Eichhörnchen

Hatte ich schon mal erwähnt, dass ich Eichhörnchen liebe? Nicht nur, weil ich sie von meinem Fenster aus sehen kann, wenn ich wahlweise nachdenklich oder um mich zu sammeln und niemanden zu ermorden, auf die Bäume vor meinem Fenster schaue. Ich tue das gerne und regelmäßig. Im Sommer rauschen die grünen Blätter beruhigend und im Winter sind die Äste und Zweige weit verzweigte Autobahnen für Eichhörnchen. Sie rasen an und auf ihnen auf und ab, schwingen sich von Ast zu Ast und sind wirklich andauernd in Bewegung. Angeblich – mir werden seit ich meine Liebe zu diesen possierlichen Nagern eingestanden habe lauter Horrorgeschichten über die possierlichen Tiere zugetragen – sind sie Massenmörder und verbreiten rasend schnell und unerbittlich, wo sie nur gehen und stehen, die Tollwut. Das mag ja alles sein, aber sie haben ein Fell und sehen nett aus. Und hinterlassen nichts auf meinem Balkon. Das genügt.

Außerdem liegen sie mir schon deshalb, weil sie meinem weiblichen und schwäbischen Wesen so verwandt scheinen. Sie sammeln Nüsse, tragen sie in ihre Bauten oder Höhlen oder wo sie halt wohnen, sie sind possierlich und vorausschauend und sportlich und irgendwo doch auch sehr elegant mit ihrem wunderhübsch buschigen Schwanz. Auch Frauen können beispielsweise wunderbar auf etwas sparen und das ganze für die Urlaubskasse gesammelte Geld dann für ein Paar traumhafter Riemchensandalen ausgeben, denen sie im Schaufenster nicht widerstehen können oder ganz, ganz lange abnehmen, weil auf einem Fest in weiter Ferne der Drecksack von Exfreund erwartet wird, der einen vor Jahren schmachvoll verlassen hat. Sie sind also gleichermaßen vorausblickend wie leichtfüßig. Und Pelzkragen mögen sie auch. Und nichts sieht anmutiger aus als ein Eichhörnchen, das eine Nuss zwischen den kleinen zarten Vorderpfoten hält. Außer vielleicht einer Frau, die nachdenklich eine Cappuccinotasse mit beiden Händen hält. Also bitte: mehr Gemeinsamkeiten haben nur eineiige Zwillinge. Und die Ähnlichkeit mit Schwaben muss ich ja wohl nicht erklären. Nüsse? Vorrat? Für schlechte Zeiten? Na bitte. Ist also nur logisch, dass ich sie so putzig finde.

Ich habe nur einen ganz großen Kritikpunkt an diesen kleinen Biestern: Sie lassen sich einfach nicht fotografieren. Seit Tagen liegt meine Kamera mit dem größten Teleobjektiv, das man außerhalb der Paparazzofotografie verwenden kann, auf meinem Schreibtisch und ich krieg einfach keines scharf. Immer verstecken sie sich in den Ästen und wenn ich sie dann doch mit viel List und Tücke scharf fokussiert habe, dann erschrecken die Viecher und ich kann wieder von vorne anfangen. Sehr ärgerlich. Und während ich ihnen noch so versonnen nachschaue, gehe ich selbst meiner Eichhörnchentätigkeit nach und sammle im Rahmen eines Projekts Redaktion um Redaktion und muss mich wundern, wie Menschen, die immer, aber wirklich immer auf die Unterstützung und Zuverlässigkeit anderer angewiesen sind, selbst teilweise so entsetzlich ignorant sein können und gar nicht hilfsbereit und vorausschauend sind. Denn kein Mensch und kein Eichhörnchen kann wissen, wohin ihn seine Zukunft führt und ob es sich nicht eines Tages vielleicht als idiotisch blöd erweisen wird, dass man damals auch auf das sechste E-Mail nicht reagiert hat. Und dann krieg ich wieder die Kurve und konzentriere mich auf die andere Eichhörnchenseite: das Sammeln und Ablegen von schönen Momenten. Dazu eignet sich die Adventszeit ganz besonders und ganz sicher kommen auch wieder Tage, in denen man ganz unerwartet auf so eine gemachte schöne Erfahrung stößt. Wie ein vergessliches Eichhörnchen. Denn wie meine Mutter stets zu sagen pflegt: warum wachsen so viele Nussbäume? Weil Eichhörnchen so vergesslich sind.