Evelyn Beatrice Hall

Heute ist in Paris der große Solidaritätsmarsch für die Terroropfer. Streng bewacht durch Soldaten, Polizei und Scharfschützen laufen über eine Million Menschen durch die Stadt, um ihre Solidarität mit den Terroropfern zu bekunden. Dabei fällt Einiges auf:
– die Oper aus dem jüdischen Supermarkt gehen ein wenig unter
– die ‚Kollateralopfer bei dem Anschlag auf die Satire-Redaktion gehen ebenfalls etwas unter
– alle anderen Terroropfer auf der Welt, die Tag für Tag sterben, zum Beispiel die 2000 Nigerianer, deren Dorf nieder gebrannt wurde, gehen auch ein wenig unter
– oder die syrischen Flüchtlinge, die Tag für Tag vor der italienischen Küste stranden
– oder gar die italienische Küstenwache, die nahezu Unmenschliches leistet und warum? Nicht weil sie irgendein Grundrecht demonstrieren wollen, sondern weil es ihre Aufgabe ist, die sie erfüllen.

Auf dem Weg zum Mittagessen sind wir an der Statue von Voltaire vorbei gekommen, dem ein denkwürdiger Satz zugeschrieben wird, der in Wahrheit allerdings im Rahmen einer seiner Biografien von Evelyn Beatrice Hall verwendet wurde, um Voltaire zu beschreiben: „Ich missbillige, was du sagst, aber würde bis auf den Tod dein Recht verteidigen, es zu sagen“. Ich denke, mit Rechten gehen immer auch Verantwortung einher und eben auch Respekt und die Fähigkeit, persönlichen Frust nicht zum Nachteil Vieler auszulassen.

Im Paris abseits der Solidaritätsmärsche macht sich eine eher andere Stimmung breit. Es ist eine Mischung aus Wissen, dass es nicht vorbei ist, business as usual und latentem Trotz. In der Rue de Montorgeuil, wo wir heute unser Essen für morgen und das Dolce für heute Mittag gekauft haben, wird genauso teurer Cappuccino getrunken wie vorher, wird genauso lange für ein spezielles Baguette angestanden, wird genauso gescherzt wie zuvor. Meine persönliche Quintessenz ist, dass nur weil der Rahmen einem Vieles, beinahe Alles erlaubt, man ihn auch immer unter Berücksichtigung des kategorischen Imperativs ausschöpfen sollte. Den sollte man nicht per Gesetz erlassen müssen, der sollte in uns drin sein. Bei allen.

Ein Gedanke zu „Evelyn Beatrice Hall“

  1. Die Sache mit dem Rahmen ist insofern etwas schwierig, da jeder für sich eine andere Rahmgröße wählen wird. Also grundsätzlich bin ich auch für Selbstbestimmung, nur bei der „Rahmengröße“ würde ich bitten, diese festzulegen. Denn ich habe mein halbes Leben mit den Leuten gehadert, die für sich grundsätzlich andere Rechte in Anspruch nahmen, als ihnen eigentlich zustand. Diese Menschen sind rund um uns. Junge Menschen meinen, Alles zu dürfen, Alte wissen auf Grund des langen Lebens, dass das in die Hose gehen kann. Man muss nicht alles mit Ironie überziehen, das nicht ins eigene Weltbild paßt. Toleranz kann auch weitergehend sein, die Dinge einfach geschehen lassen, wenn das Abendland ständig für seine Art der Religionsausübung kritisiert werden würde, gäbe es sicher auch bald Fanatiker, die das so nicht hinnehmen möchten.
    Warum können wir nicht einen Mittelweg finden und auf diesem unserem Tagwerk nachgehen?

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