Ich kann mich gut erinnern, als ich auf einer supernoblen Hochzeit am Arlberg eingeladen war, alles fein, alles edel, silberne Serviettenringe als Platzkärtchen (ich habe das natürlich am Anfang gar nicht verstanden und randaliert, ob hier freie Platzwahl sei?) und aller möglicher Brimborium. Als wir ermattet in einer Pause zwischen den Reden aufs Tanzparkett gestoben sind, kamen wir neben einem Paar zum Tanzen wie das eben so üblich ist und wenn man einen gemächlichen Tanzpartner hat, der einen nicht dauernd rumwirbelt und man sich nicht die ganze Zeit Liebesschwüre zuraunt, was auf einer Hochzeit fast unmöglich ist, weil da ja die Liebe von jemand anderem im Vordergrund steht und all das, was das Paar noch nicht weiß, dann hat das Auge zum Schweifen Gelegenheit. Meines schweift gerne und so entdeckte es an einer Dame mit einem hübschen Kleid das entlarvende Etikett mit Herkunft und Größe der Robe.
Quasi im Dreivierteltatkt und ohne einen weiteren Gedanken zu verschwenden, habe ich es mit einer einzigen Bewegung zurück an seinen Platz geschoben, die Dame selbst hat es nicht bemerkt, die Herren waren fassungslos und ich zufrieden. Hatte ich schon einmal darüber geschrieben, dass ich auch Prospekte grade rücke und sortiere? Ich mag das einfach nicht und wenn ich schon bei Werbematerialien auf Ordnung achte, dann kann ich das doch ebenso gut bei Missständen in der Garderobe. Dass es mir nicht alleine so geht, habe ich in Barcelona erfahren, wo wir herrlich in der Sonne am Strand saßen und verzückt das Paar am Nebentisch betrachtet haben, das sich im Anfangsstadium der Liebe befunden haben muss. Bei ihrem Outfit war die ausgefeilte und lange Planung zu erkennen, sie trug einen kurzen grünen, recht anliegenden Overall und angesagte Gummistiefel (ich finde ja, man muss bei solchen Outfits auch die An- und Abreise, vielleicht gar noch im Bus, mit einkalkulieren und dann zöge man sich öfters vielleicht auch vernünftiger an…).
An ihrem recht ausgeschnittenen und hübschen Rücken schmiegte sich über acht Zentimeter Länge das Etikett des Overalls und ab da hatten wir eine schlimme Zeit. Zuerst musste Eine mich halten, dann ich sie und dann wir zusammen die Dritte. Das geht doch nicht! Und das geht doch auch nicht, dass man da nichts tut. Wenn ein Missstand einfach zu beheben ist und den anderen in eine unnötig blöde Lage versetzt, darf und muss man das abstellen. Der Klassiker ist natürlich, wenn man jemanden in der Fußgängerzone mit dem Rock in der Strumpfhose gehen sieht, da sollte man allerdings etwas taktvoll sein, denn vielleicht war die Dame ja das letzte Mal zuhause auf der Toilette.
Das darf man. Ich habe kein Problem damit, einem Herren der mir gegenüber steht und mit mir spricht, zu sagen, er soll bitte den Reißverschluß seiner Hose schließen, damit ich mich weiter in Ruhe mit ihm unterhalten kann und mich nicht bedroht fühle! Hab ich schon gemacht, war der Renner. Was garnicht geht, ist der Hinweis bei einer Frau, dass sie eine oder mehrere Laufmaschen hat. Denn solange sie es nicht weiß, hat sie Freude am Leben, wenn sie es weiß, denkt sie nur noch daran. Ich zupfe auch bedenkenlos weiße Haare von Mänteln und Jacken und leider fällt mir ja auch immer nur das sofort auf, was nicht in Ordnung ist. Das ist fatal und macht mir keine Freude, ich muss ja im Gegenzug immer korrekt sein. Das ist Arbeit. Wir machen einfach weiter so.
Nachdem ich ja dabei war und ich dieses Etikett ebenfalls gesehen habe, weiß ich genau, was gemeint ist. Im Nachhinein stelle ich fest, dass wir ziemlich viel Zeit mit diesem Etikett vergeudet haben. Hätten wir die Dame darauf aufmerksam gemacht, wäre alles schnell vorbei gewesen. Nun ja, ich habe meiner Freundin auch vor dem Verlassen des Hauses mit einem Wattestäbchen die schwarzen Flecken ihrer Wimperntusche vom Augenlid gewischt, weil sie immer wie ein kleiner Dachs rumläuft. (Ich habe gehört, das dies vererbt wurde) Ich trau mich das eigendlich nur bei Leuten, die ich gut kenne und wenn die das bei mir machen, bin ich froh, nicht mit einer Laufmasche rum zu laufen oder um Gottes willen den Rock in der Hose zu haben. Aber darf man das bei Fremden? Ist die Privatsphäre gestört, wenn Fremde einem Missstände aufzeigen? Das mit dem Etikett bei der Dame auf dem Tanzparkett hätte ich mich nicht getraut. Allerdings, wenn die Person nett ist, kann sein, dass ich mich dann gefreut hätte. Mein Mann wäre wahrscheinlich vor scham im Boden versunken.