Achtsam Eis essen

Wer hat heute noch die Courage, über die Folgen unüberlegten Genusses zu philosophieren? Eben! Kaum öffnet man da zaghaft den Mund und versucht zu erklären, warum man keinen Alkohol trinkt, keinen Nachtisch möchte oder lieber früher heim und ins Bett möchte, kommt die Keule: „Das Leben findet doch jetzt und hier statt, genieß es doch, wer weiß, was morgen ist.“ Das klingt prima, allerdings weiß ich ziemlich genau, was morgen ist, wenn ich es tatsächlich erlebe. Von morgen zu morgen würdei ich moppeliger, unausgeschlafener und oder wahlweise verkaterter werden. Es gibt eben Entscheidungen, die eher in der Retrospektive Sinn machen. Klar, wenn ich weiß, ich sterbe morgen, mache ich mir wegen einer weiteren Flasche Roséchampgagner sicherlich keine Kopfschmerzen (man bekommt davon ja angenehmerweise eh kaum welche, nur von dem billigen Fusel von früher).

Ich vermute, dafür wurde die Henkersmahlzeit erfunden, aber wenn man so durch die Stadt läuft und gerade jetzt an einem der zehn Sommertage, mit denen ich im Moment rechne, bis wir wieder unser sonniges Weihnachtsfest feiern dürfen, drängt sich der Gedanke auf, dass viele Menschen sich tagtäglich ihre Henkersmahlzeit servieren. Eigentlich sogar im wahrsten Sinne des Wortes. Beim Betrachten von zehnjährigen Kindern mit riesigen Bäuchen und einem ebenso großen Eis in der Hand kommt schon die Frage auf, was sich Eltern dabei denken und ob sie ihre Kinder umbringen möchten? Dieses Hier und Jetzt ist ja gut und schön, kann aber auch zu einem echten Bumerang werden, wenn man es übertreibt. Kein Mensch hätte eine Altervorsorge, keiner ein Dach über dem Kopf oder gar Heizöl im Keller. Mag sein, dass ich auch nach einigen Jahren Yoga noch sehr wenig Ahnung von der Thematik habe, aber so ganz erschließt sich mir das Thema noch nicht.

Es scheint mir zu kurz gegriffen, zu eindimensional. Klar, kann ich nur jetzt auf mein aktuelles Handeln Einfluss nehmen, aber wenn selbst Eichhörnchen und Bären Vorräte anlegen oder Katzen und Jagdvögel stundenlang ihre Beute belauern und auf sie warten, wo bleibt dann das reine Hier und Jetzt? So schlecht kann das Vorausdenken und Einkalkulieren von Folgen nicht sein. Ich jedenfalls bin froh, dass ich vor vielen Jahren den Zusammenhang zwischen dem guten Glas und dem Glas zuviel bzw. dem Eis bei schönen Wetter und der Schokolade vor dem Fernseher erkannt habe. Ich glaube, das Denken im Hier und Jetzt wird sträflich vernachlässigt.

6 Gedanken zu „Achtsam Eis essen“

  1. Im Hier und Jetzt, ich muss gleich lachen, wenn jemand da nicht ist, dann bin ich das. Ich will immer hier sein, bin aber entweder hinterher oder weit voraus. Damals, vor nunmehr 7 Jahren, als ich das Rauchen aufgehört habe, nahm ich mir vor, wenn ich jemals die Diagnose einer ernsthaften Erkrankung bekomme, rauche ich wieder. Wenn ich bloß dran denke, wird mir schon schlecht, und wenn ich dann diese Raucher vor den Krankenhäusern rumlungern sehe, dann erst recht. Also insofern bin ich im Hier und Jetzt. Das Glas zuviel habe ich schon lange aufgegeben, da ich keine Lust mehr auf diese schlimmen Kopfschmerzen habe, zuviel essen kann nur noch ganz selten passieren, aber nicht weil ich so vernünftig bin, sondern weil’s halt nicht geht, die Kapazität ist geschrumpft und ich war schon immer so vernünftig, nach dem Wort „wehret den Anfängen“ zu leben. Weil ich es mir schlimm vorstelle, plötzlich 15 Kilo abnehmen zu müssen. Ich habe noch nie im Urlaub zugenommen und kann es nicht verstehen, wie das möglich ist. Ich glaube, ich bin ein ganz unlustiger Spießer und wenn ich mir vornehme ab jetzt keine Gummibärle mehr zu essen, kann ich versichern, das geht höchstens drei Tage gut und dann schau ich mal, ob sie noch schmecken und wusch, esse ich sie wieder. Und dann bin ich mit sehr schlechtem Gewissen im Hier und Jetzt, weil die sehr verehrte Bloggerin das nämlich verboten hat.

    1. Ach, das muss ja eine unlustige Person sein, diese Bloggerin, so was zu verbieten! Ist das die, die in den letzten Wochen die allerfeinsten Weinbärle und Pfefferminz heran geschleppt hat? Man sollte sich in der Tat nur wenig streng verbieten, es führt meist zu einem Desaster mit unüberschaubaren Ausmaßen.

  2. Das hier und jetzt finde ich höchst anstrengend, aber es muss ja sein. Also ich meine die Selbstdisziplin, bin etwas überrascht zu hören, dass das sehr verehrte Prunkschaf erst vor 7 Jshren aufgehört hat zu rauchen. Wahnsinn! Ich würde mich gerne durch Eis und Gummibärchen und Wein und Bier fressen und trinken und ich verstehe auch die nicht, die immer sagen, im Sommer bräuchten sie nicht viel essen. Ganz im Gegenteil, ich kann immer essen. Jetzt hat auch noch Fußball angefangen und mein Mann und Sohn haben heute tonnenweise Chips heim gebracht. Männer sind da ja vollkommen schmerzfrei, kein Gedanke an Figur und Gesundheit. Für die gibt’s kein Morgen, die sind immer im hier und jetzt und ich sitze daneben und denke an die Waage am Morgen!

  3. Bravo Mare, nur so geht es. Mein Fußballgott ist sehr überrascht, dass ich Schockoladeneis mag, mochte ich immer, esse ich erst jetzt, weil ich abgenommen hatte und nun mal ohne Reue durchaus 100 Gramm zunehmen kann. Aber Männer, meine Rede, eine Laune der Natur.

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