Was täte ich nur ohne die Medien

Ja, was täte ich nur ohne die Medien? Was täten alle Menschen nur ohne sie? Zum Beispiel gestern im Flugzeug die junge Dame neben mir? Bis zur allerletzten Sekunde war sie mit dem Tippen und Lesen und Kichern über Nachrichten beschäftigt. Dann eineinhalb Stunden recht nervös und völlig tatenlos. Ein normales Buch konnte ihre Neigung zur Kommunikation nicht befriedigen. Denn das Lesen an sich scheint es nicht zu sein, das sie reizt. Im Landeanflug hat es uns ziemlich gebeutelt und sie war sichtlich verängstigt. Kaum hat das Flugzeug Boden berührt (man hat leider sehr deutlich gemerkt, wann das war!!!), hat sie ihr Telefon endlich wieder anschalten und weiter kommunizieren können. Ich nehme an, sie hat alle Details des Anflugs geschildert. Nun will ich mich beileibe nicht ausnehmen von der Medienabhängigkeit. Schließlich haben wir hier gemeinsam einen Blog laufen, den es ohne all die wunderbaren Möglichkeiten, miteinander in Verbindung zu bleiben, gar nicht gäbe. Zwar hat er nicht den Stellenwert eines Briefwechsels zwischen Goethe und Brentano, aber vielleicht ist das auch der fehlenden Einzigartigkeit geschuldet und nicht nur dem Inhalt. Der Illusion kann man sich ja mal hingeben.

Tagsüber habe ich mit den Medien so ziemlich dasselbe getan wie immer. Hatte das Handy dabei, habe geschaut, wer mir schreibt, habe ein Wort gegoogelt und bin mit Menschen in Kontakt geblieben. Am Abend habe ich über ein Medium erfahren, dass jemand mir gerne Blumen zukommen lassen würde, ich aber nicht da war und dann kam mein persönliches Highlight im ehemaligen Medium Nummer eins, dem Fernsehen: das Traumschiff. Da muss ich so alt werden, um dieses Urgestein der deutschen Reise-PR einmal mit eigenen Augen zu sehen. Und dann muss ich auch noch beschämt zugeben, dass ich es nicht aus Interesse geschaut habe, sondern, weil sonst überhaupt nichts anderes zu sehen war und das ausgerechnet an einem der wenigen Tage, an denen ich überhaupt fernsehe. Ärgerlich und gleichzeitig bereichernd. Was da in 105 Minuten alles an kleinen und größeren Tragödien geschieht, gibt’s – so würde meine Mutter sagen – auf keinem Schiff. Zum Glück genügt eine Fahrt nach Singapur und zurück, um alles zur Zufriedenheit aller zu lösen. Denn, das lernen wir, im Grunde sind alle Menschen gut und wenn sie es noch nicht sein sollten, werden sie es zumindest auf diesem Schiff.

Sie mögen gut sein und nichts Böses wollen, aber der Drang zur lebensbestimmenden Mediennutzung, man könnte sagen Verwischung der Grenzen zwischen Leben und Medien, kann auch entsetzliche Folgen haben. Lese ich doch nicht kurz nach dem Aufwachen, dass da eine zwanzigjährige Frau ihren einundzwanzigjährigen Mann vor laufender Kamera erschießt, weil sie letztlich und fatalerweise doch an die Macht des gedruckten Wortes glaubt. Sie und ihr Mann, beide Eltern eines dreijährigen Kindes und in Erwartung eines weiteren, wollten ihren YouTube-Kanal befeuern indem sie vor laufender Kamera auf ihren Mann schießt. Er hält sich zum Schutz lediglich ein dickes Buch vor die Brust. Aber hier wie in der realen Welt gewinnen die digitalen Medien und der Schuss geht durch die Seiten. Der junge Mann ist tot. Ein tragischer Unfall. War das Buch nicht dick genug? War der Inhalt zu soft? Oder war es die Rache der Bücher? Weil sie so lange vernachlässigt worden sind und nicht für so einen unwürdigen Schmarrn missbraucht werden wollen?