Gestern waren wir in der Oper. In einer konzertanten Aufführung der Aida, die einen ja per se schon etwas ins Grübeln, wenn nicht gar in die Melancholie treiben kann. Sitzt man dann sozusagen über dem Orchestergraben und kann seinen Schwarm nur von hinten bewundern, schweifen die Gedanken gerne mal etwas ab. Das Ganze fand im ’neuen‘ Auditorium Roms statt. Dieses Auditorium war mal ursprünglich zur Jahrtausendwende geplant, hat es aber leider – wie so viele Bauwerke, unter anderem die Schwimmhallen in Ostia zur WM – nicht rechtzeitig geschafft. Es konnte erst 2002 eröffnet werden, dafür sieht es bereits jetzt von außen und drumherum aus wie so Manches in Rom: runtergekommen.
Quer durch die ganze Stadt, ja schon vor den Toren Roms stehen Schilder, die die Richtung zu diesem Musiktempel angeben. Befindet man sich dann allerdings im Radius von einem Kilometer: Fehlanzeige. Dann ist genug getan worden, dann muss es auch mal reichen. Keine Lust mehr, echt nicht. Schaue ich von unserer Terrasse gegenüber oder lasse den Blick durch das Condominio schweifen, sehe ich Dasselbe. Mit Riesenaufwand haben wir vor fünf Jahren die Hausfassaden renoviert. Jetzt bröckelt schon wieder alles. Neue Eigentümer haben im letzten Monat Tag und Nacht gestrichen, gehämmert, renoviert. Jetzt quellen die Balkone über von Kruscht und alten Möbeln. Der Schwung hat halt nicht gereicht.
Ich kann mich nicht gut konzentrieren, wenn mir jemand den Rücken zuwendet und so hatte ich gestern reichlich Zeit, mir so meine Gedanken zu machen und die waren betrüblich. Denn über all der Kunst und den Inseln des guten Willens in Italien wabert der Hauch der Vergänglichkeit. Kenner sagen, das war schon immer so, aber seit einiger Zeit ist es auch für Laien zu spüren. Es ist nicht mehr nett-chaotisch und leicht morbide, es ist verkommen.
Überall liegt Schmutz auf den Straßen, Bauwerke sind höchstens noch drei bis fünf Jahre hübsch, dann merkt man, dass beim Bau getrickst wurde und billigere Materialien verwendet wurden, dass die hochfliegenden Ideen des Architekten von den Billigarbeitern nicht verstanden wurden oder dass man einfach schlichtweg zum Schluss hin keine Lust mehr hatte. Bei allem ist zu spüren: der Wille zur Schönheit und zum Endlich-richtig-gut-machen ist da und dann wird es anstrengend und alles fällt zurück auf den Schein. Die Oper gestern hat deshalb so zum Grübeln angeregt, weil die Zuschauer so hellauf begeistert waren. Von der Qualität und der Reinheit des Könnens. Der Chor war enthusiastisch, das Orchester sowieso, es war durch und durch eine perfekte Veranstaltung. Aber sie hat halt auch nur dreieinhalb Stunden halten müssen.
Ja, dreieinhalb Stunden sind auch eine lange Zeit, vor allem wenn man jemanden, den man so gerne von vorne gesehen hätte, dann von hinten anschauen muß. Wahnsinn, ich hätte mir mein Geld wieder geben lassen, denn dieser Mann ist doch ein Gesamtkunstwerk, d.h. Augen und Ohren genießen gemeinsam. Eines ohne das andere geht nicht! Ein NO GO! Das versteht man auch in Rom.
Aber zu den baulichen Mängeln möchte ich mich nicht äußern, denn das geht Hand in Hand mit dem Zeitgeist, mit dieser Lässigkeit und Nachlässigkeit und diesem, ach ist doch wurscht. Es wird nichts mehr gebaut und gefertigt, als wäre es für einen selbst, sorgsam, schön und mit Freude etwas Schönes geschaffen zu haben, etwas, das man gerne seinen Kindern oder Enkeln weitergeben möchte. Leider stehen die heute meistens auf dem Standpunkt, das alte Zeug nicht zu wollen und nicht zu brauchen, weil, was soll man damit. Ich glaube, so ist es mit den meisten Dingen geschehen, landauf, landab. Es muß nichts mehr lange halten, weil, dann kaufen wir halt was Neues. Ich denke ja auch so von Fall zu Fall und das macht mich nicht wirklich froh.