rumgammeln langsam auf die Nerven geht. Für’s nächste Projekt „Olympische Spiele 2020“ werde gleich einen Plan machen!

Schreibe einen Kommentar zu Prunkschaf x

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert