Das verlorene Wort

Vor einigen Jahren habe ich in einem Artikel ein Wort gelesen, das mir sehr gefallen hat und es leider fast augenblicklich wieder vergessen. Warum? Wieso? Ich wusste um die Bedeutung und habe sie hoffnungsfroh meinem italienischsprachigen Mann dargelegt. Er hat ein paar Vorschläge gemacht, aber obwohl es sich um ein italienisches Wort und eine zutiefst italienische Eigenschaft handelte, kam er nicht mit dem richtigen Begriff um die Ecke, was mich sehr verdross. Über Jahre habe ich diesem Wort nachgejagt wie ein Jäger einem flüchtigen Reh oder Hasen. Mal hab ich das Schwänzle gesehen, dann wieder die plüschigen Ohren und huschwusch war es wieder im Nebel des Waldes verschwunden. Es hat mich geneckt und getriezt. Bis ich es aufgegeben habe. Vor einigen Jahren habe ich es durch übermenschliche Anstrengung erhascht, niedergerungen für einen Moment, aber es war zu schlau und hat sich wieder frei gemacht. Und ist erneut für Jahre verschwunden.

Vor zwei Tagen dann, beim flüchtigen Blättern in einem Klatschblatt, das gerne ein People-Magazin sein möchte, war es auf einmal da. Stellte sich mir direkt vor die Flinte. Breitbeinig und selbstverständlich lächelte es mich an wie um zu sagen: Ok, Du willst mich wirklich. Hier bin ich. Und jetzt haben wir uns – hoffentlich für immer und ewig. Darum schreibe ich auch darüber in unserem Blog, der ja bekanntlich nichts vergisst wie das ganze Internet eben. Das Wort lautet übrigens „Sprezzatura“ und ist an sich ein Neologismus, wobei mir der Begriff Neuschöpfung doch etwas übertrieben vorkommt für ein Wort, das immerhin vor über 500 Jahren „erfunden“ wurde. Forscht man ihm ein wenig nach, treten Informationen zutage, die nicht nur spannend, sondern auch hochaktuell sind. Im Buch über den idealen Mann am Hofe von Castiglione, dem die Schöpfung dieses Wortes zugeschrieben wird, ist genau beschrieben, was einen guten Höfling, meinen Mann der Gesellschaft ausmacht:

„Grazia (Anmut), misura (Ausgewogenheit), ingenio (Geist) und arte (Kunst) sind immer wieder auftauchende Kernbegriffe. Leitmotivisch werden dabei folgende Merkmale des idealen Hofmannes gefordert:
Sprezzatura, mit der man ohne sichtbare Anstrengung seine Aufgaben bewältigt,
eine humorvolle Gesinnung und schlagfertige Konversation,
eine elegante, urbane Lebenshaltung,
unbedingte Aufrichtigkeit in der Konversation mit dem Prinzen,
Gewandtheit im Umgang mit Frauen und Bildung in den schönen Künsten.
Castigliones Hofmann ist universell gebildet und hat vielseitige Fähigkeiten. Der Hofmann Castigliones sollte harmonisch und ausgewogen sein. So wird zugleich kriegerische Tüchtigkeit und kulturelle Bildung gefordert, höfische Anmut und Schlagfertigkeit, Kühnheit und edle Gesinnung werden beim cortegiano vorausgesetzt. Der Hofmann findet seinen Schwerpunkt in der goldenen Mitte, der positiv verstandenen mediocrità. Prinzipiell träfen diese Tugenden auch auf die Frau zu, die jedoch noch durch typisch weiblichen Eigenschaften, wie Umgänglichkeit und Herzensgüte zu ergänzen seien.“

Sehr schade, dass wir keine echten Höfe mehr haben. Aber sehr wunderbar, dass ich mein Wort endlich (wieder) habe!

4 Gedanken zu „Das verlorene Wort“

  1. Am 20.12.16 habe ich das Buch „Der Hofmann“ von Baldassare Castiglione geliefert bekommen und auch sofort mit großem Interesse gelesen und sicherheitshalber die Anschlußlektüre „Manieren “ von Asfa – Vossen Aservate gekauft. Beim Lesen des Hofmann hatte ich den Eindruck, hier handelt es sich um eine Talkshow in der frühen Version, ohne Kamera. Die unsichtbaren Moderatoren waren die fast stummen Gastgeberinnen, die „Sendezeit“ sehr spät, dauerte jeweils bis zum Morgengrauen, und wurde am folgenden Abend fortgesetzt.
    In der Darstellung und des Wunsches wie ein “ Herr“ bzw. eine „Dame“ sich darzustellen hat, hat sich bis zum Heute nichts verändert. Es ist vom Understatement bis zu Grell alles dabei.

    Sprezzatura ist heute noch genauso aktuell wie damals, und ebenso eine Anschauungssache bei der jeder seine vehementen Verteidiger hat. Gerne bin ich bereit, mein druckfrisches, 140 Seiten umfassendes, bebildertes Taschenbuch der interessierten „Gemeinde“ zur Verfügung zu stellen.

  2. Das war so nicht beabsichtigt, aber mei, ich bin halt doch die Ältere. Im Augenblick halte ich mich gerne in der Zeit vor 500 Jahren auf. War nicht ganz so stressig von uns aus betrachtet.

  3. Gut dann schalte ich mich ein, ich bringe dieses Wort wirklich nur mit irgendeiner Nudelsorte in Verbindung. Das sehr verehrte Prunkschaf möge mir meine Trivialität bitte entschuldigen. Das kann dann ja wirklich nur an meinem Alter liegen. Gerne nehme ich das Angebot an und versuche mich an der Lektüre, weil man ja nicht dümmer sein will als die Anderen! Übergabe kann dann bei hoffentlich baldiger Begegnung stattfinden, erst dann werde ich zu diesem Beitrag meinen Senf abgeben.

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