Vorsicht oder Nachsehen?

Zwar haben die Gedanken aus dem Ausland immer das Ziel, zu unterhalten und erfreuen, aber sitzt man in Paris bei bedecktem Himmel und liest, dass es hier eine Schießerei gab, da eine Verfolgungsjagd und allerorten spontane Anschläge auf muslimische Einrichtungen, dann kann einem die Kurzweiligkeit schon mal abhanden kommen. Nicht, dass man jetzt direkt Angst hätte. Es ist die Unsicherheit im Zentrum. Ich habe mit ein paar Leuten gesprochen und alle sagen mehr oder weniger Dasselbe. Man schaut sich genauer um, sieht Leute genauer an, Filme laufen im Kopf ab. Direkt nach dem Attentat war der Schock und das Nichtbegreifenkönnen noch da und ich habe in den Galerie Lafayettes Strümpfe gekauft. Gestern war ich gar nicht aus dem Haus und heute überlege ich es.
Ist es das, was die ‚Experten‘ befürchten? Dass dann der Terror siegt? Aus den USA hört man, dass dreizehn Flugbegleiter ihren Job verloren haben, weil sie Angst hatten, die kindischen Schmierereien auf ihrem Flugzeug deuteten auf einen Anschlag hin. Sie weigerten sich, mit der Maschine zu fliegen – und flogen selbst. Hätte man eine Bombe gefunden, wären sie Helden gewesen. Und doch nutzen alle Vorsichtsmaßnahmen wenig, wenn Einer vorhat, Böses zu tun. Die Redaktion in Paris stand unter ‚Polizeischutz‘, der verantwortliche Redakteur unter Personenschutz. Allein was hat es ihm genutzt? Die Adresse war geheim, kein Schild, kein gar nichts. Wo endet Vorsicht, wo beginnt Panik?
Phantasiebegabte Menschen malen sich aus, was passierte, wenn die Fluchtroute solcher Verbrecher den eigenen Einkaufsweg kreuzt? Würde man auch hier – ganz à la Parisienne – das Auto beim Überqueren der Straße zum Halten nötigen wollen, um dann an einen zu gelangen, der weder Tod noch Teufel fürchtet, weil er es selbst ist? Bei uns ums Eck, ca. fünfzig Meter Luftlinie wurde kürzlich der berühmte Conceptstore Colette ausgeraubt. Da möchte man doch auch nicht gerade die Hosen aus der Reinigung holen und sich lautstark über auf dem (schmalen) Trottoir geparkte Motorräder beschweren. Hat der Terror also gesiegt? Lohnen sich Charakter und Zivilcourage? Bei vielen Beispielen aus den letzten Wochen offenbar nicht. Lieber aufrecht sterben als auf Knien leben. Was heißt das? Ist das eine Frage, ob das eigene Leben in erster Linie aus Überzeugungen besteht? Würde ein Mensch mit Familie auch so denken können? Ist der, der das sagt, ein besserer, weil tapferer Mensch?
Sicher ist, ich muss nachher in die Reinigung und Wasser kaufen. Und danach gehe ich durch den Jardin des Tuileries zurück. Mal sehen, ob wieder alle Papierkörbe weg sind. Einer muss ja ein bisschen nach dem Rechten sehen hier.

One thought on “Vorsicht oder Nachsehen?

  1. Zu dieser Geschichte fällt mir trotz der langen Zeit, die ich hatte drüber nachzudenken, nichts Gutes ein. Alles, was ich sagen möchte, findet vor der Zensur keine Gnade. Es ist zu entsetzlich. Aber wenn ich zurückdenke an die frühen Siebziger Jahre, als ich einmal in den Fokus der Polizeit geriet, weil diese dachten, unter dem Kopftuch – das ich damals zuerst aus modischen und außerdem wegen des Regens trug – könne sich ein Mitglied der Baader-Meinhoffgruppe befinden. Mich auf Höhe des Bahnhofs gepackt, rein ins Revier und erstaunt festgestellt, dass sie eine harmlose deutsche Hausfrau auf dem Weg nach München erwischt hatten und nicht Ulrike Meinhoff, die sicher eine gewisse Ähnlichkeit wegen der dunklen langen Haare mit mir hatte. Damals ging man noch nicht shoppen, eher zum einkaufen. Ich durfte weiter meinem Vergnügen nachgehen. Soweit ich weiß, fand am 12.5.72 in Ausburg ein Bombenanschlag der RAF auf eine Polizeiwache statt und meine Mutter hat mich buchstäblich auf Knieen gebeten das Haus nicht zu verlassen. Die Geschichte wiederholt sich, nur mit anderen Vorzeichen. Schlimm ist einfach die Angst, dass jederzeit neben dir ein Auto in die Luft gehen könnte, oder in der vollen Straßenbahn irgendein verwirrter Idiot sich in die Luft sprengt. Da ich aber noch zur Kriegsgeneration gehöre und mit Schlachtenlärm geboren und die ersten Jahre gelebt habe, werde ich ungerührt diesen Dingen ins Antlitz blicken! Ich hab jedenfalls mehr Angst vorm Blutabnehmen als vor sowas.

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