Hasenkolonialisierung

Heute mal ein völlig unphilosphischer Beitrag, bei dem ich – ähnlich wie das Prunkschaf – weit in meiner Vergangenheit grabe. Beim frühmorgendlichen Stöbern bin ich nämlich auf eine interessante Statistik gestoßen und da ich beruflich auch damit zu tun habe, interessiert sie mich natürlich. Es gibt ja soviele Arten, Zahlenwerk zu lesen und zu interpretieren, Fakten wegzulassen, andere zu betonen und jedes Mal ist die Aussage eine komplett andere: Mehr Menschen sterben durch Selbstmord als durch Autounfälle? Wie schrecklich! Die Welt wird immer grausamer. Oder die Autos immer sicherer? So ist es auch bei der Osterhasen/Weihnachtsmann-Statistik. Viel mehr Osterhasen als Weihnachtsmänner (überhaupt, dieses Wort!!! Nikolaus, ja, aber Weihnachtsmann? So eine norddeutsche Erfindung!) werden exportiert. Wie kann das sein? Es gibt kaum europäische Konkurrenz für Meister Lampe.

Als ich vor 17 Jahren nach Rom gekommen bin, war mein erstes Weihnachten alleine und als Erwachsene ein einziges Tal der Tränen. Nirgends ein Adventskalender, keine Lebkuchen, keine Nikoläuse, gar nichts. Die deutsche Frau eines Kollegen meines Mannes hat mich dann auf einen „Lidl“ aufmerksam gemacht und ich bin kilometerweit gefahren, nur um dort schluchzend vor Glühwein im Tetrapack und billigen Nikoläusen zu stehen. Habe Bratwürstchen, die ich niemals freiwillig essen würde, gekauft und alles, was nicht bei drei auf dem Baum war. Das war eine ziemliche Menge. Nirgends ist man heimatverbundener als ich Ausland. Von Adventskalendern hat man in Italien noch Jahre später nichts gehört. Ebenso von Osterhasen. Hier gibt es Rieseneier, in denen eines Tages wohl auch echte Autos versteckt werden können, so groß sind sie. Außerdem die Colomba, die Friedenstaube, die zu Ostern gegessen wird und an Weihnachten den Panettone. Aber keine Hasen. Gehören einfach nicht dazu.

Gerade an Festtagen, die seit der Kindheit stark durchritualisiert wird, kann man sich leicht verloren fühlen. Und so ist auch das erste gemeinsame Weihnachten ein echter Knackpunkt in Beziehungen. Was? Ihr esst vor der Bescherung? Wie bitte, es gibt nur Würstchen??? Ostern ist da wesentlich demokratischer und in Italien sind Familien sogar quasi vogelfrei. Natale con i tuoi, Pasqua con chi vuoi, Weihnachten mit der Familie, Ostern mit wem Du magst. Inzwischen sind die Hasen und Adventskalender auch in Italien angekommen. Man weiß nicht, ob es ein Vorteil ist, Ferrero und wie sie alle heißen, finden es sicherlich gut, aber auf diese Art gehen halt auch lokale Traditionen verloren, was sehr schade ist. Traditionen sind dann auf Menschen wie mich angewiesen, die unermüdlich Bräuche hin und her schleppen. Italienische Neujahrslinsen und Ostertauben, französische Baumstämme zu Weihnachten – ich hab echt zu tun.

3 thoughts on “Hasenkolonialisierung

  1. Ja du meine Güte, da sind wir doch schon wieder bei Ritualen, Süchten, Gewohnheiten! Sind wir davon wirklich so bestimmt? Ich mag Ostern, weil das die Tage sind, an denen wir machen, was wir wollen. Wir fahren ja Weihnachten immer nach Bayern, weil, ja, mei, weil halt! Komischerweise fühlen wir uns an Ostern dazu nicht verpflichtet. Ich genieße es, morgens für mich zu sein, keiner stört mich, ich kann hier und dort rum huscheln und erledige wahnsinnig viel. Wahrscheinlich stimmt das gar nicht, aber ich empfinde es so. Nachdem das Wetter hier schrecklich ist, fällt es einem auch nicht schwer, nichts zu machen und meine Familie ist froh, dasS sie nur essen muss und ich sie nicht zum spazierengehen zwinge. Blöd ist, dass es hier im Haus wahnsinnig viel Schokoladenhasen und Schokolier gibt, was meiner Figur nicht zuträglich ist und da sind wir wieder bei Sucht und Gewohnheiten !

    • Ich weiß, ich weiß, ich versuche, uns allen bewusst zu machen, wie viel Gewohnheit unser Leben ausmacht und ob alle davon immer gleich wichtig und gültig sind.

  2. Hier möchte ich eigentlich nur auf die Osterhasen eingehen. Die Menge der gekauften und verschenkten Hasen kommt sicher daher, weil man sich sonst eigentlich nichts schenkt. Zumindest vernünftige Menschen tun das. Da ist dann ein kleiner Schokohase doch eine nette Aufmerksamkeit und jeder freut sich darüber und vor allem, die Fastenzeit ist vorbei und man kann wieder essen was und wie man möchte. Wir Kinder haben immer nur ein Nest mit Schokoladeneiern und einem großen Hasen in der Mitte bekommen. Das waren die goldenen Zeiten. Vor allem, wenn mein Bruder – 4 Jahre jünger als ich – und ich darüber diskutiert haben, wo man denn netterweise am Hasen zuerst reinbeißen sollte. Wegen der Schmerzen. Ich hab immer die Ohren genommen und mein kleiner Bruder die Pfoten unten. Wenn das überhaupt noch möglich war, denn meistens ist mir der Hase beim Transport des Nestes umgefallen und war nur noch ein Haufen Schokoladensplitter in Folie. Das war immer sehr tragisch und ich habe meinen Bruder gehasst, weil ihm ist der Hase nie umgefallen und dann hat er ihn oft noch bis in den Herbst hinein aufgehoben. Ich habe ihn in seiner Jugend das oft büßen lassen und ihn beim kleinsten Anlass verhauen.

Schreibe einen Kommentar zu Prunkschaf x

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert