Aussteigen

Wir waren über’s Wochenende in Okzitanien. Das ist in den französischen Pyrenäen. Und dort in einem ganz reizenden kleinen Weingut, das natürlich, weil es bei den Franzosen ist, gleich ein Chateau ist. Das wird von einem sehr korrekten und freundlichen Ehepaar geführt, nachdem es vorher auch von ihnen renoviert worden ist. Sie betreiben es als Chambre d’Hote und wie wir seit der Ankunft wissen, ist das dann kein Hotel, sondern bedeutet lediglich Gastzimmer. Sehr, sehr hübsche Gastzimmer. Und wenn man sich von Anfang an nett und ordentlich benimmt, darf man auch am Abend in der großen ehemaligen Gesindeküche das essen, was Madame Veronique mit Liebe und vor allem Kunstfertigkeit gekocht hat. Dazu brennt ein loderndes Feuer im Kamin, der über eine Größe verfügt, dass Kühe ohne sich zu bücken prima reinpassen und sich zwei der nachts um Haus mäandernden Wildschweine fast schon darin verlören. Auf die Wildschweine passt übrigens des nächtens Karli auf, ein ziemlich großer Rottweiler mit einer sensiblen Gemütslage. In der ersten Nacht musste er seinen Verteidigungsaufgaben so nachdrücklich nachkommen, dass er die nächsten zwei Tage – sogar für uns, die wir ihn erst einen Tag lang kannten – völlig verändert, ja fast schon depressiv war. Ich fürchte, wir haben uns mehr Sorgen gemacht als die Besitzer…..

Das Ehepaar Xavier und Veronique sind neben ihren exzellenten Gastgeberqualitäten ein wunderbares Beispiel für erfüllte Lebensträume. Bestimmt haben sie sich während der Kinderaufzucht (sie sind so alt wie wir), in den Jahren der durchwachten Nächte und den hohen Wellen der Pubertät immer wieder ausgemalt, wie herrlich es werden wird, wenn sie erst mal alles hinter sich ließen und sich ein kleines Weingut kauften, es renovierten und dann darin glücklich für immer darin lebten. Das ist ihnen – wie wir Franzosen sagen würden – formidable gelungen. Die Gegend eignet sich sowieso ganz einzigartig gut dafür, sich Lebensträume zu erfüllen. Sie ist nicht superbekannt, landschaftlich einmalig schön, wild, sanft und klimatisch ausgewogen. Es gibt tolle Farben und großartigen Wein, mehr Wildschweine als man essen kann – was könnte ein Herz mehr begehren? Hinzu kommt, dass es sich um einen eher sehr armen Teil Frankreichs handelt und Häuser im Traumbereich und Budget von ganz normalen Leuten liegen. Und so findet man – zumindest vermögensmäßig – ziemlich normale Ausländer hier. Keiner muss in Saint Paul Angst haben, von einem Ferrari beim Croissant holen überfahren zu werden oder dass einem nachts ein randalierender Russe in den Pool kippt und dann auch noch verklagt. Solche Nöte kennt Okzitanien nicht. Weder gibt es Pools noch Oligarchen.

Dafür finden Menschen wie ich, die ihr Leben lang gelesen haben und dabei natürlich auch über die ein oder andere Beschreibung schrulliger Aussteiger gestolpert sind, ebendiese in einer Reinkultur, die normalerweise zu Misstrauen anregt. Von der betagten Französin, die einen dunklen Wuschelkopf und eine runde schwarze Brille trägt, dazu raucht und wie ein Bierkutscher fluchen kann über ein Schweizer Ehepaar, das zwar eines der teuersten Anwesen in der Umgebung gekauft hat, dies aber vermutlich nur kann, weil sie aus Überzeugung von dem leben, was sie auf den Äckern finden und sich – vermutlich ebenfalls aus Überzeugung und dem Augenschein nach – noch niemals die Haare geschnitten oder gewaschen hat, bis hin zum schrulligen englischen Ehepaar, das in keinem englischen Roman besser beschrieben werden könnte (sie mollig und aufgekratzt, er in Kordhosen und etwas trottelig-verträumt), werden alle Klischees bedient. An sich würde nur noch ich fehlen, die mit all ihrem Vorwissen, um nicht zu sagen Vorurteilen, dort für einen Sommer in ein verträumtes Häuschen zieht, alles richtig durchmischelt und dann darüber schreibt. Bin nicht sicher, ob ich hören möchte, wie sie mich dann beschreiben würden.

4 Gedanken zu „Aussteigen“

  1. Ja, ich frage mich, wie die liebe Bloggerin ohne die von ihr benötigten Dinge wie Gemüsehändler, Reinigung. Metzger usw. zurecht kommen würde. Vielleicht ist das aber genau der Weg, um einmal seinen Kopf frei zu bekommen und seiner Seele Zeit zum atmen geben würde. Vielleicht ist das auch dies, das die beiden (ich weiß nicht mehr wie sie heißen) ihr Glück in der Beherbergung von überreizten Großstättern finden. Sind wir alle zu anspruchsvoll? Mit was sind wir noch zufrieden, anscheinend brauchts ja nicht viel dazu!

  2. Oh, das müssen sie dort keineswegs! Sie haben im Gegenteil, sehr viele Metzger und Gemüsehändler. Ich muss leider auch zugeben, dass meine Seele nicht zum atmen käme, wenn sie nicht wüsste, wo das nächste Essen herkommt. Bin da leider schrecklich schlicht….

  3. Ab meinem 40. Lebensjahr wollte ich aussteigen. Aussteigen aber mit Spülmaschine, Fußbodenheizung und natürlich ausreichend Geld, um ein wirklich einfaches Leben führen zu können. Mit Mann, Kind, den Pferden, zwei hätten genügt oder doch besser drei oder vier, Hunden und evtl. Katze wie sich’s ergibt, am liebsten dort oben in der Lüneburger Ostheide, grenzenlose Wiesen, Wälder, kaum Menschen. In einem dieser großen wunderschönen Höfe, natürlich mit einem Mann für die Pferde und einer Frau für Küche. Ich verstehe bis heute nicht, warum mein Mann das nicht auch wollte. Wäre doch schön gewesen. Jetzt träume ich halt davon, das im nächsten Leben zu machen. Da stell ich die Weichen rechtzeitig! Nämlich jetzt schon und nehme diesen Schwung mit hinüber.

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