Hurra! Basalganglien überlistet!

Es soll ja Menschen geben, die großes Vergnügen und Befriedigung daran finden, ihre Wohnung andauernd neu zu gestalten, neu einzurichten oder zu verändern. Dass ich nicht zu ihnen zähle, weiß ich nicht erst seit gestern. Ich bin bequem und schätze die Beständigkeit. Damit verhalte ich mich genau so wie die Natur es vorgesehen hat. Unser Gehirn – wir sprachen schon einige Male darüber – schätzt die Beständigkeit und Routine und trachtet nach ihr. Alles soll möglichst schnell zum Standardprozess werden und vereinfacht werden, damit man möglichst wenig Energie damit vergeudet. Über Routine muss man nicht nachdenken, sie läuft energiesparend mit und es bleibt deutlich mehr Zeit für die Imponderabilien des Lebens wie Säbelzahntigerangriffe, die sich ja selten ankündigen, abzuwehren oder sich eine neue Wintergarderobe zuzulegen. So weit, so gut.

Wohnungen und ihre Einrichtungen, außer man lebt auf einem Schloss und hat ein Heer an guten Seelen um sich herum, tendieren dazu, in die Jahre zu kommen und damit auch nicht schöner. So war es mit meiner Wohnung. Seit vielen vielen Jahren lag sie mir wie ein Fels auf der Seele. War sie vor achtzehn Jahren ein triumphaler Befreiungsschlag und der innenarchitektonische Antagonist zum mütterlichen Elternhaus, hatte sie auch doch viele, viele Provisorien, die ich plante, möglichst schnell durch ausgetüftelte Lösungen auszutauschen. Aber oh weh, ich hatte auch hier die Rechnung ohne meinen perfekt energiesparenden Körper und Geist gemacht. Bemalte Nachtkästchen blieben ebenso erhalten wie eine sentimental aus dem Speicher entliehene bemalte Holztruhe. Dadurch, dass wir nicht oft und auch nicht lange vor Ort waren, ließ sich damit – zwar mit einem Grummeln – leben. Aber es war immer da. Dieses „ich müsste mal, ich sollte dringend“. Und die Angst davor. Denn Angst droht – stellt man sich ihr nicht entgegen – aufs Gemeinste ihre Macht auszudehnen, zu chronifizieren.

Warum es dann so weit war, kann ich heute gar nicht mehr genau sagen. Es begann damit, dass ich älter wurde und auf die Schnelle ein Gemeinschaftsgeschenk aus dem Hut zaubern musste, wollte ich nicht mit reichlich Schals oder Coffeetable-Books beschenkt werden. Ich habe mich ohne groß darüber nachzudenken, für einen Tisch entschieden, den ich bei Freunden gesehen hatte und der von einem Schreiner gefertigt wurde. Im Hinterkopf war mir klar: dieser Tisch zieht einen Rattenschwanz nach sich. Und zum Glück hat er das. Und so kann ich heute wahnsinnig stolz von meiner neuen Couch inmitten einer Baustelle berichten: Ich habe meine Baselganglien und meine Dämonen gestellt und – wie es aussieht – besiegt. Denn was für andere etwas Normales, Nettes, Alltägliches ist, bedeutet für mich etwas anderes, Größeres. Die Aufgabe von Sicherheit und das Hineinhüpfen in etwas Neues. Das übrigens keineswegs schlechter, nein eher viel besser und passender ist. Ich bin stolz auf mich. Und ich freue mich.

Es

Ich gebe es nicht gerne zu, aber ich werde ängstlich. Bin ich früher noch alleine in Santa Barbara an verlassene Strände gegangen, mit dem Greyhound durch Kalifornien gereist oder mit wildfremden Männern an verlassene Baggerseen, denke ich heute drüber nach, ob das Joggen im Wald um sechs Uhr abends wirklich so eine brillante Idee ist und ob man sich lieber dem Unwillen des Taxifahrers wegen der kurzen Strecke aussetzt als an vermummten Gestalten vorbei nach Hause läuft. Wieso ist das so? Hat das mit zunehmender Erfahrung, mit Überfremdung oder den Medien zu tun? Ich hab mir früher exakt gar nichts gedacht, wenn ich irgendwo jemanden mit den Händen in der Tasche, gesenktem Kopf und Kapuzenpulli gesehen habe. Seit meine Mutter mich auf Kapuzenshirtträger aufmerksam gemacht hat, finde ich sie nun ebenfalls in vielerlei Hinsicht bedenklich. Modisch sowieso, entwicklungspychologisch in jedem Fall und eigentlich auch einfach generell so, als hätten sie etwas zu verbergen….

Ein Buch hingegen ist verantwortlich dafür, dass ich – wie sehr, sehr viele andere aus meiner Generation – keinen Clown mehr ohne Hintergedanken betrachten kann. Den von Mc Donalds schon drei Mal nicht. Als ich ungefähr 16 war, habe ich nämlich ein dickes, großes rotes Taschenbuch gelesen. „Es“. Es ist das Buch, bei ich mich vor dem Umblättern gefürchtet habe und das ich – abgesehen von Clowns und seinem wahrlich grusligen Inhalt – auch wegen einer Tierquälerei nicht mehr gelesen habe. Ich habe diese natürlich sofort überblättert, aber nachdem das Auge bedauerlicherweise eine kurze Zeitspanne braucht, um das Gelesene im Gehirn ordentlich verarbeiten zu lassen, hab ich eben nicht schnell genug weitergeblättert…Blöd. Nun jedenfalls ist die Neuverfilmung dieses Buches in den Kinos zu sehen und kaum einer, der keine Meinung dazu hat. Es ist ein Werk, das meine Generation verbindet, mehr noch als abendliches Schweinchen-Dick-Schauen oder Bonanza oder Dallas. Mir war gar nicht klar, dass ich mit meiner großen Angst nicht alleine war, sondern sich vermutlich nur niemand getraut hat, darüber zu reden. Erstaunlich.

Gestern Abend, auf dem Weg zu meinem Steuerberater und einem Glas Wein, bin ich jedenfalls meinem Nachbarn begegnet, der ein recht mysteriöses Ansehen in unserer spießigen Wohngemeinschaft hat. Vieles wird über ihn und seine sehr scheue blonde Frau gemunkelt und eines eint uns alle fast wie das gemeinsame Grauen vor Faltbötchen, die in Gullys verschwinden: der Ärger darüber, dass er als einziger sein Auto immer auf dem Kurzzeitparkerplatz abstellt und sich hartnäckig weigert, einen anzumieten (den Kinderwagen, das Kinderfahrrad und alles, was man sonst vor einem kleinen Reihenhaus abstellen würde, hat er zu unserem Ärger immer im Hausflur deponiert). Man begegnet ihm also mit einem gewissen Misstrauen. Gestern aber, als ich ihn gegen acht Uhr in Laufkleidung gesehen habe, hab ich ihn gefragt, ob er jetzt noch laufen ginge. Ja, sagt er. Und als ich meinte, das sei wahrlich der Unterschied zwischen Männern und Frauen, sagte er: er habe eine Winterrunde und nichts auf der Welt könne ihn bei Dunkelheit in den Wald bringen und ob ich „Es“ kenne? Na klar, sag ich, einfach schrecklich, hab heute noch Angst vor Clowns. Und dann erzählt er mir, dass er neulich im Keller war und das Licht ausgegangen ist und er sich so fürchterlich gefürchtet hat und völlig außer Atem in seiner Wohnung angekommen ist. Soll er doch auf dem blöden Parkplatz stehen. Er ist einer von uns!