Non scolae sed vitae discimus

Bald werden nicht mal mehr Ärzte oder Lehrer dieses schöne Sprichwort übersetzen können. Weil alles so schrecklich mühsam und ungerecht im Leben ist und Latein eine besonders grausame und lernintensive Sprache ist, soll sie als Zugangshürde für das Studium des Lehramtes und der Medizin in Nordrhein-Westfalen abgeschafft werden, zumindest jedoch auf das kleine Latinum reduziert werden. Recht so. Wozu muss ein Medizinstudent sich mit so umkommoden Themen rumschlagen, bei denen es um Systematik, Struktur und Logik geht, oder gar ein Lehrer? Warum eigentlich überhabt noch ein Studium? Wo doch die eigentliche Motivation ein weißer Kittel, viele Krankenschwestern und ein Porsche Cayenne oder gemütliche Birkenstocks und wenig Arbeit sind?

Zweiklassengesellschaft  krähen die allseits und immer Benachteiligung witternden Unterstützer am Rande des Erfolgs und fürchten, dass Menschen, denen der Zusammenhang zwischen Mühe und Lohn bekannt ist, manchmal im Leben weiter kommen. Das ist aber voll unfair: Alle sollen Medizin und Lehramt studieren können und sich nicht so abmühen müssen. Das, was sie später damit anfangen, ist ja auch nicht komplex und kann nebenbei erledigt werden. Bei einer Befragung im traditionellsten deutschen Automobilunternehmen hat vor Jahren ein (älterer) Mitarbeiter resigniert gesagt: Wir essen unsere Saatkartoffeln auf. Das sagte er, weil das Unternehmen sukzessive Mittel aus der Forschung abzog, um sie in die Entwicklung zu stecken. Das ziellose Forschen und Experimentieren ist es aber gerade, was die deutsche Wirtschaft erfolgreich gemacht hat. So sind bahnbrechende Erfindungen und Neuerungen überhaupt auf den Weg gebracht worden. Nicht alles, was in die Technologieführerschaft führt, entsteht aus dem leichtesten, direkten Weg.

Klar, sind andere Länder, gar Kontinente mit der reinen Nachahmung und Weiterentwicklung inzwischen so weit gekommen, dass sie sich halb Venedig, Rom oder Florenz unter der Hand unter den Nagel gerissen haben, aber ich persönlich halte das für den sichersten Weg in die Verblödung und Verfettung der Menschheit. Latein ermöglicht eine Sprachenzugänglichkeit, die ansonsten wirklich nur in einer Zweiklassengesellschaft  geherrscht hat. Sie ist die Alternative zur Grand Tour der früheren High Society, zu Auslandssemester und Schüleraustausch. Latein legt eine Basis in Sprachverständnis und Logik, das sich eben nicht sofort „auszahlt“, aber gerade in Mitteleuropa hegen wir ja zurecht die Hoffnung, etwas älter zu werden und dann kommen – ähnlich wie bei scheinbar fruchtloser Forschung – die Lateinfrüchte durchaus zum Tragen. Ich bin natürlich gerade besonders beseelt, weil ich am Freitag nach reichlich Weingenuss die Einser-Ex von meinem Patenkind fehlerfrei nachübersetzt habe. Nun kann man sich entscheiden: In vino veritas oder eben doch die Überschrift.

2 thoughts on “Non scolae sed vitae discimus

  1. Vorweg die Feststellung, dass ich sehr stolz auf die sehr verehrte Bloggerin bin, denn ich weiß, es war ein harter Weg zum großen Latinum. Ich habe, da ich selbst aus Faulheit gescheitert bin, das erste Jahr mit der Bloggerin zusammen die Verben konjugiert. Ach Gott, lange her, trotzdem, wie man heute sieht, es hat sich gelohnt. Denn, man lernt tatsächlich das logische, analytische Denken und Verknüpfen von Gegebenheiten. Ich bin auch nicht der Meinung, dass der Zugang zu den Studiengängen für alle offen stehen soll, im Gegenteil wer sich hierfür qualifiziert, soll gerne studieren. Nur sollte man vielleicht das Auswahlverfahren überdenken und nicht kategorisch durch eine schlechte Abiturnote jemanden den lange gehegten Wunsch zum Medizinstudium verwehren. Was bis zum Abitur zu den Noten führt, kann jeder nachvollziehen, man hat halt einfach Wichtigeres im Kopf und wusch, ist die Note in Mathematik oder Latein schlecht. Wir wollen doch alle von Menschen beraten und betreut und behütet werden, die besser und gescheiter sind als wir, zumindest in ihren Fachgebieten. Das geht nun mal nicht ohne die entsprechende Ausbildung. Man hat ja auch festgestellt, dass es nicht grundsätzlich von Vorteil war, die Liturgie in den katholischen Gottesdiensten vom Latein abzukoppeln. Wir Menschen wollen oft Unverständliches, da beugen wir uns leichter. Ich bin sehr froh, dass ich in meinen Krankenberichten nur die Anrede, die freundlichen Grüße und einzelne Füllworte verstehe. Wahrscheinlich wäre ich entsetzt über meinen tatsächlichen Zustand. Es gibt ebenfalls Bemühungen, einzelne Handwerksberufe ohne Meisterprüfung zu gestatten. Das kann doch nicht gut sein. Der Lieblingsspruch meiner Mutter war u.a. da wäre ja ein Gelernter ein Depp, wenn ich das auch könnte. Und genau so ist es. Also Ihr Lieben, weiter schön Lateinvokabeln lernen um dann stolz sagen zu können, ich habe das große Latinum!

    • Ich habe leider oftmals den Eindruck, es gäbe schon einige Handwerksberufe und/oder Handwerker ohne Meisterprüfung….gerade warte ich auf einen.

Schreibe einen Kommentar zu admin x

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert